Cover
Titel
Verleger machen Geschichte. Buchhandel und Historiker seit 1945 im deutsch-britischen Vergleich


Autor(en)
Blaschke, Olaf
Reihe
Moderne Zeit 22
Erschienen
Göttingen 2010: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
667 S., 75 Abb.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Siegfried Lokatis, Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft, Universität Leipzig

Das Buch ist für jeden Historiker ein „strong buy“. Nicht nur der Nachwuchs kann hier lernen, wie viel darauf ankommt, in einem der richtigen, anerkannten Verlage zu publizieren (also möglichst nicht in einem Dissertationsverlag oder ausschließlich online). Man soll, so eine Botschaft des Autors, das branchenübliche Krisengejammer nicht überschätzen. Zwar ändert sich „das Feld“ der Geschichtsverlage im Hinblick auf die neuen Studiengänge und die Digitalisierung, auch ist der Wallstein-Verlag im Kommen, aber noch immer ist viel gewonnen, wenn man die kleinen Unterschiede zu deuten versteht, die Profile und die Programmpolitik der wichtigen Geschichtsverlage, das historisch gewachsene Ranking der führenden Zeitschriften verorten kann.

Das Buch bietet (besonders ab etwa S. 200) auch einen so unterhaltsamen wie lehrreichen Einblick in alle möglichen Publikationsstrategeme, Lektorats-Schnurren und habituelle Marotten der bundesdeutschen und britischen Geschichtswissenschaft. Dem vorgeschaltet wird ein hier nicht unbedingt notwendiger Versuch, das Meer zu pflügen, ein riesiges, bislang in der Tat kaum erforschtes Feld zu erkunden: die moderne deutsche Verlagsgeschichte, wobei die (besonders im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Geschichtsverlagen und Historikern) infolge des seit zwei Jahrzehnten uneingeschränkten Archivzugangs weit besser erforschte DDR-Zeit ausgeblendet bleibt.

Glänzend gelingt die erfindungsreiche Auswertung öder statistischer Materialmassen (die der Autor als Arbeitsgrundlage zudem erst einmal selbst zusammenstellen musste). Blaschke ermittelt die langfristigen Trends der Produktion von Geschichtstiteln und mit aufwendigen Stichproben den Anteil wissenschaftlicher Literatur daran. Er vergleicht (warum eigentlich?) den Ausstoß einzelner Verlage mit dem Gesamttrend. Er stellt, differenziert nach Studiendauer und Karrierestufen, in Befragungen fest, welche Geschichtsverlage dem Historikernachwuchs bekannt bzw. unter Doktoranden und Etablierten anerkannt sind, ja, er zählt dankenswerter Weise die (allerdings in der Sowjetischen Besatzungszone erstellten) Listen der auszusondernden Literatur aus, um daraus tapfer auf das mehr oder weniger ruinierte politische Image von Traditionsverlagen in der Nachkriegszeit zu schließen. Er rechnet für bestimmte Jahre die Prozentanteile aus, wie viele Titel der Geschichtsverlage in den relevanten Zeitschriften besprochen wurden. Den führenden westdeutschen Organen „Historische Zeitschrift“, „Geschichte in Wissenschaft und Unterricht“ und „Geschichte und Gesellschaft“ (leider nicht H-Soz-u-Kult) wird ein eigenes instruktives Kapitel gewidmet.

Ein Hauptergebnis des Vergleichs mit der britischen Situation ist die Beobachtung, dass in der Bundesrepublik tendenziell Gesinnungsverlage mit politisch oder konfessionell gerichteter Tendenz eine größere Rolle spielten. So wirkten Musterschmidt in Göttingen und die frühe Wissenschaftliche Buchgesellschaft ähnlich konsequent für das rechtskonservative Lager wie die Europäische Verlagsanstalt für das linke. Der Suhrkamp-Verlag, Vandenhoeck & Ruprecht als Hochburg der Bielefelder Schule (seit 1971) und Walter H. Pehles 1977 begonnene „Schwarze Reihe“ bei S. Fischer strahlten ein klares, homogenes Profil ab, was man in dem von programmpolitisch liberalen Universal- und Universitätsverlagen geprägten England vergeblich suchen würde. So fehlte englischen Historikern auch jedes Verständnis für die peinliche Distanzierung der Deutschen Verlagsanstalt von Rolf Hochhuth, der 2005 naiv für den Holocaust-Leugner David Irving eingetreten war. Insgesamt kann von einem systematisch durchgeführten Vergleich zwischen deutschen und englischen Geschichtspublikationen kaum die Rede sein, zumal der Autor, wo es ihm richtig erscheint, gelegentlich den Blick auf die USA ausweitet (zur Freude des Lesers).

Inspirierend, wenn auch cum grano salis zu nehmen, wirken die „Reputationsraumskizzen des Historikerverlagsfeldes“ (S. 355) oder die aufwendig erstellten „Bibliogrammtafeln“ (S. 414ff.) westdeutscher und britischer Historiker, mit denen deren Verlagstreue, ein Changieren zwischen mehr wissenschaftlichen und mehr populären Verlagen oder, wie im Fall Gerhard Ritters (S. 438f.), dessen unstete schriftstellerische Nomadenexistenz aufgezeigt werden kann.

Dem Autor gelingt es, für alle möglichen Verhaltensweisen hübsche Beispiele zu finden, die den Verleger hier als aktiven Anreger, dort als marktbewussten Textverhinderer und Gatekeeper, dann wieder als scheinbar diskursabstinentes Neutrum zeigen. Irgendetwas passiert ja immer in diesen Verlagen. Die Anordnung des gewonnenen Fundus an Episoden wirkt, wie der Autor auch einmal offen bekennt (vgl. S. 221f.), gelegentlich assoziativ gewonnen. So werden Schlüsselphasen verlegerischer Geschichtspolitik wie die Erfindung der Fischer-Weltgeschichte als Beispiele „horizontaler und vertikaler Positionierung“ subsumiert. Ein möglicher narrativer Höhepunkt, der vom Verleger aufgedrückte, die polemische Rezeption provozierende Titel „Griff nach der Weltmacht“ von Fritz Fischer (S. 485ff.) wirkt unter Wert verkauft, und dem zensierten „Eichmann in Jerusalem“ Hannah Arendts geht es kaum besser.

Dies ist aber ein geringer Preis für das kostbare Beweisziel: Verlagsgeschichte ist als systematische, empirisch und auch quantitativ gestützte Quellenkritik konstitutiv für jede historiographiegeschichtliche Diskursanalyse. „Wer glaubt, alles sei Zufall, kann das Buch ja an dieser Stelle zuklappen“, kokettiert Olaf Blaschke auf S. 409. Diese Möglichkeit ist dem Rezensenten nicht gegeben, und der Leser sollte das auch nicht tun.