Titel
Teile und Herrsche. Die Aufteilung Afrikas 1880-1914


Autor(en)
Wesseling, Hendrik L.
Reihe
Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte, 76
Erschienen
Stuttgart 1999: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
385 S.
Preis
€ 50,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ludger Wimmelbücker, Hamburg

Nachdem die meisten afrikanischen Staaten in den 50er und 60er Jahren unabhängig geworden sind, war die koloniale Teilung des Kontinents ein viel diskutiertes Thema in der noch jungen Disziplin der afrikanischen Geschichtsschreibung. Seine Brisanz ergibt sich aus den offenkundigen und weniger offenkundigen Beziehungen des kolonialen Erbes zu den politischen und ökonomischen Problemen der nachfolgenden Zeit.

Hendrk Wesselings Buch stellt den bisher umfassendsten Versuch dar, die Aufteilung Afrikas unter Berücksichtigung aller daran beteiligten europäischen Mächte nachzuzeichnen. Das gilt besonders für den deutschen Sprachraum. Die niederländische Originalausgabe wurde bereits 1991 veröffentlicht, eine englische Übersetzung 1996. Der Anhang enthält eine Chronologie wichtiger Ereignisse und eine thematisch geordnete, umfangreiche Auswahlbibliographie. Die klare Sprache und durchdachte Darstellung empfehlen 'Teile und Herrsche' als ein Standardwerk, auch wenn die Einstreuung vieler englischer und französischer Zitate und Begriffe als übertrieben empfunden werden mag.

Dem Autor, einem renommierten Historiker der europäischen Expansion, geht es insbesondere um die Beweggründe einzelner Personen, weniger um die Analyse zugrunde liegender Prozesse. Der diplomatiegeschichtlich und streckenweise biographisch orientierte Ansatz mag überholt erscheinen. Doch immerhin zeigt Wesseling deutlich die Verschiedenartigkeit imperialistischer Motive auf, welche das Primat ökonomischer Faktoren wie die Notwendigkeit, der Massenproduktion neue Absatzmärkte zu erschliessen, stark relativieren. Als abstraktes, beinahe vages Ergebnis identifiziert er die industrielle Revolution als letzte Ursache der multikausal bestimmten Dynamik des Teilungsprozesses. Mit grosser Materialfülle stellt er die Bedeutung politisch-strategischer Überlegungen im imperialen Wettlauf dar, den Druck nationaler Öffentlichkeiten auf die Aussenpolitik genauso wie politsche und finanzielle Probleme afrikanischer Staaten, und zeigt damit insgesamt die begrenzte Relevanz handfester wirtschaftlicher Interessen.

Wesseling macht darauf aufmerksam, dass verschiedene Interpretationen der Teilung verschiedene Bestimmungen ihres Beginns zulassen, dass jedoch das französische Engagement in Tunesien im Jahre 1881 als die plausibelste Datierung angesehen werden muss, weil von diesem Zeitpunkt an die Inanspruchnahme afrikanischer Territorien in der europäischen Öffentlichkeit entscheidende Bedeutung gewann. 'Teile und Herrsche' stellt den wachsenden Antagonismus der künftigen Kolonialmächte anhand der wegweisenden Probleme und herausragenden Ergebnisse in der Aufteilung verschiedener Regionen dar. Die Kapitel reichen von der britischen Besetzung Ägyptens 1882 über die belgischen Initiativen bezüglich des Kongo, den deutschen Vorstoss in Ostafrika, französisch-englische Spannungen in Westafrika, der Durchsetzung englischer Interessen gegen die Buren in Südafrika und schliesslich zur Etablierung französischer Vorherrschaft in Marokko am Vorabend des Ersten Weltkrieges.

Der Kontinent war damit fast vollständig in europäische Interessensphären zerschnitten. Auf die Frage, was das im einzelnen für die afrikanischen Gesellschaften bedeutete, geht Wesseling nicht ein. Zwar betont er, dass die Teilung auf Abkommen zwischen europäischen Mächten beruht und dass die sogenannten Verträge mit Afrikanern kaum mehr als legitimatorischen und weitgehend fiktiven Charakter besassen. Zwar nimmt er die Unterscheidung zwischen der Aufteilung in europäischen Verträgen und Karten, der 'paper partition', und der Aufteilung vor Ort, der 'partition on the ground', auf, doch entwickelt er den Begriff nicht weiter um zu fragen, was aus der Teilung mittelfristig resultierte. 'Teile und Herrsche' enthält Beispiele dafür, dass selbst die 'Inbesitznahme' vor Ort oft nicht mehr bedeutete als die Anwesenheit von Vertretern im Entstehen begriffener Kolonialregime, die Ernennung von Befehlshabern oder die vorübergehende Demonstration militärischer Stärke.

Während er sich dieser Probleme bewusst ist, beschreibt Wesseling die Teilung Afrikas faktisch als einen Teil der europäischen Geschichte. Nun ist sie zwar von Europa ausgegangen, jedoch hat sie in Afrika stattgefunden. In diesem Sinne ist auch seine Periodisierung, d.h. die Betrachtung der Zeit von 1880 bis 1914, mit einer bestimmten Interpretation verbunden. Wie diese sich eignet, koloniale Initiativen herauszustellen, so engt sie den Blick ein auf den direkten Widerstand bzw. die direkte Einbindung von Afrikanern. Der geschichtliche Bedeutung der Teilung wird Wesseling damit kaum gerecht. Vielmehr drängen sich Fragen nach den bestehenden politischen Kontexten, nach den sich verändernden Beziehungen zwischen Kolonisierern und Kolonisierten und nach der Formierung von kolonialen Staaten auf, denn die Fremdherrschaft war ja keine unmittelbare Folge des Teilungsprozesses, wie es der Titel suggeriert. Es ist gerade die neue Qualität der kolonialen Verhältnisse und der daraus folgenden Veränderungen, welche das Thema der Teilung noch immer so brisant macht.

Deshalb ist Wesselings Annahme unangemessen, dass Afrika während der Kolonialzeit keine nennenswerten Veränderungen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet erfahren habe, abgesehen von der Beschleunigung eines allgemeinen Moderniserungsprozesses, der schon vorher eingesetzt hat (vgl. S. 341). Man mag kann das z.T. damit erklären, dass er kaum Literatur verarbeitet, die nach 1980 erschienen ist (obwohl sich einige neuere Titel in der Bibliographie finden), man denke etwa an Untersuchungen zur Ökologie und zur Ernährung, zum kolonialen Widerstand und zur Ethnizität. Im übrigen scheint seine Sicht vorkolonialer Modernisierung auf der überholten These aufzubauen, dass die Verbreitung 'demokratischer' Exporterzeugnisse - gedacht ist an landwirtschaftliche Erzeugnisse anstelle von Gold, Elfenbein und Sklaven - zu einer Schwächung staatlicher Autorität beigetragen und damit dem Kolonialismus den Weg geebnet hat (S. 340). Wesseling selbst erwähnt Fälle, für die eher das Gegenteil zutrifft (S. 41 und 125).

In diesem Zusammenhang macht es sich bemerkbar, wie schwer es sein kann, über die schriftlichen Quellen der Zeit hinaus zu reflektieren und ein Verständnis für das Verhalten und die Sichtweisen der Kolonisierten zu entwickeln, u.a. weil entsprechende Belege schwerer zu finden und weniger aufgearbeitet sind. Im Lichte der vermehrten Beschäftigung mit der Produktion von Fremdbildern seit Edward Saids 'Orientalismus' (1978) und Fritz Kramers 'Imaginärer Ethnographie' (1977) treten Defizite in 'Teile und Herrsche' hervor. Der wohl grösste Ausrutscher in dieser Hinsicht ist die Bemerkung, dass H.M. Stanley nach seiner Expedition nach Zentralafrika von 1888/89 in die "bewohnte Welt" zurückkehrte (S. 140) - als hätte er sich monatelang ausserhalb der menschlichen Gemeinschaft befunden und als hätte niemand dort irgend etwas von der Bedeutung seiner Reise verstanden. Im übrigen wird der zeitgenössische eurozentrische Blick auch durch den Abdruck zahlreicher Gemälde, Zeichnungen, Fotos u.s.w. von herausragenden Persönlichkeiten reproduziert. Wenn man der Kürze halber darauf nicht eingehen möchte, so wäre es doch angebracht, zumindest die Herkunft der Porträts in einem Abbildungensverzeichnis zu belegen.

Insgesamt bietet Wesselings Beitrag einen kenntnisreichen Einblick in die weltpolitischen Zusammenhänge und stellt die bisher stark national orientierte Geschichtsschreibung in einen europäischen Rahmen. Er versucht, in verschiedener Weise über das Feld der Diplomatiegeschichte, die mittlerweile in ihren wichtigsten Zügen aufgearbeitet ist, hinauszugehen. Deshalb stellt 'Teile und Herrsche' einerseits einen beachtenswerten Bezugspunkt für zukünftige Studien zum Imperialismus und zur Teilung Afrikas dar. Jedoch kann er nur im ganz allgemeinen Sinne verstanden werden als weiterer Anstoss zur Entwicklung komparativer Ansätze und europäischer Perspektiven zu einzelnen Themen, zum Beispiel zur Ideologieproduktion im Bezug auf nicht-europäische Gesellschaften oder zu den innenpolitischen Impulsen, die zur Kolonisierung führten. Schliesslich sollte bei all dem nicht übersehen werden, dass trotz des damit einher gehenden Rassismus besonders die 'Inbesitznahme' überseeischer Territorien herrschende und beherrschte Gesellschaften in eine gemeinsame Geschichte führte, die auch als solche begriffen werden muss.

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