Schulz, Günther (Hrsg.): Frauen auf dem Weg zur Elite. Bündiger Forschungen zur Sozialgeschichte 1998. München 2000 : Oldenbourg Verlag, ISBN 3-486-56429-3 220 S. € 34,80

: Gesellschaft der Eliten. Zur Reproduktion und Problematik sozialer Distanz. Münster 2001 : Westfälisches Dampfboot, ISBN 3-89691-496-0 409 S. € 35,00

: Eliten. Ost und West. Berlin 2001 : de Gruyter, ISBN 3-11-016987-8 40 S. € 7,95

: An der Spitze. Von Eliten und herrschenden Klassen. Konstanz 2001 : UVK Verlag, ISBN 3-89669-931-8 217 S. € 24,00

Michel, Karl M.; Karsunke, Ingrid; Spengler, Tilmann (Hrsg.): Die neuen Eliten. . Berlin 2000 : Rowohlt Berlin Verlag, ISBN 3-87134-139-8 199 S. € 9,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Prof. Dr. Volker Ackermann, Historisches Seminar, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Über das Thema ‚Elite‘ kann man heute in Deutschland selbstverständlicher reden als noch in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Wichtige Erkenntnisse über die Inhaber der höchsten leitenden Positionen haben die Mannheimer Elitestudien von 1968, 1972 und 1981 gebracht; die Potsdamer Elitestudie von 1995 hat die Folgen der deutschen Vereinigung für die Zusammensetzung und für die Wertorientierung der deutschen Führungsgruppen analysiert. An den hier zu besprechenden Veröffentlichungen fällt dreierlei auf: Erstens werden ‚Elite‘ und ‚Demokratie‘ nicht länger als einander ausschließende Gegensätze begriffen. Zweitens rücken neben den Funktionseliten auch und vor allem die Werteliten ins Zentrum des Interesses und werden Antworten auf die Frage gesucht, worauf diese ihren Führungsanspruch gründen können. Drittens schließlich wird weniger das Bild einer Elite vermittelt als vielmehr einer bunten Vielfalt ganz verschiedener und unterschiedlich legitimierter Eliten: Politiker, Manager und Wissenschaftler zählen ebenso dazu wie Künstler, Popstars und Spitzensportler.

1. Latte gerissen? Die neuen Eliten
Das Titelbild der Zeitschrift ‚Kursbuch‘ zeigt einen Stabhochspringer, der sich an seinem Stab emporschwingt. Wird er die Latte überspringen oder reißen? Jedenfalls ist er auf dem Weg nach oben, und das Motiv ist noch aus einem anderen Grund gut gewählt, denn im Sport ist die Existenzberechtigung einer puren Leistungselite sicherlich am wenigsten umstritten. Was nun die ‚neuen‘ Eliten auszeichnet, ist etwas ganz Erstaunliches: sie verkörpern nämlich traditionelle Werte. Die ‚Cyberboys‘ genannten jungen Reichen in Amerika etwa orientieren sich an alten bürgerlichen, protestantischen Tugenden wie Selbstdisziplin, Gesundheit und Nützlichkeitsdenken, und außerdem kommen sie ganz ohne eine offen zur Schau gestellte Verschwendung aus. Ein „modernes Verantwortungsgefühl“ müssten die chinesischen Eliten erlernen, wird in einem anderen Beitrag ein chinesischer Kaufmann zitiert; ohne Tugenden wie Langsicht, verlässliche Regulierung der eigenen Affekte und Selbstkontrolle werde die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft scheitern. In Deutschland wiederum seien die Träger der neuen Führungsleistung und des „renovierten Wertbewusstseins“ nicht mehr Politiker, sondern Manager und Vertreter der Zivilgesellschaft, und in der neuen bürgergesellschaftlichen Elite sei geradezu eine Wiederkehr der alten bildungsbürgerlichen Wertelite erkennbar. Ein ähnlicher Befund wird für die neuen Bundesländern erhoben, wo eine ganze Gesellschaft durch eine Mischung von Elitenimport, -zirkulation und -reproduktion umgebaut wurde. Kennzeichen der neuen Elite sei der sogenannte ‚Ostimismus‘: eine optimistische, auf individuelle Leistung bezogene Identität mit einer starken gemeinschaftlichen und sozialen Komponente. Als Repräsentanten dieses ‚Ostimismus‘ gelten weder die aus dem Westen importierten ‚Kolonisten‘ noch die ‚alten Kader‘, vielmehr „ein bunter Strauß sektoraler und regionaler Eliten.“

2. Noch nicht alle angekommen: Frauen auf dem Weg zur Elite
Nachholbedarf hat sowohl die Eliteforschung mit der Kategorie ‚Geschlecht‘ als auch die Frauenforschung mit dem Thema ‚Elite‘. Das zeigt der vom Bonner Historiker Günther Schulz herausgegebene Sammelband, der die Ergebnisse der 1998 veranstalteten 36. Büdinger Gespräche über ‚Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit‘ präsentiert. In der Frauenbewegung spielte das Konzept ‚Elite‘ bislang keine große Rolle, denn ihre Ziele waren Gleichberechtigung und Emanzipation, Partizipation und Demokratisierung. Aber schon im späten Kaiserreich entstand etwa mit den Pionierinnen des Frauenstudiums durchaus eine weibliche Elite, die sich auch als solche verstand. Die Weimarer Republik eröffnete Frauen eine begrenzte Möglichkeit politischer Partizipation im Reichstag, in den Landtagen und Kommunalparlamenten, die allerdings 1933 beendet wurde und an die nach 1945 einzelne Parlamentarierinnen der ersten Generation wieder anknüpften. Im NS-Staat konnten Frauen innerhalb der für den ‚weiblichen‘ Bereich zuständigen Organisationen in Spitzenpositionen aufsteigen, und durch Mutterschaft sowie spezifisch weibliche Aufgaben trugen sie maßgeblich zur Erhaltung einer rassisch begründeten Elite bei. Beim Elitewechsel in der DDR spielten Frauen nur eine untergeordnete Rolle; wie auch in allen anderen sozialistischen Staaten blieben trotz weiblicher Berufstätigkeit die Grundlagen des Patriarchats unangetastet. In der Bundesrepublik haben sich die Rekrutierungsmechanismen durch Quotierung, Frauenförderpläne oder Frauenlisten zwar verändert, aber wie jede Ausschreibung etwa auf dem akademischen Stellenmarkt zeigt, ist die verstärkte Präsenz von Frauen in Führungspositionen noch immer ein unabgeschlossenes Projekt.

3. Eliten neu erfinden (zumindest in Osteuropa)
Seit seinen Anfängen hatte der Kommunismus die Beseitigung der traditionellen Eliten auf seine Fahnen geschrieben und dieses Programm im 20. Jahrhundert mit brutaler Konsequenz durchgeführt. Im postkommunistischen Osteuropa müssen die Eliten neu erfunden werden, fordert daher Andrei Plesu in seinem am 22. Juni 2000 im Wissenschaftskolleg zu Berlin gehaltenen Vortrag. Plesu, von 1989 bis 1991 rumänischer Kultusminister und von 1997 bis 1999 Außenminister, ist derzeit Rektor des New Europe College in Bukarest. Sein Projekt zur Rekonstruktion der Eliten auf dem Hintergrund einer anti-elitaristischen Rhetorik hat er bereits 1994 verwirklicht: das von ihm gegründete Institute for Advanced Study bietet begabten Stipendiaten die Möglichkeit, ohne Sorge um ihren Lebensunterhalt in einer Atmosphäre völliger Denk- und Ausdrucksfreiheit zu arbeiten sowie Kontakte zur internationalen wissenschaftlichen Elite zu knüpfen. Mit diesem Projekt zum Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen in Südosteuropa beschreitet Plesu bewusst einen eigenen Weg: weder springt er aus der kommunistischen Vormoderne direkt in die kapitalistische Postmoderne, noch übernimmt er westliche Auslaufmodelle und reformbedürftige Systeme. Unterstützung für sein von ihm selbst als „Glasperlenspiel“ bezeichnetes Vorhaben erhofft er von einem ‚Kultur-Sponsor‘ - schließlich habe sich die Finanzierung von Newtons Standort unter dem Apfelbaum oder der utopischen Schifffahrt von Kolumbus durchaus gelohnt und als rentabel erwiesen.

4. Weiße Flecken an der Spitze - nicht nur in Deutschland
Mit dem Sammelband ‚An der Spitze‘, möchte die Herausgeberin Beate Krais eine produktive soziologische Debatte über Eliten und herrschende Klassen anregen und das Interesse an der Erforschung der „weißen Flecke an der Spitze der deutschen Gesellschaft“ wecken. Zwei der drei Beiträge nehmen aber nicht nur deutsche, sondern auch französische bzw. englische Eliten in den Blick. Spitzensportler etwa werden in Frankreich und Deutschland ganz unterschiedlich rekrutiert: dort wird die Sportelite von den Besten der jeweiligen Jahrgänge gebildet, hier von besonders tüchtigen Personen. In beiden Ländern jedenfalls ist der Spitzensport ein wichtiger Bestandteil der auf die Nation bezogenen politischen und kulturellen Vorstellungen über Eliten. Von ihren französischen - und englischen - Kollegen unterscheiden sich auch bundesdeutsche Spitzenmanager. Soziales Selektionskriterium ist bei ihnen weniger ein auf Elite-Universitäten wie den ‚Grandes Écoles‘ oder Oxford und Cambridge erworbener exklusiver Bildungstitel als vielmehr ein klassenspezifischer Habitus: Umgangsformen, Souveränität im Auftreten, Allgemeinbildung, optimistische Lebenseinstellung und unternehmerisches Denken. Die eng mit diesem Habitus verknüpften, persönlichkeitsbezogenen Rekrutierungsmaßstäbe begünstigen daher ganz eindeutig den Nachwuchs des gehobenen Bürgertums und sind für die höchst ungleiche Chancenverteilung bei der Entscheidung über Positionen im Topmanagement großer deutscher Unternehmen verantwortlich. In Zukunft, so lautet die Prognose, werde die Bedeutung des klassenspezifischen Habitus vor allem auf der zweiten und dritten Führungsebene sogar noch zunehmen. Nicht nur an diesem Beitrag, sondern an der deutschen Eliteforschung überhaupt fällt auf, dass es gewissermaßen zum guten Ton gehört, mal zustimmend, mal kritisch Begriffe wie ‚Habitus‘ und ‚kulturelles bzw. soziales Kapital‘ zu diskutieren, die der kürzlich verstorbene französische Star-Soziologe Pierre Bourdieu geprägt hat. Anscheinend ist mit diesem analytischen Instrumentarium dem Gegenstand gut beizukommen.

5. Elitärer Rosenroman
Für das Phänomen ‚Elite‘ hat der Münsteraner Soziologe Sven Papcke ein schönes Bild gefunden: er bezeichnet sie als „Rose mit Dornen“, und er hat sich vorgenommen, darüber „eine Art von soziologischem Roman“ zu schreiben. Wer allerdings auf spannende Lektüre hofft, wird grausam enttäuscht, denn ‚Die Gesellschaft der Eliten‘ ist, mit gnadenlos durchnummerierten 1.801 Anmerkungen, mit allerlei formalen Spielereien und mit einer aufdringlich dargebotenen Gelehrsamkeit, ein nur unter Qualen zu lesender Text. Seltsamerweise wollte Papcke eben das große Publikum nicht ansprechen, das doch in seinem Argumentationszusammenhang eine so entscheidende Rolle spielt. Eliten nämlich hätten in der Vergangenheit versagt, und sie versagten auch noch in der Gegenwart, beklagt er die Kluft, die sich in fast allen Funktionsbereichen mit Elitebedarf zwischen Erwartung und Erfüllung auftut. Die Aufgabe der Kontrolle von Eliten weist er nun der Bevölkerung bzw. den Staatsbürgern zu, also einem weitaus größeren Kreis als demjenigen der akademisch gebildeten Leserschaft. Vermutlich aber rührt Papckes hermetische Schreibweise daher, dass er sich keinen Illusionen über die Bereitschaft der Staatsbürger zu gesellschaftskritischem Engagement hingibt: sie zeigten weder politisches Interesse noch Einsatz, gingen nicht mehr zur Wahl und arbeiteten auch nicht mehr in den Parteien mit; dies erschwere die Wahrung der eigenen Rechte und gefährde die repräsentativen Reste an Demokratie. Weitaus mehr traut Papcke deswegen einem „starken, wenngleich geschröpften Staat“ zu, also einem Staat nicht als Zwangsanstalt, sondern als „Verhandlungsnetzwerk“, dessen Regierungsverwaltung die Entwicklung der Gesellschaft im Auge behalte. In diesem Staat als „Wegbereiter einer gedeihlichen Zukunft“ müsse der für Demokratien notwendige Vorrang der Politik vor der Wirtschaft wieder hergestellt werden, und dazu benötige man nicht nur Macht- oder Funktions-, sondern auch Werteliten, die sich harten Auswahl- und Bewertungsmaßstäben unterwerfen und Führungsqualitäten wie Charakterstärke, Gerechtigkeitssinn und moralische Autorität zeigen sollten. Auch wenn hier viele Fragen offen bleiben - diskussionswürdig ist das allemal, aber rätselhaft an diesem engagierten Plädoyer für den starken Staat und für Werteliten, für Bürgergesellschaft und Gemeinwohl bleibt doch, warum es in einer Sprache vorgetragen wird, die man - im negativen Sinne - als ‚elitär‘ bezeichnen muss.

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