J. Lepore: The Whites of Their Eyes

Cover
Titel
The Whites of Their Eyes. The Tea Party's Revolution and the Battle Over American History


Autor(en)
Lepore, Jill
Erschienen
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 15,75
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felix Krämer, Münster

Präsident Obama in einer Reihe mit Hitler und Stalin, Obama mit Turban oder drapiert als Hexer vor einem Totempfahl: Solche Schilder, die US-Amerikaner/innen zwischen wehenden Nationalflaggen in den vergangenen beiden Jahren wiederholt durch die Zentren großer Städte trugen, boten Anlass, dass man sich verwundert die Augen reiben mochte. Unter Berufung auf ihre Revolutionsgeschichte richteten sich die Protestler gegen Steuern, und es wurde vor dem Kapitol gegen die Regierungspläne zur Reformierung des Gesundheitswesens demonstriert. Am 28. August 2010, an Jahrestag und Ort der “I have a Dream“-Rede Martin Luther Kings, lud Fox-Moderator Glenn Beck gar zu einer „Restoring Honor“-Rally auf die National Mall und verkündete seinem überwiegend weißen Publikum von den Stufen des „Lincoln Memorials“, man habe eine auf nicht artikulierbaren Wegen verloren gegangene Ehre wieder herzustellen. Auf den ersten Blick präsentiert sich das Feld als diffuses Gemenge aus medialem Happening und rechter Politik. Bei genauerem Hinsehen scheinen die verschiedenen Initiativen allerdings von einer essentialistischen Geschichtspolitik geklammert. Im zu besprechenden Band begibt sich Jill Lepore in die historiografische Auseinandersetzung mit dem “Tea Party-Movement“, einer Bewegung, die seit gut zwei Jahren Blogger- und Journalist/innen umtreibt. Unter dem Titel „The Whites of their Eyes“ hat die Historikerin und Essayistin Artikel aus ihrer eigenen Feder zusammengepackt, die im Verlaufe der vergangenen zwei Jahre im „New Yorker“ erschienen sind.1 In fünf Kapiteln scannt Lepore die geschichtspolitische Dimensionen der Tea Party, wobei drei Fluchtpunkte die Analyse strukturieren. Zunächst beginnen die Kapitel immer in Boston 2009 oder 2010. Der zweite Fluchtpunkt ist das zweihundertjährige Jubiläum der Revolution 1976, als die Historiografie dem Land keine Geschichte angeboten habe – so jedenfalls Lepores Kritik (S. 69). Den dritten stellen die historischen Verläufe der Revolutionszeit der 1760er- und 1770er-Jahre dar, die der Autorin als Orte der Auseinandersetzung mit dem „historischen Fundamentalismus“ der rechten Aktivist/innen dienen (S. 16).

“We are there“ or “they are here“ paraphrasiert Lepore die Beschwörung der Gründerväter einleitend (S. 15), bevor sie zu Beginn des ersten Kapitels die Leser/innen zu einem Treffen mit einem Aktivisten an die Samuel Adams Statue nach Boston einlädt. Von dort bahnt sie sich ihren Weg in die Geschichte der Auseinandersetzung um Presse und Meinungsfreiheit. “Ye Olde Media“ lautet der Titel des ersten Kapitels. Durch die Linse historischer Figuren, wie beispielsweise den Drucker James Franklin oder Paul Revere, wird die Geschichte des Journalismus in den nordamerikanischen Kolonien bis zum „Stamp Act“ 1765 erzählt. Gegen dieses britische Gesetz zur Besteuerung von Druckerzeugnissen hatte sich eine Widerstandsgruppe unter dem Namen „Sons of Liberty“ formiert (S. 34). Sie trafen sich im “Green Dragon“, einem Bostoner Lokal, und es kann kaum überraschen, dass sich auch die Tea Party-Leute des 21. Jahrhunderts wieder genau jene Taverne zum Treffpunkt erkoren haben. Jenseits solcher Referenzlinien erzählt Lepore subkutane Geschichten, die nicht in der symbolischen Historien-Kommunikation seitens der gegenwärtigen Tea Party auftauchen. Sie erzählt beispielsweise die Geschichte von Phillis Wheatley, von deren Ankunft in Nordamerika in einer Zeitungsanzeige zu lesen war: “Just Imported, From AFRICA“. “Phillis Wheatley’s revolution began in 1761“, kommentiert Lepore (S. 26/27), und führt in diesem Kapitel die zeitgeschichtliche Dimension mit dem Verweis darauf ein, dass die Revolution sowohl südstaatlichen Segregationisten in den 1950er-Jahren wie auch der Bürgerrechtsbewegung als Begründungszusammenhang ihrer Argumentationen diente (S. 23).

Mit “The Book of Ages“ ist das zweite Kapitel überschrieben, und es beginnt mit einer “Anti-Obamacare“ Demonstration am 20. März 2010 vor der Faneuil Hall, bei der Schilder mit der Aufschrift: “The Constitution SPEAKS“ getragen wurden (S. 43). Mit John Adams‘ Einschätzung: “The history of the revolution will be one continued lye from one end to another” (S. 44) führt Lepore die Auseinandersetzungen über die Revolutions-Geschichtsschreibung ein. Nach der Lektüre von Mercy Otis Warrens umfassender Darstellung hatte Adams festgestellt: “History is not a Province for the Ladies“ (S. 47).2 Am Ende des Kapitels gelangt Lepore schließlich zu ihrer Kritik an der US-Geschichtswissenschaft der 1970er-Jahre. Sie folgert, der aktuelle Erfolg der Tea Party habe wenig mit den Ereignissen der 1770er-Jahre zu tun, aber viel mit der Krise um das “Bicentennial“ (S. 68). Richard Hofstadter habe als einer der letzten Historiker ein außeruniversitäres Publikum erreicht. Doch neben Versäumnissen innerhalb der Zunft hätte ein “carnival of presentism“ um das Jubiläum eine Geschichtsschreibung à la Hofstadter für die Folgezeit unmöglich gemacht (S. 69).

Benannt nach einem Buch von Jeremy Rifkin ergänzen die Texte des dritten Kapitels “How to Commit Revolution“ die Historiografiekritik um die Dimension der politischen Versuche, die Tradition der Revolution in die Gegenwart zu transportieren.3 Rifkin hatte eine Gegenkommission zu der Jubiläumskommission Präsident Nixons gegründet, die versuchte, der Gegenwart des “Bicentennial“ eine patriotisch exklusive Geschichte zu verschaffen. Kinder sollten nicht mehr mit einem negativen Image der US-Historie aufwachsen, so Nixon in seiner zweiten Antrittsrede (S. 71f). Neben dem Dilemma, dass Watergate genau dieses Unterfangen konterkariert haben dürfte, wie Lepore bemerkt, war die angepeilte Historie angelegt, ohne die Kritiken am historischen Rassismus zu würdigen – Lepore nennt Frederick Douglass – oder zeitgenössische Bücher wie „The Problem of Slavery in the Age of Revolution“ (S. 73f) zu berücksichtigen. 4 Vor dem Hintergrund ihrer Annahme einer Krise von Nation und Nationalgeschichte vertieft Lepore gegen Ende des Kapitels ihre Kritik an der Systematik professioneller US-Historiografie: “The scholarship academic historians have written since the 1960s, uncovering the lives of ordinary people and examining conflict among groups and especially races, sexes, classes, and nations, was not without substantial shortcomings.“ (S. 96).

Im vierten Kapitel konzentriert sich Lepore wieder stärker auf die historische Auseinandersetzung mit der Tea Party Bewegung. Unter dem Titel “The Past upon Its Throne“ greift sie Kriegsschauplätze auf – Lexington, Concorde, die Schlacht von Bunker Hill – die stets in mythischer Überfrachtung die Landkarte der Erzählung aus dem populistischen Spektrum säumen. Ausgehend vom Begriff “ballot“ kommt Lepore in einem längeren Textabschnitt auf das Wahlsystem zu sprechen (S. 104). Ihre sehr lesenswerte Darstellung beginnt im 17. Jahrhundert, erzählt von Wahlpraktiken in den Kolonien, von der Geschichte des rassistischen Wahlrechts im 19. und der Einrichtung des Frauenwahlrechts im 20. Jahrhundert (S. 110). Zudem setzt sich Lepore mit dem sogenannten “orginalism“ in der Verfassungsinterpretation auseinander (S. 118), bevor sie beschreibt, wie die Religiöse Rechte in den 1980er-Jahren die Gründerväter in ihre Ahnengalerie einschrieb, beispielsweise Tim LaHaye in „The Faith of Our Founding Fathers“ von 1987.

“Your Superexcellent Age“, ist das letzte Kapitel überschrieben. Detailliert lässt Lepore noch einmal Akteure aus der Revolutionszeit historische Zusammenhänge und Ideen figurieren – beispielsweise Harry Washington, einen der Sklaven des ersten Präsidenten, der auf der Flucht eine Uniform mit der Aufschrift “Liberty to Slaves“ getragen haben soll. Zeitgenössische Ausgaben der „New York Times“ beklagen noch einmal die nationalgeschichtlichen Versäumnisse um das zweihundertjährige Jubiläum der Revolution (S. 133). Anschaulich zeigt Lepore an der Gestalt Thomas Paine, wie die unterschiedlichen politischen Lebenslinien innerhalb der „Founding Fathers“ verliefen – hier anhand ihrer Überzeugungen bezüglich des Verhältnisses von Religion und Politik (S. 135 / 143). Der Frage nach Religion gilt auch Lepores abschließender Text, in dem sie sich dem Religions-Skeptiker Royall Tyler zuwendet, der außerdem prognostiziert, dass Historiker stets und auch künftig „zu viel aus zu wenig“ machen würden (S. 151).

Jill Lepores Buch ist aus mehreren Texten entstanden, die sich überschneiden, historische Protagonist/innen mal hierzu, mal dazu befragen. Das hat den Vorteil, dass die Leser/innen unterschiedliche Perspektiven auf Geschichte, ihre Auslassungen und Zentrifugen vor Augen geführt bekommen. Gleichzeitig kämpft Lepore unmissverständlich gegen die banalisierten National-Mythen seitens der gegenwärtigen Tea Party Bewegung. Ob nun der Umstand, dass in den 1970er-Jahren Machtachsen wie „Rasse“, Klasse oder Geschlecht zum analytischen Gerüst von Geschichtsschreibung geworden sind, eine problematische Entwicklung ist, muss allerdings bezweifelt werden. Statt den Fluchtpunkt der Kritik in die 1970er-Jahre zu legen, hätte Lepore der Verstrickung der Tea Party mit zeithistorischer Medienkultur mehr Aufmerksamkeit schenken können. Spärlich scheint diese Dimension auf, wenn sich die Autorin mit dem evangelikalen Geschichtsbild in der Reagan-Zeit beschäftigt, wo sicher noch markanter Kontinuitäten zur Tea Party des beginnenden 21. Jahrhunderts zu erkennen wären. Aber natürlich kann kein Buch – ein einzelnes Dokument ebenso wenig – alle Fragen gegenwärtiger Auseinandersetzungen klären. Daher bleibt festzuhalten, dass „The Whites of Their Eyes“ eine erhellende Zusammenstellung von Gegengeschichten zu einer virulenten Politisierung der Vergangenheit ist. Lepores aufklärende Historiografie um die Revolution lässt dabei genügend Raum für künftige Arbeiten, die Verwobenheit von Mediensystem, Nationalismus und Geschichtspolitik in den USA zu ergründen.

Anmerkungen:
1 Der Ausdruck wird von einer Geschichte von der Belagerung Bostons 1775 im Zuge der Amerikanischen Revolution abgeleitet. Die amerikanischen Milizionäre sollen die Weisung erhalten haben, nicht zu schießen, bevor sie nicht das Weiße in den Augen ihrer britischen Gegner gesehen hätten (vgl. Vorwort, Ruth O’Brien, S. IX).
2 Mercy Otis Warren, History of the Rise, Progress, and Termination of the American Revolution interspersed with Biographical, Political and Moral Observations, in Two Volumes, ed. Lester H. Cohen, Indianapolis 1994 [Orig. 1805].
3 Jeremy Rifkin, How to Commit Revolution American Style, Bicentennial Declaration, New York 1973.
4 David Brion Davis, The Problem of Slavery in the Age of Revolution 1770-1823, Ithaca 1975.

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