A. Schlüter: Moeller van den Bruck

Cover
Titel
Moeller van den Bruck. Leben und Werk


Autor(en)
Schlüter, André
Erschienen
Köln 2010: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
448 S.
Preis
€ 54,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Max Bloch, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn

Als Dostojewski-Herausgeber hat Moeller van den Bruck die Rezeption des russischen Romanciers in Deutschland nicht nur begründet, sondern auch nachhaltig beeinflusst. Als Verfasser des Buches „Das Dritte Reich“ (1923) irrlichtert sein Name im Nebelfeld dessen, was landläufig als Konservative Revolution bezeichnet wird, und gilt er verschiedentlich als Stichwortgeber und geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus. Schöngeistiger Ästhet auf der einen, völkisch-nationalistischer Pamphletist auf der anderen Seite – beides stand bislang recht unverbunden nebeneinander. Mit dem Begriff der „Ästhetischen Opposition“ (Gerd Mattenklott) hat André Schlüter nun einen Schlüssel gefunden, ästhetisches und politisches Engagement Moeller van den Brucks auf einen Nenner zu bringen und damit auch dem Komplex der Konservativen Revolution näherzutreten, deren „innere Paradoxien“ (S. 333), wie er betont, sich in Moellers politischem Denken paradigmatisch nachzeichnen ließen. Mit der vorliegenden Studie, die er als „intellektuelle Biographie eines Außenseiters“ (S. V) vorstellt, leistet Schlüter somit einen gewichtigen Beitrag zur ideengeschichtlichen Verortung der Neuen Rechten in der Weimarer Republik, deren Wurzeln weit in das Kaiserreich, in Lebensreformbewegung und kulturelle Avantgarde, hineinreichen und die von Moeller maßgeblich inspiriert worden ist.

Am Anfang war Arthur Moeller. So schmucklos war der Name jenes Knaben, der 1876 als Sohn des Baurats Ottomar Moeller und der Bauratstochter Elisabeth, einer geborenen van den Bruck, das Licht der Welt erblickte. So bieder war auch das Umfeld, in dem er aufwuchs und aus dem er floh. Ein junger Rebell, wurde er der Schule verwiesen und bestritt, ohne Schulabschluss, als Gasthörer an der Leipziger Universität ein recht willkürliches „Studium“. Und er schrieb. In den 1890er-Jahren brachte er erste Beiträge in der von Hans Merian herausgegebenen „Gesellschaft“ unter, begeisterte sich für die literarische Moderne und feierte Nietzsches Lebensphilosophie. 1896 zog er nach Berlin, wo er sich dem Friedrichshagener Dichterkreis anschloss, mit Richard Dehmel, Erich Mühsam und Frank Wedekind verkehrte, als Literaturkritiker und Übersetzer reüssierte und sich in der Pose des antibürgerlichen Bohemiens gefiel. Schon damals zeichnete er sich, wie Schlüter schreibt, durch einen ausgeprägten „Unwillen zum abwägenden Urteil“ aus (S. 43), weshalb ihm der sonst wohlmeinende Schriftstellerkollege Michael Georg Conrad 1899 zum Besuch eines „vertrauenswürdigen Nervenarztes“ riet (S. 48).

1902 ging Moeller für einige Jahre nach Paris, wo ihn sein „Auslandserlebnis“ ereilte: In der Fremde – so seine Selbstdarstellung – hätte er zum Eigenen gefunden, zur deutschen „Volklichkeit“. Hier begann er, sich Moeller van den Bruck zu nennen, worin sich mystisches Germanentum ebenso niederschlug wie die Lektüre des von ihm verehrten Rembrandt-Enthusiasten Julius Langbehn. „Deutsch“ wurde ihm zum Kriterium guter Literatur, guter Architektur und guter Kunst. Nicht weniger als einen einheitlichen deutschen Nationalstil wollte er kreieren, wobei deutscher „Stil“ als Antonym zu französischer „Form“ fungierte. Nachdem er sich mit Dehmel, den seine völkische Bekehrung befremdete, überworfen hatte, war es neben Gerhart Hauptmann vor allem Theodor Däubler, den er als „deutsch“ anerkannte, mit dem er sich später aber – aus ähnlichen Gründen – ebenfalls entzweite.1

Moellers bändereiches Mammutwerk über „Die Deutschen“ ebenso wie die 1913 erschienene „Italienische Schönheit“ werden von Schlüter textnah und -kritisch analysiert. Die entsprechenden Kapitel, die fast zwei Drittel des Buches beanspruchen, hätten jedoch durchaus gekürzt werden können. Das diffuse Weltbild, das hierbei zutage tritt, wird von Schlüter als eine „Mischung aus modernistischen, integralnationalistischen und biologistischen Denkfiguren“ (S. 113) charakterisiert, wobei er Moeller zugute hält, kein ausgesprochener Antisemit gewesen zu sein.

Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs war Moeller bereits bekennender Nationalist. In seinem 1916 erschienenen Essay „Der Preußische Stil“, den Schlüter den Bekenntnisbüchern von Thomas Mann („Betrachtungen eines Unpolitischen“, 1918) und Werner Sombart („Händler und Helden“, 1915) zur Seite stellt, entwickelte er ein Mitteleuropakonzept, das an seine Theorie von „jungen“ und „alten“ Völkern anschloss: Der romanische Kulturkreis hätte demnach seinen Zenit längst überschritten; die Zukunft gehöre Deutschen und Russen, die allein die Kraft hätten, der westlichen Dekadenz zu widerstehen und die ihre Ordnungsaufgaben in voneinander jeweils geschiedenen Machtsphären annehmen müssten. Dostojewski wurde zur Beglaubigung dieser deutsch-russischen „Sendung“ bedenkenlos bemüht, wodurch er anschlussfähig wurde für die nationalistische Rechte in Deutschland. Nachdem Moeller aus gesundheitlichen Gründen vom Militärdienst freigestellt worden war, wurde er 1916 in die Militärischen Stelle beim Auswärtigen Amt berufen, wo er – zusammen mit Schriftstellerkollegen wie Waldemar Bonsels, Herbert Eulenberg, Bernhard Kellermann, Börries von Münchhausen, Friedrich Gundolf und Hans Grimm – an der Beeinflussung der neutralen Presse arbeitete. Die militärische Niederlage wertete er vor allem als Folge der alliierten Propaganda, die es besser als die deutsche verstanden habe, die Sache des eigenen Landes als eine Sache universaler Werte auszugeben. Propaganda – diese Lehre zog Moeller aus dem Geschehen – könne kriegsentscheidend sein.

Die Novemberrevolution wurde von Moeller zunächst begrüßt. Dem Wilhelminismus, den er gründlich verabscheute, weinte er keine Träne nach. Erst aus der Zerstörung des Alten – so seine konservativ-revolutionäre Grundargumentation – könne Neues erstehen. Dieses Neue vorzubereiten, gründete er – gemeinsam mit Heinrich von Gleichen, Eduard Stadler und Max Hildebert Boehm – 1919 den jungkonservativen Juni-Klub, dessen „graue Eminenz“ nach Schlüters Ansicht Moeller, nach Meinung Gerd Koenens jedoch der Freiherr von Gleichen gewesen sei.2 Die Feindbestimmung war indes klar: gegen Versailles, gegen den Westen, gegen Parteien und Parlamentarismus, die „Zerrüttung und Zwieschaft“ (S. 349) schüfen. Die Lösung erkannte Moeller in jenem nebulösen „Dritten Reich“, das er 1923 in seinem wohl bekanntesten Werk umriss und um das nach seinem Freitod 1925 ein publizistischer Erbfolgekrieg entbrannte, den Schlüter zitaten- und kenntnisreich nachzeichnet. Moellers Werk und Werkgeschichte – vor allem die Bemühungen seiner Witwe um eine nationalsozialistische Lesart seiner Schriften – bettet er überzeugend in den Kontext der Konservativen Revolution und ihrer, nicht unproblematischen, Berührungspunkte mit der als „ungeistig“ verachteten nationalsozialistischen Bewegung ein.

1933 war die Zeit des Jungkonservativismus abgelaufen, was Schlüter am Schicksal Edgar Julius Jungs und Ernst Niekischs, zweier bekennender Moellerianer, exemplifiziert. Der Nationalsozialismus hatte seine elitär-avantgardistischen Verbündeten nun nicht mehr nötig. Das spiegelte sich auch in der parteioffiziösen Bewertung Moeller van den Brucks, dessen Werk seit 1930 eine posthume Renaissance erlebte, wider: Er erschien nun nicht länger mehr als „Seher und Künder des Dritten Reiches“, zu dem ihn seine Frau und sein Herausgeber machen wollten, sondern als „letzter Konservativer“ (S. 402). Insbesondere seine mangelhafte Rasseauffassung, fehlender Antisemitismus, auch sein Flirt mit dem Nationalbolschewismus wurden ihm zur Last gelegt. Moeller wurde wieder, als was er sich zeitlebens empfand: ein Außenseiter. Der Einfluss seines Werkes auf den konservativ-militärischen Widerstand wird von Schlüter gegen Ende seiner lesenswerten Studie angedeutet, wobei er das Paradox erwähnt, dass Moeller „Ideengeber sowohl der Nationalsozialisten als auch ihrer nationalkonservativen Gegner“ gewesen sei (S. 403). Eine Neubewertung Moellers legt Schlüter somit nicht vor, wohl aber eine solide Grundlage für sich anschließende Diskussionen. Er schließt mit der Feststellung, dass Moeller „heute zu Recht als eine problematische Gestalt der deutschen Geistesgeschichte“ gewertet werde (S. 404). Zu seiner Historisierung trägt Schlüter mit Sachverstand und maßvollem Urteil bei.

Anmerkungen:
1 An dieser Stelle wäre ein Verweis auf Carl Schmitt angebracht gewesen, der ebenfalls ein Jünger Däublers gewesen ist und dessen politisches Denken interessante Parallelen zu Moellers Gedankenwelt aufweist; vgl. hierzu: Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biographie, München 2009.
2 Gerd Koenen, Der Russland-Komplex. Die Deutschen und der Osten 1900-1945, München 2005, S. 323.

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