M. Lemberg: Die Grablegen des hessischen Fürstenhauses

Cover
Titel
god erbarme dich über mich/bruder des begere ouch ich. Die Grablegen des hessischen Fürstenhauses


Autor(en)
Lemberg, Margret
Reihe
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 71
Anzahl Seiten
270 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jasmin Deborah vom Brocke, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Die Historikerin Margret Lemberg hat sich in ihrer Monographie vorgenommen, die Grabdenkmäler der hessischen Landesfürsten seit dem 13. Jahrhundert zu untersuchen, und zwar sowohl in ihrer kunstgeschichtlichen Bedeutung als auch in ihrer Funktion als „Ausweis des jeweiligen Bekenntnisses [… und als] Repräsentation fürstlicher Macht“ (S. 9). Damit schließt sie für „das obere Ende der sozialen Pyramide“ an ein früheres Buch an, in dem sie unter dem Titel ‚Sprechende Steine‘ „evangelische, katholische und jüdische Grabsteine einfacher Menschen […] des Marburger Raumes untersucht“ hat (S. 9).

In ihrem hier vorzustellenden Buch betrachtet die Verfasserin sowohl die beiden Hauptlinien des Fürstenhauses, Hessen-Darmstadt und Hessen-Kassel, als auch die Seitenlinien, wie Hessen-Butzbach, Hessen-Homburg, Hessen-Rotenburg bzw. Hessen-Rheinfels-Rotenburg und Hessen-Philippsthal, insgesamt also über 50 Grabmonumente ganz unterschiedlichen Typs. Sie möchte mit ihrem Werk nicht nur einen Überblick über diese Grabdenkmäler, Epitaphe, Mausoleen und Grüfte des hessischen Hauses geben, sondern auch die Bedeutung und das Wirken der Verstorbenen innerhalb der hessischen Landesgeschichte betrachten.

Aufgrund des langen Zeitraums von sieben Jahrhunderten bietet sich eine Betrachtung der künstlerischen Entwicklungslinien der Grabstätten an, die Lemberg dann auch vornimmt. So fragt sie nach dem jeweiligen Bildhauer oder Steinmetz der Grabmäler respektive nach den Baumeistern oder Bauhütten der Kirchenanlagen. Ferner versucht sie, die konfessionellen oder machtpolitischen Intentionen der Bestatteten und ihrer Erben bei der Planung und Ausstattung dieser Anlagen und Monumente auf der Grundlage von Testamenten, Briefen und Bauaufträgen und ähnlichen Quellen (S. 14) zu erschließen.

Nach einer kurzen Einleitung mit Forschungsüberblick (S. 11-18) schreitet die Verfasserin die einzelnen Grablegen chronologisch und geographisch ab: Elisabethkirche in Marburg (S. 19-61), Stadtkirche zu Spangenberg (S. 63-70), Martinskirche in Kassel (S. 71-84), Stiftskirche in St. Goar (S. 93-104), Pfarrkirche St. Marien in Marburg (S.123- 133), Markuskirche in Butzbach (S. 135-138), Schlosskirche zu Homburg (S. 139-140), Stadtkirche in Darmstadt (S. 141-153), Marienkirche in Hanau (S.179-187) sowie die nichtkirchlichen Beerdigungsstätten (S. 211-240). Gesondert führt sie die Grabstätte Landgraf Friedrich I. von Hessen-Kassel (S. 85-86), Funeralwerke als Monumente auf Papier (S. 87-91), die Grablegen der Töchter des Landgrafen Philipp des Großmütigen von Hessen (S. 105-121) sowie diejenigen der zum Katholizismus konvertierten Mitglieder des Fürstenhauses (S. 155-177) und schließlich auch die Eingänge von fürstlichen Grüften (S. 189-209) auf. In ihrem letzten Kapitel, das als Auswertung und Zusammenfassung dient, kommt Lemberg zu der Schlussfolgerung, dass die Grabdenkmäler als ein Medium des Bekenntnisses und der Repräsentation des Hauses fungiert haben (S. 241-247). Das ist nun natürlich keine sehr neue oder überraschende Einsicht, wird aber durch die vorhergehenden Analysen noch einmal plausibel und mit den nötigen Details untermauert.

Mit der Auswahl der südlichen Konche der Marburger Elisabethkirche zu ihrer Grablege entsprachen die hessischen Fürsten dem allgemeinen Grabbrauch. Die Bestattung innerhalb einer Kirche war für die Angehörigen des Adels üblich und es war sichergestellt, dass diejenigen, die in der Elisabethkirche bestattet worden waren, in das tägliche Gebet einbezogen wurden. Die Sorge um die Seele lässt sich auch in der Grabsteinikonographie wiederfinden. So zeigen die Grabsteine von Adelheid von Braunschweig mit ihrem kleinen Sohn und dem ersten hessischen Landgrafen Heinrich I. eindrücklich den Seelentransport. Aber auch das Gebet der Lebenden für die Toten lässt sich in der Ikonographie aller Grabplatten in der Elisabethkirche von Heinrich I. bis Wilhelm II. wieder finden, zumeist dargestellt durch betende Mönche oder Nonnen. Eine Weiterentwicklung kann Lemberg auch bei den Inschriften der Grabplatten feststellen. Bis 1400 wurde meist nur der Name der oder des Toten, der Tag des Heiligen, an welchem er oder sie gestorben war, und die Jahreszahl vermerkt. Danach lassen sich beispielsweise Aufforderungen an den Betrachter finden, die Verstorbenen mit in das Gebet einzuschließen. Viele dieser Inschriften sind heute aufgrund ihres schlechten Zustandes nicht mehr lesbar.

Nach der Reformation änderte sich die religiöse Vorstellungswelt dahingehend, dass eine Bitte um das Gebet der Lebenden nicht mehr notwendig war. Lemberg stellt fest, dass in Folge dessen auch die Grabdenkmäler anders genutzt wurden. Auf ihnen befanden sich nun lange Inschriften, die für den rechten Glauben warben. In Hessen ging es dabei nicht nur um die Abgrenzung des Luthertums vom Katholizismus, vielmehr vertrat die Hessen-Darmstädter-Linie das Luthertum, während sich die Hessen-Kasseler-Linie dem Calvinismus zuwandte, und auch die Konvertiten erschufen sich große Grabmäler, die ihren katholischen Glauben zum Ausdruck brachten und für diesen warben.

Nachdem die herrschaftliche Grablege in der Elisabethkirche zu Marburg nicht mehr zur Verfügung stand, da deren Hochchor und die Konchen weiterhin dem Deutschen Orden gehörten und nur das Langhaus für den lutherischen Gottesdienst genutzt werden konnte, wurde die Grablege der hessischen Fürsten in die Residenzstadt Kassel verlegt. Gewählt wurde hierfür die von den Stiftsherren verlassene Stiftskirche St. Martin. Dies geschah nicht ohne Absicht: zum einen handelte es sich bei dieser Kirche um das größte Gotteshaus Kassels, zum anderen war diese Kirche zu einem Abbild der ständischen Gesellschaft geworden, in welcher sich die Gläubigen je nach Rang ihren Platz im Kirchengestühl kaufen konnten. Nach der Reformation lässt sich ein Bruch feststellen; Grablegen wurden nun neu angelegt. Eine Fortführung der alten Grablege war die Ausnahme. Oft wurden die Grablegen durch Gitter vom restlichen Kirchenraum abgetrennt. In den Kirchen wurden die Grabdenkmäler jetzt oftmals an die Position der Flügelaltäre gestellt, welche daraufhin weichen mussten oder verschoben wurden, sodass eine separierte Chorgrablege für die Fürsten entstand. Für die Künstler in den reformierten Gebieten, so erfahren wir weiter, waren Aufträge zur Erschaffung eines Grabdenkmal enorm wichtig, denn nach der Reformation brachen die sonstigen Aufträge zur Kirchenausstattung weg.

Nach 1800 kam es zu einer grundlegenden Veränderung im Bestattungsbrauch: Die Friedhöfe verschwanden aus der Stadtmitte und wurden aus hygienischen Gründen an den Stadtrand verlegt. Nun wechselten auch die hessischen Fürsten zu außerkirchlichen Grablegen. Dies sei, so Lemberg, nicht nur dem Platzmangel innerhalb der Kirchen geschuldet, sondern vor allem in einem „Paradigmenwechsel“ begründet, der „sich in der Literatur, der Philosophie und der Malerei der Zeit“ (S. 246) widerspiegele. Nach der Französischen Revolution und besonders nach 1806 sei es kurzzeitig zu Bestattungen auf allgemeinen Friedhöfen gekommen, im Verlauf der Restauration aber mündete der Brauch durch erneute Sonderbestattungen in eigens dafür errichteten Mausoleen. Weitere Einschnitte in der Bestattungssitte markieren das Ende der Monarchie und das Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Grabmäler und Epitaphe in den Kirchen gingen nun in den Besitz der Kirchen über, sodass nun auch die Verantwortung für ihre Erhaltung bei den Kirchengemeinden lag. Geschmack und Geld entschieden nun über die Erhaltung und den Standort der Grabmäler.

Insgesamt bietet Margret Lemberg mit ihrer Arbeit zu den hessischen Grabmälern einen umfassender Überblick über die Begräbnisstätten der hessischen Fürsten einschließlich ihrer Seitenlinien. Durch die vielen Abbildungen wird dem Leser die Möglichkeit gegeben, sich ein Bild von den im Text vorgestellten Grabmälern zu machen, ohne selbst vor Ort gewesen zu sein. Leider ist die Qualität der Bilder nicht immer optimal, allerdings enthält die Monographie zahlreiche Farbaufnahmen von Kunstwerken, für die bisher nur Schwarz-Weiß-Fotografien vorlagen. Als kleiner Kritikpunkt ließe sich anführen, dass die Autorin neuere Forschungen, wie etwa die Dissertation von Cornell Babendererde zu Sterben, Tod, Begräbnis und liturgischem Gedächtnis bei weltlichen Reichsfürsten des Spätmittelalters, die sich unter anderem auch mit den Grablegen der hessischen Fürsten des 14. und 15. Jahrhunderts beschäftigt, nicht einbezieht.1 Grundsätzliche Gegenpositionen ergeben sich hier aber nicht, vielmehr wird Babendererdes Arbeit durch Lembergs Detailstudien sinnvoll ergänzt.

Anmerkung:
1 Cornell Babendererde, Sterben, Tod, Begräbnis und liturgisches Gedächtnis bei den weltlichen Reichsfürsten des Spätmittelalters (Residenzenforschung 19), Ostfildern 2006.

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