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Titel
Wir sind im Bilde. Eine Geschichte der Deutschen in Fotos vom Kriegsende bis zur Entspannungspolitik


Autor(en)
Hartewig, Karin
Erschienen
Anzahl Seiten
311 S.
Preis
€ 29,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Jäger, Historisches Institut, Universität zu Köln

Karin Hartewig ist eine ausgewiesene Kennerin der DDR-Fotografie. Schon 2004 hat sie eine Studie zur Fotografie des Ministeriums für Staatssicherheit vorgelegt und gemeinsam mit Alf Lüdtke eine erste Sondierung des Themas herausgegeben.1 „Wir sind im Bilde“ liefert sozusagen eine Erweiterung, indem hier die veröffentlichte und somit im Alltag sichtbare Fotografie in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland vorgestellt wird. Aber im Gegensatz zu Arbeiten, die sich auf jeweils nur einen der deutschen Staaten konzentrieren, versucht Hartewig eine „gesamtdeutsche“ Perspektive darzustellen. Dies erfolgt anhand der großen Illustrierten in West (vor allem Quick, Kristall, Stern) und Ost (vornehmlich Neue Berliner Illustrierte und Wochenpost).

Der Untertitel verspricht, dass hier eine „Geschichte der Deutschen in Fotos vom Kriegsende bis zur Entspannungspolitik“ vorliegt. Die Untersuchung beabsichtigt also eine visuelle Geschichte des Nachkrieges zu erzählen; von der deutschen Teilung bis hin zu einer sich in den 1970er-Jahren etablierenden, scheinbaren Normalität deutsch-deutschen Alltags. Der Text enthält rund 250 Abbildungen: teils großformatige Reproduktionen von Fotografien, die in Illustrierten erschienen sind, teils kleinformatige Abbildungen von Covern oder Seiten aus Fotoreportagen. Das Buch ist chronologisch aufgebaut, enthält aber auch Abschnitte, die dieses Gliederungsmuster durchbrechen: So etwa im vierten Abschnitt, der den großen internationalen Konflikten gewidmet ist (17. Juni 1953 bis zum „Prager Frühling“ 1968) oder der fünfte Abschnitt, der eine Typologie der Illustrierten skizziert. Damit wird die Einleitung ergänzt, die das Genre der Illustrierten knapp charakterisiert und die Bildjournalisten als eine spezifische Gruppe unter den Berufsfotografen vorstellt. Es folgt ein Abschnitt über die unmittelbaren Nachkriegsjahre, dann die Zeit bis zur doppelten Staatsbildung 1949. Den drei Jahrzehnten ab 1950 sind jeweils eigene Kapitel gewidmet. Ein knapper Schluss rundet den Band ab. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt im ersten Zeitabschnitt, was sich auch im Umfang widerspiegelt (S. 16-208); die 1960er-Jahre werden wesentlich knapper und die 1970er-Jahre auf nur 15 Seiten abgehandelt.

Roter Faden der Darstellung ist die Konstanz der Presselenkung in der DDR und die auseinanderlaufenden Bildwelten seit den späten 1940er-Jahren: Der ideologische Gegensatz sei von Beginn an bei den Illustrierten forciert, die eigene Leistung unkritisch betont worden. Konstanz gab es aber bis in die 1970er-Jahre auch im Westen: Dort herrschte eher die Ausblendung des anderen deutschen Staates und eine ebenso ideologisch aufgeladene Berichterstattung vor. Erst die nachhaltige Pluralisierung der Meinungen in den 1960er-Jahren (Stichwort: „1968“) habe zu differenzierterer Berichterstattung geführt. In Verbindung mit der politischen Annäherung durch die sozialliberale Koalition habe dies in den 1970er-Jahren zu einer milderen, ja geradezu „Weichspülung“ der Berichterstattung über die DDR geführt.

Der grundsätzliche Befund unterschiedlicher Aussagen, Inhalte und Formen ist insofern wenig überraschend, als die Voraussetzungen für Journalisten unterschiedlich gewesen sind und die ostdeutschen Blätter Teil eines politisch gelenkten Medienapparates waren. Die westdeutschen Illustrierten hingegen waren einerseits politisch tendenziell eher konservativ und damit eher gegen den so genannten Ostblock ausgerichtet, andererseits als privatwirtschaftliche Unternehmen abhängig von Anzeigenkunden und (vermuteten) Leserwünschen, so dass sich entsprechend unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte ergaben. Diese grundsätzliche Differenz verfolgt Hartewig sowohl im medialen Umgang mit dem jeweils anderen deutschen Staat wie in der Berichterstattung über beide gleichermaßen betreffende Themen, wie den Zweiten Weltkrieg, die NS-Verbrechen und den Wiederaufbau nach dem Krieg. Ähnlichkeiten der Illustrierten zeigen sich in der Entwicklung von Layout und – in begrenztem Ausmaß – auch in den inhaltlichen Veränderungen: Konsum, Tourismus, Sexualität werden in Ost und West mit der Überwindung der materiellen Nöte der Nachkriegszeit immer wichtiger. Auch der Umgang mit der eigenen politischen Prominenz im Todesfall wird bei Hartewig als unfreiwillige Gemeinsamkeit gedeutet; ebenso ein kritischer Umgang mit den USA während des Vietnam-Krieges (S. 250-258).

Diese Befunde verdeutlichen, dass es dem Buch nicht um eine vertiefende Analyse geht, sondern um einen Querschnitt und Überblick. In den Medien wurde das Trennende zwischen Ost und West oft betont – aber schlug dies durch? Waren die Bilderwelten wirklich so unterschiedlich? Angesichts des steten Austausches und der massenhaft bestehenden familiären Verbindungen sowie der Migration von Ost nach West (aber, vor allem bis 1961, auch in umgekehrter Richtung) müssen hier mehr Fragezeichen gesetzt werden, als Hartewig zulässt. Das gilt auch und gerade für die späten 1960er- und dann die 1970er-Jahre. Hier ist auch die empirische Basis weniger breit und das Exemplarische dominiert sehr deutlich. Je näher die Darstellung an die Gegenwart heranrückt, desto mehr reduziert sich der Vergleich auf wenige Illustrierte: Für die 1970er-Jahre besteht er im Wesentlichen aus einer Doppelperspektive auf den „Stern“ und die „Neue Berliner Illustrierte“.

Die vergleichende Betrachtungsweise der Illustrierten aus den beiden deutschen Staaten ist zumeist auf Kontrast ausgerichtet und räumt entsprechend widerstreitenden Lesarten oder einer Rezeption „zwischen den Zeilen“ kaum Raum ein. Diese ist für das DDR-Publikum aber nicht so abwegig, war man sich doch durchaus der politischen Rhetorik in Wort und Bild bewusst. Hier wären andere Deutungsweisen möglich, ohne die grundsätzliche Presselenkung in Abrede stellen zu müssen. Das Gleiche gilt auch für die westdeutschen Illustrierten – zur Rezeption kann Hartewig jeweils wenig berichten. Das hat zwar auch seinen Grund in der wenig ausgeprägten historischen Rezeptionsforschung, hätte aber dennoch erwähnt werden können.

Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf der Produktionsseite und dort auf den Fotografen und –fotografinnen. Das Zusammenspiel zwischen Reporter, Redaktion, Chefredaktion, Layout und Grafik sowie Herausgeber(n) gerät nicht in den Blick. Dadurch werden interessante Details wie etwa die Tatsache, dass 1957 die Leitung der Bildredaktion bei Kristall komplett in weiblichen Händen lag (S. 154) eher zum Kuriosum als zum Ansatzpunkt weiterführender Überlegungen. Die auffallende Menge an biographischen Angaben ist zwar instruktiv, wirkt aber in der Aneinanderreihung etwas ermüdend (zum Beispiel S. 54 ff.) – hier wäre ein Anhang vielleicht die bessere Wahl gewesen. Auch führt der immer wieder biographisch inspirierte Zugang dazu, dass Informationen mehrmals wiederholt werden: Etwa zu Hanns Hubmanns quasi bruchloser und darin durchaus typischer Karriere vom Fotografen bei einer Propagandakompanie der Wehrmacht zum Bildberichter in alliierten Diensten bis hin zum Chefbildreporter bei der Quick. Die eigene NS-Vergangenheit ist bei den Bildreportern selten thematisiert oder gar problematisiert worden – das galt im Osten wie im Westen. Gerade westdeutsche Illustrierte berichteten auch immer wieder gerne über sich selbst in Geschichten über die eigenen Fotoreporter. Hartewig stellt dies dar, fragt aber nicht, ob diese Selbstbezogenheit möglicherweise ein Kennzeichen dieser medialen Formate sein kann. Es könnte eine Technik der Authentifizierung sein, die eine scheinbare Transparenz und Autonomie der fotojournalistischen Arbeit betont, was wiederum die Illustrierte als vertrauenswürdige Informationsquelle herausstellen sollte. Eine Vorgehensweise, die auch in den 1920er- und 1930er-Jahren verbreitet war.

Der Ton des Buches ist an Ausstellungskataloge angelehnt, teils erinnert er an den Stil der Illustrierten. Es wird viel erzählt, Zwischentöne klingen kaum an. Oft ist die Sprache affirmativ was sich in zahlreichen Ausrufezeichen niederschlägt. Auch betont die Autorin etwas zu oft, dass die ostdeutschen Illustrierten einen ideologischen Auftrag zu erfüllen hatten und entsprechend keine Kritik am eigenen Staat formulierten. „Wir sind im Bilde“ bietet also in der Tat eine „Geschichte der Deutschen in Fotos vom Kriegsende bis zur Entspannungspolitik“. Aber es ist nur eine der möglichen Geschichten, und zwar eine fragmentarische und konventionelle, die mithilfe der Illustrierten erzählt wird. Es darf hierbei auch nicht vergessen werden, dass Hartewig die Mode- und Programmzeitschriften in West und Ost ebenso wenig berücksichtigen konnte wie Jugendzeitschriften und Magazinformate (auch wenn der Spiegel immer wieder angesprochen wird, der sich – wie Hartewig auch sagt – nicht als Illustrierte ansah). Die Literaturangaben im Anhang liefern Ansätze für alternative Erzählungen und Analysen. So kann das Buch als ein Zwischenstand angesehen werden, der Anregungen gibt, zu Widerspruch herausfordert und dazu einlädt, genauer hinzusehen und analytisch die Leerstellen auszufüllen, die bislang noch die Forschungen zu Illustrierten kennzeichnen.

Anmerkungen:
1 Philipp Springer, Rezension zu: Karin Hartewig / Alf Lüdtke (Hrsg.), Die DDR im Bild. Zum Gebrauch der Fotografie im anderen deutschen Staat, Göttingen 2004 und Karin Hartewig, Das Auge der Partei. Fotografie und Staatssicherheit, Berlin 2004, In: H-Soz-u-Kult, 18.10.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-4-036> (23.11.2010);

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