A. Grünfelder: Jugoslawische ZwangsarbeiterInnen in der „Ostmark“

Cover
Titel
Arbeitseinsatz für die Neuordnung Europas. Zivil- und ZwangsarbeiterInnen aus Jugoslawien in der „Ostmark“ 1938/41-1945


Autor(en)
Grünfelder, Anna Maria
Erschienen
Anzahl Seiten
262 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Silvija Kavčič, Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Berlin

In den letzten Monaten sind auf dieser Liste wiederholt Bücher zum Themenkomplex „Zwangsarbeit“ rezensiert worden. Dennoch ist der Einschätzung von Anna Maria Grünfelder zuzustimmen, die für die Zwangsarbeit in Südosteuropa bzw. von Zwangsarbeitern aus Südosteuropa noch zahlreiche Forschungslücken konstatiert. Daher weckt ihre Publikation Erwartungen.

Erste Irritationen ergeben sich jedoch schon bei einem Vergleich von Titel und Inhalt. Grünfelder verspricht eine Untersuchung zu Zivil- und ZwangsarbeiterInnen aus Jugoslawien in der Ostmark. In ihrer Untersuchung bezieht sie sich jedoch in erster Linie auf den im April 1941 entstandenen Unabhängigen Staat Kroatien und in zweiter Linie auf die von Italien und Ungarn besetzten Teile des Vorkriegsjugoslawiens, die übrigen Regionen fehlen in der Darstellung.

In der Einleitung formuliert sie als ihr Erkenntnisinteresse die Frage, ob der Unabhängige Staat Kroatien mit „der Entsendung der produktivsten Kräfte […] seine politischen Ambitionen befriedigen konnte“ (S. 9). Für die Beantwortung dieser Frage hat Grünfelder die Arbeit in drei Kapitel mit den Titeln „Arbeitsmigration“, „Lebensbedingungen in Österreich“ und „Zwangsarbeit und Nachkriegsgesellschaft“ gegliedert.

Die Stärke der Studie liegt ganz klar im ersten Teil. Detailliert und anhand von Archivmaterialien u.a. aus Zagreb, Bjelovar, Rijeka, Sisak, Pazin, Zadar und Split schildert sie die Folgen der bereits am 8. Mai 1941 beschlossenen Absprache, dass der Unabhängige Staat Kroatien dem Deutschen Reich „54.000 Arbeitskräfte aller Qualifikationen und Branchen“ (S. 9) stellt. Diese Zusagen sind wiederholt erhöht worden, obwohl sie von kroatischer Seite nie fristgerecht erfüllt werden konnten.

Bereits im Juli 1941 berichtete die kroatische Zeitung Hrvatski narod von der festlichen Verabschiedung von 45.000 Kroatinnen und Kroaten, die zur Arbeit ins Ruhrgebiet fuhren. Ähnlich propagandistisch ausgewertet wurde deren temporäre Rückkehr anlässlich des ersten gewährten Urlaubs ab dem 21. Dezember 1941.

Parallel kam es jedoch bereits im Sommer 1941 zu „wilden“ Razzien. Für diese waren Ustascha-Milizen ebenso verantwortlich wie nationalsozialistische Einheiten, die auch ohne eine Beteiligung kroatischer Einheiten vorgingen. Opfer dieser Razzien wurden die serbische Bevölkerung sowie Familien, die im Verdacht standen, den Widerstand der Partisaneneinheiten zu unterstützten. Auf diese Weise konnte die kroatische Führung zwei Probleme auf einmal lösen. Dem Deutschen Reich konnte sie Arbeitskräfte zuführen und sich gleichzeitig unerwünschter Bevölkerungsgruppen entledigen.

Es sind die Spezifika jugoslawischer Geschichte, auf die Grünfelder berechtigter Weise hinweist, die diese Studie doch zu einem Gewinn machen. So zum Beispiel ihre Bemerkung, dass sich unter den italienischen Militärinternierten, deren Situation im Deutschen Reich ähnlich schlecht war wie die von Ostarbeitern, auch Männer slowenischer und kroatischer Nationalität befanden. Auch die Feststellung, dass es die serbische Bevölkerung war, die das Gros der Arbeitskräfte aus Kroatien im Deutschen Reich bildete, muss bei weiteren Forschungen berücksichtigt werden. Detailliert nachweisen kann Anna Maria Grünfelder, dass von Freiwilligkeit nicht gesprochen werden kann, welche in der Forschung bisher zum Teil unterstellt wurde.

Unpräzise sind die Ausführungen, wenn Grünfelder darauf hinweist, dass sich Häftlinge des KZ Jasenovac freiwillig zur Arbeit ins Deutsche Reich meldeten, denn es fehlen wichtige Details. Welchen Status hatten diese Menschen nach ihrer Deportation ins Deutsche Reich? Waren sie KZ-Häftlinge oder „nur“ ausländische Zivilarbeiter? Auf eine mangelnde Differenzierung deutet hin, dass die Bergung von Verletzten nach Luftangriffen „ausschließlich Fremdarbeitern – vor allem KZ-Häftlingen, aber auch ZivilarbeiterInnen – auferlegt“ worden sein soll. (S. 164) „Fremdarbeiter“ war die nationalsozialistische Bezeichnung für alle ausländischen Zivilarbeiter, und ohne deren Schicksal schmälern zu wollen, sollte doch immer im Blick behalten werden, dass die Situation von KZ-Häftlingen eine qualitativ unvergleichbar schlechtere war und sie nicht unter dem Begriff „Fremdarbeiter“ subsumiert werden können und sollten.

Im zweiten Kapitel werden schlaglichterartig die Lebensbedingungen ehemaliger Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus Kroatien in den unterschiedlichsten Branchen, wie zum Beispiel Landwirtschaft, in den privaten Haushalten, der Industrie, dem Handwerk, dargelegt. Die Breite der Ausführungen zeigt, dass es auch in Österreich kaum einen Bereich des wirtschaftlichen Lebens gab, in dem Zwangsarbeiter nicht eingesetzt worden waren. Leider sind ihre Ausführungen in diesem Kapitel eher deskriptiv und bieten keine wirklich neuen Erkenntnisse.

Im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Abschnitten wird das Thema „Zwangsarbeit und Nachkriegsgesellschaft“ äußerst knapp auf neun Seiten abgehandelt. Hier erwähnt sie die Prozesse in Slowenien gegen ehemalige Häftlinge der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald, die als „Dachauer Prozesse“ inzwischen Teil des öffentlichen Gedächtnisses nicht nur Sloweniens sind. Jahrzehntelang gehörten diese Prozesse ähnlich wie die Internierungen auf der kroatischen Insel Goli otok zu den tabuisierten Themen in der jugoslawischen Gesellschaft. Doch die über 30 Angeklagten waren primär als KZ-Häftlinge und im Besonderen als Funktionshäftlinge in das Visier der slowenischen Sicherheitsorgane geraten und nicht als ehemalige Zwangsarbeiter, obwohl sie dies als KZ-Häftlinge ja auch waren.

Nicht nur bei diesem Thema zeigt sich, dass Anna Maria Grünfelder mitunter wenig sorgfältig arbeitet. Sie schreibt, die Dachauer Prozesse seien nur 1996 und dies auch nur stichwortartig von Boris Krivokapić in einem Lexikon-Beitrag behandelt worden. Dabei ist 1990 eine umfangreiche Studie einer aus Historikern und Juristen zusammengesetzten Arbeitsgruppe zu diesem Thema erschienen.1 Dieser Publikation voraus gegangen war bereits 1986 die Veröffentlichung von Boro Krivokapić in Belgrad zum gleichen Thema.2 Noch zwei Jahre früher erschien zeitgleich auf Slowenisch und auf Kroatisch von Igor Torkar, unter seinem bürgerlichen Namen Boris Fakin war er in einem der Dachauer Prozesse angeklagt, der Roman „Sterben auf Raten“. Dieser Roman wurde 1991 ins Deutsche übersetzt.3

Hinzu kommen Fehler, die durch ein sorgfältiges Lektorat hätten vermieden werden können. So zum Beispiel, wenn der Höhere SS- und Polizeiführer der Operationszone Adriatisches Küstenland Odilo Globočnik bei ihr Otto heißt (S. 122). An zwei Stellen verortet sie das Militärarchiv des Bundesarchivs in Koblenz statt in Freiburg (S. 39 und S. 191). Zu erwähnen sind leider auch falsche Schreibweisen der Namen von Überlebenden, die wiederholte wortwörtliche Verwendung derselben Lebensgeschichte als Fallbeispiel usw. Zum Leidwesen der Autoren und der Leser sparen immer mehr Verlage hier an einer vollkommen falschen Stelle.

Eine Verharmlosung der Situation von Zwangsarbeitern im nationalsozialistischen Herrschaftsbereich ist die Äußerung: „Das offizielle Jugoslawien mit seinem kommunistischen System unterschied sich in der Anfangszeit, zur Zeit der Rückkehr der ‚Zwangsarbeiter‘ aus Deutschland, nicht wesentlich vom System der Nazis: Ausländer und aus dem Ausland Kommende waren bei den Nazis diskriminiert, im kommunistischen Jugoslawien wurden sie mit Misstrauen bedacht, verdächtigt, beschattet. Die kommunistische Ideologie der Arbeit als Quelle aller Rechte galt auch im Deutschen Reich, die daraus erfließende Instrumentalisierung und Entpersönlichung des Menschen war hier wie da die Folge.“ (S. 193f.)

Die Hierarchisierungen im öffentlichen Gedenken an den Zweiten Weltkrieg im Nachkriegsjugoslawien waren für alle Ausgeschlossenen, die ehemaligen KZ-Häftlinge, die ehemaligen Zwangsarbeiter sowie für die ehemaligen Kriegsgefangenen, mehr als schmerzhaft.4 Doch gerade die Ausgrenzung ehemaliger Zwangsarbeiter aus dem öffentlichen Gedächtnis war keine jugoslawische Besonderheit, sondern dieses Schicksal teilen ehemalige Zwangsarbeiter in ganz Europa miteinander.

Anmerkungen:
1 Dušan Nećak / Ljubo Bavcon (Hrsg.), Dachauski procesi. Raziskovalno poročilo z dokumenti, Ljubljana 1990.
2 Boro Krivokapić, Dahauski procesi, Beograd 1986.
3 Igor Torkar, Umiranje na obroke, Ljubljana 1984; Ders., Umiranje na rate, Zagreb 1984, Ders., Sterben auf Raten, Klagenfurt 1991.
4 Zu den Hierarchisierungen im öffentlichen Erinnern an den Zweiten Weltkrieg im Nachkriegsjugoslawien siehe: Silvija Kavčič, Überleben und Erinnern. Slowenische Häftlinge im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, Berlin 2008, S. 249f.

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