W. Feichtinger u.a. (Hrsg.): Somalia

Cover
Titel
Somalia. Optionen – Chancen – Stolpersteine


Herausgeber
Feichtinger, Walter; Hainzl, Gerald
Reihe
Internationale Sicherheit und Konfliktmanagement 6
Erschienen
Anzahl Seiten
299 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lisa Schlegel, Institut für Afrikanistik, Universität Leipzig

Die vorliegende Anthologie unternimmt den Versuch, die Hintergründe der aktuellen Probleme in Somalia aufzuzeigen und einen Überblick über die Entwicklungen des internationalen Krisenmanagements zu geben. Der Band verbindet in seinen drei Teilen – einer Einführung, einem Teil zu „Herausforderungen“ und einem Teil zu den „Ansätzen des internationalen Krisenmanagements“ – Beiträge von Autoren aus der Wissenschaft sowie aus der Praxis des internationalen Krisenmanagements und der militärischen Planung. Im Folgenden können lediglich einige Beiträge hervorgehoben werden.

Die Herausgeber Feichtinger und Hainzl gehen in ihren einleitenden Beitrag auf die Lage in Somalia sowie die bisherigen Ansätze und Erkenntnisse für weitere Schritte des internationalen Krisenmanagements ein. Wichtige Ableitungen beziehen sich darauf, dass die Transitional Federal Government (TFG) für die internationale Gemeinschaft nicht der einzige Ansprechpartner bleiben sollte und dass eine Einbindung von Al Shabaab in eine politische Strategie unumgänglich sei. Feichtinger und Hainzl warnen zudem davor, die Probleme und Stabilisierungsansätze im Falle Somalias zu einseitig aus dem engen Blickwinkel der Sicherheitsperspektive zu betrachten. Irritierend wirkt hingegen der letzte Abschnitt des Beitrags. Die Autoren kritisieren ein mangelhaftes Wissen über das Land, über die unterschiedlichen Akteure im Konflikt sowie über die sozialen Strukturen, die heute auf politische Entscheidungsträger wirken. Sie schließen ihren Beitrag mit dem Satz: „Die systematische Erforschung der sozio-politischen, sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Verhältnisse in Somalia wäre somit dringend anzuraten, um das internationale Krisenmanagement möglichst effektiv gestalten zu können.“ (S. 19) Doch vereint der Band nicht gerade wissenschaftliche Autoren, die in vielen Publikationen zur Produktion eines differenzierteren Wissens über Somalia beigetragen haben? Weitere Forschungen in allen von den Herausgebern genannten Bereichen sind zweifelsfrei notwendig. Unabdingbar ist jedoch vor allem ein Zugreifen auf eben dieses Wissen durch Akteure der internationalen Politik und des internationalen Krisenmanagements und deren Bereitschaft, sich tatsächlich für einen Perspektivwechsel zu öffnen und räumliche Transformationen jenseits territorialer Nationalstaatlichkeit ernst zu nehmen.

In einem kurzen Beitrag von Volker Matthies zu Konfliktdynamik und externen Akteuren werden Konjunkturen des internationalen (geopolitischen) Interesses an Somalia sowie die zahlreichen gescheiterten Versuche zur Friedensstiftung als wesentliche Aspekte einer Analyse externen Einwirkens auf die Konfliktdynamik beschrieben. Wichtig erscheinen insbesondere die resümierenden Einschätzungen des Autors, die die komplexen Interessenlagen der somalischen Konfliktakteure als jeweils heterogene und fragile Zusammenschlüsse in den Blick nehmen. Komplexe Aushandlungs- und Versöhnungsprozesse seien nötig (und möglich), um von konfrontativen Politikkonzepten abrücken und inklusive Friedenslösungen finden zu können.

Der einführende Teil wird durch einen Beitrag zu sozialen Strukturen, Organisationsformen und Konfliktverhalten unter Somali aus der Feder von Thomas Zitelmann abgeschlossen. Der Autor fokussiert in diesem Zusammenhang auf die Kontroverse zwischen „Traditionslisten“, welche die Transkontinuitäten der somalischen Klanstruktur betonen, und „Transformalisten“, die auf die Differenz zwischen Klanorganisation bzw. Nutzung von Klanbeziehungen unter stark veränderten Gesellschaftsstrukturen und neuen Ressourcenquellen verweisen.

David Petrovic beschreibt im zweiten Teil des Bandes die Situation der Piraterie an den Küsten Somalias und geht auf Entwicklungen und die Eskalation der Lage seit 2006/07 ein. Er analysiert Triebfedern der Piraterie, beschreibt Akteure (und deren Handlungsmuster) und zeigt Auswirkungen dieses „Gewerbes“ auf. Kurzfristige Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft hält der Autor für unzureichend eingebunden in die politischen Strategien zur Konsolidierung des Landes.

In seiner „Anleitung zum Scheitern: Die Rolle externer Akteure in Somalia“ führt Georg-Sebastian Holzer aus, warum Somalia heute als Synonym für das Versagen externer Akteure im Krisenmanagement eines komplexen Bürgerkrieges steht. Der Autor liefert zunächst einen Abriss der internationalen Interventionen seit 1992 und legt dabei einen Fokus auf die Rolle Äthiopiens und der USA. Er geht auf den Äthiopisch-Eritreischen Stellvertreterkrieg, auf die Rolle des Jemen und auf die veränderte Beziehung zwischen Somalia und Kenia ein. Holzer betont die marginale politische Bedeutung Somalias (insbesondere in Washington) und benennt eine „erratische, sicherheitszentrierte US Anti-Terror-Politik“ (S. 112), die eine tatsächliche Politikformulierung hinauszögere. Der Autor problematisiert schließlich die Instrumentalisierung des Terrorismus und erläutert eine strategisch eingesetzte Anti-Terror-Rhetorik, die zu einem zentralen Aspekt innersomalischer Machtpolitik und regionaler Interessendurchsetzung geworden ist.

Markus V. Höhne zeichnet schließlich die Entstehungsgeschichte von Al Shabaab – „[…] von einer Terrorzelle zu einem regierungsähnlichen Akteur“ (S. 121) – nach. Er argumentiert, dass die islamistische Bedrohung, die vermeintlich vom zerfallenen Somalia ausgehe, in den 1990er-Jahren und frühen 2000er-Jahren von der westlichen Politik, den Medien und einigen Akademikern massiv überschätzt wurde. Die Situation habe sich im Kontext des Krieges gegen den Terrorismus und der externen Versuche in Somalia wieder einen Zentralstaat aufzubauen geändert; Al Shabaab konnte sich entwickeln und radikalisieren. Höhne geht auf die interne Struktur von Al Shabaab, auf deren Ressourcen und den Verlust an Rückhalt in der Bevölkerung seit 2011 ein. Al Shabaab will der Autor nicht einfach als „Fremdkörper“ im somalischen System verstehen. Vielmehr sei die Gruppierung mit vorhandenen islamistischen Tendenzen und der Sozialstruktur in Somalia verbunden. Ihr rasanter Aufstieg liege in zwei externen Faktoren begründet: mangelndes internationales Interesse und militärisches Eingreifen im Rahmen des Anti-Terror-Krieges.

Martin Pabst gibt zu Beginn des dritten Teils eine Übersicht über das internationale Krisenmanagement in Somalia, listet die verschiedenen Übergangsregierungen auf und benennt internationale und regionale Akteure in Somalia sowie deren gegenwärtiges Krisenmanagement zu Land und zu See. Die Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union (AMISOM) als Dauerprovisorium schade dem Ansehen der AU und generell dem Konzept Friedensunterstützender Missionen. Der Autor problematisiert auch die kontraproduktiven US-Angriffe gegen mutmaßliche internationale Jihadisten und verweist in diesem Zusammenhang unter anderem auf hohe zivile Opferzahlen.

Thomas Peyker fragt nach einem „Kurswechsel in Somalia“. Er beklagt Fehleinschätzungen, kurzsichtige Eigeninteressen und das Fehlen langfristiger Gesamtkonzepte der bislang vorliegenden politischen und militärischen Analysen. Der Autor thematisiert die zentrale Rolle der EU (auch als politischer Akteur) und nimmt Bezug auf die „verpasste Gelegenheit“ der Stabilisierung durch die Union islamischer Gerichtshöfe 2006. Diskutiert werden ferner die Rolle Äthiopiens und das Interesse verschiedener Akteure an einer Aufrechterhaltung des Status quo. Der Autor sieht durchaus Anzeichen für ein Umdenken und hält eine politische Neuorientierung Somalias für unumgänglich; dazu gehöre ein Dialog mit Al Shabaab, der von den Regionen her angestrebt werden sollte.

Im Beitrag von Stefan Lampl werden Umfeldbedingungen und logistische Planungsfaktoren für zukünftige Einsätze europäischer Streitkräfte erörtert. Allerdings nimmt Lampl keine Fokussierung auf Somalia vor, sondern richtet den Blick auf den afrikanischen Kontinent insgesamt. Es gelte infrastrukturelle und logistische Herausforderungen, die insbesondere für militärische Kräfte in Afrika immens seien, bereits im Vorfeld und nicht erst im Rahmen konkreter Operationsplanungen zu erheben und zu analysieren.

Insgesamt ist der Band ein wenig uneinheitlich und nicht frei von Redundanzen. In einzelnen Beiträgen verwundern simplifizierende Darstellungen der gesellschaftlichen Verhältnisse und Strukturen in Somalia. Dies geschieht etwa im Hinblick auf den genannten, aber wenig ausgeführten Zusammenhang von beschleunigtem Transformationsprozess und einer Radikalisierung der somalischen Bevölkerung sowie auf die behauptete Dynamik und Flexibilität der Clanstrukturen, die von den Herausgebern erst bzw. allein als Folge jahrzehntelanger Kämpfe beschrieben werden (S. 14). In jedem Fall ermöglicht der Sammelband mit einer großen Anzahl sehr lesenswerter Beiträge eine differenzierte Auseinandersetzung mit Somalia unter dem Fokus externer Interventionen und Politiken. Autoren aus Wissenschaft und Praxis thematisieren die Unzulänglichkeiten des internationalen Engagements gegenüber Somalia; sie problematisieren die Dominanz der Sicherheitsperspektive und das einseitige militärische Eingreifen ohne den politischen Willen und das Interesse, eine langfristige politische Strategie – unter Einbeziehung der verschiedenen und in sich heterogenen Akteure – zu entwickeln. Höhnes Verweis auf die kaum gestellte Frage, was einem Sieg über Al Shabaab folgt, Peykers Frage nach einem Kurswechsel, seine Beobachtung, dass EU und internationale Gemeinschaft zumindest nicht länger bereit sind, einen Akteur bedingungslos zu unterstützen und Webers Appell an einen Perspektivwechsel zeigen explizit die Dringlichkeit auf, ein Umdenken im Umgang mit Somalia zu diskutieren. Dies macht den Band zu einem aktuellen Beitrag für eine unumgängliche Debatte, wenn internationales Krisenmanagement tatsächlich an somalische Realitäten Anpassung finden soll, um eine Stabilisierung und Strategiebildung für und durch die somalische(n) Bevölkerung(en) unterstützen zu können.

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