Th. Finkenauer: Die Rechtsetzung Mark Aurels zur Sklaverei

Cover
Titel
Die Rechtsetzung Mark Aurels zur Sklaverei.


Autor(en)
Finkenauer, Thomas
Reihe
Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz 2010, 1
Erschienen
Stuttgart 2010: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
108 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Horst, Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bremen

Thomas Finkenauer legt die erste monographische Untersuchung der Rechtsetzung Marc Aurels zur Sklaverei vor. Diese setzt sich kritisch mit der in der Forschung vertretenen Auffassung auseinander, dass „der von der Stoa vermittelte Humanitätsgedanke […] die faktische Behandlung der Sklaven positiv beeinflusst“ habe (S. 9). Einem idealistischen Interpretationsansatz folgen auch die Untersuchungen von Paul Noyen, der zu dem Ergebnis gelangt, dass Marc Aurels Rechtsprechung sogar die Abschaffung der Sklaverei zum Ziel gehabt habe.1 Von dieser Position grenzt sich Finkenauer ab, indem er zeigt, dass Marc Aurels Handeln weniger vom favor libertatis inspiriert war, als dies gemeinhin angenommen wird. Marc Aurel sei letztlich ein rechtskonservativer Kaiser gewesen, da sich seine Rechtsetzung gegenüber den Sklaven kaum von der Praxis seiner Vorgänger unterschieden habe. Ähnlich hat bereits 1969 Greg R. Stanton argumentiert, auf den Finkenauer allerdings nur in einer Fußnote hinweist (S. 8, Anm. 17). Stantons Aufsatz war eine von machttheoretischen Überlegungen geleitete unmittelbare Replik auf die idealistischen Ausführungen Noyens.2 Wenn Finkenauer zu dem Schluss gelangt, dass die Entscheidungen und Handlungen des Kaisers von der humanitas, der er sich in seinen „Selbstbetrachtungen“ verpflichtet, letztlich unbeeinflusst blieben, reiht er sich in eine von Stanton begründete ideologiekritische Tradition ein.

Im Einzelnen zeigt Finkenauer auf den ersten Blick überzeugend, dass einige Gesetze, die als besonders innovativ und kühn empfunden wurden, Teil einer allgemeinen Rechtsentwicklung waren, deren Anfänge sich bis auf die hadrianische Zeit zurückführen lassen. Dies betrifft auch das den Sklaven zugestandene Recht, gegen die Unterdrückung eines Testamentes, das ihnen die Freiheit versprochen hatte, klagen zu dürfen (S. 13–26). Finkenauer weist nach, dass sich dieses Gesetz nicht auf den favor libertatis gestützt habe. Es sei vielmehr wie die traditionelle Rechtsprechung, die den Sklaven bereits erlaubt hatte, gegen erlittene Repressalien zu klagen, mit der Absicht verbunden gewesen, Rechtskränkungen allgemein auszuschließen.

Ein weiteres eindrückliches Beispiel sind jene Testamente, in denen Sklaven als Erben eingesetzt wurden. Marc Aurels Testamentsauslegungen sind zumeist als wohlwollend gegenüber den Sklaven empfunden worden, da er der Erbberechtigung der Sklaven selbst gegenüber jenen Testamenten zur Durchsetzung verhalf, die nach der Auffassung damaliger Juristen bereits einen Formfehler enthielten. Doch auch hier werde bei genauerer Betrachtung erkennbar, dass der Grund für die sklavenfreundliche Haltung nicht im favor libertatis, sondern im favor testamenti zu suchen sei: Marc Aurel habe durch entschiedenes Vorgehen die Interessen jener Testatoren schützen wollen, die nicht besonders viel zu vererben gehabt hätten. Durch die Einsetzung eines Sklaven, der die Erbschaft nicht ausschlagen durfte, konnte erreicht werden, dass das peinlich geringe Vermögen oder der Nachlasskonkurs fortan den Namen des Sklaven und nicht mehr den Namen des Erblassers belastete. Auch bei den fideikommissarischen Freilassungen, die dem favor libertatis zum Durchbruch verhelfen sollten, erkennt Finkenauer, dass letztlich der Wille des Erblassers stets stärkere Berücksichtigung fand, da „keine einzige kaiserliche Konstitution gefunden werden [konnte], die favore libertatis gegen den Willen des Erblassers entschied“ (S. 34).

Ein weiteres Beispiel ist die constitutio ad Aufidium Victorinum, die lange Zeit als Höhepunkt der humanen Gesetzgebung Marc Aurels interpretiert wurde, da sie die Sklaven, die bislang nur Objekt der Rechtsprechung waren, zu eigenen Rechtssubjekten erhob. Es wurde den Sklaven erlaubt, ihre Freilassung einzuklagen, wenn sie ihnen beim Verkauf zugesprochen wurde (S. 44). Finkenauer zeigt hingegen, dass Marc Aurel auch mit dieser Konstitution den Willen des Freilassers schützen wollte, da dem Veräußerer das Recht vorbehalten blieb, seinen Freilassungswillen zu widerrufen. Die Behandlung und Bestrafung von Sklaven (S. 67–86) lassen für Finkenauer ebenfalls keinen Fortschritt im Sinne des stoischen Humanitätsideals erkennen. Marc Aurel habe die Gesetzgebungs- und Strafpraxis seiner Vorgänger fortgesetzt und sogar weiter ausgebaut. Dies werde am Beispiel der zumeist unter Folter stattfindenden Sklavenverhöre deutlich. Während bei Anklagen wegen Ehebruchs bisher nur der Ehemann oder der Vater der ehebrecherischen Frau das Verhör eines Sklaven veranlassen konnte, sollte dies nun auch einem Dritten möglich sein (S. 82–84).

Finkenauer stellt resümierend fest, dass es unter Marc Aurel für Sklaven vorteilhafte und nachteilige Rechtsetzungsakte gegeben habe. Es sei aber nur dann zu Gunsten der Sklaven und ihrer Freiheit entschieden worden, wenn die Interessen des Erblassers dies erlaubten und nicht beschädigt wurden. Eine vom philosophischen Gedankengut geprägte humanitäre Tendenz lasse die Gesetzgebungspraxis Marc Aurels nicht erkennen. Diese spiegele eher die bisherige Tradition der Rechtsprechung und die Arbeit der juristischen Fachleute als Marc Aurels eigene Initiative wider. Allgemein beobachtet Finkenauer im Gegensatz zu den antiken Autoren eine Diskrepanz zwischen dem philosophischen Denken und dem politischen Handeln Marc Aurels. Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen sind ein Erbe der neuzeitlichen Moralphilosophie, die eine strikte, in der Antike nicht bekannte Trennung von Macht und Moral voraussetzt. Dies wird bereits anhand des antiken Humanitätsbegriffes erkennbar: Im Unterschied zum modernen Begriff der Humanität, der die Gleichbehandlung aller Menschen vorsieht, wurde in der Antike kein Widerspruch zwischen der Idee naturrechtlicher Gleichheit und faktischer gesellschaftlicher Ungleichheit empfunden.

Finkenauers Argumentation erscheint in diesem Punkt inkonsistent, da er die Differenz zwischen dem antiken und dem modernen Humanitätsbegriff zwar konstatiert, für seine Bewertung des Handelns Marc Aurels aber unberücksichtigt lässt. Wenn er Marc Aurel vorwirft, die Lage der Sklaven insgesamt nicht verbessert zu haben, macht er ihm letztlich zum Vorwurf, die modernen Maßstäbe humanitären Handelns nicht vorweggenommen zu haben. Egon Flaig hat gezeigt, dass die naturrechtlich begründete Gleichheit erst im spätantiken Christentum als ein Argument gegen die Sklaverei verwendet wurde. Insofern Gott als der Schöpfer der Natur verstanden wurde, galt ein Verstoß gegen die naturrechtliche Ordnung gleichzeitig als ein unmittelbarer Verstoß gegen Gott. Doch auch diese auf Gregor von Nyssa zurückgeführte Argumentation bewirkte noch nicht die vollständige Abolition der Sklaverei, die nicht vor dem 18. Jahrhundert einsetzte.3

Finkenauer gelangt zu dem Ergebnis, dass Marc Aurel Rechte der Sklaven nur in jenen Fällen anerkannte, in denen kein Konflikt mit den Interessen der „Sklavenhalter“ zu erwarten war. Die Beobachtung, dass sich die sozialen Ungleichheiten in Marc Aurels Rechtsetzung widerspiegeln, ist plausibel. Im Gegensatz zu Finkenauer ist jedoch davon auszugehen, dass die Aufrechterhaltung der Sozialordnung sowie die damit verbundene Legitimation gesellschaftlicher Ungleichheit als durchaus vereinbar mit dem stoischen Humanitätsideal betrachtet wurde, da der Begriff der distributiven Gerechtigkeit nicht die Ungleichheit als solche, sondern die Qualität der zwischen Herren und Sklaven bestehenden Beziehungen zum Gegenstand hatte.

Die Tatsache, dass Marc Aurel den Interessen der Aristokratie stets eine stärkere Unterstützung als den Interessen der Sklaven zuteil werden ließ, erweist sich auch in anderen rechtlichen4 und sozialen Kontexten als ein Indiz nicht für die Diskrepanz, sondern für einen besonders engen Zusammenhang zwischen philosophischem Denken und politischem Handeln. So sicherte Marc Aurel die Akzeptanz seiner Herrschaft bei der Aristokratie sowohl durch eine senatsfreundliche Politik, als auch durch die gezielte Förderung der Paideia, deren wichtigster Träger die gebildeten Oberschichten waren. Eine nicht nur von den sozialen und politischen Bedingungen des Rechts, sondern auch von der Philosophie als einer Form politischen Handelns ausgehende Untersuchung würde auf die Rechtsetzung Marc Aurels zur Sklaverei kein besseres Licht werfen als die Ergebnisse von Thomas Finkenauer – mit dem Unterschied, dass die rechtskonservative Haltung Marc Aurels durchaus als mit seiner Philosophie vereinbar gedacht werden kann.

Dies darzustellen, wäre jedoch die Aufgabe einer weiteren Monographie. Das Verdienst Finkenauers ist es, durch eine inhaltliche Analyse die Gesetze zur Sklavengesetzgebung Marc Aurels erstmals systematisch aufgearbeitet und damit die Voraussetzungen für weitere sozial- und kulturwissenschaftliche Fragen geschaffen zu haben.

Anmerkungen:
1 Paul Noyen, Divus Marcus, in: Revue internationale des droits de l’Antiquité 1 (1954), S. 349–371, hier 353 u. 359.
2 Greg R. Stanton, Marcus Aurelius. Emperor and Philosopher, in: Historia 18 (1969), S. 570–587.
3 Egon Flaig, Der tiefste Bruch in unserer Geschichte, in: FAZ Nr. 6, 08.01.2011, Bilder und Zeiten, S. 1f.
4 Mit einem Gesetz aus dem Jahr 175 verurteilte Marc Aurel das eigenmächtige Handeln des Herodes Atticus, der Freigelassene mit Ämtern versorgen wollte, die normalerweise der athenischen Aristokratie vorbehalten waren. Vgl. Philostr. soph. 559–560; James H. Oliver, Marcus Aurelius. Aspects of Civic and Cultural Policy in the East, Princeton 1970.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension