W.S. Bush: Who gets a Childhood?

Titel
Who Gets a Childhood?. Race and Juvenile Justice in Twentieth-Century Texas


Autor(en)
Bush, William S.
Reihe
Politics and Culture in the Twentieth-Century South
Erschienen
Anzahl Seiten
276 S.
Preis
€ 20,81
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nina Mackert, Universität Erfurt

Im Februar 2007 berichteten die Medien in Texas von einem Missbrauchsskandal, der sich an einer Jugendstrafanstalt des Bundesstaates zugetragen hatte. Über zwei Jahre hinweg hatten der stellvertretende Direktor der Anstalt zusammen mit einem weiteren leitenden Angestellten jugendliche Insassen missbraucht und ihnen mit einer Verlängerung ihrer Strafe gedroht. Die Vorfälle kamen schon 2005 ans Tageslicht, wurden aber weitgehend vertuscht – bis sie durch die Medienberichterstattung skandalisiert wurden.

William S. Bush von der Texas A&M University San Antonio hat diesen Skandal zum Ausgangspunkt seiner Geschichte von Jugendstrafanstalten in Texas genommen, in der er zeigt, dass es sich nicht lediglich um einen Einzelfall handelt, sondern dass das Jugendstrafsystem im Verlauf des 20. Jahrhunderts immer wieder solche Skandale hervorgebracht hat, dass diese buchstäblich System haben. Der Historiker begründet dies, indem er auf eine zentrale Spannung verweist, die das Jugendstrafsystem in den USA seit der Gründung der ersten Jugendgerichte an der Wende zum 20. Jahrhundert prägte: die Spannung zwischen dem angestrebten Schutz der Jugendlichen vor Erwachsenenstrafen oder dem harschen Umfeld von Erwachsenengefängnissen und dem Schutz der Gesellschaft vor vermeintlich gefährlichen jugendlichen Straftäter/innen. Und zu letzterer Gruppe wurden laut Bush historisch immer wieder vor allem arme Jugendliche und junge African sowie Mexican Americans gezählt.

Bush verknüpft den Umstand, dass vor allem diese Jugendlichen als gefährlich gezeichnet und überproportional in Jugendstrafanstalten inhaftiert wurden, mit der gewaltvollen Geschichte der Einrichtungen. Er untersucht die Inhaftierungs- und Strafpraktiken texanischer Jugendstrafanstalten und beschreibt, wie sie ins Verhältnis zu Vorstellungen vom angemessenen Umgang mit jugendlichen Delinquent/innen zu setzen sind. Bushs zentrale These ist dabei, dass zeitgenössische Ideale von Rehabilitation und Behandlung nicht auf alle Jugendlichen angewandt wurden. Der Titel des Buches, „Who Gets A Childhood?“, verweist darauf, dass bestimmte Jugendliche nicht primär als Jugendliche, sondern in erster Linie als Straftäter/innen betrachtet wurden und ihnen daher nicht das Privileg besonderen Schutzes zugestanden wurde.

Über diesen zentralen Befund heraus ist Bushs Buch vor allem eine ausführliche Fallstudie von zwei bzw. drei Jugendstrafanstalten, deren Geschichte in sieben Kapiteln erzählt wird: der Gatesville State Juvenile Training School for Boys (später auch Mountain View State School) sowie der Gainesville State School for Girls. Die Kapitel, die einen detaillierten Blick auf die Einrichtungen werfen, sind gespickt mit vielen Fallstudien von Jugendlichen, die die Strafpraktiken immer wieder sehr konkret machen. Sie wechseln sich ab mit Kapiteln, die den breiteren sozialgeschichtlichen und diskursiven Kontext des texanischen Jugendstrafsystems und die zeitgenössischen Repräsentationen jugendlicher Delinquenz beleuchten.

Bush gelingt es in textkompositorischer Hinsicht gut, die Ebenen von sozialgeschichtlichen und diskursiven Entwicklungen sowie lokalen Praktiken miteinander zu verknüpfen. Auf der Ebene der historischen Befunde allerdings verbleibt eine Kluft zwischen lokalen Praktiken und Diskursebene bzw. es wird nicht ganz klar, inwiefern Bush diese Bereiche miteinander verbunden sieht. Oft macht es den Anschein, als gab es auf der einen Seite die Expert/innen, die Rehabilitation und Ausbildung befürworteten, und auf der anderen Seite das Anstaltspersonal, das auf Disziplinierung und drastische Strafen setzte. Dass die Konflikte aber nicht primär mit einem Scheitern des Anspruchs an der Realität, sondern mit konfligierenden Idealen und interdependenten Konstruktionen von Delinquenz zu tun hatten, hätte von Bush noch deutlicher herausgestellt werden können. Indem er die Jugendstrafpraktiken in Texas zudem vom nationalen Trend abhebt, scheint es, als wäre das nur in Texas so gewesen und auf eine Mischung aus „struktureller Notwendigkeit und Ideologie“ (S. 208) zurückzuführen.

Dies hat mit einer weiteren Lücke des Buchs zu tun: Kulturgeschichtliche Perspektiven, etwa Analysen der Rolle von Geschlecht und Sexualität, tauchen nur im letzten Kapitel auf einigen Seiten auf und sind wenig integriert in die Argumentation des Buches. Was Rassismus betrifft, eines der zentralen Themen von „Who Gets A Childhood?“, gerät dies zu einer Leerstelle. Zwar begründet Bush seine Analyse von Strafpraktiken für Jugendliche „of color“ sozialgeschichtlich, unterzieht die zeitgenössische Konstruktion von „race“ und Jugend jedoch weniger einer kritischen Analyse. So zeigt er etwa die Ungleichbehandlung von afroamerikanischen Delinquentinnen, untersucht aber die diskursiven Muster dieser Ungleichbehandlung nicht ausführlicher. Die Geschichte von Rassismus, aber auch die Geschichte des Civil Rights Movement spielen kaum eine Rolle in seiner Argumentation. Und während er konstatiert, dass afroamerikanische Jugendliche nicht primär als Jugendliche betrachtet wurden, nimmt er aber trotz seiner ausführlichen Untersuchung nicht in den Blick, wie diese Differenzierung vonstattenging. Das ist schade, denn das hätte Bushs These noch stärker gemacht und verdeutlicht, dass die Ungleichbehandlung marginalisierter Jugendlicher vor dem Hintergrund unterschiedlicher Konzeptionen von Kindheit und Jugend zu betrachten ist.

Trotz der genannten Lücken ist „Who Gets A Childhood?“ ein wichtiges und gutes Buch. Seine unbedingten Stärken sind eine akteurszentrierte Argumentation, ausführliche Quellenarbeit und seine gute Lesbarkeit. Nicht zuletzt reiht sich Bush mit seiner Studie ein in historische Untersuchungen, die die Intersektionalität von Delinquenz verdeutlichen und damit auch ein kritisches Licht auf gegenwärtige Auseinandersetzungen um Jugendkriminalität werfen.

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