Christoph Merian Stiftung (Hrsg.): Historischer Atlas der Region Basel

Cover
Titel
Historischer Atlas der Region Basel. Geschichte der Grenzen


Herausgeber
Christoph Merian Stiftung; Salvisberg, André
Erschienen
Anzahl Seiten
208 S.
Preis
€ 36,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Bode, Didaktik der Geschichte, Justus-Liebig-Universität Gießen

Geschichtskarten vermitteln oft ein Gefühl der Objektivität und Eindeutigkeit, indem sie den Anspruch erheben, Grenzräume lagegetreu unter Berücksichtigung der geopolitischen Gegebenheiten und unter Verwendung kartographischer Hilfsmittel differenziert sichtbar zu machen. Gerade die Frage nach Grenzen und ihren Räumen stellt Kartenautoren bzw. Kartenredaktionen vor eine besondere Herausforderung, denn sie müssen nicht nur die facettenreichen Begriffsverwendungen beachten, sondern auch die Wandelbarkeit, Durchlässigkeit und Willkürlichkeit von Grenzen 1 mit Hilfe der kartographischen Grundelemente Punkt, Linie und Fläche visualisieren. Schließlich birgt der Grenzbegriff eine Vielfalt an Differenzierungen, die von politischen und historischen Grenzen über kulturelle-, ethnische-, und Sprachengrenzen bis hin zu mentalen Grenzen reichen.2 Der „Historische Atlas der Region Basel“ rückt genau jene Grenzen in den Mittelpunkt seiner Darstellung. Von den Kartenmachern musste vor allem die Schwierigkeit gemeistert werden, die Geschichte dieser Region im Raum abzubilden bzw. die Geschichte der Grenzen mit dem Repertoire des Kartographen zu erzählen.3

Die Aufgabe gelang unter anderem durch eine Dreiteilung des Kartenteils: Die 64 neu entworfenen und gestalteten Geschichtskarten verteilen sich auf die Kapitel „Region“, „Territorien“ und „Themen“ und werden jeweils von einem erläuternden Text ergänzt. Dabei wurde ein äußerst breites Spektrum an Gegenständen und Themen ausgewählt und in der Frage der Wahl der Zeitpunkte und Zeitschnitte auch gegen allgemeine Sichtweisen und Konventionen vorgegangen. Der erste Teil „Region“ (S. 49) knüpft bei gleichbleibendem Kartenausschnitt an Schlüsselereignisse oder Verdichtungsphasen der politischen Geschichte an und bricht in einer Rückwärtsbewegung mit der Gewohnheit des chronologischen Voranschreitens vieler Geschichtsatlanten. Unter „Territorien“ (S. 99) wurden die die Geschichte der Region Basel prägenden Zeiträume dargestellt, wie zum Beispiel die Dauer der Zugehörigkeit zum Fürstbistum Basel (S. 105ff.) oder zur Markgrafschaft Baden (S. 119). Maßstab und Ausschnitt der Karten wechseln nach Bedarf und sind dem jeweiligen Zeitzuschnitt angepasst. Die Auswahl spiegelt somit die Territorialentwicklung wider, knüpft aber auch an Fragen der Geschichtsschreibung und des gegenwärtigen Geschichtsbewusstseins an. Der letzte Teil „Themen“ (S. 151) greift unterschiedliche Themenfelder der Geschichte der Region Basel heraus und visualisiert beispielsweise Sprach- oder Stadtentwicklung, Verteilung der Konfessionen, Industrie oder den Eisenbahnbau. Genutzt werden dabei unterschiedliche Zeit- und Perspektivzuschnitte, sowohl in kleinem Maßstab, wie zur „Stadtentwicklung Basels 800-1400“ (S. 159), oder in großem Maßstab, wie bei der Karte „Europa vom Westfälischen Frieden bis zur Französischen Revolution“ (S. 175).

Die Kartengestaltung wurde von Camillo Kohli unter Berücksichtigung der notwendigen Generalisierungen und Überlegungen der didaktischen Reduktion gelungen realisiert. Vor allem durch die penible Einbeziehung der Topografie wird dieser Atlas den höchsten Ansprüchen gerecht, um auch geographisch einen vollständigen Blick auf die Region Basel werfen zu können. Dazu trägt genauso der begrenzte Einsatz von bildhaft-symbolischen Signaturen bei, denn die Geschichtskarten wirken so nicht überfrachtet und der Einsatz von wenigen abstrakten Kartenzeichen erleichtert die Entschlüsselung durch den Rezipienten.

Den einzigen Wermutstropfen stellen die letzten drei Karten zur Geschichte Mitteleuropas dar, da hier die enorme zeitliche und thematische Verdichtung (etwa „Europa 1918-2010“, S. 179) ein sehr hohes Maß an Kartenkompetenz verlangt. Ferner ist die eigentliche Karteninterpretation an dieser Stelle auch nur durch die kontextualisierende Wirkung des beigefügten Textes möglich, da die Karte selbst hier eine Vielzahl von Fragen offen lässt.

Zur Einführung: André Salvisberg erklärt in seiner für den Einstieg in den Atlas hilfreichen Einleitung, dass „der Raum um Basel […] vom Zusammentreffen verschiedenster staatlicher und substaatlicher Grenzen geprägt [ist]“ (S. 15). Die Region Basel „zeichneten und zeichnen sowohl etliche Grenzziehungen als auch hartnäckige Grenzüberschreitungen aus“, so Salvisberg (S. 15).

Geschichtskarten sind hier wie geschaffen, um die Geschichte dieses kleinteiligen Großraums zu verstehen und einen Einstieg in die Beschäftigung mit der Regional- aber auch der europäischen Geschichte dieser Region zu bekommen. Adressaten sind demnach nicht nur Kenner dieses historisch-geographisch interessanten Raumes, sondern auch Interessierte, die für die Visualisierung der Geschichte Mitteleuropas in Karten aufgeschlossen sind und gerne den nationalen Blickwinkel verlassen möchten.

Wie wichtig das Medium Karte nicht nur für die Schweizer Geschichte ist, zeigt Martin Rickenbacher in einem der Einleitung angeschlossenen historischen Abriss zur Geschichte des Messens, Kartierens und der für die Rezeptionsforschung wichtigen Verbreitung von Karten. Der Überblick zur Einführung führt durch fünfhundert Jahre Kartengeschichte der Region Basel, ist ausführlich mit Karten belegt und beschreibt gekonnt die miteinander verklammerte Entwicklung von technischem Fortschritt in der Landesaufnahme und geographischem Wissen sowie den leitenden Hintergründen der Kartenproduktion (S. 21). Auf diese Weise erfolgt auch die methodische Anbindung an die Geschichtskarte der Gegenwart, denn die Unterscheidung zwischen dem Medium als Quelle und dem Medium als Mittel zur Darstellung von Geschichte ist für den Umgang mit und das Verständnis von Geschichte in Karten wichtig.

Der Blick auf die Grenzen der Region Basel zeigt, dass sich hinter deren abstrakten und generalisierten kartographischen Visualisierung hochverdichtete historische Prozesse und Ereignisse verbergen, die ohne Dekonstruktion und Interpretation nicht erzählt werden können. Dieses ist sowohl vom Vorwissen als auch von der spezifischen Kartenkompetenz des Kartenlesers bzw. Kartennutzers ebenso abhängig wie von der medialen Kontextualisierung. Hier helfen die von zahlreichen Autoren verfassten Texte und ein im Anhang angefügtes Glossar. Die Beiträge zu den Geschichtskarten sind präzise auf den Punkt formuliert und regen durch wichtige Literaturhinweise an, sich über die Lektüre des Atlas hinaus mit den präsentierten Karten und Themen zu beschäftigen.

Nichtsdestotrotz muss an dieser Stelle die besondere Historizität von Karten betont werden. So verdeutlichen etwa mittelalterliche Kartenprodukte, dass das Wissen um die zeitgebundene Wahrnehmung von Raum sich in jeweils spezifischen Repräsentationen niederschlägt.4 Auch Geschichtskarten werden als selective representations of reality5 verstanden. Der Geograph Denis Wood begründet dies damit, dass in Wirklichkeit in allen Karten Grundannahmen und gesellschaftliche Konventionen stecken.6 Karten besitzen demnach nicht nur eine eigenständige Kodierung, welche wie ein Text interpretiert werden kann, sondern sind auch ein Medium voller Botschaften und Ideologien mit hohem Manipulationscharakter. Ein in dieser Form gestalteter Geschichtsatlas kann deshalb helfen, Kompetenzen in der Kartenarbeit zu erlangen, um vielleicht auch junge Menschen für die Arbeit mit Geschichtskarten zu begeistern. Das Kartenwerk ist somit ein wertvoller Beitrag, den Umgang und die Beschäftigung mit Karten zu vertiefen.

Der Atlas ist sowohl für Leser konzipiert, die über die Regionalgeschichte des Raums Basel mehr wissen möchten, als auch für Interessierte, die gerne durch Atlanten blättern und für unterschiedliche Konzepte in der Vermittlung von räumlichen historischen Wissen in Karten aufgeschlossen sind. Der „Historische Atlas der Region Basel“ liefert neben einer historischen Betrachtung der Region Basel letztlich auch ein mit dieser Erzählung verbundenes Stück der Geschichte Europas, welche sich nicht nur auf einzelne Karten und Errungenschaften beschränkt, sondern auch Zusammenhänge schildert.

Anmerkungen:
1 Vgl. Uta Weinbrenner, Europas Grenzen. Anregung zu ihrer Darstellung in Schulbüchern der Geographie, in: Internationale Schulbuchforschung Heft 1 ( 1996), S. 65-79 hier S. 65.
2 Weinbrenner, Europas Grenzen; Etienne François / Jörg Seifarth / Bernhard Struck (Hrsg.), Die Grenze als Raum, Erfahrung und Konstruktion. Deutschland, Frankreich und Polen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2007; Hans Lemberg (Hrsg.), Grenzen in Ostmitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert. Aktuelle Forschungsprobleme, Marburg 2000.
3 Vgl. Vadim Oswalt, Wie Geschichte zweidimensional wird, in: Christof Dipper / Ute Schneider (Hrsg.), Kartenwelten. Der Raum und seine Repräsentation in der Neuzeit, Darmstadt 2006, S. 26-41.
4 Vgl. Ute Schneider, Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute, Darmstadt 2006, S. 7.
5 Vgl. Jeremy Black, Maps and Politics, London 1997, S. 11.
6 Vgl. Denis Wood, Die Macht der Karten, in: Spektrum der Wissenschaft 11 (1993), S. 66-72.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension