D. Taylor: Islam in South Asia

Cover
Titel
Islam in South Asia.


Herausgeber
Taylor, David
Reihe
Critical Concepts in Islamic Studies
Erschienen
London 2010: Routledge
Anzahl Seiten
1662 S.
Preis
£ 720.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dietrich Reetz, Zentrum Moderner Orient, Berlin

David Taylor hat in dieser Publikation eine umfassende und sehr nützliche Sammlung zum Thema Islam in Südasien erstellt, die sowohl für die Forschung als auch besonders für die Lehre den langjährigen Kenntnisstand zu diesem Wissensfeld weitgehend widerspiegelt. Sie besteht aus verschiedenen wissenschaftlichen Aufsätzen und einem Buchbeitrag, die unter vier großen Themen zusammengefasst wurden. Sie zeigen die Rolle des südasiatischen Islam in Geschichte und Kultur, als Faktor und Akteur in der Kolonialzeit, in Verbindung mit Politik und Gegenwart, sowie zu Bereichen wie Frauen, Bildung, Wirtschaft, Jugend, und zu differenzierten Praktiken und Interpretationen des Islam. In der Einleitung gibt der Autor eine allgemeine Einführung in die historischen Entwicklungen des Islams in Südasien. Dabei geht er besonders auf die Politik der Muslim League und die Entwicklungen in den Jahren nach der Unabhängigkeit ein. Südasien umfasst hierbei die heutigen Nationalstaaten Pakistan, Indien, Bangladesch, Nepal, Bhutan, Sri Lanka und die Malediven.

Taylor trägt damit der zunehmenden Bedeutung des Wissens- und Forschungsfeldes „Islam in Südasien“ Rechnung, das auch heute noch oft unterschätzt wird. Diese Bedeutung leitet sich nicht nur daraus ab, dass Südasien die Region bildet, in der die Mehrheit der Muslime auf der Welt lebt, sondern auch aus dem hohen politischen und wirtschaftlichen Gewicht der beteiligten Staaten mit einer Gesamtbevölkerung von über 1,5 Mrd. Menschen, das sich durch die zahlreichen regionalen und lokalen Konflikte sowie durch das Nuklearpotential der beiden größten Länder – Indien und Pakistan – noch erhöht. Heutzutage leben über 500 Millionen Muslime in Südasien, weit mehr als in den arabischsprachigen Ländern zusammen. In einigen Regionen des Subkontinents bilden sie die Mehrheit, wie im heutigen Pakistan, Bangladesch und auf den Malediven, sowie Teilen Indiens. In anderen Regionen Südasiens stellen Muslime eine bedeutende Minderheit dar, wie die rund 150 Millionen Muslime in Indien bezeugen.

Die gesammelten Artikel stammen aus unterschiedlichen Quellen und reichen von 1958 bis 2009. Dazu zählen Veröffentlichungen aus etablierten Journalen wie Modern Asian Studies, International Sociology, Journal of the American Academy of Religion, Journal of Islamic Studies und vielen anderen.

Das erste Buch enthält die Einleitung und den thematischen Schwerpunkt „South Asian Islam in Historical and Cultural Context“. Die Aufsätze dazu behandeln den Sufismus, vor allem in Indien, die Aufteilung der sozialen Schichten sowie Riten bestimmter Strömungen bis hin zu politischen Reformen muslimischer Herrscher/innen im 18. Jahrhundert.

Das zweite Buch hat den Schwerpunkt „Reform and Resistance during the Colonial Period“. Als Einstieg dient der Artikel „Religious change and the self in Muslim South Asia since 1800“ von Francis Robinson. Weitere Artikel diskutieren die muslimische Identität in Bengalen, das Zusammenspiel von Bildung und Wissenschaft mit dem Islam in Indien, den Einfluss des Dichters Iqbal und des Politkers Maulana Azad sowie einzelne politische Strömungen.

Das dritte Buch mit dem Schwerpunkt „Islam and Politics in Contemporary South Asia“, bezieht sich vor allem auf islamische Ausprägungen in Pakistan, Bangladesch und Indien. Die Artikel zu Pakistan sind stark politisch geprägt und behandeln Islamisierung, Militanz und das Zusammenspiel von Religion und Staat. Auch die Artikel zu Bangladesch untersuchen den Zusammenhang von Islam und Fundamentalismus bzw. islamischer Militanz. Einige Artikel behandeln islamische Strömungen in Südindien, auf den Malediven und bieten einen allgemeinen Ausblick auf die Entwicklungen in Südasien.

Das vierte Buch trägt den Titel „Gender, Identity and Development“. Die Aufsätze behandeln Themen der islamischen Rechtsprechung und verschiedene Aspekte von Frauenrechten, wie die Tradition der Mitgift in Bangladesch, die Organisation Al-Huda als neue soziale Bewegung, in der besonders Frauen aktiv sind, und die Rolle von Frauen im sogenannten ‘War on Terror’. Die Artikel im vierten Buch untersuchen außerdem verschiedene Aspekte der globalen Ökonomie, wie der Arbeitsmigration aus Bangladesch in den Mittleren Osten oder das Islamic Banking in Pakistan.

In dem Sammelband überwiegen Autoren, die die muslimischen Gesellschaften vor allem durch ihre religiösen Merkmale bestimmt sehen, wie Francis Robinson, während ihre Antagonisten in den Debatten der 1970er- und 1980er-Jahre wie Paul Brass, der den instrumentellen Charakter religiöser Identitäten in Südasien betonte1, hier kaum vertreten sind.

Während eine große Vielfalt von Themen abgedeckt wird, liegt der Schwerpunkt in der Behandlung historischer Phänomene und von Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Tendenzen, die gegenwärtig die Wissenschaftler beschäftigen, die sich hier wenig niederschlagen. Dazu gehören nicht zuletzt die globalen Verflechtungen religiöser, politischer und wirtschaftlicher Prozesse, die Auseinandersetzung mit aktuellen Tendenzen religiöser und politischer Radikalisierung und Militanz sowie die Ausdifferenzierung theologischer, rechtlicher und kultureller Konzepte im Islam und unter Muslimen. Auch der aktuelle soziale und politische Wandel in den muslimischen Gesellschaften Südasiens hat seither neue Erkenntnisse hervorgebracht.2

Inzwischen sind auch eine Reihe weiterer Themenhefte zum Islam in Südasien, zu Muslimen und Medien in Südasien, zu Islam, Jugend und Geschlechterforschung in Indien und Pakistan sowie zu Pakistan erschienen, die die Forschungslandschaft weiter bereichert haben.3 Auch Forschung aus Deutschland ist bis auf wenige Ausnahmen in der Sammlung kaum vertreten. So sind in Deutschland in den letzten Jahren eine Reihe originärer Forschungsergebnisse zum Islam in Südasien entstanden, die wichtige Lücken zu den islamische Bewegungen und Traditionen des südasiatischen Raumes schließen. Das betrifft auch die unvermindert bedeutsamen muslimischen Regionalkulturen wie in Balochistan. Insofern stellt die Sammlung zwar ein gutes Referenzwerk dar, das breite Grundlagen für eine Wissensvermittlung zu dem Themenkreis des Islam in Südasien legen hilft, aber die Auseinandersetzung mit weiterführenden aktuellen Publikationen nicht ersetzen kann.4

Anmerkungen:
1 Vgl. Paul R. Brass, Muslim Separatism in United Provinces. Social Context and Political Strategy before Partition, in: Economic and Political Weekly 5 (1970) 3, S. 167–186; ders., Language, Religion and Politics in North India, London 1974;
2 Vgl. Dietrich Reetz, The Deoband Universe. What Makes a Transcultural and Transnational Educational Movement of Islam? In: Comparative Studies of South Asia, Africa and the Middle East 27 (2007) 1, S. 139–159; ders., ‘Alternate Globalities?’ On the Cultures and Formats of Transnational Muslim Networks from South Asia, in: Ulrike Freitag / Achim von Oppen (Hrsg.), Translocality. The Study of Globalising Processes from a Southern Perspective, Leiden 2010, S. 293–334.; C. Christine Fair, The educated militants of Pakistan: implications for Pakistan’s domestic security, in: Contemporary South Asia 16 (2008) 1, S. 93–106; Praveen Swami, The Well-Tempered Jihad. The politics and practice of post-2002 Islamist terrorism in India, in: Contemporary South Asia 16 (2008) 3, S. 303–322; Ananya J. Kabir, The Kashmiri as Muslim in Bollywood’s ‘New Kashmir films’, in: Contemporary South Asia 18 (2010) 4, S. 373–385; Muhammad K. Masud, The Construction and Deconstruction of Secularism as an Ideology in Contemporary Muslim Thought, in: Asian Journal of Social Science 33 (2005) 3, S. 363–383; ders., Rethinking sharī’a. Javēd Ahmad Ghāmidī on hudūd, in: Welt des Islams 47 (2007) 3/4, S. 356–375; Paul Rollier, Texting Islam. Text Messages and Religiosity among Young Pakistanis, in: Contemporary South Asia 18 (2010) 4, S. 413–426; Raphael Susewind, „Opfer“ und „Aktivistin“ – Zwei Muslima aus Gujarat ringen mit der Ambivalenz des Sakralen, in: Internationales Asienforum 42 (2011) 3/4, S. 299–317; vgl. Patricia Jeffery / Roger Jeffery, Underserved and overdosed? Muslims and the Pulse Polio Initiative in rural North India, in: Contemporary South Asia 19 (2011) 2, S. 117–135; Nida Kirmani, Constructing ‘the Other’: Narrating Religious Boundaries in Zakir Nagar, in: Contemporary South Asia 16 (200) 4, S. 397–412; Mohammad Waseem, Judging democracy in Pakistan. Conflict between the Executive and Judiciary, in: Contemporary South Asia 20 (2012) 1, S. 19–31; Joshua T. White, Beyond moderation. Dynamics of Political Islam in Pakistan, in: Contemporary South Asia 20 (2012) 2, S. 179–194; Philippa Williams, An absent Presence. Experiences of the ‘welfare state’ in an Indian Muslim mohalla, in: Contemporary South Asia 19 (2011) 3, S. 263–280.
3 Vgl. Filippo Osella (Hrsg.), (Themenheft: Islam in South Asia), in: Modern Asian Studies 42 (2008) 2–3; John Zavos (Hrsg.), (Themenheft: Muslims and Media in South Asia), in: Contemporary South Asia 18 (2010) 4; Günter Schucher / Nadja Christina Schneider (Hrsg.), (Themenheft: Islam, Youth and Gender in India and Pakistan: Current Research Perspectives), in: Asien (2013) 126; John Zavos (Hrsg.), (Themenheft: Pakistan), in: Contemporary South Asia 16 (2008) 1; ders., (Themenheft: Pakistan), in: Contemporary South Asia 20 (2012) 2.
4 Vgl. Jan-Peter Hartung, Affection and Aversion: Ambivalences among Muslim Intellectual Elites in Contemporary South Asia, in: South Asia Research 21 (2001) 2, S. 189–202, hier: Bd. 3.; Jamal Malik, Muslim Culture and Reform in 18th-Century South Asia, in: Journal of the Royal Asiatic Society 13 (2003) 2, S. 227–43, hier: Bd. 1; Annemarie Schimmel, The Idea of Prayer in the Thought of Iqbal, in: The Muslim World 48 (1958) 3, S. 205–22, hier: Bd. 2.; Thomas K. Gugler, Mission Medina. Da’wat-e Islāmī und Tablīgī Gamā’at, Würzburg 2011; Jan-Peter Hartung, Viele Wege und ein Ziel. Leben und Wirken von Sayyid Abū l-Ḥasan ‘Alī al-Ḥasanī Nadwī (1914–1999). Würzburg 2004; Jan-Peter Hartung / Helmut Reifeld, Islamic Education, Diversity and National Identity. Dini Madaris in India post 9/11, London 2005; Margrit Pernau, Bürger mit Turban. Muslime in Delhi im 19. Jahrhundert, Göttingen 2008; Claudia Preckel, Islamische Bildungsnetzwerke und Gelehrtenkultur im Indien des 19. Jahrhunderts. Muḥammad Ṣiddīq Ḥasan Ḫān (st. 1890) und die Entstehung der Ahl-e ḥadīt-Bewegung in Bhopal, Bochum, Dissertation, 2008; Dietrich Reetz, Islam in the Public Sphere. Religious Groups in India, 1900–1947, Delhi 2006; Martin Riexinger, Sanā’ullāh Amritsarī (1868–1948) und die Ahl-i-Ḥadīs im Punjab unter britischer Herrschaft, Würzburg 2004; ders., Responses of South Asian Muslims to the Theory of Evolution, in: Welt des Islams 49 (2009) 2, S. 212–247; Martin Axmann, Back to the future. The Khanate of Kalat and the Genesis of Baloch Nationalism, 1915–1955, Karachi 2008.