Titel
Anwalt der Demokratie. Heinrich Jasper (1875 - 1945): Ein politisches Leben in Braunschweig


Autor(en)
Grubert, Martin
Erschienen
Anzahl Seiten
528 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Adrian Jitschin, Philipps-Universität Marburg

Der Name Heinrich Jasper steht für eines der tragischsten Schicksale eines NS-Verfolgten. Der ehemalige Braunschweiger Ministerpräsident war nach 1933 zahlreichen Schikanen ausgesetzt, bis er letztlich im Konzentrationslager Bergen-Belsen, zwei Monate vor der Ankunft der Alliierten, starb. Martin Grubert hat sich in seinem Werk „Anwalt der Demokratie“ zum Ziel gesetzt, eine „komplexe Biographie“ dieses bemerkenswerten Politikers zu zeichnen. Dies ist ihm, wie zu zeigen sein wird, nur teilweise gelungen.

Bei seiner Darstellung orientiert sich Grubert an der Chronologie des Lebenslaufes von Jasper. Nach einer Jugend in bürgerlichem Milieu und erfolgreichem Studium kehrte der promovierte Jurist Jasper in seine Heimatstadt Braunschweig zurück, wo er sich als Rechtsanwalt niederließ. 1902 wandte er sich, für Außenstehende überraschend, der Sozialdemokratie zu. Jasper konnte sich in den sozialdemokratischen Kreisen als intelligenter Redner profilieren und gehörte bald zu den auffälligen Persönlichkeiten der sozialdemokratischen Bewegung. 1915 wurde er eingezogen, bis November 1918 diente er an der Ostfront. Nach seiner Rückkehr nach Braunschweig musste Jasper feststellen, dass dort mittlerweile die USPD zur dominierenden politischen Kraft herangewachsen war. Doch entschied er sich trotzdem, sich dem Lager der oppositionellen MSPD anzuschließen, für die er zum Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung in Weimar gewählt wurde. Als Reichstagsabgeordneter eher unauffällig, wurde er zu einer Schlüsselfigur der Landespolitik. Obwohl noch die USPD regierte, hatte Jasper in den Jahren 1919/20 das Amt des Landtagspräsidenten inne. Es gelang ihm und der MSPD, sukzessive das Vertrauen der USPD zu gewinnen, sodass man 1919 eine Koalitionsregierung bilden konnte. Nachdem durch Reichsgewalt der Landesarbeiterrat und die bestehende Regierung für abgesetzt erklärt worden waren, schlug die Stunde Heinrich Jaspers. Als Vertreter des Konzepts einer parlamentarischen Demokratie wurde er mit der Regierungsbildung beauftragt.

Das erste Kabinett Jasper war somit eine Minderheitsregierung. Jasper selbst war nur mit 29 von 60 Stimmen in der Landesversammlung gewählt worden, die bürgerlichen Fraktionen tolerierten seine Regierung. Trotz Regierungsbeteiligung sah die USPD Jasper als „verhaßteste[n] Mann beim revolutionären Proletariat“ (S. 258). Nach dem Bruch mit der USPD kam es zunächst zu zwei kurzen Koalitionen mit bürgerlichen Parteien. 1921 kündigte ihm die eigene Fraktion die Treue auf: erneut kam es zu einer USPD-MSPD-Regierung, Jasper wurde auf die hinteren Sitzbänke des Parlaments verbannt.

Doch auch diese Regierung war bald am Ende. Trotz Vorbehalten der Parteimehrheit folgte die MSPD Jasper in eine erneute Koalition mit dem bürgerlichen Lager. Eine Phase relativer politischer Beständigkeit von 1922 bis Ende 1924 folgte, in der Jasper einer Koalitionsregierung aus DDP und jetzt wiedervereinter SPD vorstand. Dennoch wurde diese Regierung zugunsten eines Rechtsbündnisses abgewählt. In den drei Jahren von 1924 bis 1927 versöhnte sich Jasper mit seiner Partei. In der Opposition übernahm er erfolgreich die Rolle des Fraktionsvorsitzenden. „Für die nächsten Jahre wurde er nun zum unbestrittenen parlamentarischen Führer der SPD, was seinem Naturell, seinen Fähigkeiten auf organisatorischem Gebiet und seiner langjährigen Erfahrung im parlamentarischen Betrieb und der Gesetzgebung voll entsprach.“ (S. 334)

Die „glorreichen“ Jahre der Braunschweiger SPD begannen. Der SPD gelang es, über das Arbeitermilieu hinaus in neue Wählergruppen vorzudringen. Mit der Landtagswahl 1927 verfügte sie über eine relative parlamentarische Mehrheit von 24 der 48 Sitze. Der nun zum Ministerpräsidenten bestimmte Jasper gewöhnte sich einen sehr präsidialen Regierungsstil an und genoss in der öffentlichen Meinung höchstes Ansehen.

Umso erstaunlicher war dann die Wahlniederlage bei der Landtagswahl 1930. Diese war sicher auch auf die Veränderung der Stimmung auf Reichsebene zurückzuführen. Die bis dato unbedeutenden Nationalsozialisten hatten mit 22,2 Prozent der Stimmen auf einmal ein erhebliches Gewicht im Parlament. Zwar war die SPD mit 41 Prozent immer noch die bei weitem stärkste Kraft, jedoch war ihr Sitzanteil – auch aufgrund eines Wahlbündnisses der bürgerlichen Parteien – auf nunmehr 17 Sitze gesunken. Es gab keine Mehrheit links der Mitte mehr, und die bürgerlichen Parteien bevorzugten eine Koalition mit den Nationalsozialisten dem Zusammengehen mit der SPD. Somit kam es bereits 1930 in Braunschweig zu einer NS-geführten Regierung. In diesen Zeiten knapper Mehrheitsverhältnisse im Braunschweiger Landtag wurde der vormalige Ministerpräsident Jasper zum erbitterten Oppositionsführer. „Als allseits respektierter und vor allem unumstrittener parlamentarischer Führer der braunschweigischen Sozialdemokratie, der für seine aufrichtige demokratische Gesinnung bekannt war, unerschrocken für seine Überzeugung eintrat und stritt, dabei auch keinen Auseinandersetzungen mit den führenden Braunschweiger Nationalsozialisten aus dem Wege ging, war Jasper nun natürlich ein erstes Ziel der hasserfüllten Kampagnen.“ (S. 379)

Die NSDAP verließ allmählich den Boden der parlamentarischen Debatte und missbrauchte ihre Machtbefugnisse, um die Sozialdemokraten zu bekämpfen. Insbesondere Innen- und Volksbildungsminister Dietrich Klagges avancierte zum Gegenspieler Jaspers. Er ließ rigoros Umzüge und Schriften der Sozialdemokraten verbieten und setzte auf die Verleumdung seines Opponenten. Ein 1932 eingesetzter Untersuchungsausschuss sollte – vollkommen grundlos – die finanziellen Unregelmäßigkeiten der Jasper-Regierung untersuchen. Die systematische Desavouierung Jaspers erstreckte sich auch auf das Parlament, wo es zu tumultartigen Zuständen und unzählbar vielen Zwischenrufen der Nationalsozialisten kam.

Der sukzessiven Machtergreifung der Nationalsozialisten in Braunschweig hatten die Sozialdemokraten nur einen „passiven Legalitätskurs“ entgegenzusetzen. Jasper wandte sich in der zuspitzenden Lage an Reichsinnenminister und Reichspräsident, die sich jedoch nicht in die Braunschweiger Verhältnisse einmischen wollten. Die letzten Dämme brachen dann mit der Regierungsübernahme im Reich. Ab März 1933 zog sich eine Terrorwelle über ganz Braunschweig. Heinrich Jasper wurde am 18. März vor seinem Haus abgepasst und von SA-Hilfspolizisten verschleppt.

Es begann ein Martyrium. Von 1933 bis 1938 befand sich Jasper in Gefangenschaft, zunächst in Folterkellern der SA, später im Konzentrationslager. Insbesondere sein Intimfeind Klagges setzte ihm unerbittlich nach. So wird berichtet, dass Klagges ihn im KZ Dachau persönlich aufgesucht und verhöhnt hätte („Dieser Drecksack war mein Vorgänger“, S. 408). Als er 1938 aus dem Konzentrationslager entlassen wurde, war Jasper ein gebrochener Mann. Sympathisanten hatten ihm eine kleine Wohnung in Braunschweig besorgt. Regelmäßig musste er sich bei einer Polizeistelle melden, wurde überwacht und hatte Reiseverbot. Sein Ende „kam einem Verlöschen oder Verglimmen gleich“ (S. 412). In einer der letzten Verhaftungswellen des NS-Regimes wurde Jasper in den frühen Morgenstunden des 22. August 1944 verhaftet. Über das Lager 21 Sachsenhausen landete Heinrich Jasper in Bergen-Belsen.

Das Buch ist die erste nennenswerte Biografie dieses bedeutsamen Politikers. Grubert gelingt es, umfangreich Fakten zu Heinrich Jasper zusammenzutragen. Dabei überzeugt er mit beeindruckendem Detailwissen und solidem Arbeiten mit archivarischen Quellen. Dennoch kann und sollte die vorliegende Monographie nicht das letzte Wort zur Jasper-Forschung sein. Sämtliche biografische Stationen Jaspers, die sich außerhalb Braunschweigs ereigneten, sind weitgehend unklar. Dies betrifft Informationen zu seiner Studien-, Militär-, Reichstagsabgeordneten- und Lagerzeit. Diese bedeutungsvollen Jahre Jaspers bleiben zu erforschen. Den Kern des Werkes bildet die politische Geschichte von 1902 bis 1930. Vor dem Hintergrund der Braunschweiger Sozialdemokratie erklärt Grubert das Wirken Jaspers, sämtliche Aspekte der Privatperson in diesem Zeitraum klammert er jedoch aus, er belässt es dabei, den öffentlichen Menschen zu portraitieren. Auch die Darstellung des leidenden Jasper bleibt bei Grubert blass. Er orientiert sich eng an den wenigen erhaltenen Quellen.

Insgesamt erschwert diese Arbeitsweise ein Verständnis für die Zusammenhänge. Die politische Konzeption Jaspers, seine wichtigsten Bezugspersonen, seine – sicherlich zahlreich vorhandenen – Kontakte zu Sozialdemokraten über Braunschweig hinaus, all dies wird nicht dargestellt. Weshalb Jasper sich 1902 ausgerechnet der Sozialdemokratie zuwandte, bleibt ebenso unklar, wie die spannende Ambivalenz zwischen dem bürgerlichen Anwalt Jasper und dem sozialdemokratischen Politiker Jasper. Als handelndes Individuum, wie als Teil eines sozialen Umfelds bleibt Jasper in der Darstellung schwer greifbar. Besonders die Phase zwischen 1938 und 1944, in der ein „heruntergekommener“ (S. 410) Jasper in Wohnung und Stadtarchiv herumschlich, lädt geradezu zur Spekulation ein. So bleibt festzuhalten: Der vorliegende Band ist die bisher umfangreichste Darstellung zum Leben eines beeindruckenden Mannes, es bedarf aber weiterer wissenschaftlicher Forschung.

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