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Titel
Die AEG im Bild.


Herausgeber
Kugler, Lieselotte
Erschienen
Anzahl Seiten
208 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Springer, Institut für Geschichte, TU Berlin

Auch wenn die öffentliche Debatte um die sogenannte „Wehrmachtsausstellung“ den Eindruck erwecken konnte, erst jetzt werde die Fotografie als historische Quelle und ihre kritische Analyse als Notwendigkeit erkannt, ist die Fotografiegeschichte dennoch kein neues Feld der historischen Forschung, obwohl es immer noch eher an den Rändern des Faches präsent ist. Seit jeher sind es vor allem die „Praktiker“ aus Museen und Archiven, die aufgrund des täglichen Umgangs mit dem Medium die Auseinandersetzung mit der Quellengattung „Fotografie“ vorantreiben. Ein gutes Beispiel dafür ist der Katalog der Ausstellung „Die AEG im Bild“, die vor einiger Zeit vom Deutschen Technikmuseum (Berlin) erarbeitet wurde. Die gleichnamige Publikation präsentiert 240 Fotos im Duotone in technisch hervorragender Qualität - für Technik-, Sozial-, Unternehmens-, Stadt-, Architektur- und Fotohistoriker gleichermaßen interessant. Die Fotos stammen aus dem Archiv der ursprünglich in Berlin ansässigen „Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft“ (AEG), das 1996 nach dem Ende der 113jährigen Geschichte des Unternehmens in den Besitz des Museums überging. Allein der Fotobestand des Archivs umfasst etwa eine Million Abzüge und 50.000 Glasplattennegative, darunter rund 9.000 großformatige, durch ein zeitgenössisches Verzeichnis erschlossene Negative aus der Zeit zwischen 1898 und 1929. Diese sind auch die Grundlage für Ausstellung und Katalog.

Die ausgewählten Aufnahmen werden in dem Bildband von vier Beiträgen begleitet, die die historischen Hintergründe der Entstehung erläutern und die archivalische Behandlung im Museum vorstellen. Anschließend präsentiert die Publikation in sieben Kapiteln, die jeweils von informativen Kurztexten eingeleitet werden, die Fotos, die wiederum durch Bildunterschriften eingehender analysiert werden.

Kerstin Lange, als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Technikmuseums für die Betreuung des AEG-Bildarchivs zuständig, beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit Material, Sprache und Entstehung der Fotos. (S.9-22) Ihrer Ansicht nach sind die Bilder weniger als Illustration der Firmengeschichte zu begreifen. Vielmehr handelt es sich um Bestandteile der Unternehmenspolitik. Ziel der Aufnahmen war nämlich nicht, durch eine möglichst realistische Abbildung die Verhältnisse im Betrieb zu zeigen, sondern durch die „Inszenierung der Wirklichkeit“ die positive Selbstdarstellung des Unternehmens zu befördern und so den Absatz der Produkte zu steigern. Wer also heute auf den Fotos den Arbeitsalltag der Beschäftigten sucht, bemüht sich vergebens - wenn Menschen zu sehen sind, dann dienen sie meist nur als Staffage, etwa um die ungeheuren Ausmaße einer Maschine oder einer Werkstatthalle zu verdeutlichen. Doch das macht die Aufnahmen nicht weniger bedeutsam, repräsentieren sie doch auch in ihrer Funktion als Werbemittel eindrucksvolle Beispiele kaiserzeitlicher Industrieunternehmensfotografie, wie sie bereits 1994 in dem von Klaus Tenfelde herausgegebenen Sammel- und Bildband über den Fotobestand bei Krupp Maßstäbe setzend vorgestellt und analysiert worden sind 1.

Wie in vielen anderen Bereichen der Fotografiegeschichte muss auch bei den AEG-Fotos die Frage nach der konkreten Autorenschaft der Bilder weitgehend unbeantwortet bleiben - die Fotografen arbeiteten meist anonym. Vermutlich beschäftigte die AEG neben einem - seit 1898 fest angestellten - und später mehreren Werksfotografen, denen im Jahr 1904 auch zwei kleine Fotoateliers im Betrieb eingerichtet wurden, im Bedarfsfall zusätzlich freie Mitarbeiter. Die wenigen erhaltenen Anleitungen für die Fotografen lassen darauf schließen, dass ihr „gestalterischer Spielraum äußerst begrenzt war“ (S.22). So sollten etwa die fotografierten Arbeiter, die sich ebenso wie ihre Maschinen wegen der Gefahr des Verwackelns nicht bewegen dürften, nicht in die Kamera blicken - die Darstellung sollte auf diese Weise „wirklichkeitsgetreuer“ wirken.

Jörg Schmalfuß, Leiter des Historischen Archivs des Technikmuseums, stellt in seinem Beitrag die spannende Überlieferungsgeschichte der AEG-Bildarchive dar (S.23-29), nach dessen Lektüre man sich wundert, dass trotz des ständigen Wechsels zwischen Vergessensein und drohender Zerstörung ein großer Teil der Negative und Abzüge überhaupt den Weg in die Gegenwart geschafft hat.

Die Aufsätze von Claus-Dieter Bründel zu Strategien digitaler Sicherung der Bilder (S.31-36) und von Maria Bortfeldt zur Restaurierung der Glasplattennegative (S.37-43) befassen sich mit der Archivierungspraxis und dürften hauptsächlich für Leserinnen und Leser interessant sein, die in ihrer täglichen Arbeit mit ähnlichen technischen Problemen konfrontiert sind.

Den Hauptteil des Buches bildet schließlich die Präsentation der Aufnahmen, die von den Verfassern sieben thematischen Kapiteln zugeordnet wurden. Nach einem Abschnitt über die Anlagen und den Ausbau der Maschinenfabrik in der Brunnenstraße (S.45-68) - zu einem erheblichen Teil war daran ja auch Peter Behrens beteiligt -, folgt ein Kapitel über AEG-Erzeugnisse, die die Fotografen vor allem für Prospekte und andere Werbemittel abzulichten hatten. (S.69-92) Größere Produkte fotografierte man dabei an den Herstellungsorten oder zumindest auf dem Werksgelände - nicht nur aus arbeitsökonomischen Gründen, sondern auch, um die Ausmaße der Maschinen und die repräsentativen Betriebsanlagen mit im Bild zu haben. Die Inszenierung der Wirklichkeit in den abgebildeten Fotos wird vor allem im dritten Kapitel deutlich. (S.93-126) Hier sind Aufnahmen von „Menschen am Arbeitsplatz“ versammelt - eine nachträgliche Konstruktion, denn auch bei diesen Fotos waren meist nicht die Menschen das Motiv, sondern die Größe, Sauberkeit und Funktionalität der Produktionsanlagen und die (behauptete) Sorge des Unternehmens um hygienische und sichere Arbeitsplätze der Belegschaft. Nach einem Abschnitt mit Aufnahmen vom Versand der Produkte (S.127-142) - hier zeigt sich besonders der Versuch des Unternehmens, durch Bildelemente wie die Beschriftungen von Transportkisten mit exotischen Adressen auf die globale Ausrichtung des Betriebes hinzuweisen - folgt ein Kapitel über die Lehrlingsausbildung (S.143-156), die seit 1913 bei der AEG in eigenen Lehrlingswerkstätten durchgeführt wurde. Mit diesen Aufnahmen ist dokumentiert, „welchen Wert die Firma auf die Disziplinierung und wohlmeinende Überwachung“ (S.143) legte, wozu auch sportliche und paramilitärische Aktivitäten zählten. Schließlich zeigt ein Kapitel über die Wohlfahrtseinrichtungen des Betriebes, dass die AEG auch ihre soziale Verantwortung gegenüber den Beschäftigten nach außen präsentieren wollte. (S.157-188) Hier werden beispielsweise die betrieblich organisierte Freizeitgestaltung oder die Versorgung mit nichtalkoholischen Getränken thematisiert. Ein heute fast komisch anmutendes Foto eines Spucknapfes und des dazugehörigen Hinweisschildes „Nicht auf den Fußboden spucken!“ sollte im betriebseigenen Hygiene-Museum den Kampf gegen die Tuberkulose veranschaulichen. Das letzte Kapitel des Buches zeigt Erinnerungsfotos von Betriebsbesuchern, die diesen nach ihrem Aufenthalt im Werk geschenkt wurden. (S.189-202)

Die Gliederung der Aufnahmen überzeugt durchaus - nur über den Anteil der jeweiligen Themen am Gesamtbestand hätte man gern mehr erfahren. Doch die Fotos lassen sich auch quer zu der Einteilung verstehen. So fällt beispielsweise die durchgängige Wiederkehr der Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf den Betrieb in den Bildern auf - ob bei Fotos von Rüstungsgütern, von militärischen Besuchern, von Frauen, die Päckchen für kämpfende Betriebsangehörige packen, oder von für die Beschäftigten bestimmten Lebensmitteln. Ein weiteres Bildthema ist, so könnte man sagen, die „organisierte Masse“: große, geordnete Mengen von Erzeugnissen, von Arbeitern, von Transportkisten, von Lebensmitteln oder von Produktionsgebäuden erwecken in allen Bereichen immer wieder den Eindruck eines funktionalen und leistungsfähigen Unternehmens.

Ein zeitlich und personell begrenztes Projekt wie eine Ausstellung und ein Katalog bringen es mit sich, dass nicht alle Fragen abschließend beantwortet werden können. So lässt das Buch eine stärkere Einbettung der präsentierten Fotos in die bisher erforschte Werksfotografie etwas vermissen. Insbesondere ein direkter Vergleich mit den Aufnahmen aus dem Krupp-Archiv hätte möglicherweise den Blick für das Normale oder eben das Besondere der AEG-Fotos schärfen und Hinweise dafür liefern können, ob es eine eigene „AEG-Fotografie“ gab oder nicht. Auf diese Weise hätte „AEG im Bild“ auch einen Beitrag zu einer Typologie der Industriefotografie leisten können 2. Dazu wäre es auch notwendig gewesen, intensiver nach einer möglichen Entwicklung im untersuchten Fotobestand zu fragen - immerhin stammen die präsentierten Aufnahmen aus über drei Jahrzehnten.

Auf ein Ärgernis der Publikation ist allerdings noch hinzuweisen. Überzeugend legen die Textbeiträge und auch die Bildunterschriften dar, welche Funktion die Aufnahmen im Rahmen der Werbestrategie der AEG hatten, und mehrfach wird auf den Abdruck der abgebildeten Fotos in Prospekten und Werkszeitschriften hingewiesen. Wäre es da nicht sinnvoll, ja geradezu zwingend gewesen, Beispiele einer solchen Veröffentlichungspraxis auch im Buch als Reprints zu zeigen - zumal solche Quellen nicht besonders leicht zugänglich sind? So wichtig die Präsentation des Ausgangsmaterials, also der unbearbeiteten Fotos ist - Unternehmenspolitik machten die Aufnahmen erst durch die Veröffentlichung. Zu einer umfassenden Dokumentation sollte die Fotografie deshalb immer sowohl als Negativabzug als auch in ihrer von der Öffentlichkeit rezipierten Form gehören.

Anmerkungen:
1 Klaus Tenfelde (Hg.), Bilder von Krupp. Fotografie und Geschichte im Industriezeitalter, München 1994.
2 Vgl. dazu Jens Jäger, Photographie: Bilder der Neuzeit. Einführung in die Historische Bildforschung, Tübingen 2000, S.96-103.

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