M. Mukerrjee: Churchill's Secret War

Titel
Churchill's Secret War. The British Empire and the Ravaging of India During World War II


Autor(en)
Mukerjee, Madhusree
Erschienen
New York 2010: Basic Books
Anzahl Seiten
332 S.
Preis
€ 23,54
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dietmar Rothermund, Südasieninstitut, Universität Heidelberg

Madhusree Mukerjee beginnt ihr Buch mit einem Zitat Churchills, in dem er behauptet, Indien habe von allen Ländern am wenigstens unter dem Krieg gelitten und sei auf den Schultern der kleinen britischen Insel durch den Kampf getragen worden. Churchill sagt dort kein Wort über den Einsatz von zwei Millionen indischer Soldaten in britischen Diensten oder von der furchtbaren bengalischen Hungersnot von 1943, die zwei bis drei Millionen Menschen das Leben kostete. Mukerjee klagt Churchill wegen unterlassener Hilfeleistung an. Sie hat die einschlägigen Quellen genau studiert und kann zeigen, wie Churchill es geradezu verhinderte, dass Indien geholfen wurde, obwohl der Vizekönig Lord Wavell dringend um Hilfe bat. Sie widmet dabei den Ratschlägen von Professor Frederick Lindemann (Lord Cherwell) besondere Aufmerksamkeit, der Churchill beriet und die Argumente dafür lieferte, warum Indien nicht geholfen werden solle. Lindemann war ein brillanter Physiker, dem Churchill völlig vertraute. Seine politischen Ansichten waren ausgesprochen rassistisch. Er betrachtete den Hungertod vieler Inder geradezu als willkommenes Mittel für die Beschränkung der Vermehrung der indischen Bevölkerung. Mukerjees Forschungsergebnisse sind geradezu erschütternd.

Der britische Indienminister Leopold Amery, ein liberaler Konservativer, wird von Mukerjee recht positiv dargestellt. Sie hat seinen privaten Nachlass konsultiert und herausgefunden, wie oft er von Churchill brüskiert wurde. Er wagte es sogar, den Premierminister in Kabinettssitzungen zu kritisieren. Immer wieder plädierte er für Indien, fand aber bei Churchill kein Gehör. Aus Loyalität blieb er dennoch während des Kriegs an seiner Seite. Was er wirklich empfand, zeigt sich in einem privaten Manuskript, in dem er Churchills Indienpolitik auf sarkastische Weise karikierte.

Bereits durch ihr voriges Buch über die Andamanen hat Mukerjee bewiesen, dass sie zu forschen und zu schreiben versteht. Sie ist Physikerin, zugleich aber auch eine begabte Historikerin und eine großartige Schriftstellerin. Sie belebt ihr Buch durch die Erschließung von Quellen, die es erlauben, einen Einblick in die Erfahrungen der Menschen zu erhalten, die zu dieser Zeit in Indien waren. So taucht in ihrem Text immer wieder an passender Stelle der britische Soldat Clive Branson auf, der 1944 in Indien fiel, dessen bewegende Briefe an seine Frau aber nach dem Krieg in London veröffentlicht wurden. Auf indischer Seite ist es der Freiheitskämpfer Sushil Dhara, dessen bengalische Autobiografie sie nutzt, um diesen Zeitzeugen aufzurufen. Das Buch liest sich wie ein spannender Roman, obwohl es doch ein auf Quellenstudium gegründetes Meisterwerk der historischen Forschung ist.

Wie Amartya Sen in seinem Buch über die bengalische Hungersnot von 1943 betont hat, war diese nicht durch schlechte Ernten hervorgerufen worden, sondern wurde durch Spekulation der indischen Getreidehändler und das Versagen der britisch-indischen Regierung verursacht. Mukerjee hat dieses Versagen dokumentiert. Zunächst hatte die Regierung Preiskontrollen verhängt; als sie feststellen musste, dass sie damit nur den Schwarzmarkt begünstigte, gab sie die Kontrollen plötzlich auf und ging dazu über; Getreidevorräte anzulegen, weil sie nur so hoffen konnte, den Markt zu beeinflussen. Nun hatten inzwischen die Japaner Burma erobert und den Zufluss von Reis nach Indien abgeschnitten. Zugleich zwang die britische Regierung in London Indien, Sri Lanka mit Reis zu versorgen, weigerte sich aber ihrerseits Getreide nach Indien zu senden, obwohl der Vizekönig dringend darum bat. In Großbritannien legte die Regierung zu dieser Zeit selbst große Getreidevorräte an, die nicht nur dazu dienen sollten, die Bevölkerung während des Krieges zu versorgen, sondern von Churchill auch als ein Sparguthaben für die Zeit nach dem Krieg betrachtet wurden. Außerdem bestand Churchill darauf, dass auch Vorräte für Südosteuropa angegelegt wurden, das er noch vor Kriegsende befreien wollte. Diese Ziele hatten Vorrang. Die Hungersnot in Bengalen nahm er dafür hin. Mukerjee erwähnt, dass Churchill Indien geradezu hasste, andererseits aber entschlossen war, die britische Herrschaft über Indien zu wahren. Darüber kam es immer wieder zu Konflikten zwischen Churchill und Roosevelt, bei denen der amerikanische Präsident jedesmal einlenkte, um seinen britischen Alliierten nicht zu verletzen.

Neben der Behandlung der Ereignisse auf der Ebene der großen Politik ermöglicht Mukerjee dem Leser auch erschütternde Einblicke in das Leiden der Menschen in Stadt und Land, die der Hungersnot zum Opfer fielen. Die Schuld, die Churchill durch seine bewusste Verweigerung britischer Hilfe auf sich lud, wird auf diese Weise deutlich dargestellt.

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