D. Riedel: KZ-Kommandant Hans Loritz

Titel
Ordnungshüter und Massenmörder im Dienst der Volksgemeinschaft. Der KZ-Kommandant Hans Loritz


Autor(en)
Riedel, Dirk
Erschienen
Berlin 2010: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
424 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Veronika Springmann, Berlin

Kann eine Biographie Denken, Fühlen und Handeln eines KZ-Kommandanten erklären? Individuelles Handeln innerhalb von gesellschaftlichen Strukturen zu beschreiben, ist vorrangige Aufgabe biografischen Erzählens. Wesentliche Quellen sind in der Regel Egodokumente, Tagebücher oder beispielsweise Briefe. Nichts davon liegt im Fall von Hans Loritz vor. Ob das damit zu tun hat, dass, wie Dirk Riedel vermutet, „KZ-Kommandanten keine reflektierten Menschen waren, die über die Motive für ihr eigenes Handeln in Tagebuchnotizen schriftlich Rechenschaft ablegten“, ist zu bezweifeln (S. 22). Wie die Forschung zu Selbstdokumenten zeigt, sind die Motive für das Verfassen eines Tagebuches vielfältig.

Trotz dieses Quellendesiderates ist Dirk Riedel mit seiner Biographie über Hans Loritz, den ehemaligen Kommandanten der Konzentrationslager Esterwegen, Dachau und Sachsenhausen, eine Studie gelungen, die sich hervorragend in die aktuelle Täterforschung einreiht. Zwar gibt sie – erwartungsgemäß – keine Antwort auf die Frage, wie aus „ganz normalen“ Männern jene gewaltbereiten Täter wurden. Aber sie deckt Spuren auf. „Hans Loritz war die SS-Karriere als KZ-Kommandant nicht in die Wiege gelegt“ (S. 347), beginnt das Schlusswort der Studie. Wie er es trotzdem wurde, erläutert Riedel anhand einer Vielfalt von Quellen detailliert.

Gegliedert ist die Studie in fünf Kapitel, die chronologisch und geographisch Hans Loritz‘ Lebensweg folgen. Am Anfang steht der Geburtsort „Augsburg“. Es folgen die Stationen seiner Karriere als Konzentrationslagerkommandant in Esterwegen, Dachau und Sachsenhausen. Das Ende ist schließlich „Norwegen“. Dorthin wurde Loritz im September 1942 strafversetzt, um ein Lager für jugoslawische Gefangene aufzubauen. Von dort floh er 1945 nach Schweden. Loritz wurde ausgeliefert und beging im Januar 1946 im Internierungslager Neumünster-Gadeland Suizid.

Geboren wurde Hans Loritz am 23.12.1895 als Sohn eines Polizisten. Damit gehörte er der sogenannten Frontgeneration an. Er absolvierte eine Ausbildung als Bäcker und meldete sich – genauso wie sein Vater – freiwillig im Ersten Weltkrieg. Obwohl er etliche Verletzungen erlitt, unter anderem auch eine Gasvergiftung, konnte das seiner Kriegsbegeisterung keinen Abbruch tun. 1917 trat der technikaffine Loritz der Fliegertruppe bei und wurde zum Beobachter und Bordschützen ausgebildet (S. 39). Er geriet in französische Kriegsgefangenschaft und wurde auf Grunde seiner Französischkenntnisse als Übersetzer eingesetzt. Nach dem Krieg trat Loritz der Augsburger Stadtpolizei bei und heiratete 1922. 1925 wurde er in die Kraftradabteilung der Polizei übernommen.

Ab diesem Zeitpunkt häuften sich, wie Riedel zeigt, Regelverstöße, und es wurden mehrere Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet (S. 52). Loritz entzog sich nun öfters dem Arbeitsleben durch Krankheit. Schließlich musste er seinen Polizeidienst quittieren und bewarb sich bei den städtischen Gaswerken. 1928 wurde er zum Gemeindebeamten bei den Stadtwerken ernannt.

Am 1. September 1930 trat Loritz der NSDAP bei und beantragte die Aufnahme in die SS. Loritz zeichnet sich sehr schnell vor allem durch seine hohe Gewaltbereitschaft gegen politische Gegner aus. Am 30. Juli 1932 wurde er von Himmler zum SS-Hauptsturmführer ernannt. Auch an den ersten antijüdischen Aktionen in Augsburg war er maßgeblich beteiligt. Er stieg am 14. April 1933 zum SS-Obersturmbannführer auf; zum Augsburger Polizeidirektor wurde er allerdings nicht ernannt, wie er sich erhofft hatte. Dass sich seine Karriereziele oft nicht erfüllten, zog sich wie ein roter Faden durch seine Biographie. Weil er seiner Enttäuschung öffentlich allzu sehr freien Lauf ließ, erhielt er von Himmler einen Verweis mit der Begründung, sich gegen „einen höheren SA-Führer ungebührlich benommen“ zu haben und damit „sich gegen das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gesamt-SA (SA und SS) aufs Schwerste vergangen“ zu haben (S. 84f.).

Loritz wurde in das „SS-Hilfswerk“ Dachau zwangsversetzt. Wieder häuften sich disziplinarische Vergehen – unter anderem wegen Geldunterschlagung – und wieder entzog sich Loritz durch Krankheit. Gerade dieses erste Kapitel ist besonders spannend, zeigt es doch viele Brüche in Loritz‘ Bemühen, Karriere zu machen. Immer wieder scheiterte er an seiner eigenen Disziplinlosigkeit. Ausgerechnet der Mann, der besondere Härte gegenüber den Häftlingen walten ließ, entzog sich immer wieder durch Krankheit. Der Amtsarzt hielt ihn sogar für einen Simulanten (S. 54).

Dass er schließlich Theodor Eicke begegnete und von ihm gefördert wurde, ebnete Loritz den Weg, einer der ranghöchsten KZ-Kommandanten zu werden. Loritz gehörte also zu jenen Männern, die, wie Peter Longerich konstatierte, von Himmler besonders gerne protegiert wurden, „um (…) gescheiterte Existenzen durch eine Mischung aus disziplinierender Strenge, fürsorglichem Gestus und dem Anschein persönlichen Vertrauens (…) gefügig zu machen.“1

Seinen Häftlingen in Esterwegen stellte sich Loritz mit dem Satz vor: „in puncto Disziplin bin ich ein Schwein“ (S. 116). Das gab Loritz Grund und Rechtfertigung, von den Aufsehern ein sehr gewalttätiges Handeln gegenüber den Häftlingen einzufordern. 1935 wurde er zum SS-Oberführer ernannt und schließlich im April 1936 zum Kommandanten des Konzentrationslagers Dachau. Gerade sein rücksichtsloses Vorgehen den Häftlingen gegenüber befähigte ihn in den Augen von Eicke und Himmler, die Leitung des Modellagers zu übernehmen. Dirk Riedel gelingt es herauszuarbeiten, wie strategisch Loritz auch in der Wahl seiner Männer vorging, sich Loyalitäten sicherte, aber auch intrigierte, um seine Position abzusichern und seine Vertrauensstellung bei Eicke zu festigen.

Anfang Dezember 1939 übernahm Loritz schließlich das Kommando des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Im September 1942 wurde er von seinem Posten als KZ-Kommandant in Sachsenhausen entbunden und nach Norwegen versetzt. Die vielfältigen Gründe dafür legt Riedel überzeugend dar. Gegen ihn wurden Untersuchungen wegen Unterschlagungen und Korruption eingeleitet. Es gelang Oswald Pohl, dem Leiter des Wirtschaftsverwaltungshauptamtes, ein offizielles Ermittlungsverfahren zu verhindern. Die These von Johannes Tuchel, Loritz sei deswegen nach Oslo versetzt worden, weil er die notwendige Härte besessen habe, dort ein Netz von Konzentrationslagern aufzubauen, präzisiert Riedel, indem er darauf hinweist, dass aufgrund der Korruptionsvorwürfe die Versetzung eine Strafmaßnahme gewesen sei. Darüber hinaus dürfte wohl auch, so Riedel, eine Versetzung deswegen angestanden haben, weil Loritz nicht mehr in das bisherige Anforderungsprofil eines KZ-Kommandanten passte. Oswald Pohl tauschte bis Sommer 1942 die Führung in den Konzentrationslagern aus. Die Konzentrationslagerhäftlinge wurden zunehmend wichtig für die Arbeit in der Rüstungsindustrie. Als KZ-Kommandanten wurden nun Männer mit verwaltungstechnischer Erfahrung eingesetzt. In einer Replik auf seine Strafversetzung an Pohl formulierte der gekränkte Loritz seine Handlungsmaxime: „Ich war so vermessen zu glauben, dass ich in einer Zeit lebe, wo Taten mehr gelten.“ (S.293).

Deutlich wird beim Lesen der Biographie, welche Möglichkeiten der politische Raum des Nationalsozialismus Loritz gegeben hat. Der Mann, der sich mit diszipliniertem und verantwortungsvollem Handeln so schwer tat, konnte nun von Anderen Disziplin einfordern. Gerade vor diesem Hintergrund hätte ein analytischerer Umgang mit Begriffen wie Disziplin, Härte, Gewalt, Beziehungen und Ordnung, die für Loritz, aber auch in der Begriffswelt des Nationalsozialismus von großer Bedeutung waren, der Studie gut getan. So hätten die Friktionen in der Biographie besser ausgelotet werden, aber auch Verknüpfungen hin zu neueren Überlegungen zur Geschichte der Gewalt und deren Zusammenhang mit Männlichkeit hergestellt werden können. In der Biografie steckt viel Stoff, der immer wieder auf relevante Fragen der Täterforschung verweist, beispielsweise die Frage, wie wichtig Ideologie für das Handeln ist. Diese Verbindungen zu wenig gezogen zu haben, ist das Manko dieser Arbeit, die Grundlagen dafür zur Verfügung gestellt zu haben, der große Verdienst von Dirk Riedel.

Anmerkung:
1 Peter Longerich, Heinrich Himmler. Biographie. München 2008, S. 162.

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