N. Beadie: Education and the Creation of Capital

Cover
Titel
Education and the Creation of Capital in the Early American Republic.


Autor(en)
Beadie, Nancy
Erschienen
Anzahl Seiten
268 S.
Preis
€ 82,17
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Carla Aubry, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Zürich

Clarissa Pengra war Schülerin des Genesee Wesleyan Seminary in Lima. Am 2. November 1840 reiste sie nach Syracuse, um eine Stelle als Lehrerin anzutreten. Im Gepäck eine Ausbildung und ein Tagebuch, in welches sie notierte: „I have left home and friend and for the present must learn to depend upon myself.“ (S. 3). Vor sich eine Zukunft, die Unsicherheiten und Chancen zugleich bot, hinter sich eine Vergangenheit, die es ihr ermöglichen sollte, ihr schulisch erworbenes Kapital in einer Zeit des Umbruches zu nutzen.

Ein Teil von Clarissas persönlicher Geschichte tritt uns in ihrem Tagebuch entgegen und bildet den Einstieg in Nancy Beadies Studie ‚Education and the Creation of Capital in the Early Republic’. Wer deshalb nun eine Studie erwartet, welche individuelle Bildungsgänge auf der Grundlage von Egodokumenten nachzeichnet, der sieht sich getäuscht. Denn am Fallbeispiel der Schulen in Lima, einer kleinen ländlichen Stadt im Norden des Staates New York, rekonstruiert Beadie die sich wandelnden Beziehungen zwischen Ökonomie, Kultur und Politik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das ‚Genesee Wesleyan Seminary’ als seinerzeit größte Bildungsstätte in New York schuf mit seinem vielfältigen Bildungsangebot die Voraussetzung für Clarissa, als junge Frau für sich selbst sorgen zu können. Nicht nur individuelle Lebensläufe haben Voraussetzungen, sondern auch die Gründung und der Aufbau schulischer Institutionen findet unter spezifischen Bedingungen in lokalen Kontexten statt. Analog dazu beschreibt Beadie ihr Vorgehen wie folgt: „I trace the roots of school support to different social networks and then connect those networks to broader patterns of social, political, and economic changes.“ (S. 15) Zentral ist dabei die These: „Schools, together with other social institutions, played a significant role in the market revolution and capitalist transition, and in the political and economic integration of the modern liberal state.“ (ebd.)

Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil „Education and Social Capital Formation“ (S. 3-104) zeigt Beadie, wie in Lima das Projekt ‚Gründung und Aufbau von Schulen’ soziales und finanzielles Kapital mobilisierte. Diese kollektiven Ressourcen brauchte die Gemeinde beim Aufbau der Schulen, denn der Staat konnte zu Beginn keine substantielle Unterstützung bieten. Subskriptionen bildeten dabei die ökonomische Basis. Der Referenzpunkt war zu Beginn die Gemeinde selbst und die Entwicklung vor Ort. Das zusammengetragene Eigentum als „pool resources for a common purpose“ war Grundlage des „community building“ und wurde kooperativ verwaltet (S. 22). Das gegenseitige Geben und Nehmen von Krediten verfestigte die Beziehungen und war Teil der ländlichen Ökonomie, ohne dass die vielfältigen konfessionellen Unterschiede vor Ort eine Bedeutung hatten. Zunehmend aber begannen finanzielle und sozial-politische Netzwerke eine Rolle zu spielen, die über Lima hinausführten. Das Erstarken evangelikaler Kreise im Zusammenhang mit der überregionalen Bewegung des Second Great Awakening rekonstruiert Beadie am Beispiel der Methodisten in und um Lima. Hier wurde die Identität nicht mehr nur über die lokalen Netzwerke hergestellt, sondern zunehmend über konfessionelles „bonding and bridging“, das die „methodist economy“ auszeichnete (S. 72). Die religiöse geografische Expansion musste verwaltet werden, durch Einteilung in Distrikte und kleinere lokale Einheiten, als spezifische Form der sozialen Organisation. Auf diese Art und Weise, so Beadie, wurden Menschen zum einen in lokale Gruppen eingebunden, zum anderen integriert in eine größere religiöse Gemeinschaft. Die Signifikanz dieser integrativen Macht lag in der Möglichkeit, soziales und damit auch zunehmend politisches Kapital zu akkumulieren (S. 88). Die Methodisten wurden zur entscheidenden Gruppierung, welche die Entstehung des Genesee Wesleyan Seminary vorantrieben und damit den Baustein legten für diese größte schulische Institution im Staate New York, wenngleich primär in politischer und nur sekundär in finanzieller Hinsicht.

Im zweiten Teil: „Schools as Agencies of Politicization“ (S. 107-211) rekonstruiert Beadie Schulen als Institutionen, die ziviles Engagement und eine Politisierung der Bevölkerung förderten, denn über die Schulgelder waren individuelle Haushalte direkt finanziell involviert. Zudem wurden 1820 mit der Ausdehnung des Stimmrechtes die schulpolitischen Entscheidungen einer breiteren Basis übertragen (S. 157). Traditionell boten Lehrer Unterricht auf eigene Rechnung an, sie waren flexible Unternehmer und folgten dem Markt. Dieser freie Bildungsmarkt jedoch bedeutete Instabilität für das schulische Angebot vor Ort (S. 121). Die Gründung einer bedeutenden Bildungsinstitution in Lima versprach nun gemäß Beadie eine Stabilisierung des Bildungsangebotes, darüber hinaus zudem eine Sicherung der Zentrumsfunktion sowie die Gewährleistung regelmäßiger staatlicher Zuschüsse. Erhöhte Attraktivität für weitere Zuzüge, damit einhergehend ein Anstieg der Bodenpreise, sowie die Stimulierung des Handels durch auswärtige Schüler und Schülerinnen, die untergebracht und versorgt werden wollten, waren weitere Vorteile der Schulgründung (S. 178).

Im abschließenden Teil: „Education and Economic Transformation“ (S. 215-327) zeigt Beadie am Streit um die staatliche Eingliederung des Seminars, dass es dabei in erster Linie um die Kontrolle des sozialen, finanziellen, politischen und kulturellen Kapitals ging. Der Norm der ländlichen Ökonomie gehorchend, verpflichteten sich viele Subskribenten einen Beitrag in Form von Material und Arbeit zu leisten. Diese traditionelle Art der Finanzierung, so Beadie, erhöhte die gegenseitigen sozialen Verpflichtungen und der Prozess blieb unter der Kontrolle der lokalen Bevölkerung (S. 235). Die Face-to-Face-Verhandlungen mit einem Nachbarn, mit dem man schon seit geraumer Zeit „longstanding debt accounts“ pflegte (S. 237), standen aber im Kontrast zu der zunehmend kapitalistischen Entwicklung. Für die führenden lokalen Landbesitzer war die limitierte Verfügbarkeit von Geld vor Ort von je her eine Gelegenheit, in die Lücke zu springen und durch private Hypotheken und kommerzielle Kredite ihren Reichtum zu vermehren. Die daraus entstehenden ökonomischen Netzwerke innerhalb des Ortes, als auch darüber hinausgreifend mit anderen Investoren schuf die Möglichkeit, diese auch politisch zu nutzen. So engagierten sich lokal verwurzelte Kreditgeber in Lima auch für den Aufbau des Seminars. Nach Beadie ermöglichten gerade die Kombination der verschiedenen Finanzierungssysteme in Lima, sowie die Verbindung zwischen religiösen und kapitalistischen Netzwerken nicht nur die Gründung des Seminars, sondern auch die relativ gute Bewältigung der Finanzkrise von 1837 und deren Folgen.

Beadies Studie überzeugt in mehrerer Hinsicht. Präzise und mit einem leichten Ton erzählt sie die Geschichte einer Stadt und ihrer Schulen. Die Gründung und der Aufbau von Schulen finden immer in lokalen Kontexten statt. Diese Feststellung ist so banal wie unumstritten. Weniger trivial ist es jedoch, die sich wechselseitig bedingenden Zusammenhänge historisch zu rekonstruieren, dabei den Quellen treu zu bleiben, ohne sich in langweiligen Details zu verlieren. Beadie zeigt, wie Schulen ziviles Engagement und eine Politisierung der Bevölkerung fördern, nicht nur im Sinne der Vermittlung curricularer Inhalte, sondern auch durch die kooperative Gründung einer Schule und deren organisatorischer Aufrechterhaltung, denn Schulen sind immer Gegenstand gemeinsamer Ziele und Konflikte. Beadie gelingt es eindrücklich, diese lokalen schulpolitischen Prozesse in übergeordnete wirtschaftliche, religiöse und politische Zusammenhänge einzubetten, ohne dabei eine reine Erfolgsgeschichte zu schreiben und ohne die Akteure außen vor zu lassen. Sie zeigt, wie der Wandel von der landwirtschaftlichen zur industriellen Produktion und damit verbunden die zunehmende Integration der ländlichen Ökonomie in einen translokal kapitalistisch orientierten Markt ebenso die Voraussetzung bot für die Gründung des Genesee Wesleyan Seminary, wie sich die weit verzweigten methodistischen Beziehungsnetze als politisches Kapital nutzen ließen.

Die Bedeutung von Beziehungsnetzen zeigte sich auch auf der persönlichen Ebene. So hatte Clarissa Pengra 1840 bei ihrem Aufbruch in die Fremde nicht nur eine Ausbildung in ihrem Gepäck, sondern sie verfügte auch über ein weit verzweigtes Netzwerk an im Genesee Wesleyan Seminary geknüpften Beziehungen. Beides war Kapital, um in einer sich verändernden Welt bestehen zu können, ohne Garantie auf Gelingen zu haben.

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