W. Hamdorf u.a. (Hrsg.): Fliegerträume und spanische Erde

Cover
Titel
Fliegerträume und spanische Erde. Der Spanische Bürgerkrieg im Film


Herausgeber
Hamdorf, Wolfgang; López Rubio, Clara
Reihe
edition film-dienst 8
Erschienen
Marburg 2010: Schüren Verlag
Anzahl Seiten
221 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Burkhard Röwekamp, Institut für Medienwissenschaft, Philipps-Universität Marburg

Der Sammelband widmet sich einem filmhistorisch bislang noch wenig beachteten Gegenstand: dem Spanischen Bürgerkrieg. Der großen Zahl unterschiedlicher filmischer Bearbeitungen des Themas versuchen die Herausgeber ebenso wie die einzelnen Beiträger durch eine weite Auffächerung der filmischen Zugänge zu begegnen. Das daraus resultierende, multiperspektivische Geschichtsbild des Spanischen Bürgerkriegs bedarf gewiss noch der Erweiterung und Vertiefung, lädt aber genau dazu ein.

In einem ersten Abschnitt erläutert Walther L. Bernecker sehr anschaulich realgeschichtliche Hintergründe und politische Motivationen mit Blick auf die Internationalisierung eines ursprünglich regionalen Konflikts. Berneckers Zusammenfassung erweist sich für das Verständnis der daran anschließenden Beiträge als sehr dienlich.

Unmittelbar daran anknüpfend gewährt Wolfgang Martin Hamdorf in einer Überblicksdarstellung erste Einblicke in die Geschichte derjenigen Filme „zwischen Archivmaterial und Ausstattungskino“ (S. 41), die das Geschichtsbild des Spanischen Bürgerkrieges bis heute mit geprägt haben. Allein in den drei Jahren des Bürgerkrieges seien etwa 400 Filme entstanden, darunter „Kurzfilme, Wochenschauen, dramatisierte Dokumentarfilme und längere Kompilationsfilme – aber auch wenige abendfüllende Spielfilme“ (S. 42). Es handelt sich hier also offenbar um einen filmisch recht gut dokumentierten Krieg. Das eröffnet in erinnerungskultureller Hinsicht Forschungsperspektiven mit Blick auf Konstruktionsprinzipien der darin vermittelten Geschichtsbilder und ästhetisierte Formen der Erinnerung. Nicht zuletzt scheint bis in die Gegenwart hinein das Interesse an diesem Bürgerkrieg groß (vgl. als jüngere filmische Verarbeitung z.B. PANS LABYRINTH, Spanien 2006). Wie deren Erschließung aussehen könnte, davon vermitteln die beiden folgenden Abschnitte „Bildgeschichte 1“ und „Bildgeschichte 2“ einen ersten Eindruck.

Unter dem Titel „Bildgeschichte 1: Die Mumien von Salesas“ (S. 84) sind Beiträge zu den Inszenierungsweisen der republikanischen Seite des Konflikts versammelt. Zunächst geht es um Luis Buñuels Arbeit für die Propaganda der spanischen Republik. Dabei werden seine Beteiligung an der Filmproduktion, die schwierigen Produktionsbedingungen, Probleme der späteren Wiederbeschaffung und Rekonstruktion der Filme sowie die große Bedeutung von Buñuels Filmen für die französische Wahrnehmung des Bürgerkriegs herausgestellt. Das anschließende Kapitel „Der Spanische Bürgerkrieg in den Kinos des Dritten Reichs“ (S. 93) befasst sich mit Formen des filmischen Umgangs mit dem Bürgerkrieg in deutschen Wochenschauen und Spielfilmen. Spätestens in diesem Kapitel irritiert eine gelegentlich eigenwillige Formatierung: Etwas wahllos wurden nach jedem Satz ein Absatz und manchmal, aber nicht immer, ganze Leerzeilen zwischen einzelne Absätze gesetzt (z.B. S. 90, S. 93, S. 95). Auch hätte insbesondere dieser Text einer gründlicheren Überarbeitung bedurft; dann wären Sätze wie der ebenso ärgerliche wie symptomatische Schlusssatz vermeidbar gewesen: „Der Spanische Bürgerkrieg wurde gegenwärtig gehalten als erste Schlacht, die man Kommunismus in Spanien gewonnen habe.“ (S. 113) Auf welche Weise sich im Zusammenhang der durchaus interessanten Schilderungen von Produktionsbedingungen und -kontexten, aber allenfalls inhaltsanalytischen Ausführungen „Kernaussagen“ (S. 86) verdichten, das heißt, wie sie sich aus der ästhetischen Konstruktion ergeben, darüber hätte man bereits bis hierher allerdings gerne mehr erfahren.

Was jenes Geschichtsbild zwischen „Fliegerträumen und spanische[r] Erde“ tatsächlich zeigt bzw. wie es in den unterschiedlichen historischen Wahrnehmungsräumen ästhetisch konstituiert wird, darüber gibt in diesem Abschnitt dankenswerterweise die Mainzer Filmwissenschaftlerin Oksana Bulgakowa mit ihrem Aufsatz zur Inszenierungspraxis des Spanischen Bürgerkriegs im sowjetischen Film Aufschluss. Hier werden anschaulich und aufschlussreich ästhetische Strategien filmischer Konstruktionsarbeiten erläutert und mit Blick auf erinnerungskulturelle Funktionalität im Wechselspiel von Vergessen und Erinnern befragt. Mit Blick etwa auf filmische Wahrnehmungsstrukturen insbesondere im sowjetischen Dokumentarfilm stellt Bulgakowa fest, dass hier „[d]ie pathetische und nostalgische Stimmung, die die sowjetischen Filme über diesen Krieg suggerierten, […] gleichzeitig vom Unwillen [zeugte], die Geschichte zu erzählen, sowohl die spanische als auch die eigene“ (S. 129). Auch der sich anschließende Text zu Joris Ivens’ SPANISH EARTH (1937) widmet sich in etwas knapper, aber durchaus anschaulicher Weise solcher wahrnehmungsästhetischer Vermittlungsarbeit des Krieges.

Der abschließende dritte, mit „Bildgeschichte 2: Hitler und Franco in Hendaye“ (S. 138) überschriebene, Abschnitt wechselt die Perspektive. Hier geht es um filmische Inszenierungen des Franquismus bzw. um die Konstruktion filmischer Franco-Geschichtsbilder. Wolfgang Martin Hamdorf befasst sich anhand einer sehr genauen Analyse der DDR-Filmproduktion UNBÄNDIGES SPANIEN aus dem Jahr 1962 ausführlich mit der Rolle des Spanischen Bürgerkriegs und der Internationalen Brigaden als Gründungsmythos der DDR. Ursula Vossen widmet sich danach dem Œuvre des seinerzeit bekanntesten spanischen Regisseurs Carlos Saura. Insbesondere Sauras spannungsreiches Verhältnis zwischen Filmkunst, Franco, Postfranquismus und Bürgerkrieg, der dem renommierten Regisseur auch nach Francos Tod 1975 als „imaginäre[r] Fluchtpunkt“ (S. 154) seines Filmschaffens galt, wird hier zur Inschrift des schwierigen Umgangs mit der eigenen Vergangenheit. Im Weiteren werden auf unterschiedlich ausführliche, aber informative Weise die Kompilationsfilme des spanischen Dokumentarfilmers Basilio Martín Patino (Wolfgang Martin Hamdorf), die spanische Filmproduktion in den Jahren der Demokratisierung nach Francos Tod (Julia Macher) sowie die Arbeiten des britischen Regisseurs und Drehbuchautors Ken Loach (Clara López Rubio, Wolfgang Martin Hamdorf) vorgestellt. Hier sticht insbesondere Julia Machers sehr aufschlussreiche Studie „Der Spanische Bürgerkrieg im Film der Transición“ (S. 179) hervor. In filmhistorischer Perspektive beschäftigt sie sich überblickartig mit Spiel- und Dokumentarfilmen der Übergangsphase nach dem Tod Frankos und der Demokratisierung Spaniens. Vor allem Machers kritische Einschätzung überzeugt: „Die gegen die Widerstände des Regimes entstandenen Filme brachten den cineastischen Diskurs über Bürgerkrieg und Diktator stärker voran als die genuinen Kinder der Transición.“ (S. 192) Eine Filmografie und ein Register runden die insgesamt nützliche Darstellung ab.

Mit Blick auf die Inszenierungspraxis des Spanischen Bürgerkriegs im Film liefert die Publikation in toto durchaus interessante Einsichten und Befunde – wenn auch die Qualität der Beiträge – wie in Sammelbänden üblich – sehr unterschiedlich ausfällt. Sie sind überwiegend zwar wissenschaftlich, manchmal aber auch eher journalistisch angelegt und gelegentlich auch irgendwo dazwischen. „[A]ls Hilfestellung und Anregung für weitere Forschungen und Veröffentlichung[en]“ (S. 9) lässt sich der Band indes allemal verstehen – denn solche, die sich noch substanzieller mit dem Thema auseinandersetzen, stehen noch aus.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension