Ingmar Bergman. Von Lüge und Wahrheit

Ingmar Bergman. Von Lüge und Wahrheit

Veranstalter
Museum für Film und Fernsehen (15618)
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15618
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.01.2011 - 29.05.2011

Publikation(en)

Cover
Warnecke, Nils; Jaspers, Kristina (Hrsg.): Ingmar Bergman. Von Lüge und Wahrheit. Berlin 2011 : Bertz + Fischer Verlag, ISBN 978-3-86505-207-0 136 S. € 17,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ariane Karbe, Berlin

Ausstellungen, in denen hauptsächlich Flachwaren präsentiert werden, sind für gewöhnlich langweilig und für Besucher und Besucherinnen mühsam zu entschlüsseln. Oftmals stellt sich die Frage, warum die Exponate der Öffentlichkeit nicht in einem Buch zugänglich gemacht werden, welches mit Muße studiert werden kann. Die Ausstellung „Ingmar Bergman – Von Lüge und Wahrheit“ ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Kuratorin Kristina Jaspers und Kurator Nils Warnecke meistern das Kunststück vergessen zu machen, dass nur ein Bruchteil der in der Deutschen Kinemathek ausgestellten Objekte dreidimensional ist. Vor allem drei Punkte lassen das Kunststück gelingen: die konsequente und vielschichtige Verfolgung des Ausstellungsthemas, die schlichte, jedoch wirkungsvolle Präsentation und die sorgfältige, um nicht zu sagen liebevolle, Auswahl und Komposition der Exponate.

Gleich zu Beginn der Ausstellung wird im Einführungstext der Untertitel „Von Lüge und Wahrheit“ erläutert: Der weltberühmte schwedische Regisseur Ingmar Bergman (1918-2007) trug in seinem stark protestantisch geprägten Elternhaus Verletzungen davon und flüchtete sich in Schwindeleien. Die Gratwanderung, so heißt es, zwischen Lüge und Wahrheit ziehe sich wie ein Leitmotiv durch sein Werk. Die Kuratoren benennen hier den Punkt, an dem sie die verschiedenen Erzählstränge bündeln wollen.

Besonders eindrucksvoll gelingt ihnen dies in der ersten Abteilung „Prolog“. Der Abteilungstext beschreibt anhand prägnanter Beispiele das „Übereinanderschichten und Umformen“ von Bergmans Leben und Werk. Von ihm geschaffene Filmsets, Dialoge, Szenen und ganze Spielfilme orientieren sich am eigenen Erleben; Episoden aus seiner Autobiographie hingegen lassen ihrerseits an Szenen aus seinem Œuvre denken. Originell wird das Motiv von Lüge und Wahrheit in einer Fotocollage umgesetzt: Privataufnahmen vermischen sich unkommentiert mit Szenenfotos. Die Besucher und Besucherinnen sind zum genauen Hinschauen aufgefordert und können anhand der knappen Beschreibungen zu den einzelnen Fotos ermitteln, aus welcher Sphäre das jeweilige Exponat stammt. Gleich neben der Collage stehen drei Figurinen, bekleidet mit den Kostümen des Vaters, der Mutter und der Großmutter aus „Die besten Absichten“, einem der Spielfilme Bergmans, die direkt auf seiner Familiengeschichte basieren. In einem Interviewausschnitt erzählt der alternde Regisseur, wie sein Vater mit Zornausbrüchen auf seine kindlichen Phantastereien reagierte, von dem Verständnis, welches ihm seine Großmutter entgegenbrachte und der Verbundenheit, die er zu seiner Mutter empfand. Beim Anschauen des Interviewmaterials kann man sich des Gefühls nicht erwehren, dass die Kostüme zu rascheln beginnen; Faktisches beginnt mit Fiktion zu verschmelzen.

Die folgenden Abteilungen durchlaufen einerseits chronologisch die Lebens- und Werkgeschichte Bergmans, widmen sich andererseits – das verraten schon die Abteilungstitel wie „Suche“, „Künstler“, „Glaube“, „Fårö“ und „Beziehungen“ – zentralen Motiven seines Schaffens. Das Leitmotiv der Ausstellung „Lüge und Wahrheit“ wird unterschiedlich intensiv aufgegriffen. In der Abteilung „Künstler“ wird zum Beispiel auf den Grenzbereich zwischen Clownerie und Scharlatanerie eingegangen, in dem sich Gaukler und Schauspieler – und eben auch Regisseure – bewegen. Auf einer anderen Ebene jedoch durchzieht das zu Beginn aufgeworfene Thema konsequent die gesamte Exposition: Zum einen kann die Flucht des jungen Ingmar Bergmans in phantastische Welten als Motor für sein späteres künstlerisches Schaffen gedeutet werden, zum anderen wird es ausdrücklich als Antwort auf die restriktive Atmosphäre im Elternhaus dargestellt. Ein weiteres Qualitätsmerkmal der Ausstellung ist, dass Kurator und Kuratorin sich jedem Voyeurismus verweigern und den psychologisierenden Ansatz nicht weiter vertiefen. Wie von selbst scheint die Problematik an der Oberfläche auf, bedingt durch die Auswahl und Komposition der Exponate.

Auch die Bedeutung von Bergmans Schaffen wird hervorragend durch die „Flachwaren“ verdeutlicht. Die Dokumente – Drehbücher, Zeichnungen, Briefe, Manuskripte – korrespondieren in vielfältiger Weise miteinander. So verorten Briefe von Woody Allen, Steven Spielberg und Billy Wilder Bergman in der ersten Riege der internationalen Filmkunst. Alle Exponate sind Leihgaben der „Stiftelsen Ingmar Bergman“, die den Nachlass Bergmans verwaltet. Die Sammlung wurde 2007, kurz nach dem Tod des Regisseurs, in das UNESCO-Programm „Memory of the World“ aufgenommen und zählt seitdem zum Weltdokumentenerbe der Menschheit.

Dass die Lektüre der Flachware nicht ermüdend wirkt, ist auch dem Humor der Kuratoren zu verdanken, die immer wieder ausgewählte Objekte mit einem Augenzwinkern in die Präsentation einbinden. Dieser Humor findet sich auch in der letzten Abteilung der Ausstellung wieder, im „Epilog“: Hoch oben an der Wand ist ein Foto Bergmans befestigt, das ihn mit Engelsflügeln zeigt. Das dazu ausgestellte Objekt – ein Zettel, auf dem Bergman die Dämonen notierte, die ihn Zeit seines Lebens quälten – schlägt auf gekonnte Weise den Bogen zum Beginn der Exposition.

Die zurückhaltende und doch so aussagekräftige Erzählweise zeichnet auch den Ausstellungskatalog aus. Nicht ein Porträt des schwedischen Regisseurs wird gezeichnet, sondern vielfältige Stimmen von Schauspielerinnen, Regisseuren und Weggefährten setzen sich zu einem vielgesichtigen Bild zusammen. Der Katalog folgt der Struktur der Ausstellung und ist ebenso sorgfältig zusammengestellt. Die Objektfotografien konzentrieren sich in gelungener Weise auf die Filmkostüme. Eine umfassende Exponatsliste ergänzt die Publikation.

Die Gestaltung der Ausstellung ist schlicht – einfarbige Wände, kopflose, schwarze Figurinen, einfache Bilderrahmen, schmucklose Abteilungstexte – aber nicht langweilig. Umso wirkungsvoller (unterstützt durch eine intime Beleuchtung) kommen die Filmkostüme zur Geltung, die den Großteil der dreidimensionalen Exponate ausmachen. Optisch dominiert wird jede Abteilung durch eine große, von hinten beleuchtete Wand, die fast ausnahmslos Szenenfotos mit Schauspielerinnen und Schauspielern zeigen. Die ausgewählten Fotos korrespondieren vortrefflich mit den Exponaten, Filmausschnitten und Kostümen in der jeweiligen Abteilung. In der Sektion „Suche“ zum Beispiel wird zentral ein Kinematograph aus den 1920er-Jahren gezeigt, der ebenfalls aus dem Nachlass Bergmans stammt. Das Szenenfoto ist dem Film „Gefängnis“ entnommen und zeigt ein Paar, das gebannt auf ein durch einen Kinematographen projiziertes Bild schaut.

Die einzige Unstimmigkeit auf gestalterischer Ebene stellt die Farbwahl im zweiten Teil der Ausstellung dar. Statt des vorher herrschenden Grautons wurde für die Wände ein warmes Rot gewählt und das mag auf den ersten Blick auch zu überzeugen, ist hier die erste Abteilung doch mit „Beziehungen“ überschrieben. Das Rot setzt sich aber auch in den Abteilungen „Exkurs zu Deutschland“ und „Resümee“ fort. Auch das präsentierte Zitat Bergmans, er hätte sich das Innere einer Seele immer als „eine rote Membrane“ vorgestellt, vermag die Wahl nicht überzeugend zu begründen.

Der Multimedia-Einsatz in der Ausstellung beschränkt sich auf die Präsentation von Ausschnitten aus Spielfilmen, Werkaufnahmen und Interviews. Dass die Besucher und Besucherinnen bestimmte Ausschnitte nicht gezielt wählen können, ist für moderne Ausstellungen eher ungewöhnlich, verhütet aber ungeduldiges „Zappen“. Die einzelnen Ausschnitte sind allerdings zu lang, das Anschauen aller Filmbeispiele ist so auch dem interessiertesten Besucher fast unmöglich. Bemerkenswert und einem „Museum für Film und Fernsehen“ durchaus angemessen ist die Entscheidung, einen Teil der Spielfilmclips direkt auf die Wände zu projizieren. So fügen sich die Filme als Exponat unter Exponaten zwischen Dokumenten und Fotografien perfekt ein. Auch die Tonspuren der Spielfilme stören hier nicht, wie oft in anderen Ausstellungen, während des Betrachtens der Objekte und des Lesens der Texte, sondern legen sich als atmosphärischer Klangteppich stimmig unter die Beschäftigung mit dem Werk Bergmans. Schwedische Sprachfetzen, Schreie, Schluchzen, die Sirenen eines Krankenwagens verstärken den düsteren Eindruck, den das Leben und Werk des Regisseurs hinterlässt.

Als besonders gelungenes Beispiel für den Medieneinsatz sei die „Laterna magica“ genannt, eine begehbare Box, auf deren vier Innenwänden parallel Ausschnitte aus Bergmans Spielfilmen gezeigt werden. Im ersten Augenblick scheint es unmöglich, alle vier Projektionen gleichzeitig zu erfassen, doch aus einem Eckwinkel heraus können sie tatsächlich fast gänzlich überblickt werden. Eindrücklicher als würden die Ausschnitte nacheinander auf einer Leinwand gezeigt, drängen sich die das Filmwerk dominierenden Motive geradezu auf: elend lange Flure, hintereinanderher hastende Paare, vor geschlossenen Türen wartende Menschen. Wieder wirkt die Präsentation scheinbar mühelos, da sie nicht durch aufdringliche Interpretationen belastet wird, es ist aber zu ahnen, wie aufwändig die Auswahl der genau aufeinander abgestimmten Filmausschnitte gewesen sein mag.

Diese Kombination von vielschichtiger Tiefe und großer Leichtigkeit zeichnet „Ingmar Bergman – Von Lüge und Wahrheit“ aus. Am Ende der Ausstellung hat man die Filmwelt des Regisseurs durchschritten.

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