I. Zweiniger-Bargielowska: Managing the Body

Titel
Managing the Body. Beauty, Health, and Fitness in Britain 1880-1939


Autor(en)
Zweiniger-Bargielowska, Ina
Erschienen
Anzahl Seiten
408 S.
Preis
€ 82,24
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bettina Brockmeyer, Abteilung Geschichtswissenschaft, Universität Bielefeld

„Managing the Body“ widmet sich einem in den letzten Jahren viel erforschten Thema: der Körperkultur im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in Europa. Was Maren Möhring für den deutschsprachigen Raum so erhellend untersucht hat 1, nimmt Ina Zweiniger-Bargielowska, Professorin für moderne britische Geschichte an der University of Illinois, mit etwas anderen inhaltlichen Schwerpunkten für Großbritannien in den Blick.

„Body management“ wird hier als Lebensführungspraxis und -regeln definiert, um Schönheit, Gesundheit und Fitness zu erreichen. Der Weg zu dieser Trias führt über Diät, Gymnastik, Sport und athletische Übungen, Sonnen- und Luftbäder, persönliche Sauberkeit und geeignete Kleidung. Die Autorin untersucht die Äußerungen und Zusammenarbeit von Repräsentanten und Repräsentantinnen der Lebensreformbewegung (Lebensreform im Sinne von Vegetarismus, Diätetik, Sonnenbad sowie Nudismus), der Körperkulturbewegung (Körperübungen und Gymnastik), des öffentlichen Gesundheitswesens und des Staates. Theoretisch beruft sie sich in ihrer Untersuchung auf Foucaults Konzepte von Gouvernementalität und Biopolitik, methodisch bietet das Buch eine Interpretation der Diskurse, Quellen sind veröffentlichte Schriften der Akteure und Akteurinnen der jeweiligen Bewegungen, Propagandaschriften, Vereinszeitschriften und -regeln etc., die durch sozialhistorische Erläuterungen und ,Fakten‘, wie etwa Statistiken zur Musterung, ergänzt werden.

Das Buch ist in zwei Großabschnitte untergliedert: von 1880 bis 1914 und von 1918 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges – die Weltkriege werden also ausgeblendet. In ihrer Untersuchung von Stadt und Degeneration stellt die Autorin den Körper als zentralen Ort für die Herstellung hegemonialer Männlichkeit dar. Diese Männlichkeit, in England wie zeitgleich in Deutschland am griechischen Ideal orientiert, konstituierte sich über Abgrenzung: Als degeneriert wurden sowohl städtische Arme und ,Fettleibige‘ aus der Mittelklasse als auch osteuropäische Juden und Immigranten bezeichnet. ,Rasse‘ und ,Klasse‘ gingen als Aus- und Abgrenzungskategorien fließend ineinander über; der Rassebegriff wurde einmal zur Definition des Anglo-Sächsischen herangezogen, zum anderen aber auch zur separierenden Beschreibung der britischen Unterschichten.

Die Ausführungen zur Herausbildung eines hegemonialen männlichen Körperkonzeptes werden flankiert von Aussagen über Prozesse der Urbanisierung mit ambivalenten Auswirkungen. Hier zeigt sich exemplarisch das Vorgehen der Autorin: Eine vielleicht nicht mehr ganz so originell anmutende These wie: „the body was an important locus for the construction of masculinity“ (S. 18) führt, begleitet von referierten sozialhistorischen Ergebnissen zum Modernisierungsprozess in England, durch ein Kapitel, das dann aber mit zahlreichen aussagekräftigen und zum Teil auch etwas bizarren Details aufwartet. So schildert sie beispielsweise, dass die Vegetarismus-Bewegung ein Konzept alternativer Männlichkeit angeboten habe, das mit Gewaltfreiheit und gemäßigter Sexualität ausgekommen sei, ohne dabei effeminiert zu sein. Im Kapitel zum fitten Männerkörper in Verbindung mit Nation und Empire, in dem es um die Maßnahmen zur Herstellung der hegemonialen britischen Männlichkeit geht, deren Defizit unter anderem im Burenkrieg festgestellt worden sei, wird neben vielen anderen die schillernde Gestalt Eugen Sandow vorgestellt. Sandow, eigentlich Friedrich Wilhelm Müller aus Ostpreußen, nannte sich Eugen wegen seiner Vorliebe für Eugenik und gelangte mit seiner Selbstvermarktung als moderner Herkules zu einigem Ruhm. Von einer Indienreise brachte er ,natives‘ mit, die er selbst trainierte, um die Anwendbarkeit seiner Übungen auf alle Menschen zu beweisen. Zweiniger-Bargielowska betont, dass dieses Unternehmen statt eines demokratischen Körperkulturkonzeptes den Rassismus und Imperialismus des Empires gezeigt habe. Durch solche und andere beredte Beispiele bietet sie abwechslungsreiche Einblicke in die Verbindungen von Körperkultur, Rassismus und Imperialismus in Großbritannien um die Jahrhundertwende.

Diesen Verbindungen widmet sie sich auch in ihrem Kapitel zur „modern race mother“. Hier ist die These prägend, dass in der Edwardianischen Zeit Frauen durch die Körperkulturbewegung neue Freiräume und Arbeitsmöglichkeiten gegeben wurden, die jedoch nicht zu einem neuen Geschlechterbild geführt hätten. Die Freiheit der Frau sei auf die Rolle der „race mother“ beschränkt geblieben. Zugrunde lag den Kleidungs-, Fitness- und Ernährungsreformen demnach stets ein eugenisch geprägtes Frauenbild.

Im zweiten Teil ihrer Studie beleuchtet Ina Zweiniger-Bargielowska die Zwischenkriegszeit. Ein bedeutender Zusammenschluss von vorwiegend Männern, der in der Zwischenkriegszeit multimediale Gesundheitspropaganda zur Herstellung der so genannten A1-Nation betrieb, war die 1925 gegründete New Health Society. Sie stellte Gesundheitsregeln zu Ernährung, Sauberkeit, Wasser-, Luft- und Sonnenkonsum sowie zur Kleidung auf, Zivilisationskritik eingeschlossen, gepaart mit einer romantischen Hinwendung zu allem, was als ,native‘ galt, zum Beispiel hawaiianische Tänze. Hier zeigt sich erneut, dass das hegemoniale Körperbild in Großbritannien nicht nur auf die griechische Antike rekurrierte, sondern auch auf nicht-westliche Bewegungsformen und Theorien - allerdings stets mit einer imperialen Einverleibung domestiziert.

Zweiniger-Bargielowska stellt die Kampagnen der Zwischenkriegszeit für eine Gesundheitserziehung in den Kontext einer konservativen Modernität. Moderne Wissenschaften und Technik seien mit einer paternalistischen, konservativen Ideologie verbunden und die Gesundheitspflege sei „as a moral and civic responsibility“ (S. 192) dargestellt worden. Sie betont des Weiteren, dass ein imperialer, fitter Männerkörper das Leitbild zur Wiederherstellung der Nachkriegsmännlichkeit gewesen sei und nicht der faschistische „superman“ (S. 206).

Frauenfitness wurde ebenfalls ein Massenphänomen nach dem Ersten Weltkrieg. Besonders engagiert waren ledige, junge, arbeitende Frauen. Grund für den Erfolg sei die große Bedeutung des Körpers in der Emanzipationsbewegung gewesen. Außerdem hätten sich Frauen im Sportbetrieb und in Freizeitprogrammen neue Räume erobert. Allerdings wurden durchweg auch Debatten über die Grenzen von Frauenfitness geführt und letztlich blieb die Frau laut Zweiniger-Bargielowska die „race mother“, wenn auch in guter Kameradschaft zum Gatten und mit Kontrolle über ihre Fruchtbarkeit. In Mode kamen in der Zwischenkriegszeit zudem vermehrt Schönheitsfragen. Schönheit galt nicht länger als Privileg, sondern wurde als umfassendes, Sauberkeit und Diät miteinschließendes und klassenübergreifendes Konzept gesehen. Die große Begeisterung für körperliche Ertüchtigungen und Verschönerungen von Seiten der Frauen führte auch zu neuen medialen Repräsentationen. Aus der viktorianisch bekleideten wurde zum Beispiel die spärlich verhüllte Frau.

Insgesamt stellt sich Ina Zweiniger-Bargielowska im Hinblick auf die langjährige und umfangreiche Forschung zur Frage nach der britischen Zwischenkriegs-Geschlechterordnung kritisch zu den Positionen, die einseitig Rückschritt oder Fortschritt vertreten. So hätten Frauen durch die Fitness- und Schönheitsbewegungen zwar deutlich mehr an Freiräumen, an Arbeitsmöglichkeiten und an Unabhängigkeit gewonnen, an der grundsätzlichen Geschlechterordnung, die den Mann als Alleinernährer vorsah, hätte sich jedoch nichts geändert.

Zweiniger-Bargielowska beendet ihre Studie mit einem Kapitel über die nationale Fitnesskampagne, gesetzlich verankert im „Physical Training and Recreation Act“ von 1937, die eine Antwort der in den 1930er-Jahren konservativ geprägten Regierung auf die Hungerdebatten der Zeit gewesen sei. Bilder von Hungermärschen und unterernährten Unterschichten, die von der Labour Partei aufgegriffen wurden, kontrastierten die Anhänger und Anhängerinnen der Kampagne, deren bekanntester Repräsentant George VI. war, mit Aufnahmen gesunder, fitter Körper, beispielsweise beim Jugendfestival von 1937. Die Kampagne bildete eine Möglichkeit für die Regierung, das Problem der Mangelernährung von sich zu weisen. Indem sie Teil der Politik wurde, wurden die Forderungen der verschiedenen zuvor existierenden Bewegungen ins Regierungsprogramm überführt. Zugrunde lag nach wie vor, wie Zweiniger-Bargielowska betont, ein Interesse an soldatentauglicher Männlichkeit. So wurde nationale Fitness in den Medien auch immer wieder an militärischen Musterungsergebnissen gemessen.

„Managing the body“ bietet einen breiten Überblick über Körperkulturdebatten in Großbritannien von 1880 bis 1939. Die gut lesbare und kenntnisreiche Studie birgt körper- und geschlechterhistorisch keine großen Überraschungen, aber doch viele anregende Details und einige neu hergestellte Verbindungen. Besonders hervorzuheben ist die aufschlussreiche Darlegung des Zusammenspiels von zivilgesellschaftlichen und staatlichen Körper-Regierungsweisen.

Anmerkung:
1 Maren Möhring, Marmorleiber. Körperbildung in der deutschen Nacktkultur (1890-1930), Köln 2004.

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