U. Motschmann: Die Gesellschaft der Freunde der Humanität

Titel
Schule des Geistes, des Geschmacks und der Geselligkeit. Die Gesellschaft der Freunde der Humanität (1797-1861)


Autor(en)
Motschmann, Uta
Reihe
Berliner Klassik 14
Erschienen
Hannover 2010: Wehrhahn Verlag
Anzahl Seiten
504 S.
Preis
€ 44,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Björn Brüsch, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin

Mit der von Uta Motschmann vorgelegten Studie zur Geschichte der „Gesellschaft der Freunde der Humanität“ wird dem Korpus der Vereinsgeschichte eine sehr detailreiche Facette hinzugefügt. Dies ist ein großes Verdienst. Aus der Innenperspektive heraus und auf Grundlage eines umfangreichen vereinsinternen Quellenmaterials der 1797 in Berlin gegründeten Gesellschaft, das Conrad Wiedemann in seinen einführenden Geleitworten sehr richtig als Schlüsseltext bezeichnet, legt Uta Motschmann eine Pionierstudie vor, die weit über die bislang bekannten, zumeist aus einer übergreifenden Perspektive verfassten Monographien zur deutschen Vereinsgeschichte hinausgeht (Wiedemann führt die relevanten Studien an). Zugleich tritt das Arbeitsvorhaben „Berliner Klassik. Eine Großstadtkultur um 1800“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, in dessen Kontext die Studie entstand, mit diesem Pilotprojekt (S. 3) an die Öffentlichkeit.

Als zentrale These legt Uta Motschmann ein Konzept von Geselligkeit vor. Gemeint ist hier nicht nur „die Neigung oder Fertigkeit gern mit andern umzugehen“ (Adelung), als vielmehr die sich für den aufgeklärten Bürger des ausgehenden 18. Jahrhunderts damit verknüpfende Bildung im Sinne der Ausbildung des Menschen zum Menschen (S. 56ff.). Die Gesellschaft agierte damit an einer Schnittstelle zwischen privater und beruflicher Sphäre. In gegenseitiger Anregung und Belehrung als einem wechselseitigen Austausch von Wissen bildeten sich die Mitglieder.

Diese Argumentation ist naheliegend und, vor dem Hintergrund der langjährigen Motivation der Mitglieder, an der Gesellschaft teilzuhaben, überzeugend. Ausgehend von Friedrich Schleiermachers „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens“ (1799) wird ein intellektuelles Gefüge entworfen, das von einem, mit Schleiermacher gesprochen, Geselligkeitsideal und der darin aufgehenden intellektuellen Welt, in der man sich als Mitglied dem freien Spiel seiner Kräfte überlassen und sich harmonisch bilden könne, bis zum Prozess der ganzheitlichen Bildung als einer Selbstbildung der Menschlichkeit der Mitglieder reicht. Vor dem Hintergrund der vielfältigen Vortragsthemen der Mitglieder der Gesellschaft wirkt diese Argumentation sperrig. Gleichzeitig verdeutlicht sie den Horizont, vor dem das Agieren der Gesellschaft in den ersten Jahren ihres Bestehens betrachtet werden muss. In ihrem Wirken war die Gesellschaft dem antiken Ideal der ganzheitlichen Bildung des Menschen und der gleichmäßigen und gleichberechtigten Ausbildung aller seiner Fähigkeiten verpflichtet und versuchte dieses Ideal durch die von ihren Mitgliedern getragene Geselligkeit mit Leben und Wirksamkeit zu füllen (und sie tat dies auch weit über den Untersuchungszeitraum 1797 bis 1815 hinaus).

Ziel der Gesellschaft war somit der umfassend humanistisch gebildete Staatsbürger. Ihrem Selbstverständnis und ihrer Programmatik nach verfolgte sie den Zweck, „unter ihren Mitgliedern eine wissenschaftlich begründete Freundschaft zu stiften, und durch wechselseitigen Austausch ihrer Gedanken, Kenntnisse und Erfahrungen innere Fortbildung und aufheiternde Erholung zu veranlassen“ (§ 1). Dazu trafen sich die Mitglieder wöchentlich. Sie trugen Abhandlungen zu den eigenen Steckenpferden vor und referierten über die neueste Literatur und Kunst oder allgemein über Themen, die für Experten wie für Laien als wissenswert gelten konnten, um sich im Anschluss an den freien Vortrag bei einer einfachen Mahlzeit ebenso frei darüber auszutauschen.

Ein großes Verdienst der vorliegenden Studie ist die umfangreiche Auswertung der auf den Sitzungen der Gesellschaft gehaltenen Vorträge. Hier entsteht nicht nur das Bild einer universal orientierten Gesellschaft, die alle zeitgenössischen Wissensbereiche gleichberechtigt und ohne eine allzu starke Tendenz nebeneinander stellte. Durch die chronologische Zusammenstellung der Vortragsthemen lässt sich nachvollziehen, was als wissenswert galt und worüber unter Zeitgenossen debattiert wurde. Man sprach über Architektur und antike Kunst, über die Teilgebiete der sich um 1800 zunehmend ausdifferenzierenden Naturwissenschaften, über den Gesundheitszustand der Berliner Bevölkerung wie über allgemeine Hygiene, über öffentliche Spaziergänge und Denkmäler, über das preußische Schulwesen und die deutschen Erziehungsinstitutionen, über Kunsthandwerk, Fabriken und Manufakturen, Kultur und bildende Kunst, allgemeine und deutsche Geschichte, Philosophie und Theater. Die Mitglieder lasen Goethe und Schiller (allein in den ersten fünf Jahren der Gesellschaft bei elf Gelegenheiten), Gellert, Lessing, Klopstock, Wackenroder und Friedrich Schlegel. Neben Übersetzungen der antiken Klassiker wurden gleichberechtigt Vorschläge zur Verbesserung von Wohnungen und die Ent- und Bewässerung von Wiesen vorgestellt. Die Fülle der vorgetragenen Themen wird von Uta Motschmann gut, wenngleich auch in der statistischen Aneinanderreihung etwas ermüdend zu lesen, zusammengeführt. Darin wird die Gesellschaft als ein Umschlagplatz von Wissen, von Ideen und Meinungen (S. 130) sehr lebendig. Besonders zu loben sind an dieser Stelle die thematische Gliederung der Vorträge auf der beiliegenden CD-Rom wie auch die aufwendig recherchierten Bezüge der gehaltenen Vorträge.

Im Kern verfolgte die Gesellschaft keine unmittelbare Wirkungsabsicht. Trotz Selbstbildung der Menschlichkeit der Mitglieder war sie ein doch recht elitäres und geschlossenes Forum, dessen Mitglieder sich aus denjenigen Gesellschaftsschichten rekrutierten, denen es an Bildung keinesfalls mangelte. Ihr Zweck lag vielmehr in ihr selbst und nur sekundär außerhalb der Gesellschaft (S. 53). Auf bildungsferne Schichten verstand sie entsprechend nur sehr eingeschränkt zu wirken. Da die Gesellschaft nicht mit eigenen Abhandlungen in die Öffentlichkeit trat, war ihr Wirkkreis, sieht man von den Mitgliedern ab, recht begrenzt. Der selbst gegebene Bildungsauftrag, für den die Gesellschaft in langwierigen Diskussionen sehr strukturierte Statuten entwarf, entsprach einem Kaleidoskop der Bildungsgeschäfte ihrer einzelnen Mitglieder. Es war der Mittelstand der Gesellschaft, der sich eine Selbstbildungsanstalt in Berlin schuf (S. 49).

Die Mitglieder der „Gesellschaft der Freunde der Humanität“ – Mitgliedsstruktur und Mitgliederbewegung werden in einem eigenen Kapitel dargestellt (S. 85ff.) – waren zugleich auch Mitglieder anderer Vereine und Gesellschaften. Wenngleich nicht primäres Ziel der von Uta Motschmann vorgelegten Untersuchung, ergäbe sich aus der Parallelität der Mitgliedschaften ein lokales Wissens- und Kommunikationsnetz, mit Hilfe dessen sich der Transfer zeitgenössischen Wissens nachvollziehen ließe. Dies ist leider nur angedeutet. Denn in der Tat ist in einem sich zunehmend institutionell verdichtenden Raum, wie es für Berlin um 1800 angenommen werden kann, nicht mehr so sehr die einzelne Person wichtig, als vielmehr das Netzwerk (S. 97), das, als Interaktionsgeflecht aufgefasst, sowohl das Verhältnis der Institutionen zueinander als auch das Agieren der daran beteiligten Personen, das verhandelte Wissen und die Themen aufzuzeigen vermag. Das für die Studie zentrale Konzept der Geselligkeit erhielte hier einen deutlich weiter gefassten Rahmen.

In Teilen löst Uta Motschmann dies in einer Betrachtung der Verbindung der „Gesellschaft der Freunde der Humanität“ zu anderen Gesellschaften ein, allerdings bleibt es ein Desiderat der Forschung, die zahlreichen Beziehungs-, Personen-, Wissens-, Objekt- und Institutionengeflechte samt ihrer Geselligkeitsknotenpunkte in einer lokalen Gesamtschau zusammenzuführen. Dann könnte auch klarer herausgearbeitet werden, warum es sich um eine Elite handelte. (S. 15, 130f.) Deren wesentliches Charakteristikum bestand eben nicht in einer immer wieder neu gelebten Form der Geselligkeit, sondern vielmehr in einer aktiven Teilhabe am Wissens- und Informationstransfer.

Uta Motschmanns Untersuchung liefert ein genaues und faszinierendes Porträt der Geselligkeit und Wissenskultur einer der zahlreichen Gesellschaften im Berlin um 1800. Anhand der Mitglieder und ihrer Vorträge, der Gesellschaftsstatuten, der Strukturen und Organisation der Gesellschaft gelingt es, ein Gebilde zum Leben zu erwecken, das in seiner Materialfülle und in seiner Prägnanz bislang einzigartig ist. Die Untersuchung greift damit Strukturen auf, die, wenngleich ohne antiken Pathos, konstituierendes Element in der Bildungsvermittlung des 19. Jahrhundert wurden, sei es in den zahlreichen Vereinen zur Beförderung einer Sache oder in einer generellen Popularisierung des Wissens.

Uta Motschmanns sorgsam strukturierte Geschichte der Gesellschaft ist eine überaus lesenswerte Mikrostudie über eine bislang kaum in Erscheinung getretene Vereinigung geselligkeits- und bildungshungriger Bürger. Darüber hinaus wird damit eine beeindruckend dichte und bestens recherchierte Materialsammlung zugänglich gemacht, die zu einem wichtigen und ernstzunehmenden Baustein zukünftiger Erörterungen des Vereins- und Gemeinschaftswesens um 1800 in der preußischen Metropole werden dürfte.