G. Weber (Hrsg.): Alexandreia und das ptolemäische Ägypten

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Titel
Alexandreia und das ptolemäische Ägypten. Kulturbegegnungen in hellenistischer Zeit


Herausgeber
Weber, Gregor
Erschienen
Berlin 2010: Verlag Antike
Anzahl Seiten
220 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Brüggemann, Seminar für Klassische Altertumswissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Galt das althistorische Interesse am ptolemaiischen Ägypten zunächst der Bereitstellung systematischer Überblicksdarstellungen zur (politischen) Geschichte, richtet sich das Augenmerk nun zunehmend auf die Beziehungen zwischen autochthoner ägyptischer Gesellschaft und ihren (wechselnden) Fremdherrschaften.1 Gerade die Epoche des Hellenismus, in der im Nahen und Mittleren Osten eine einheitliche graeco-makedonische Leit- und Prestigekultur zeitgleich einer Vielzahl endemischer Lokalkulturen gegenübertrat, ist prädestiniert für die Erforschung interkultureller Wechselbeziehungen: Lassen sich in den hellenistischen Monarchien identische oder voneinander abweichende Interdependenzprozesse zwischen Fremd- und Lokalkultur ausmachen? Was war Parallele, was Zufall?

Die Beiträge des vorliegenden Bandes gehen auf das altertumswissenschaftliche Kolloquium „Kulturbegegnungen im ptolemäischen Ägypten. Geschichte – Probleme – Perspektiven“ zurück, das im Wintersemester 2007/8 an der Universität Augsburg stattgefunden hat. Nach einer Einführung in den Gegenstand folgen auf drei Beiträge der Alten Geschichte (Sitta von Reden, Gregor Weber und Stefan Pfeiffer) jeweils zwei der Klassischen Archäologie (Marianne Bergmann und Stefan Schmidt) und der Gräzistik (Irmgard Männlein-Robert und Karl-Heinz Stanzel).2

Gregor Webers ausführliche Einführung „Kulturbegegnungen in Alexandreia und im ptolemäischen Ägypten. Begriffe – Probleme – Perspektiven“ (S. 9–29) bietet neben dem Konzept des Augsburger Kolloquiums einen Überblick über die Kernfragen gegenwärtiger Hellenismusforschung. Zentral ist Webers Grundannahme, Kultur als ein „dynamisches Geschehen“ zu betrachten, das „sowohl Artefakte als auch Inhalte von Wissen, Denkformen und Handlungsspielräume der Menschen, Empfindungen und Sensibilitäten, Sprache und Religion“ umfasse und „letztlich […] ein Ensemble kultureller Praktiken“ sei (S. 10).3 Die mitunter wie ein Konstrukt der Forschung erscheinende Dichotomie von Graeco-Makedonen und Indigenen stellt Weber durch die Ablehnung des Begriffes „Ethnizität“ (S. 23) berechtigterweise in Frage.4 Es bleibt zukünftigen Studien vorbehalten, zu ergründen, inwieweit der für das Ptolemaierreich formulierte Befund, wonach „Multiple Identitäten an der Tagesordnung“ gewesen seien (S. 23), Charakteristikum des Hellenismus war.

Sitta von Reden untersucht in ihrem Aufsatz „Kulturbegegnung und wirtschaftliche Transformation in den ersten Generationen ptolemäischer Herrschaft“ (S. 30–54), wie sie sich mit der Einführung des Münzgeldes in Ägypten eingestellt haben. Der Fokus des Beitrages liegt auf der Anfangsphase der Münzwirtschaft im 3. Jahrhundert v.Chr., in der von der neuen Wirtschaftsweise ausgelöste Veränderungen der sozio-kulturellen und politischen Statik innerhalb der ägyptischen Gesellschaft unmittelbar beobachtet werden können. Da die von den Ptolemaiern initiierte Münzwirtschaft bald traditionelle Wirtschaftsformen verdrängte, ist die „Rolle des Geldes als Machtinstrument“ (S. 35) unverkennbar. Obwohl die „Begegnung der Wirtschaftskulturen, die sich nach der Eroberung Ägyptens durch die Griechen ergaben“, sich „weder durch das Gegensatzpaar einer Natural- und Geldwirtschaft, noch durch das einer Plan- und Marktwirtschaft fassen“ ließen, sei den Ptolemaiern auf lange Sicht „eine grundlegende Transformation der ägyptischen Wirtschaft“ gelungen (S. 50f.).

In seinem zweiten Beitrag „Ungleichheiten, Integration oder Adaption? Der ptolemaiische Herrscher- und Dynastiekult in griechisch-makedonischer Perspektive“ (S. 55–83) betont Gregor Weber, dass Priesterelite wie Bevölkerung Ägyptens seit pharaonischer Zeit nicht nur mit Fremdherrschern, sondern auch mit deren kultischer Verehrung vertraut waren (S. 59). Er befasst sich explizit mit dem von den Ptolemaiern als Neuerung implementierten und in Alexandreia zentralisierten hellenistischen Herrscherkult (S. 63f.). Webers Befund, wonach die Ptolemaier „nicht konkrete Anbindung an die […] pharaonischen Vorfahren“ suchten, sondern mit der Kreation eines eigenen Herrscher- und Dynastiekultes „mit Bezug auf Alexander eine neue Dynastie“ (S. 75) begründeten, überzeugt.5 Dass ihnen daraus keine machtpolitischen Nachteile erwuchsen, war wohl darauf zurückzuführen, dass den Ägyptern in ptolemaiischer Zeit der Fortbestand ihres eigenen Königskultes zugestanden wurde, in den sie auch die Ptolemaier als Pharaonen aufnehmen konnten.

Der Aufsatz von Stefan Pfeiffer „Das Dekret von Rosette. Die ägyptischen Priester und der Herrscherkult“ (S. 84–108) schließt an Weber an. Er beschreibt, wie sich der ägyptische Königskult, der einen ptolemaiischen König als Pharao legitimierte, durch die Parallelität des hellenistisch-ptolemaiischen Herrscherkultes nicht nur wandelte, sondern letzterem immer ähnlicher wurde. Das Dekret der ägyptischen Krönung Ptolemaios’ V. von 196 v.Chr. erscheint als Endpunkt einer Entwicklung: „Das, was […] das Priesterdekret vor Augen führt, ist für die ägyptische Tradition absolut neu. Nie zuvor war es möglich, dass der amtierende Pharao zu einem Gott des ägyptischen Tempels wurde.“ (S. 103) Hatten die ägyptischen Priester bei den ersten Ptolemaiern noch gezögert, ob und wie diese an die Stelle der Pharaonen treten könnten, erhoben sie sie nun sogar über die Pharaonen, machten sie zu Göttern. Das Dekret von Rosette dokumentiert die Inkorporierung des ägyptischen Königskultes in den ptolemaiischen Herrscherkult bereits am Beginn des 2. Jahrhunderts v.Chr.

Marianne Bergmann befasst sich mit „Sarapis im 3. Jh. v.Chr.“ (S. 109–135), also mit einem vornehmlich durch kaiserzeitliche Quellen überlieferten Gott. Erst archäologische Zeugnisse bestätigen die Einführung des Sarapiskultes in Alexandreia durch Ptolemaios I.: Dieser translozierte den ägyptischen Gott Osorapis unter neuem ägyptisierenden Namen von Memphis nach Alexandreia, wobei seine Motive unklar sind. Bergmann lehnt wohl zurecht eine lange auf die religiöse Sphäre konzentrierte Deutung ab und betont die politische Dimension, indem sie darlegt, „daß die Einrichtung des Kultes in Alexandreia […] als Geste der Könige gegenüber den Göttern der ägyptischen Hauptstadt Memphis und damit gegenüber den führenden und innenpolitisch wirksamen […] Priesterschaften zu verstehen ist – damit […] als Maßnahme der Konzeptualisierung der Rolle des Königs in seiner griechischen Stadt“ (S. 120). Dass das Religionskonzept der Ptolemaier in dieser Hinsicht eher „ritualen als religiösen Inhalten“ folgte, wird so offensichtlich.

Obwohl die Neuzeit ‚Nekropole‘ generalisierend als Bezeichnung für antike Friedhöfe verwendet, kennt die Antike nur einen Beleg: Nekrópolis bezeichnet die Totenstadt Alexandreias (Strab. 17,1,10), der Stefan Schmidts Aufsatz „Nekropolis – Grabarchitektur und Gesellschaft im hellenistischen Alexandreia“ (S. 136–159) gewidmet ist. Schmidt hält es für „legitim und notwendig, die Gräber auf ihren Zeugniswert für die Stadt der Lebenden zu befragen“, da die eigentlichen hellenistischen Siedlungsstrukturen Alexandreias archäologisch „schemenhaft“ blieben. Dass die Begräbnissitten in einer multiethnischen Stadt als Spiegel ihres gesellschaftlichen Klimas wahrgenommen werden sollten, ist evident (S. 137). Schmidt dokumentiert die ägyptischen Einflüsse in architektonischer sowie kultischer Hinsicht und zeigt einleuchtend, dass der kulturelle Austausch besonders in den kollektiv genutzten bzw. verwalteten Einrichtungen der Totenstadt – Versammlungsräume, Grabgemeinschaften oder Vereine – die gesellschaftliche Stratigraphie Alexandreias zeigt (S. 139–149).

Irmgard Männlein-Robert untersucht in ihrem Beitrag „Zwischen Musen und Museion oder: Die poetische (Er-)Findung Griechenlands in den Aitien des Kallimachos“ (S. 160–186) „die Komposition eines imaginären griechischen Erinnerungsraumes“, der vom hellenistischen Dichter in Alexandreia „durch gezielten Transfer und kunstvolle Transformation mit dem Ziel konstituiert wird, den in Ägypten lebenden Griechen […] kulturelle Identität und kulturelles Gedächtnis zu vermitteln“ (S. 160) und in einer sozio-kulturell heterogenen Umwelt zu erhalten. Sie zeigt dabei auch, dass Alexandreia im 3. Jahrhundert v.Chr. für griechische Intellektuelle, für den griechischen Kulturkreis zum kulturellen Impulsgeber wurde, der griechisches Traditionsbewusstsein auf zeitgemäße Weise mit dem Status quo öffentlichen Lebens in einer jungen Stadt verknüpfte. Kallimachos, das betont Männlein-Robert überzeugend, schlägt mit den Aitia „eine Brücke zwischen (ägyptischer) Gegenwart und (griechischer) Vergangenheit“ (S. 183).

Der Aufsatz von Karl-Heinz Stanzel „Neuer Wein in neuen Schläuchen? Kallimachos’ Iambik, die Mimepen Theokrits und die Mimiamben des Herodas“ (S. 187–208) stellt die Frage, was alexandrinische Dichtung ausmachte und auf welche Weise das sozio-kulturelle Milieu den Umgang in Alexandreia arbeitender Dichter mit den griechischen poetischen Traditionen beeinflusste. Stanzel konstatiert zu Beginn, dass „Innovative Bestrebungen […] die Antwort auf die Last der Tradition“ sind, „indem jeder Dichter […] neue Wege beschritt und traditionelle Elemente der überkommenen, aber in gewissem Sinne auch obsolet gewordenen Dichtung in überraschender Weise zusammenbrachte oder mit diametral Entgegengesetztem verband“ (S. 187). Während Kallimachos sich auf behutsame Modifikationen der Tradition in formaler Hinsicht beschränkte, gingen Theokrit und Herodas darüber hinaus, indem sie ihre „neue Dichtung“ schließlich sogar für neue, profanere Inhalte der hellenistisch-alexandrinischen „Alltagswelt“ (S. 206) öffneten. Den Abschluss des Bandes bilden schließlich zwei Register „Sachen, Orte, Personen“ (S. 209–216) und „Quellen“ (S. 217–220), die nochmals die thematische Fülle und die breite Quellenbasis der versammelten Beiträge aufzeigen.

Den Veranstaltern des Augsburger altertumswissenschaftlichen Kolloquiums ist für das innovative Konzept ihrer Vortragsreihe Anerkennung aussprechen. Der vorliegende Band ist ein gelungenes Beispiel produktiver Interdisziplinarität und zeigt überzeugend neue Wege auf, die die Hellenismusforschung zukünftig beschreiten sollte. In dieser Weise wird der Band seinem eigenen Anspruch, „aktuelle Fragestellungen […] zu untersuchen und das ihnen innewohnende Forschungspotential aufzuzeigen“ (S. 7) absolut gerecht.

Anmerkungen:
1 Zu den Überblicksdarstellungen: Günther Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches, Darmstadt 1994; Werner Huß, Ägypten in hellenistscher Zeit 332-30 v.Chr., München 2001. Zu den Einzeluntersuchungen: Günter Vittmann, Ägypten und die Fremden im ersten vorchristlichen Jahrtausend, Mainz 2003; Stefan Pfeiffer (Hrsg.), Ägypten unter fremden Herrschern zwischen persischer Satrapie und römischer Provinz, Frankfurt am Main 2007.
2 Es bleibt allerdings unklar, ob der Band alle im Rahmen des Forschungskolloquiums gehaltenen Vorträge oder nur eine Auswahl umfasst. In diesem Zusammenhang wäre es aufschlussreich zu wissen, ob das ursprüngliche Konzept dieser Vortragsreihe auch Fachdisziplinen jenseits des klassischen altertumswissenschaftlichen Kanons, beispielsweise die Ägyptologie oder die vorderasiatische Archäologie bzw. Philologie, eingeschlossen hat.
3 Vorhandene Fallstudien erhalten so eine theoretische Grundierung: Amélie Kuhrt / Susan Sherwin-White (Hrsg.), Hellenism in the East. The Interaction of Greek and Non-Greek Civilizations from Syria to Central Asia after Alexander, Berkeley 1987; Susan Sherwin-White / Amélie Kuhrt (Hrsg.), From Samarkhand to Sardis. A New Approch to the Seleucid Empire, Berkeley 1993.
4 Trotz ihrer unbestreitbaren Verdienste bleibt die jüngst erschienene Studie zum Seleukidenreich von Laurant Capdetrey, Le pouvoir séleucide. Territoire, administration, finances d’un royaume hellénistique (312–129 avant J.-C.), Rennes 2007, leider allzu oft der graeco-makedonischen Perspektive der Fremdherrscher wie einer dichotomischen Sicht auf Graeco-Makedonen und Indigene verhaftet.
5 Gegenüber Webers (S. 60) Annahme, wonach dem „Namenmaterial zufolge […] die unmittelbare Umgebung des Königs über viele Jahrzehnte hinweg makedonisch-griechisch zusammengesetzt“ geblieben sei, „ethnische Ungleichheiten“ demnach konserviert worden wären, ist Vorsicht geboten. Denn obwohl entsprechendes Namenmaterial ein ähnliches Szenario auch für das Seleukidenreich zu suggerieren scheint, ist es hier methodisch fragwürdig, aus dem vordergründigen onomastischen Befund ethnische Gewissheiten abzuleiten, ohne dabei die seleukidische Praxis zu berücksichtigen, einheimischen Amts- und Würdenträgern graeco-makedonische Namen zu verleihen (oder dass diese sich solche selbst gaben): Diese Praxis kann nämlich dazu führen, dass geburtliche Nicht-Griechen als solche in der griechischen Überlieferung unkenntlich sind. Dieser Umstand schränkt den Aussagewert ethnischer Zuschreibungen in Prosopographien zum Seleukidenreich, die bei graeco-makedonischen Namen von Vornherein nur die griechische Überlieferung heranziehen, in nicht unerheblichem Maße ein. Dies gilt es auch bei der Interpretation graeco-makedonischer Namen in den übrigen hellenistischen Monarchien prinzipiell zu bedenken; vgl. Andreas Mehl, Gedanken zur ‚Herrschenden Gesellschaft‘ und zu den Untertanen in Seleukidenreich, in: Historia 52 (2003), S. 147–160; Thomas Brüggemann, Vom Machtanspruch zur Herrschaft. Prolegomena zu einer Studie über die Organisation königlicher Herrschaft im Seleukidenreich, in: Thomas Brüggemann u.a. (Hrsg.), Studia Hellenistica et Historiographica. Festschrift für Andreas Mehl, Gutenberg 2010, S. 19–57.

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