I. Schmidt-Voges u.a. (Hrsg.): Pax perpetua

Cover
Titel
Pax perpetua. Neuere Forschungen zum Frieden in der Frühen Neuzeit


Herausgeber
Schmidt-Voges, Inken; Westphal, Siegrid; Arnke, Volker; Bartke, Tobias
Reihe
Bibliothek Altes Reich 8
Erschienen
München 2010: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
389 S.
Preis
€ 54,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Arnold Heuser, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Der Band enthält die überarbeiteten Beiträge zu einer wissenschaftlichen Tagung an der Universität Osnabrück, die sich 2008 die Aufgabe stellte, das ‚Jubiläum eines Jubiläums‘ zu begehen: Ein Jahrzehnt, nachdem der 350. Jahrestag des Westfälischen Friedens von 1998 mit einer Europaratsausstellung in Münster und Osnabrück, mit Ausstellungen in Paris, an mehreren niederländischen Standorten und in Basel, mit Kongressen und Veranstaltungen in mehreren Ländern Europas sowie mit einer Vielzahl von Publikationen begangen und gewürdigt worden war, zog die Osnabrücker Tagung Bilanz und warf im kritischen Rückblick die Frage auf, ob und inwiefern das Jubiläum von 1998 der Erforschung des Friedens in der Frühen Neuzeit nachhaltige Impulse geben konnte und – wenn ja – „in welchen Bereichen die im Zusammenhang mit dem Jubiläum entwickelten Thesen und Ideen zur Bedeutung des Westfälischen Friedens fortgewirkt haben“ (S. 7).

Als Tagungsband legen die beiden Veranstalterinnen Siegrid Westphal und Inken Schmidt-Voges eine facettenreiche und höchst anregende Aufsatzsammlung vor, welche die thematische Vielfalt und die methodische Breite einer historischen Friedensforschung im Jahrzehnt zwischen 1998 und 2008 auslotet, in deren Zentrum die drei Jahrhunderte der europäischen Frühneuzeit zwischen 1500 und 1800 stehen.

In Sektion I „Rückschau und Perspektiven“ blickt Heinz Duchhardt eingangs aus der kritischen Distanz eines Jahrzehnts auf das Gedenkjahr zurück. In seiner bewusst subjektiv gehaltenen Würdigung hebt Duchhardt drei Themenfelder hervor, auf denen die Publikationen von 1998 neue Akzente gesetzt haben: 1. die „Erforschung der kulturalistischen Seite des Westfälischen Friedens“ (S. 22), insbesondere der Festkultur des Friedenskongresses und der Friedensfeste, die nach dem Vertragsschluss einsetzten, inklusive ihrer symbolischen Formen und des symbolischen Handelns der Akteure; 2. die Erforschung „der reichsstaats- und völkerrechtlichen Strahlkraft der beiden ‚Instrumenta pacis‘ von 1648“ (S. 24f.); 3. die Ermittlung, Erhebung und Zugänglichmachung von Ego-Dokumenten aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs und des Westfälischen Friedenskongresses. Diese erschließen eine mikrohistorische Perspektive, die Duchhardt für „durchaus geeignet“ erklärt, um „auch auf die makrohistorischen Zusammenhänge vielfältiges neues Licht zu werfen“ (S. 26).

Johannes Burkhardt steuert unter dem Titel „Die Entfesselung des Friedens“ ein thesen- und standpunktreiches Plädoyer für einen „Aufbruch der historischen Friedensforschung“ in Deutschland bei: einen „Aufbruch“, der über den ‚inner circle‘ der historischen Frühneuzeitforschung hinaus Wirkung zu entfalten vermag. Burkhardt verweist eingangs auf die reichhaltigen Anregungen, die eine historische Friedensforschung, die sich auf die drei Jahrhunderte zwischen 1500 und 1800 konzentriert, auch für eine gegenwarts- und zukunftsorientierte Friedens- und Konfliktforschung bereithält, und betont das besondere „Potential“, das Friedensprozesse der Frühen Neuzeit für eine „neue Friedenskultur“ in unserer Gegenwart besitzen (S. 31). Angesichts eines „Schubs der Kriegs- und Schlachtenforschung“, die Burkhardt seit dem Gedenkjahr diagnostiziert, sei in der aktuellen Geschichtswissenschaft „schon die Thematisierung des Friedens in der Geschichte eine kritische Tat und ein wichtiges Korrektiv“ (S. 30). Potentiale, welche die Frühe Neuzeit für eine „neue Friedenskultur“ biete, sieht Burkhardt insbesondere auf zwei Feldern: 1. im Friedenspotential staatlicher, zwischen- und überstaatlicher Organisationen (S. 31–37), deren Aufbau, angetrieben durch das Streben nach einer „friedensfähigen Staatenwelt“ (S. 37), ein zentrales Anliegen frühneuzeitlicher Friedensprozesse war: in der politischen Praxis diplomatischer Friedensaushandlung ebenso wie im Theoriediskurs der Friedensutopien oder der Rechtswissenschaft, schließlich im Verfassungsdiskurs über die spezifische Friedenstauglichkeit zentralstaatlicher oder föderaler Strukturen, über Souveränität und staatliches Gewaltmonopol versus überstaatliche partizipatorische Strukturen; 2. in der Entwicklung einer „Sprache des Friedens“ und eines Instrumentariums zur Friedensschaffung und Friedenswahrung, die sich auf den großen Friedenskongressen der Frühen Neuzeit vollzog und in den Friedensverträgen ausformuliert vorliegt (S. 37–42). Die Friedensverträge der Frühen Neuzeit empfiehlt Burkhardt deshalb als „Meilensteine auf dem Weg zu einer europäischen Friedenssprache“ (S. 37) der besonderen Aufmerksamkeit historischer Friedensforschung und verweist auf die Aufgabe künftiger Studien, „die kommunikative und mediale Leistung von Friedensschlüssen und -verträgen“ der Frühen Neuzeit zu erfassen (S. 38). War es doch „keineswegs selbstverständlich, sondern eine kulturelle Errungenschaft, dass der Friede [in der europäischen Frühneuzeit] als die europäische Norm Geltung erlangte, der Krieg aber als temporäre Abweichung, wenn auch eine allzu häufige, einer Begründung bedurfte“ (S. 42). Um öffentlich Gehör zu finden, fordert Burkhardt die historische, „vom Westfälischen Frieden beflügelte“ (ebd.) Friedensforschung zur europäischen Frühneuzeit auf, drei Grenzen oder Mauern zu überwinden: eine epochale, eine disziplinäre und eine nationale Grenze (S. 42–48). Epochal tue vor allem der Schulterschluss mit der Neueren Geschichte und der Zeitgeschichte Not. Disziplinär seien Fachgrenzen zu überwinden, vor allem zur Politikwissenschaft. Außerdem müsse sich die deutschsprachige Forschung der Internationalisierung der Forschungslandschaft stellen, vor allem durch ein geschickteres Übersetzungsmanagement hin zur Verkehrssprache Englisch.

Nachfolgend berichtet Maximilian Lanzinner über Leistungen und Perspektiven des Akademienprojekts der „Acta Pacis Westphalicae“ seit dem Jubiläumsjahr 1998. Martin Peters stellt das Projekt „Europäische Friedensverträge der Vormoderne – online (1450–1789)“ am Institut für Europäische Geschichte in Mainz vor. Aus der rückblickenden Perspektive nur weniger Jahre, die seit dem Erscheinen der Tagungsbeiträge vergangen sind, verweist sein Beitrag auf ein Grundproblem wissenschaftlicher Online-Publikationen, die mit einem beachtlichen Aufwand an öffentlichen Geldern realisiert werden, aber für deren dauerhaft erforderliche Pflege keine oder nur ganz unzulängliche personelle und finanzielle Ressourcen bereitstehen: Schon jetzt ist ein Großteil der Verlinkungen veraltet und führt ins Leere, so dass diese Plattform aktuell (April 2016) nur noch eingeschränkt nutzbar ist. Renger E. de Bruin und Alexander Jordan blicken schließlich unter der Frage, wie das Gedenkjahr von 1998 künftige Friedensgedenken beeinflusst, auf die für 2013/14 geplanten Veranstaltungen zum Gedenken an die Friedensschlüsse von Utrecht, Rastatt und Baden voraus.

Sektion II ist dem Westfälischen Frieden von 1648 gewidmet. Eingangs stellt Michael Rohrschneider „Neue Tendenzen der diplomatiegeschichtlichen Erforschung des Westfälischen Friedenskongresses“ zusammen. Ralf-Peter Fuchs berichtet aus seinen Forschungen zu den Normaljahresverhandlungen des Kongresses, die er als einen moralischen Diskurs vorstellt. Christoph Kampmann wendet sich mit seinem Beitrag „Der Ehrenvolle Friede als Friedenshindernis“ der Bedeutung von Ehrkonzepten für ein Verständnis der Mächtepolitik im Dreißigjährigen Krieg zu. Kerstin Weiand studiert am Beispiel Hessen-Kassels reichsständische Zielkonzeptionen auf dem Westfälischen Friedenskongress. Frank Kleinehagenbrock beleuchtet „Die Wahrnehmung und Deutung des Westfälischen Friedens durch Untertanen der Reichsstände“.

Die Sektion III „Vorstellungen von Frieden, Sicherheit und Ordnung in frühneuzeitlichen Gesellschaften“ informiert anhand laufender Forschungsprojekte über aktuelle Arbeiten zu den sozial- und kulturgeschichtlichen, rechts- und ideengeschichtlichen Dimensionen einer historischen Friedensforschung. Eingangs stellt Inken Schmidt-Voges ihre Studien zum Friedensbezug des Hauses, der basalen Sozialform frühneuzeitlichen Zusammenlebens, zur Debatte und plädiert auf Basis ihrer Untersuchung häuslicher Konflikte im frühneuzeitlichen Osnabrück „für eine Ausweitung des politischen Friedensbegriffs in der Frühen Neuzeit“. Volker Arnke und Tobias Bartke widmen sich der Frage, wie juristische Fachsprache und juristisch-universitärer Fachdiskurs im politisch-diplomatischen Aushandlungsprozess großer Friedenskongresse der europäischen Frühneuzeit wirksam wurden: Arnke erläutert am Beispiel der Schrift „De pace in genere“ des Wittenberger Juristen Nicolaus Schaffshausen, die zwischen 1629 und 1640 drei Auflagen erlebte, Friedenskonzepte, welche die Reichspublizistik zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges entwickelte; Bartke studiert friedenspolitisch relevante Aspekte schwedischer Rechtsreformen um 1600. Therese Schwager integriert einen ideengeschichtlichen Ansatz, indem sie Aspekte konzeptioneller Friedenssicherung im Werk des Späthumanisten Claude de Saumaise betrachtet.

In der abschließenden Sektion IV „Zwischenstaatlicher Frieden in der Frühen Neuzeit“ gibt Martin Peters einen Werkstattbericht über seine Studien zum Missverständnis als einer „Kategorie im europäischen Friedensprozess der Vormoderne“. Regina Dauser analysiert den kaiserlichen Vorrang in europäischen Friedensverträgen des 17. und 18. Jahrhunderts. David Onnekink erforscht anhand der niederländischen Außenpolitik religiöse Dimensionen der internationalen Beziehungen um 1700. Und am Ende weitet Andrea Weindl den Blick auf „das europäische Völkerrecht und die außereuropäische Welt“ aus.

Inken Schmidt-Voges und Siegrid Westphal leiten unter der Überschrift „Der Immerwährende Frieden als immerwährende Herausforderung“ in den Tagungsband ein. Ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren schließt den Band ab. Auf Personen- und Sachregister, die einen schnellen Zugriff auf Details ermöglicht hätten, wurde leider verzichtet. Die Herausgeberinnen und Herausgeber legen eine inhaltlich vielseitige, methodisch reflektierte und inspirierende Zwischenbilanz und Leistungsschau historischer Friedensforschung zur europäischen Frühneuzeit vor. Die Lektüre des Bandes ist ein ‚Muss‘ für jeden, der künftig zu Aspekten von Krieg und Frieden in der Frühen Neuzeit arbeitet. Der Tagungspublikation sei deshalb eine breite Rezeption gewünscht, auch über die Zunft der Frühneuzeithistorikerinnen und -historiker hinaus.