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Titel
Friedrich II.. Der Sizilianer auf dem Kaiserthron. Eine Biographie


Autor(en)
Rader, Olaf B.
Erschienen
München 2010: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
592 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Georg Vogeler, Zentrum für Informationsmodellierung in den Geisteswissenschaften, Karl-Franzens-Universität Graz

Olaf Rader hat sich mit seiner Biografie Friedrichs II. zwei Ziele gesetzt: Erstens will er die „Schleier der Erinnerung“ in den Erzählungen über den Kaiser identifizieren und lüften. Zweitens versucht er eine südliche Erzählperspektive einzunehmen, die Friedrich II. als Sizilianer versteht. Um das zu tun, hat Rader zwei Dinge nicht getan: Erstens schreibt er keine systematische wissenschaftliche Analyse, sondern ein Buch, das von einem breiten Kreis gelesen werden soll und dabei Bilder zeichnen und unterhalten kann. Zweitens geht Rader nicht davon aus, dass man eine Biografie als chronologische Abfolge von Lebensstationen schreiben muss, sondern er ordnet das Erzählenswerte unter den Begriffen „Herrschaften“, „Leidenschaften“ und „Feindschaften“ in drei große Sachzusammenhänge. Das macht es leicht, übergreifende Zusammenhänge wie die Flottenpolitik und Seekriegsführung zu verstehen, und scheitert nur einmal, wenn Rader bei der Beschreibung des Mainzer Reichslandfriedens 1235 auf die Rebellion Heinrichs (VII.) Bezug nimmt (S. 181f.), die er erst später (S. 409-411) erzählt.

Das Buch beginnt klassisch mit einer Skizze der Situation, in die Friedrich geboren wurde: seiner Geburt und der sizilischen Königszeit. Daran schließt Rader den Erfolg Friedrichs als deutscher König und die Kaiserkrönung an. Die Selbstdarstellung als Kaiser in den Augustalen, die Gründung der Universität Neapel, die Konstitutionen von Melfi, die Tätigkeit der Kanzlei oder die Bauten des Kaisers werfen dann chronologisch unabhängige Schlaglichter auf das Wirken Friedrichs als Herrscher. Unter dem Titel „Leidenschaften“ vereinigen sich Kapitel zu den Ehefrauen und Geliebten sowie die Zusammenstellung seiner kulturellen Aktivitäten und seines Interesses an der Falkenjagd. Die Politik des Staufers ist wieder Thema des dritten Teils, der unter dem Titel „Feindschaften“ das Heer, die kaiserlichen Siege und Niederlagen oder den Kreuzzug ebenso skizziert wie die Auseinandersetzung mit Heinrich (VII.), die innenpolitischen Durchgriffe gegen Sarazenen und Verschwörer, die Propagandakämpfe mit dem Papsttum oder die Niedergangszeichen der 1240er-Jahre in Mongolensturm, der Lyoner Absetzung und den deutschen Gegenkönigen. Damit gelangt das Buch wieder in chronologisches Fahrwasser. Das letzte Kapitel des dritten Teils kann sich dem Tod, dem Begräbnis und dem Untergang der staufischen Dynastie widmen. Im Epilog greift Rader die jüngsten Forschungen zum Nachleben des Kaisers auf und schlägt den Bogen von den falschen Friedrichen bis zu den Stauferjahren 1994 und 2000. Karten, Stamm- und Zeittafeln und ein Personenregister beenden das Buch.

In den Themenkapiteln holt Rader teilweise weit aus und führt in die Grundlagen mittelalterlicher Gesellschaft und die längerfristigen historischen Kontexte ein, wenn er zum Beispiel die Geschichte der Kreuzzüge dem Zug Friedrichs nach Palästina vorausschickt (S. 371-378) oder der Deutsche Orden von seiner Entstehung bis zur Zeit Hermanns von Salza vorgestellt wird (S. 314-316). Dabei rutschen vereinzelt kleinere Unsauberkeiten hinein, wie die Aussage, dass das regnum Italiae schon bei Zeitgenossen den Namen „Reichsitalien“ trug (S. 129), doch ist dieses Bemühen, dem breiteren Publikum über Erläuterungen und Exkurse die Assoziationsketten des Fachmannes deutlich zu machen, keineswegs eine Schwäche.

Dass das Buch sich an ein breiteres Publikum richtet, zeigen nicht nur die ans Ende verbannten Anmerkungen und die eingefügten Bilder, die gut mit Zitaten aus dem Fließtext kommentiert werden, sondern auch Raders Stil. Er erlaubt sich anschauliche Erzählungen von Szenen und umgangssprachliche Formulierungen. Dem ersten Ziel des Buches kommt dies aber entgegen, denn die Darstellungen eines Salimbene de Adam oder Matthäus Paris stehen Rader an Farbe in nichts nach. Der Autor kann so ein historisches Bild Friedrichs entwerfen, in dem klar rekonstruierbare Fakten mit unterschiedlichsten Deutungsversuchen genauso verwoben sind wie sie sich dem Forscher in den Quellen darstellen. Dieses Ziel seines Buches erreicht Rader mit Bravour. Hinzu kommt, dass Rader konsequent den modernen Forschungsstand zur Bedeutung symbolischen Handelns mit in die Darstellung einbezieht, ohne in Jargon zu verfallen. Die in den Quellen genau wegen dieser symbolischen Aufladung geschilderten Handlungen wie das Gehen unter der Krone, der Nagel am Schrein Karls des Großen oder die Krönung der heiligen Elisabeth kann Rader im Gegenteil nicht nur als bunte Anekdote erzählen, sondern als Teil der Herrschaftskultur in Selbstdarstellung und symbolischer Kommunikation, die es dem modernen Leser erläuternd und kontextualisierend verständlich zu machen gilt.

Das zweite Vorhaben Raders, Friedrich als Sizilianer verständlich zu machen, ist nach der Vorstellung seiner Überlegungen in der Einleitung (S. 27-32) eher subtil gelöst worden. Zunächst betont Rader Bekanntes, wenn er davon ausgeht, dass Sizilien die Ressourcen lieferte, mit denen Friedrich seine imperiale Politik betrieb, und dass des Kaisers intellektueller Horizont der eines Herrschers war, der von einer Insel im Herzen des Mittelmeeres stammte. Die Geschichte des Reiches nördlich der Alpen in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ließe sich nach Rader viel leichter erzählen, wenn man sich klar machte, dass Friedrich nur einer von vielen aus dem Ausland importierten Herrschern war. Eines der Beispiele, an dem sich die historische Bedeutung der Herkunft des Herrschers erweist (S. 405-407), bezieht sich auf den von Theo Broekmann1 herausgearbeiteten kulturellen Unterschied zwischen nordalpinem Reich und Süditalien, mit dem man die Ausweglosigkeit des Konflikts zwischen Friedrich II. und seinem Sohn Heinrich (VII.) erklären könnte. Während nördlich der Alpen Herrschaftskonflikte mit rituellen Unterwerfungen beigelegt werden konnten, musste der Herrscher im Süden konsequent und streng seinen Machtanspruch durchsetzen. Die Deutung des Konflikts durch Petrarca, die Rader an dieser Stelle referiert, zeigt, wie instabil die Erklärung des Handelns einer Person über ihre regionale kulturelle Prägung sein kann: Petrarca, zugegebenermaßen beinahe 130 Jahre nach der Unterwerfung Heinrichs (VII.) in Worms (1235), legt Friedrich II. zwei Nationalstereotypen in den Mund, die dem von Theo Broekmann entwickelten Modell entgegenlaufen: Die Italiener sind es, die Milde walten lassen, während die Deutschen Barmherzigkeit für Schwäche hielten (S. 416). Ist der Hinweis auf Friedrichs sizilianische Herkunft damit also nicht eher ein Einfallstor für die Vielzahl von zeitgenössischen Stereotypen und Deutungsinteressen, deren Schichten und Gewebe Rader doch eigentlich klären und sichtbar machen wollte?

Rader ist jedoch so souverän, dass er das Potential seiner Darstellung nutzt, in die Vielzahl der Zuschreibungen zum Abschluss seinen Vorschlag einzureihen, das Grab Friedrichs II. in Palermo als gemeinsamen Erinnerungsort der deutschen und der italienischen Nation zu betrachten. Insgesamt ist es Rader gelungen, eine Biografie zu schreiben, die das Leben Friedrichs II. auf modernstem Stand der Forschung anschaulich darstellt – eine Bereicherung der Literaturlandschaft zum stupor mundi.

Anmerkung:
1 Theo Broekmann, Rigor iustitiae. Herrschaft, Recht und Terror im normannisch-staufischen Süden, Darmstadt 2005.

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