KZ-Gedenkstätte Flossenbürg (Hrsg.): was bleibt

Cover
Titel
was bleibt - Nachwirkungen des Konzentrationslagers Flossenbürg. Katalog zur ständigen Ausstellung


Herausgeber
KZ-Gedenkstätte Flossenbürg; Stiftung Bayerische Gedenkstätten
Erschienen
Göttingen 2011: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
222 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Cornelia Siebeck, Berlin

Mit der im Herbst 2010 eröffneten Ausstellung ‚was bleibt – Nachwirkungen des Konzentrationslagers Flossenbürg’ wurde der bestehenden Ausstellung zur Geschichte des Lagers in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg eine zweite Dauerausstellung hinzugefügt, die sich mit der Geschichte des Ortes nach 1945 auseinandersetzt. Wer heute das Gebäude der ehemaligen Häftlingsküche betritt, ist dort zunächst einmal mit an die Wand projizierten Gedankenfragmenten der eigenen Zeitgenoss_innen konfrontiert: „Es sollte nicht immer zu Lasten der Flossenbürger gehen.“ – „Doch, es gehört dazu. Es ist ein Stück Geschichte unserer Heimat.“ – „Ein komisches Gefühl ist das schon, dass da plötzlich Wohnhäuser stehen.“ Anschließend gelangen Besucher_innen in einen schwach beleuchteten großen Raum, in dem sie dem lauten Stimmengewirr zahlreicher Hörstationen und dem Flimmern etlicher Videomonitoren ausgesetzt werden.

Eine klare räumliche Struktur und eine übersichtliche inhaltliche Gliederung der Ausstellung sorgen allerdings schnell für Orientierung: Die Ausstellungsvitrinen sind in vier Längsreihen zu den Themen Ort – Erinnerung – Überlebende – Täter angeordnet; quer dazu liegt eine Chronologie der Nachkriegsgeschichte, die in sieben Kapitel unterteilt ist. An der Wand läuft ein analog gegliedertes Videoscreening: Bildikonen der Zeitgeschichte, gedächtnispolitische Schlüsselereignisse sowie Bilder und Filme, die speziell Flossenbürg thematisieren. Besucher_innen wird so ermöglicht, einzelne Aspekte chronologisch nachzuvollziehen oder aber bestimmte Zeiträume im Querschnitt zu erkunden.

Jede der insgesamt 27 Vitrinen widmet sich dabei einem speziellen Thema. Unter dem Stichwort ‚Entschädigungen’ wird beispielsweise daran erinnert, dass Verfolgtengruppen wie Sinti und Roma, Homosexuelle oder ‚Asoziale’ jahrzehntelang nicht anerkannt wurden; ein Aktenstapel versinnbildlicht den Kampf eines ehemaligen Flossenbürger Häftlings um Entschädigung. Zugleich lauscht man dem erinnerten Dilemma eines jüdischen Überlebenden: „Da war so ein Konflikt. Soll ich 3.209 und 75 Pfennig für den Tod meines Vaters verlangen? […]“. Unter der Überschrift „Wohnort Lager“ wiederum wird die Besiedelung des Lagergeländes in den 1950er-Jahren erläutert und anhand von Plänen, Fotos und Publizistik illustriert: „Aus Stätten des Leids – Heime des Glücks“ oder „Siedler brachten totes Land wieder zum Blühen“ hieß es in damaligen Zeitungsartikeln.

Beim Verlassen der Ausstellung können Besucher_innen auf bereitliegenden Kärtchen selbst eine Antwort auf die Frage ‚was bleibt?’ formulieren. So ist man auch hier wieder mit subjektiven Meinungen konfrontiert: „Gegen Nationalsozialismus und Kommunismus! Radikalisierungen sind Bullshit!“ oder „Aus Fehlern sollte gelernt werden!“ ist dort etwa zu lesen; auf anderen Kärtchen ist von „Schuld- und Schamgefühlen“, „Betroffenheit“ und „Erinnerung“ zu lesen.

Die Ausstellung ‚was bleibt’ stellt gleichsam ein Gesamtkunstwerk dar, das gerade durch den zunächst überwältigenden Einsatz auditiver und visueller Medien eindrücklich vermittelt, dass man es bei der Nachgeschichte Flossenbürgs mit einem vielschichtigen und dissonanten Komplex zu tun hat: mit politisch-ideologischen Kontexten, die weit über den Ort hinausreichen, mit mehr oder weniger kontingenten historischen Entwicklungen, mit verschiedensten Perspektiven – all das über einen Zeitraum von mehr als 65 Jahren. Den Besucher_innen wird ein umfassendes Panorama deutscher ‚Vergangenheitsbewältigung’ mit all ihren Ambivalenzen eröffnet, vor dessen Hintergrund die wechselvolle Nachgeschichte des Konzentrationslagers Flossenbürg 1 gut nachvollziehbar ist.

Vor kurzem ist nun ein ähnlich ambitioniert gestalteter und reich bebilderter Katalog zur Ausstellung erschienen. Einleitend betont Jörg Skriebeleit, Direktor der Gedenkstätte, dass hier keine „Erfolgsgeschichte der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg“ geschrieben werden soll (S. 12). Vielmehr beschreibt er den gesellschaftlichen Umgang mit dem ehemaligen Konzentrationslager Flossenbürg als Beispiel dafür, dass das öffentliche Gedächtnis an die NS-Verbrechen in der Bundesrepublik entgegen dem heutigen Anschein lange Zeit keineswegs ‚selbstverständlich’ war und allerart ‚Vergessen’ nach wie vor möglich bleibt (vgl. 9ff.).

Anschließend erläutert der verantwortliche Designer Ulrich Schwarz das Gestaltungskonzept der Ausstellung (vgl. S. 14ff.): Hier sei es darum gegangen, „[b]ekannte Muster und Wahrnehmungsgewohnheiten“ aufzubrechen, „um bestehende Erwartungshorizonte zu erweitern.“ (S. 15) Interessant sind in diesem Zusammenhang Schwarz’ Überlegungen zu unterschiedlichen Wirkungsweisen von Hören und Sehen in KZ-Gedenkstätten. Seiner Ansicht nach ist das „Hinhören müssen“ besser geeignet als das „Hinsehen müssen“, wenn es darum geht, sich mit den historischen Verbrechen und dem dabei erzeugten Leid auseinander zu setzen: Das „Abstoßende und Distanzierende“ der Bilder könne so zugunsten größerer Empathie umgangen werden (S. 16). Daher habe man den Hörstationen starkes Gewicht beigemessen, während filmische Quellen auch zugunsten ihrer kritischen Lesbarkeit ohne Ton eingesetzt würden.

Der Hauptteil des Kataloges ist analog zur Chronologie der Ausstellung in sieben Abschnitte gegliedert, die den Zeitraum von 1945 bis 2010 periodisieren. Unter einer schlaglichtartigen Überschrift, die den zeitgenössischen bundesrepublikanischen Umgang mit der NS-Vergangenheit charakterisieren soll, findet sich jeweils eine knappe welt- und deutschlandpolitische Kontextualisierung, vor deren Hintergrund anschließend gedächtnispolitische Tendenzen und konkrete Entwicklungen vor Ort näher beleuchtet werden. Darauf folgt eine Dokumentation des entsprechenden Ausstellungsabschnittes: Eine Auswahl ikonischer Bilder à la ‚Willy Brandts Kniefall’, gefolgt von einzelnen Exponaten und Zitaten aus den Hörstationen zu den Aspekten Ort – Erinnerung – Überlebende – Täter.

Dabei wird mit graphischen Mitteln versucht, die in der Ausstellung hergestellte Simultaneität beizubehalten, indem die zentralen Themen parallel geführt werden. So finden sich beispielsweise im Kapitel „Selektives Erinnern 1970-1980“ auf einer Doppelseite Ansichtskarten von Flossenbürg (‚Ort’) neben Beispielen für das Gedenken an den in Flossenbürg ermordeten Dietrich Bonhoeffer (‚Erinnerung’), Fotos von Pilgerfarten (‚Überlebende’) und Karteikarten der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen (‚Täter’) (vgl. S. 132f.).

In einem abschließenden Teil wird die Genese des Ausstellungsprojekts anhand von Entwurfszeichnungen und Modellen sowie Fotos vom ‚Making of’ und der fertigen Ausstellung dokumentiert. Auf diese Weise wird eine für die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg durchaus charakteristische antiautoritative Tradition fortgeführt, den konstruktiven Charakter nicht nur öffentlicher und privater Gedächtnisse, sondern auch der eigenen Arbeit weitgehend transparent zu machen und so einen Raum für (Selbst-)Reflexion und Diskussion zu öffnen.

Allerdings lassen gerade die Stärken des Ausstellungsprojekts – seine Multiperspektivität und Kollagenhaftigkeit, kurz: seine Nicht-Linearität – eine wesentliche Schwäche des Katalogs deutlich sichtbar werden. Der Buchform entsprechend herrscht hier eine lineare Struktur vor, und wo versucht wird, diese graphisch zu brechen, entsteht beim Lesen und Schauen gelegentlich eher Unübersichtlichkeit und Konfusion als Simultaneität und Multiperspektivität.

Während Besucher_innen der Ausstellung weitgehend kommentarlos mit der visuellen Ikonographie der Nachkriegsgeschichte konfrontiert werden, werden ihnen im Katalog von unterschiedlichen Autor_innen verfasste historische Zusammenfassungen ganzer Jahrzehnte präsentiert, deren didaktische Niedrigschwelligkeit teilweise in argen Zuspitzungen und Verkürzungen resultiert. Auch irritiert der präsentische Stil, der dann und wann ins Reißerische tendiert, etwa wenn bezüglich der Berlin-Blockade von einem „erbitterten Ringen um die Hauptstadt“ (S. 52) die Rede ist oder wenn es heißt: „Die Anschläge der ‚Roten Armee Fraktion’ […] versetzen das ganze Land in einen Schock- und Belagerungszustand.“ (S. 118)

Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, hier ähnlich wie in der Ausstellung zur Geschichte des Konzentrationslagers Flossenbürg und dem dazugehörigen Katalog 2 konsequent von den Verhältnissen und Entwicklungen vor Ort aus zu denken und diese dann verschiedentlich zu kontextualisieren, anstatt einen historischen Überbau zu produzieren, der so gar nicht zum fragmentarisch-mäandernden Stil der Ausstellung passt, die hier dokumentiert werden soll. Vielleicht hätte man auch das Medium wechseln sollen: ‚was bleibt’ wäre auf einer CD-Rom, die ihren Nutzer_innen die Gelegenheit bieten hätte können, sich ihre eigenen Geschichten zu erarbeiten, möglicherweise besser aufgehoben gewesen.

Diese Schwachpunkte des Katalogs sprechen aber vor allem für das gelungene Ausstellungsexperiment, das er begleitet. Wer diese Ausstellung besucht hat, wird anschließend gerne die Gelegenheit nutzen, die eigenen Impressionen und Gedanken bei der Lektüre des Katalogs noch einmal Revue passieren zu lassen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Jörg Skriebeleit, Erinnerungsort Flossenbürg. Akteure, Zäsuren, Geschichtsbilder, Göttingen 2009. Siehe auch: Cornelia Siebeck: Rezension zu: Skriebeleit, Jörg: Erinnerungsort Flossenbürg. Akteure, Zäsuren, Geschichtsbilder. Göttingen 2009, in: H-Soz-u-Kult, 05.03.2010, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-1-169> (21.11.2011).
2 Vgl. KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, Konzentrationslager Flossenbürg 1938-1945. Katalog zur ständigen Ausstellung, Göttingen 2008.

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