Th. Zeller: Straße, Bahn, Panorama

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Titel
Straße, Bahn, Panorama. Verkehrswege und Landschaftsveränderungen in Deutschland von 1930 bis 1990


Autor(en)
Zeller, Thomas
Reihe
Deutsches Museum, Beiträge zur Historischen Verkehrsforschung 3
Erschienen
Frankfurt am Main 2002: Campus Verlag
Anzahl Seiten
451 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Inga Brandes, Universität Trier

Die Dissertation von Thomas Zeller stellt einen ersten Versuch dar, die soziale und technische Konstruktion des „kulturell aufgeladene[n] Phänomen[s] der Landschaft“ (S. 12) im 20. Jahrhundert zu untersuchen. Tatsächlich beschreibt er die Idee, die Akteure, die Planung und die Ausführung mehrerer Infrastrukturprojekte: Reichsautobahn-, Autobahn- und Hochgeschwindigkeitsstreckenneubau der Deutschen Bundesbahn zwischen 1930 und 1990. Ein technik- und umwelthistorischer Zugriff soll kulturgeschichtlich erweitert werden, um das Problem gewinnbringend zu behandeln (S. 14-20).

Einleitend behandelt Zeller die „schillernde Vieldeutigkeit“ (S. 23) des Landschaftsbegriffes in der Philosophie, der Kunstgeschichte, der Geographie, der Landschaftsarchitektur und der Geschichtswissenschaft (S. 21-40).

Das erste, durchaus quellengestützte Hauptkapitel beschäftigt sich ausführlich mit dem Reichsautobahnbau bis 1945 (S. 41-209). Ende der zwanziger Jahre fand unter Ingenieuren und Architekten das vage Ideenkonglomerat „deutsche Technik“ Verbreitung. Sie hielten eine natur- und landschaftsverträgliche Technik in Form von Autobahnen für möglich, was von den Nationalsozialisten später offensiv propagiert wurde. Zeller folgert: „Der ideologisch aufgeladene Nexus von Landschaft und Technik, dessen Gegensätzlichkeit in eine neue Harmonie überführt werden sollte, band die Autobahnen zum einen in die ideologische Selbstdarstellung des Regimes ein. Zum anderen stand die Idee dieser Straßen in einem spannungsvollen Verhältnis zu ihrer Bauweise.“ (S. 77) Um diese These zu belegen, zeichnet Zeller den Verlauf der Diskussionen um die „landschaftliche Eingliederung“ (S. 128) der Reichsautobahn nach.

Die beteiligten Akteure, insbesondere Straßenbauingenieure sowie Landschaftsarchitekten, bewegten sich im Spannungsfeld zwischen traditionellem Natur- und Heimatschutz, technikfreundlicher oder landschaftsbewahrender Prägung und Karrierezwang. Die von den Nationalsozialisten so genannten „Landschaftsanwälte“ (S. 92) arbeiteten zunächst frei für den Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen, Fritz Todt, der von den Beteiligten eine effektive „Inszenierung der Erlebnisfahrt“ (S. 206) verlangte. Die Landschaftsanwälte versuchten bald, unter der Führung von Alwin Seifert, sich als professionelle Experten für die Gestaltung der Landschaft an den Autobahnen zu etablieren. Entscheidend für ihren (Miss)Erfolg war dabei die persönliche Beziehung von Seifert zu Todt (S. 85-91). Die Landschaftsarchitekten bekamen schließlich einen Beraterstatus bei den regionalen Obersten Bauleitungen zuerkannt, während ihnen Entscheidungskompetenzen vorenthalten wurden. Bis zum Ende ohne klares Aufgabenprofil scheiterten sie letztendlich an der Dominanz der Bauingenieure.

Vom Autobahnbau in der Bundesrepublik handelt das anschließende Kapitel (S. 210-288). Trotz gewisser personeller Kontinuitäten (S. 226) bemühten sich die Beamten des Bundesverkehrsministeriums darum, Distanz zu NS-Ansätzen zu legen. Dem kam entgegen, dass die Autobahn sich rasch zu einem von Massen benutzten allgemein akzeptierten Verkehrsträger wandelte. Ihre Befürworter galten nicht mehr als weltfremde Utopisten. In Abgrenzung zur Ganzheitlichkeitsrhetorik der NS-Straßenbauexperten trieben besonders die Bauingenieure die Mathematisierung der Mess- und Berechnungsmethoden voran; intime Ortskenntnisse wurden durch Zahlenaggregate ersetzt (S. 230). Blendschutz und Sicherheit avancierten zu den zentralen Leitbegriffen bei der Begrünung von Böschungen und Mittelstreifen. Die „Bepflanzung wurde in ein Nützlichkeitsdenken überführt“ (S. 253), das keinen Bezug mehr aufwies zu der früheren völkisch-rassistisch unterfütterten Bepflanzungsideologie von „bodenständigen“, angeblich urdeutschen Gräserarten. Bis 1970 wurde, so Zeller, die NS-Ideologie einer organisch in die Landschaft eingebetteten Autobahn von einer „nicht minder moderne[n] Ideologie der effizienten und sicheren Zirkulation von Personen und Gütern abgelöst“ (S. 287).

Gelungen ist Zeller die Konfrontation der von unterschiedlichen Akteuren diskursiv erzeugten „Autofahrer-Figur“ (S. 157-158; S. 228; S. 236) mit den Haltungen „echter“ Autofahrer (S. 272-283). Ihre Eingaben an das Bundesverkehrsministerium stellen eine ergiebige Quelle dar, um die öffentliche Wahrnehmung von Straßenbepflanzungspolitik zu dokumentieren.

Ein letztes Kapitel beschäftigt sich mit der Deutschen Bundesbahn (S. 288-405). Zwei Neubauprojekte (Hannover-Würzburg und Mannheim-Stuttgart) zwischen 1971 und 1990 werden hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Landschaft exemplarisch untersucht. Zeller schildert, wie das Bundesbahngesetz von 1953 ein Dilemma fixierte, an dessen Erbe die Bahn heute noch schwer zu tragen hat. Die Bahn wurde ein gemeinnütziges Staatsunternehmen, das gleichzeitig nach kaufmännischen Gesichtspunkten wirtschaften sollte. Der zunehmende Autoverkehr sowie krasse Mittelkürzungen seit 1973 verschärften die Krise der Bahn. Lediglich die zwei untersuchten Neubaustrecken wurden finanziell noch vom Bund unterstützt. Das Raumordnungsverfahren verpflichtete die Bahn, anders als im NS üblich, ihre „Planungen mit Behörden des Bundes, der Länder, der Kreise, Gemeinden und öffentlichen Planungsträgern abzustimmen“ (S. 361f.). Im Planfeststellungsverfahren erweiterte sich der Kreis der Beteiligten noch einmal, Privatpersonen und Betroffene konnten ihre Beschwerden vorbringen. Lokale Bürgerinitiativen verzögerten und verteuerten die Verfahren erheblich. Am Ende mussten beide Strecken zu großen Teilen untertunnelt oder mit Lärmschutzwänden umgeben werden. Auf diesen Hochgeschwindigkeitsstrecken ist mithin das „panoramatische Reisen“, wie von Schivelbusch für das 19. Jahrhundert beschrieben, nicht mehr möglich. Stattdessen betont die DB bei der Werbung für den ICE quasi-kompensatorisch die „Sitzlandschaften“ (S. 398) und den Innenkomfort mehr als die schöne Aussicht. Dieser unintendierte Effekt des demokratisch ausgehandelten Streckenverlaufs veranschaulicht Zellers Hauptthese: Landschaft ist sozial und technisch konstruiert.

Welche Potenziale eine „Kulturgeschichte der Infrastruktur“ der Geschichtswissenschaft zu bieten hätte, betonte erst kürzlich Dirk van Laak in einem programmatischen Aufsatz.1 Immer noch werden technik- und umwelthistorische Fragestellungen vernachlässigt. Daher ist Zellers Forderung, die „unintendierten Folgen von Verkehrspolitik“ (S. 212) und konkrete Akteurskonstellationen stärker in den Blick zu nehmen, berechtigt.

Doch klaffen Anspruch und Wirklichkeit in Zellers Arbeit noch weiter auseinander als bei allen von ihm untersuchten Infrastrukturprojekten: Der Autor will die „Landschaftsbegriffe in Philosophie, Kunstgeschichte, Geographie, Landschaftsarchitektur und den Geschichtswissenschaften unterscheidend diskutieren” und nennt diesen Zugang “Begriffsgeschichte”, ohne anzudeuten, dass er weiß, was Begriffsgeschichte ist. Verwirrend wirkt auch sein Postulat, Landschaft als politische Einheit sei “randständig”, um einige Seiten später zu verkünden, dass die „Verbindung von Politik und Landschaft, die auf die politische Funktion von Landschaft und die landschaftliche Funktion von Politik hinweist“ (S. 28), für die weitere Analyse leitend sei. Mal ist die Rede von zwei Untersuchungsgegenständen (Autobahn und Bundesbahn), mal von einem Untersuchungsgegenstand (Landschaft). Trennscharfe Begrifflichkeiten und präzise Problemdefinitionen sucht man ebenso vergebens wie Überlegungen zum Raumbegriff (der immerhin ganze Sonderforschungsbereiche beschäftigte).

„Ohne die zunehmend steril werdende Debatte um Modernisierung und NS fortzuführen, soll die Untersuchung der landschaftlichen Gestaltung der Reichsautobahn dazu beitragen, die oben aufgeworfenen Fragen zu beantworten.“ (S. 73) Wer sich nun fragt, um welche Fragen es sich hier handeln könne, macht exakt dieselbe Leseerfahrung wie ich. Der Autor verrät nicht, welche konkrete Frage er in diesem Abschnitt beantworten möchte. Er wirft nicht nur Fragen auf, die er nicht beantwortet, sondern weist auch auf Fragen hin, die er nie gestellt hat. Der Einbettung der Arbeit in eine laufende Forschungsdebatte wird explizit eine Absage erteilt, ohne zu begründen, welche Vorteile das für die Arbeit bedeutet.

Der Zeitraum der Untersuchung wird weder begründet noch in größere Periodisierungsdebatten eingebettet. Zeller stellt 1945 als relevante Zäsur hin, ohne diese Einteilung zu reflektieren, obwohl Historiker längst die Übergänge und Kontinuitäten erkannt haben. Neue Quellengruppen für die Geschichte der BRD werden zwar erschlossen, doch nicht an leitende Fragen der BRD-Forschung angeschlossen.

Die Arbeit zerfällt in Teile, die nicht erkennbar systematisch strukturiert sind. Der Leser wird in einer Trümmerlandschaft herumliegender Einzelteile stehen gelassen, da dem Ganzen eine klare, deutlich abgestufte Fragestellung samt kohärenter Argumentation fehlt. Allzu häufig muss man lesen: „bevor ich zu diesem Aspekt komme, muss noch jenes geklärt werden“ (S. 105, 129, 195, 273, 326 etc.). Aber warum?

Die Frage nach dem Zusammenhang von Landschaft und Verkehr besaß offensichtlich nicht die integrierende Kraft, die der Autor bei ihr vermutete. Im Gegenteil: sie bleibt nebulös und lässt etliche Deutungsmöglichkeiten offen. Zellers Ausweichmanöver erstrecken sich auch auf die Literatur, die er zu oft diffus als “die Literatur“ bezeichnet, ohne konkret zu werden (vgl. etwa S. 139, 208, 286, 299). Hätte er zu dem Aspekt der Übermacht der Bauingenieure beim Straßenbau ein verwaltungsgeschichtlich maßgebliches Werk konsultiert, hätte er ihre Verankerung in der Straßen- und Bauverwaltung und die Schwierigkeiten der Landschaftsarchitekten, sich dort zu etablieren, leicht erklären können.2

Begründungen werden mehr suggeriert als explizit gemacht, etwa die Auswahl der Bundesbahnneubaustrecken als Untersuchungsgegenstand. Was hat der diskursiv erschaffene Autofahrer der Nationalsozialisten mit dem Bahnfahrer der 1980er zu tun? Neben der extremen organisatorischen Unterschiedlichkeit von Straßen- und Bahnbau stellt sich auch das Problem des diachronen Vergleichs zwischen dem Reichsautobahnbau in einer Diktatur und dem Eisenbahnbau in den achtziger Jahren in einer Demokratie, das der Autor elegant ausblendet.

Obwohl Zeller erwähnt, dass die NS-Propaganda funktional differenziert war, indem sie für Arbeiter Zigarettenabziehbildchen anbot, für Bildungsbürger und Heimatschützer Bildbände, fehlt jegliche Reflexion darüber, inwiefern der Blick auf Landschaft durch die Bildung und soziale Stellung des Betrachters bedingt sein könnte.

Zellers Denkfigur des „visuellen Konsums“ (S. 164) von Landschaften ist nur indirekt durch Quellen belegt und bleibt höchst spekulativ. Wahrnehmungsveränderungen des Reisenden werden nicht erkennbar. Zu disparat sind die Befunde, zu spärlich die Indizien für eine vergleichende Typologie. Die spannende Frage, wie für den Historiker „Aneignungsprozesse“ des Gesehenen messbar, belegbar und periodisierbar gemacht werden können, bleibt unbeantwortet. Seinem Anspruch, die „Wirkung der Landschaft in Form eines individuellen Fahrerlebnisses“ (S. 40) zu untersuchen, hinkt Zeller weit hinterher.

Zwischen Professionalisierungsforschung der Landschaftsarchitekten im NS, Technikgeschichte des Straßen- und Eisenbahnbaus, einer Geschichte des Reisens, Wahrnehmens und Sehens sowie zwischen Protestgeschichte, umwelthistorischen und sozialhistorischen Einsprengseln vagabundierend, zeigt dieses Buch auf, welche Fragen von der Geschichtswissenschaft gestellt werden sollten, aber auch, auf welche Weise sie nicht beantwortet werden können.

Anmerkungen:
1 van Laak, Dirk, Infra-Strukturgeschichte, in: Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft 27, 3 (2001), S. 367-393.
2 Vgl. Ellwein, Thomas, Der Staat als Zufall und als Notwendigkeit. Die jüngere Verwaltungsentwicklung in Deutschland am Beispiel Ostwestfalen-Lippe (2 Bände), Opladen 1993.

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