I. Löhr: Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte

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Titel
Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte. Neue Strukturen internationaler Zusammenarbeit 1886–1952


Autor(en)
Löhr, Isabella
Reihe
Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 195
Erschienen
Göttingen 2010: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
342 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Monika Dommann, Universität Basel

Irgendwann musste es ja geschehen. Plötzlich ertappte ich mich dabei, wie meine Finger auf die kleinformatige Fotografie auf dem Buchdeckel geglitten waren. Die Verunsicherung glich jenem Zaudern beim Stolpern auf einer Stiege. Meine auf elektronischen Leseroberflächen kalifornischen Ursprungs eingeschliffenen Fingertechniken hatten ins Leere gegriffen. Die Fotografie mit den Männern in Anzügen mit eigenartig groß anmutenden Jacketts, an Tischen mit Papierstapeln, Schreibtischunterlagen und Aschenbechern widersetzte sich meinem Blow-up-Versuch.

Isabella Löhrs am Institut für Kulturwissenschaften in Leipzig entstandene Dissertation widmet sich nicht bloß einem Kapitel bislang vernachlässigter Diplomatiegeschichte (jenseits der traditionellen Diplomatie), sondern auch einem zentralen Aspekt in der Geschichte des Buches: der für den internationalen Handel mit Büchern prägenden räumlichen Ausdehnung und inhaltlichen Harmonisierung von Urheberrechten, Copyrights und Droits d’Auteur. Diese lange bloß unter Experten diskutierten Rechtsbereiche sind gerade im Zusammenhang mit den gegenwärtigen elektronischen Umbrüchen des Verlagswesens und den in Konkurrenz zum Buch tretenden neuen Medien erstmals in die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit gerückt.

Die ersten nationalen Gesetze zum Schutz von Autoren entstanden im 18. Jahrhundert. Ihre gesetzliche Verankerung ist nicht frei von Ironie, wenn man bedenkt, dass gerade die Französische Revolution einen großen Anteil an der Durchsetzung und Verbreitung geistiger Eigentumsrechte hatte, obwohl sie gleichzeitig gerade von der Verbreitung ihrer Ideen durch illegale offshore-Buchdruckereien profitiert hatte.1 Im 19. Jahrhundert wurde die nationale Begrenzung der Gesetze von Staaten mit ökonomisch bedeutsamen Buchindustrien (insbesondere Großbritannien, Frankreich und Deutschland) zunehmend als Regulierungslücke wahrgenommen, welche sie mit bi- und multinationalen Handelsverträgen zu schließen versuchten – mit begrenztem Erfolg. Insbesondere die zunehmend als Buchpirat gebrandmarkten Vereinigten Staaten ließen den Nachdruck ausländischer Drucksachen durch das einheimische Gewerbe mit Rekurs auf Förderung der Wissenschaft und der Künste und der Stärkung des inländischen Druckereien gewähren und verfolgten als Kulturimporteur eine andere Strategie des kulturellen und ökonomischen Protektionismus als die alten Literaturexporteure in Europa.2

Der erste Teil von Isabella Löhrs Studie ist der 1886 gegründeten Berner Konvention gewidmet. 1858 von Schriftstellern, Wissenschaftlern, Künstlern, Musikern, Verlegern und Juristen in Brüssel initiiert, garantierte sie die multilaterale Anerkennung von Autorrechten und operierte dabei in Krieg und Frieden von einem ständigen Büro in der neutralen Schweiz aus. Das Fernbleiben der USA (sowie des russischen Reiches bzw. der Sowjetunion) manifestierte jedoch schon bald Löcher im anvisierten geschlossenen System von Autorrechten. Löhr analysiert diese Konvention als ein Beispiel für die im 19. Jahrhundert entstandenen Verwaltungsunionen, die für die Politikgeschichte und die politische Philosophie deshalb von Interesse sind, weil sie auf die Frage nach der Steuerbarkeit von Politik, Recht und Wirtschaft im Zuge der ersten Globalisierung zielen. Hierbei stellt sich die grundlegende Frage, welche die Lektüre von Löhrs Studie so anregend macht, ob die Internationalisierung des Rechts einen Akt der Reterritorialisierung darstellte, um die staatliche Kontrolle auch grenzüberschreitend auszuüben und auf nationaler Ebene zu sichern und steuerbar zu halten, oder ob die neuen internationalen Kooperationen dabei eine Eigendynamik jenseits der nationalen Kontrollmechanismen entwickelten. Dabei geht es auch um eine Situierung neuer Formen internationaler Zusammenarbeit zwischen den traditionellen Mitteln der Diplomatie und den neuen Foren des Expertentums und der Bürokratie, in deren Dienst die Herren auf der eingangs erwähnten Fotografie zusammenkamen.

Im Fall der Berner Konvention blieb die Befugnis Recht zu sprechen weiterhin bei den souveränen Mitgliedstaaten, die dieses Recht mittels Revisionskonferenzen und der Ratifizierung der Konvention ausübten. Andererseits gelang es dem Berner Büro auch während der beiden Weltkriege seinen Betrieb aufrechtzuerhalten, wobei es hierbei auf die Unterstützung der nationalen und internationalen Autoren- und Verlegerverbände zurückgreifen konnte, ein Umstand der auf die starke Interessengebundenheit der Konvention hinweist. Hierbei manifestiert sich ein grundlegendes Problem von Politik in der Moderne: Sie bedarf des Expertenwissens und gerät dabei in Abhängigkeiten von den organisierten Interessen der Experten.

Dass die neuen Formen der Zusammenarbeit jedoch auch weiterhin den Instrumenten der Weltpolitik unterworfen blieben, zeigte sich besonders deutlich nach dem Ersten Weltkrieg, als die Friedensverträge die Autorrechte explizit aus dem neutralen Rahmen der internationalen Verwaltungsunion lösten und in den Kontext von Reparation und politischer Bestrafung einordneten. Im internationalen Buchhandel wurde dann allerdings weniger heiß gegessen, als an den Verhandlungstischen ursprünglich gekocht worden war: Die alten Verlagsverträge behielten auch in den 1920er-Jahren ihre unbestrittene Gültigkeit.

Im zweiten und dritten Teil rückt die Autorin die 1920er-und 1930er-Jahre in den Fokus und geht dabei auf die bislang noch kaum beachteten Bemühungen der Berner Konvention ein, ihre Limitierung als exklusiv europäischer Club zu überwinden und globale Rechtsstandards zu etablieren. Denn die flächenmäßige Ausdehnung der Konvention in Afrika und Asien hatte sie dem Kolonialismus zu verdanken, das heißt dem Umstand, dass weite Teile Afrikas und Asiens (mit Ausnahme von Japan) dem Vertrag qua politischer und rechtlicher Abhängigkeit vom Mutterland angehörten, währendem beinahe der gesamte amerikanische Kontinent (mit Ausnahme von Brasilien, Haiti und Kanada) dem Vertrag fern blieb, beziehungsweise seit 1889 in eigenen (das heißt südamerikanischen, zentralamerikanischen und pan-amerikanischen) Urheberrechts- und Copyrightabkommen regelte.

Die Versuche der Berner Konvention von den USA mehr abzutrotzen als jene seit 1891 gewährten bilateralen Verträge, die den Copyrightschutz der Werke ausländischer Autoren davon abhängig machten, dass sie durch amerikanische Setzmaschinen auf amerikanischen Boden gedruckt wurden, liefen in den 1930er-Jahren endgültig ins Leere. Demgegenüber war der 1922 gegründeten Kommission für geistige Zusammenarbeit des Völkerbundes (bzw. ihre Unterkommission für geistiges Eigentum) im Süden Amerikas mehr Erfolg beschieden, zumindest wenn man die Auswirkungen dieser Bemühungen über den Zweiten Weltkrieg hinaus längerfristig als Wegbereiter für die Regelwerke der UNESCO betrachtet, wie dies Isabella Löhr tut. Dahinter steht eine von den politischen Wissenschaften entliehene Vorstellung von global governance, als ein unter der Oberfläche staatlichen Regierungshandelns operierendes Regieren mit und ohne Regierung.

Die Gründung des Instituts für Geistige Zusammenarbeit im Jahr 1926 in Paris stand anfänglich durchaus in Konkurrenz zum Berner Büro, konnte sich jedoch zu Beginn der 1930er-Jahren ein eigenes Profil erarbeiten, das auf eine enge Vernetzung mit Berufsverbänden, Rechtsexperten und diversen internationalen Organisation setzte, der Rechtsannäherung zwischen Europa und Amerika Priorität zusprach, und dabei auf die Vermittlung Brasiliens zählen konnte. Ihre Schlagkraft war dennoch begrenzt und stets davon abhängig, dass die beteiligten Staaten bereit waren, eine internationale Konvention zu unterzeichnen und zu ratifizieren.

Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Paris im Jahr 1940 floh ein Großteil der Mitarbeiter des Instituts für Geistige Zusammenarbeit ins Ausland, und ihr Direktor versuchte durch Unterstützung der Rockefeller Foundation von den USA aus die Institutsaktivitäten am Leben erhalten. Angesichts der von Löhr erstmals minutiös untersuchten Aktivitäten des Instituts für Geistige Zusammenarbeit drängt sich der Gedanke auf, dass das Jahr 1940 vielleicht als eigentliches Kippjahr in der Geschichte des internationalen Copyrights bezeichnet werden müsste, weil von nun an Tempo, Rhythmus und Melodie dieses Rechtsbereiches von den USA aus geprägt wurden.3 Die 1945 unter Ägide der USA als Sonderorganisation der UNO gegründete UNESCO wird von Löhr als Fortsetzung der Kommission für geistige Zusammenarbeit des Völkerbundes verstanden, obwohl sie schließlich 1952 in eine eigene, im Vergleich zur Berner Konvention reduzierte Weltkonvention – der Universal Copyright Convention – mündete, und damit auch in Konkurrenz zur Berner Konvention trat.

Es ist Isabella Löhr in der vorliegenden empirisch dichten Studie hervorragend gelungen, rechtswissenschaftliche Problemfelder äußerst produktiv an die Fragestellungen der Kulturwissenschaften heranzuführen. Dass sie dabei eine Kontinuität der Entwicklungen im globalen Urheberrecht unterstreicht, die Handlungsspielräume der von ihr untersuchten Organisationen und Netzwerke stark macht und dabei die Diskontinuitäten und auch begrenzten Steuerungsmöglichkeiten staatlichen und nichtstaatlichen Handelns angesichts neuer medialer Konstellation nicht auch noch im Detail untersuchen kann, ist der prägnanten Studie keinesfalls zum Vorwurf zu machen. Diese Perspektivierungen der Arbeit werden im Schlusswort selbstkritisch reflektiert. Man folgt der Autorin bis zum Schluss interessiert bei ihren Erkundungen hinter die Türen staatlicher und parastaatlicher Konferenzen und erfährt einiges über den Inhalt jener Papierstapel, die auf der eingangs erwähnten Fotografie von den Männern mit Anzügen verfasst und diskutiert werden.

Anmerkungen:
1 Vgl. Robert Darnton, The Forbidden Best-Sellers of Pre-Revolutionary France, New York 1995; kritisch hierzu: Haydn T. Mason (Hrsg.), The Darnton Debate. Books and Revolution in the Eighteenth Century, Oxford 1998.
2 Catherine Seville, The Internationalisation of Copyright Law. Books, Buccaneers and the Black Flag in the Nineteenth Century, Cambridge 2009.
3 Zu den Debatten in den USA in den 1930er-Jahren aus medienhistorischer Sicht vgl.: Monika Dommann, Recording Prints, Reading Films. Mikrofilme, amerikanische Kosmopoliten und die Entdeckung des Copyrightproblems in den 1930er Jahren, in: Zeitschrift für Medienwissenschaft 2 (2010) 2, S. 73–83.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/