I. Karabelas: Freiheit statt Sozialismus

Cover
Titel
Freiheit statt Sozialismus. Rezeption und Bedeutung Friedrich August von Hayeks in der Bundesrepublik


Autor(en)
Karabelas, Iris
Erschienen
Frankfurt am Main 2010: Campus Verlag
Anzahl Seiten
250 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ralf Ptak, Universität zu Köln

Das Buch von Iris Karabelas, das als ideengeschichtliche Dissertation im Fach Zeitgeschichte entstanden ist, stellt sich der anspruchsvollen Aufgabe, die Wirkungsmächtigkeit des Werkes von F.A. von Hayek in Westdeutschland von den 1930er-Jahren bis in die 1980er-Jahre zu untersuchen. Auch wenn der spezifisch-disziplinäre Zugang etwas unscharf als "neues Feld" der Westernisierungsforschung (S. 21) definiert und das Problem, Ideen in ihrer gesellschaftlichen Wirkung zu erfassen, zwar benannt (S. 25) aber nicht wirklich erhellend diskutiert wird, hat Karabelas eine originelle Fragestellung mit aktuellem Bezug gewählt. Schließlich wirft die gegenwärtige Legitimationskrise des neoliberalen Projekts, das intellektuell maßgeblich durch Hayek geprägt wurde, durchaus die Frage auf, ob und inwieweit das neoliberale Gedankengut in Wissenschaft wie Politik fortwirkt. In diesem Sinne handelt es sich um ein aus wirtschaftsliberaler Perspektive geschriebenes politisches Buch, das in diese Debatte eingreifen will.

An der einführenden Werkschau fällt auf, dass Karabelas nicht immer mit der notwendigen kritischen Distanz an die Diskussion der Hayek'schen Schriften herangeht. Wesentliche Widersprüche werden zwar angesprochen, bleiben aber in ihrem Kern unbearbeitet. So beschreibt Karabelas etwa die Abwendung Hayeks von wirtschaftstheoretischen Problemstellungen zu Beginn der 1940er-Jahre (S. 46). Der radikale Wechsel hin zu Fragen der gesellschaftlichen Durchsetzungsbedingungen einer wirtschafts- bzw. neoliberalen Programmatik – wie er etwa in seiner Schrift "Die Intellektuellen und der Sozialismus" (1949) zum Ausdruck kommt – bleibt allerdings undiskutiert. Ähnliches zeigt sich bei der Bearbeitung von Hayeks zentraler Figur der "spontanen Ordnung" als Kennzeichnung einer vermeintlichen Selbstdynamisierung marktwirtschaftlicher Systeme im Rahmen seiner Theorie der kulturellen Evolution. Dem Verweis auf verbreitete Kritik in der wissenschaftlichen Debatte folgt eine recht oberflächliche, halbseitige Zusammenfassung einzelner Kritikstränge (S. 61), ohne dass wesentliche Quellen überhaupt benannt werden. Hayeks immer wieder vorgetragene, scharfe Angriffe auf die parlamentarische Demokratie werden gar relativiert, indem die wenig überzeugende Behauptung aufgestellt wird, dass "sich Hayek keinesfalls als Gegner der Demokratie an sich verstanden wissen [wollte]" (S. 63). Angesichts der Tatsache, dass Hayeks Demokratieaussagen stets darum kreisten, die Möglichkeiten zur Durchsetzung von Mehrheitsinteressen im Rahmen einer parlamentarischen Demokratie zu beschränken und eine soziale Demokratie zu verhindern, bleibt Karabelas' Aussage mindestens undeutlich.

Auch die grundlegende Einordnung Hayeks als Kritiker des klassischen Laissez-faire-Prinzips und seine Verortung als Ordnungstheoretiker (S. 53, 58) werden in ihrer jeweiligen Widersprüchlichkeit nicht aufgeklärt. Das ist deshalb problematisch, weil gerade diese beiden Aspekte eine große Bedeutung für das Verhältnis zwischen Hayek und den Ordoliberalen spielen, das Karabelas in ihrem zweiten Hauptkapitel thematisiert. Um sich der schwierigen Frage anzunähern, wäre es zunächst sinnvoll gewesen, grundlegende Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen angelsächsischem und deutschem Neoliberalismus (in Gestalt des Ordoliberalismus) unter Rückgriff auf die vielfältige Literatur zu diesem Thema aufzubereiten. Karabelas wählt allerdings den Zugang über Personen, das heißt sie diskutiert das Verhältnis Hayeks zu führenden Ordoliberalen wie Eucken, Röpke, Rüstow, Müller-Armack und Erhard. Das führt bisweilen nicht nur zu Redundanzen, sondern personalisiert theoretisch-programmatische Fragen. Ihrem Fazit, dass Hayek im engeren Sinne trotz vieler inhaltlicher Überschneidungen und institutioneller Verbindungen nicht als Ordoliberaler bezeichnet werden sollte (S. 113), kann man zweifellos folgen. Allerdings ist der Erkenntnisweg nur teilweise überzeugend und lässt grundlegende Fragen im Verhältnis zwischen den beiden Strömungen des Neoliberalismus offen.

Nun könnte man einwenden, dass es Karabelas eben nicht um eine theoriegeschichtliche Auseinandersetzung mit dem Neo- bzw. Ordoliberalismus, sondern um die Rezeption des Werkes von Hayek in der Bundesrepublik geht. Da aber die beiden bisher diskutierten Kapitel annähernd die Hälfte des Buches ausmachen und die eigentliche Rezeptionsgeschichte erst im dritten Hauptkapitel beginnt, sind die theoriegeschichtlichen Ausführungen eben auch als solche diskussionswürdig.

Karabelas untersucht die Rezeption Hayeks zunächst im Hinblick auf die Wirtschaftswissenschaft selbst, wobei ihr Hauptaugenmerk seiner Frontstellung gegen den Keynesianismus gilt. Problematisch ist dabei die explizite Gleichsetzung von Keynesianismus und neoklassischer Synthese (S. 119), die sie im Folgenden dazu verleitet, von einer keynesianischen Dominanz in der Bundesrepublik seit Mitte der 1950er-Jahre (S. 133) zu sprechen. Mit dieser fragwürdigen, mindestens indifferenten These vom frühen Siegeszug des Keynesianismus erklärt Karabelas zugleich den Niedergang des Ordoliberalismus. Angesichts der Tatsache, dass die Ordoliberalen den Kurs der Wirtschaftspolitik im ersten Jahrzehnt der westdeutschen Republik maßgeblich mit ihrem Programm einer organisierten Wettbewerbsgesellschaft und mehr noch durch das für die praktische Politik bereitgestellte Konzept der Sozialen Marktwirtschaft beeinflussen und darüber hinaus erheblichen Einfluss auf die westdeutsche Wirtschaftswissenschaft erlangen konnten, ist diese Erklärung dürftig. Vor dem so gezeichneten Bild eines imaginären Niedergangs marktwirtschaftlicher Forschungsansätze verortet Karabelas Hayek als prinzipienfesten Wirtschaftsliberalen gegen den interventionistischen Zeitgeist, der sich gegen das nunmehr vorherrschende makroökonomische Denken wandte und die Planbarkeit bzw. Steuerbarkeit wirtschaftlicher Prozesse durch die These von der "Begrenztheit menschlichen Wissens" radikal in Frage stellte (S. 152). Allerdings erschließt sich dieser außerökonomische Zugang Hayeks bei Karabelas kaum, weil sie ihn unreflektiert übernimmt, ohne seine erkenntnistheoretischen Argumentationsstränge einzuordnen. Auch wird man dem Werk Hayeks kaum gerecht, wenn man ihn ohne weitere Differenzierung als Mikroökonomen einordnet (S. 153), da er – anders als die Ordoliberalen – mehrfach scharf gegen die Methodik der Neoklassik und ihre statischen Grundannahmen argumentiert hat.

Demgegenüber ist Karabelas die Analyse der Rezeption Hayeks im politischen Raum wesentlich besser gelungen. Hier kann sie verdeutlichen, dass Hayeks Bedeutungszuwachs in den 1970er-Jahren nicht auf die Krise keynesianischer Politikansätze zurückzuführen ist, sondern mit dem Erstarken einer Neuen Linken in der Bundesrepublik einhergeht. Es ist die Zeit, in der die Konservativen – hier vor allem der rechte Flügel der Union um Strauß, Filbinger und Dregger, aber auch Teile der sich formierenden Neuen Rechten (die allerdings nicht als solche benannt werden) – auf ausgewählte Positionen von Hayek zurückgreifen, um die eigene anti-sozialistische Propaganda mit den Weihen eines Wirtschafts-Nobelpreisträgers zu unterlegen. So weist Karabelas nach (S. 179 ff.), dass die an antikommunistische Ressentiments anknüpfenden CDU-Wahlkampfkampagnen mit dem Slogan "Freiheit statt Sozialismus" mit Hayeks Schriften gegen Planwirtschaften und seiner These von der schleichenden Transformationstendenz sozialer Demokratie legitimiert wurden. Interessant sind auch die Ausführungen zu den in den 1980er-Jahren zu beobachtenden Kontakten zwischen Hayek und westdeutschen Unternehmern sowie einigen ihrer Verbände (S. 205 f.), die ihn als renommierten wirtschaftswissenschaftlichen Experten hofierten, um die Regierung Kohl zu mehr und durchgreifenderen marktwirtschaftlichen Reformen zu drängen.

Gerade in den letzten Kapiteln gewinnt die Arbeit durch die Auswertung des umfangreichen Hayek'schen Briefverkehrs an Format. Allerdings kann das Buch insgesamt kaum von dieser mühevollen und innovativen Archivarbeit profitieren, da Karabelas zu wenig mit den wirtschaftswissenschaftlichen Konfliktlinien vertraut ist und ihre spezifischen Quellen nicht dezidiert einsetzt. Stattdessen verliert sie sich mehrfach in unnötigen Exkursen etwa zur Historischen Schule, der Genese des Konservatismus oder der CDU, die von der zentralen Fragestellung eher ablenken. Wenig hilfreich ist auch das Format der auf den Buchseiten mitlaufenden Fußnoten, die bis auf die Verweise zum Briefverkehr wesentliche Daten wie das Erscheinungsjahr vermissen lassen, so dass ständig ein Blick in das recht unübersichtliche Literaturverzeichnis erforderlich ist, um die Quellen einordnen zu können. Dennoch wirft das Buch einige neue Fragestellungen in der Neoliberalismusforschung auf und ist im Großen und Ganzen handwerklich gut gemacht, ohne dass es allerdings das hochgesteckte Ziel einer Rezeptionsgeschichte des Hayek'schen Werks in der Bundesrepublik überzeugend erfüllen kann.

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