U. Gerhard (Hrsg.): Klassikerinnen feministischer Theorie

Titel
Klassikerinnen feministischer Theorie. Grundlagentexte Band 2 (1920-1985)


Herausgeber
Gerhard, Ute; Rauscher, Susanne; Wischermann Ulla
Reihe
Frankfurter Feministische Texte - Sozialwissenschaften 13
Erschienen
Sulzbach im Taunus 2010: Ulrike Helmer Verlag
Anzahl Seiten
351 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ursula Nienhaus, Frauenforschungs-, -bildungs- und –informationszentrum, FFBIZ, Berlin

Nach dem ersten einer auf drei Bände konzipierten Reihe mit Texten von „Klassikerinnen feministischer Theorie“, der den Zeitraum von 1789 bis 1919 abdeckte, liegt nun dieser Folgeband für die Jahre 1920 bis 1985 vor. In neun Kapiteln werden 25 Textauszüge in sorgfältig ausgewählten Auszügen vorgestellt, davon zwei in englischer Sprache, weil es noch keine deutschen Übersetzungen dieser Werke gibt. Jedes Kapitel ist konzis eingeleitet durch eine Einführung, die Texte und Autorinnen kontextualisiert, auf ihre Rezeption Bezug nimmt, ihre Wirkung bewertet und um Quellen- und Literaturangaben ergänzt. Außerdem finden sich in Fußnoten kurze biografische Angaben zu den jeweiligen Autorinnen oder den in ihren Texten erwähnten Personen.

In der Einleitung zu dem Band betonen Ulla Wischermann, Susanne Rauscher und Ute Gerhard, dass sie die etwas ungewöhnliche Zeitspanne sowohl für die Entwicklung feministischer Theorie als auch für die Geschichte der Frauenbewegung sehr bewusst gewählt haben. Sie wollen damit Autorinnen vorstellen, die einerseits selbst „von den Früchten der ersten Frauenbewegung in Bezug auf Selbstbewusstsein und Ausbildung profitiert haben“, andererseits aber auch eine Brücke zur Neuen Frauenbewegung bilden bzw. einen bewusst inszenierten Neuanfang seit den 1970er-Jahren machten (S. 9). Obgleich damit ausdrücklich keine Geschichtsschreibung der Frauenbewegungen selbst intendiert ist, sondern „Diskurse, Debatten und Theorien von Feministinnen“ (S. 10) präsentiert werden, lässt sich das Buch durchaus auch mit Gewinn als eine aufschlussreiche Darstellung englischer, französischer, italienischer, deutscher und nordamerikanischer Schlüsseltexte für diese nutzen, solange eine transnationale Geschichtsschreibung dazu noch fehlt. Denn bei der Textauswahl wurde erfreulicherweise versucht, „die internationale Orientierung des westdeutschen Feminismus und die Besonderheiten europäischer Diskurse gegenüber den US-amerikanischen zu berücksichtigen“ (S. 11). Als „klassisch gewordene […] Texte“ werden solche verstanden, „in denen Gedanken geäußert wurden, die zentrale Probleme der Frauen in der Gesellschaft auf überzeugende Weise aufgegriffen haben und sie als wissenschaftliche und politische Fehlstellen zu behandeln wussten – all dies mit dem Ziel, das Projekt der Ende des 18. Jahrhunderts begonnen bürgerlichen Emanzipation zu vollenden, in dem endlich auch Frauen zu gleichberechtigten Bürgerinnen werden mit der Möglichkeit, zur Umsetzung ihrer gesetzlich verankerten Freiheiten“ (S. 10).

Die hauptsächlich vertretenen Disziplinen sind Anthropologie, Literaturwissenschaft, Philosophie und Soziologie. Schwerpunktsetzungen sind neben der „Brückenzeit“ zwischen „altem und neuem Feminismus“ mit Texten von Virginia Woolf, Margaret Mead, Viola Klein, Simone der Beauvoir und Betty Friedan die Themen „Sexualpolitik“, das Verhältnis von Sozialismus und Feminismus, „Frauen und (Haus-)Arbeit“ , „Lesbischer Feminismus“ , „Differenzfeminismus“ und „der feministische Blick auf Literatur sowie „Literarischer Feminismus in der DDR“ . Der Band wird durch ein Quellen- ein Abbildungsverzeichnis und Angaben zu den Kommentatorinnen und Herausgeberinnen abgeschlossen.

Da sich sowohl die einzelnen Kapitel als auch individuelle Texte getrennt lesen lassen, das gesamte Buch als ganzes aber auch klug beschränkt wurde, ist zu erwarten, dass es seinen Zweck, „nämlich Studierende und Interessierte an feministische Theorien heranzuführen“ (S. 10) tatsächlich erreichen kann. Dem Band ist eine weite Rezeption zu wünschen. Denn die vorgestellten Texte entkräften alle weit verbreiteten Klischees über Feminismus. Anders als der umfangreiche, von Ilse Lenz herausgegebene Quellenband1 differenziert das Kapitel über die Anfänge der Neuen Frauenbewegung in Deutschland sinnvoller Weise ausdrücklich zwischen „autonomen“ und „sozialistischen“ Feministinnen, die auch „unterschiedliche Organisationsformen wählten“ (S. 147). In allen Kapiteln laden die Einführungstexte dazu ein, unfruchtbare Abgrenzungen wie zwischen Differenz- und Gleichheitsfeminismus noch einmal neu zu reflektieren und weniger auf angebliche Unvereinbarkeit der Positionen als auf Perspektivenwechsel und Anknüpfungspunkte hin zu lesen. Außerdem lässt sich beispielsweise entdecken, dass die frühe Wissenssoziologie Melanie Kleins (1908-1973) und Kleins Untersuchungen diverser wissenschaftlicher Konstruktionen des „feminine character“ (1946) auch aktuelle Mediendebatten erklären hilft: „it is possible therefore that the traits which a woman develops in connection with her business activities – her self-reliance, independence of judgement and executiv abilities – may form a real handicap in finding a mate. If this happens she is likely to feel frustrated and often she will curse „Emancipation” which has deprived her of the simple happiness of husband, child and home”.2 Die vorgestellten Texte zur (Haus)Arbeitsdebatte, die um 1975 ein Impuls für die Kampagne “Lohn für/gegen Hausarbeit” waren, lesen sich heute bei Debatten unter dem Schlüsselbegriff care work, der alle sorgenden, pflegenden, fürsorglichen Tätigkeiten für andere umfasst noch einmal ganz neu, gerade auch mit Blick auf die Veränderungen, denen ErwerbsarbeiterInnen heute ausgesetzt sind.3 Der Band regt auch dazu an, noch einmal zu “The Traffic in Women” (1975) von Gayle Rubin zu greifen, ihren Rückbezug auf Lévi-Strauss und Freud nach zu vollziehen und sich zu erinnern, dass Rubin schon damals eine Perspektive entwickelte, „human personality from the straightjacket of gender“ zu befreien (S. 261) und also Judith Butler in dieser Hinsicht vorweg nahm. Sie lieferte zudem „wichtige Ansatzpunkte für die Entwicklung der Queer Studies, indem sie Biologie von sexuellem Begehren und sexuellen Identifikationen entkoppelte“ (S. 234). Kurzum: der Band bietet als Lese- und Arbeitsbuch einen Einstieg in die Beschäftigung mit einzelnen Themen, Zeiträumen oder Personen; er ist hervorragend geeignet, sich einen Überblick zu verschaffen und Zusammenhänge herzustellen, und er lädt nicht zuletzt zum Schmökern, Querlesen und Nachschlagen ein. Er macht auch Vorfreude auf den noch ausstehenden dritten Band.

Anmerkungen:
1 Ilse Lenz (Hrsg.), Die neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung, Wiesbaden 2009.
2 Melanie Klein, The Feminine Character. History of an Ideology. London 1971, zuerst 1946, hier S. 59.
3 Paula England, Emerging Theories in Care Work, in: Annual Review of Sociology 31(1), 2005, S. 381-399.

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