B. Brandt: Repräsentationen von Nation, Geschlecht, Politik

Titel
Germania und ihre Söhne. Repräsentationen von Nation, Geschlecht und Politik in der Moderne


Autor(en)
Brandt, Bettina
Reihe
Historische Semantik 10
Erschienen
Göttingen 2010: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
477 S.
Preis
€ 59,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Norman Domeier, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Von der Antike bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde eine germanische/deutsche Nation literarisch und visuell als Mutter, Braut oder Kriegerin imaginiert und dargestellt. Vor diesem Hintergrund hat Bettina Brandt eine Symbolgeschichte der „Germania“ vorgelegt. In den politischen Diskursen um die Germania vom 16. bis zum 19. Jahrhundert geht sie dem Stellenwert und den semantischen Funktionen von Geschlechterbildern nach. Die damit angestrebte Verbindung von Nationalismus- und Geschlechterforschung ist nicht, wie postuliert, neu. Bereits die Arbeiten von George L. Mosse haben sich um eine Verknüpfung bemüht, um den Aufstieg des Faschismus zu erklären. Auch an Arbeiten zu physischen und mentalen Nationalsymbolen, zu Denkmalen, zur Fest- und Vereinskultur mangelt es keineswegs. Dennoch füllt Bettina Brandts Buch, hervorgegangen aus einer 2005 in Bielefeld bei Ute Frevert und Heinz-Gerhard Haupt abgeschlossenen Dissertation, eine Forschungsnische, indem sie die sehr gut erforschte Germania nicht einseitig in ihrem weiblichen Gehalt, sondern in einer diachronen Beziehungsgeschichte zu ihren wechselnden allegorischen Partnern untersucht. Es ist diese neu herausgearbeitete, gewissermaßen historisch promiske Disposition der Germania, die den Reiz der Studie ausmacht.

Zwei Leitfragen beschäftigen die Autorin. Zum einen „werden die Ausdrucksformen, Semantiken und (De-)Legitimationen untersucht, die Geschlechterbilder in Diskursen von Nation und politischer Ordnung erzeugten“. Zum anderen fragt sie nach den Männlichkeits- und Weiblichkeitsbildern, „die durch die Imaginationen und Praktiken des Nationalen hervorgebracht wurden, und nach den Spielräumen, die diese Bilder für die politische (Selbst-)Verortung der Geschlechter bereithielten“ (S. 15). Die zentrale These der Arbeit lautet, dass Weiblichkeit im Nationsdiskurs „die Grenzen jener Bedingungen bezeichnete, die eine emanzipatorische Semantik von Nation und Politik ermöglichten, und Frauen dabei eine ambivalente Politisierung erfuhren“ (S. 11).

Methodisch ist die Arbeit eine Symbolanalyse der Germania auf zwei Ebenen. Auf der bildlichen Ebene werden Schöpfungen in den Bereichen Literatur, Rede, Graphik, Malerei und Plastik analysiert. Auf der Ebene kommunikativer Praktiken werden die verschiedenen Darstellungs- und Rezeptionsformen der Germania in den Blick genommen. Durch diesen Ansatz ist ein breites Quellenspektrum verfügbar. Sprachliche Manifestationen der Germania in Gedichten, Liedern, Epen, Dramen, Festspielen, Reden und Presseartikeln werden ebenso untersucht wie visuelle Darstellungen, Flugblätter, Erinnerungsbilder, Gemälde, Karikaturen und Denkmalskulpturen.

Der lange Untersuchungszeitraum ist Vorteil und Nachteil zugleich. Einerseits kann so an der Germania gut aufgezeigt werden, welche Bedeutung der imaginierten deutschen Nation bereits in den vormodernen Gesellschaften Mitteleuropas zukam, welches Ausmaß ein mit Kategorien des Blutrechtes argumentierender Nationalismus bereits 1519 im Wahlkampf zwischen Franz I. und Karl V. um die römisch-deutsche Kaiserkrone besaß („germano sanguine progenito“, S. 44); eine Argumentationslinie, die sich im Übrigen bereits in Streitigkeiten um das Königswahlrecht bestimmter Reichsfürsten, etwa des Königs von Böhmen, im 13. Jahrhundert findet. Andererseits versandet die Arbeit am Ende regelrecht vor dem wilhelminischen Zeitalter. Dabei wäre gerade die Beantwortung der Frage interessant gewesen, warum der Germania-Kult im späten Kaiserreich noch einmal eine Blütezeit erlebte. So fehlt die propagandistische Nutzung der Germania im Ersten Weltkrieg ebenso wie ein Ausblick auf das Verhältnis des Nationalsozialismus zur Germania-Tradition.

Der zeitlich zu frühe Abbruch der Untersuchung ist umso bedauerlicher, als Brandt mit dem oben beschriebenen methodischen Zugriff die jeweiligen Politisierungsschübe der Germania, ihre allegorischen Partnerwechsel, herausarbeiten kann: als frühneuzeitliche Reichsmutter im Dienste des Kaisertums, als Objekt ständisch-landesherrlicher Aneignung und, besonders markant, als Geliebte in einer Liaison mit dem rettenden Helden Hermann/Arminius im 17. Jahrhundert. Ab dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts lösten sich die Paarbeziehungen dann immer schneller ab. Der zunächst noch adlig konnotierte Freiheitsmythos erweiterte sich zur Germania als ständeübergreifender „Mutter Natur“, der nun auch bürgerliche Söhne entstammten. In Vormärz und 1848er-Revolution wurde die Mutterfigur zur Freiheitsbraut stilisiert, in der sich bürgerliche Partizipationshoffnungen bündelten, um schließlich in den 1860er-Jahren wieder zur mütterlichen Ikone der Nation jenseits von Revolutionen und Parteien zu mutieren.

So interessant es ist, diese Wandlungsprozesse auf der Makroebene nachzuvollziehen, fordert die „longue durée“ der Studie inhaltlich ihren Tribut. Die Mikroebenen bleiben allesamt blass, die vorgestellten Akteure in konkreten historischen Situationen und Kontexten farb-, emotions- und motivationslos. Warum, wie und zu welchem Zweck Individuen und gesellschaftliche Gruppen am Germania-Mythos arbeiteten, wird nicht deutlich. Das 1847 begonnene langjährige politische Wirken Louise Otto-Peters als eine Art emanzipierte „Tochter Germanias“, die Germania-Figur als bombastischer Mittelpunkt des deutschen Schützenfestes in Frankfurt 1862, die innen- und außenpolitisch heikle Errichtung des Niederwalddenkmals 1883, die in ästhetische Germania-Feindschaft gehüllte Misogynie eines Gustav Roethe 1906 – all das wird als zweckgerichtete Arbeit am Germania-Mythos kaum kenntlich. Die Darstellung verharrt hier weitgehend im Deskriptiven, der politische und moralische „Kampf um Germania“, die Aushandlung des jeweils gültigen Germania-Bildes, die Autorität heischenden Sinnzuschreibungen und mitunter egomanischen Aneignungsversuche bleiben unterbelichtet.

Kritisch anzumerken ist in diesem Zusammenhang besonders die bielefelderisch-hermetische Sprache und Argumentation sowie der oft bis ins Absurde überzogene Theorieanspruch der Studie. Ein Beispiel: „Das repräsentierte Ganze ist eine abstrakte Größe, deren Differenz zum Repräsentanten für den Vorgang der Repräsentation gleichermaßen Voraussetzung ist, wie sie Legitimationsbedarf erzeugt“ (S. 13). Wie man mit einfachen Worten komplexe Repräsentationsgeschichten verfassen kann, haben die häufig zitierten Arbeiten von Lynn Hunt und Maurice Agulhon demonstriert.

Auch wenn bereits Vergleichsstudien zu den Allegorien Gallia/Marianne, Germania, Helvetia, Italia etc. vorliegen, hätte zudem der Einbau einer transnationalen Perspektive nahe gelegen. Mit den häufigen Partnerwechseln der Germania – der Innovation der Studie – hätten sich speziell im 19. Jahrhundert Gender und Internationale Beziehungen gut verbinden lassen, um neuen Formationen des Politischen nachzugehen. Nationalhistorisch zentrierter und konventioneller, aber geschlechtergeschichtlich spannend wäre überdies ein systematischer Vergleich von Germania und „deutschem Michel“ gewesen, der so nur wie ein Satyr mal hier mal dort auf der politischen Bühne erscheint.

Trotz der Kritikpunkte ist das Buch von Bettina Brandt eine interessante politische Symbolgeschichte. Durch den innovativen Zugriff, die Germania nicht einseitig weiblich, sondern in ihren allegorischen Paar- und Wechselbeziehungen zu erforschen, gelingt es ihr in der Langzeitperspektive vom frühen 16. Jahrhundert bis in die 1880er-Jahre, den Bedeutungswandel eines heute schon fast vergessenen Nationalsymbols herauszuarbeiten.