F. Tallett u.a. (Hrsg.): European Warfare, 1350–1750

Cover
Titel
European Warfare, 1350–1750.


Herausgeber
Tallett, Frank; Trim, D. J. B
Erschienen
Anzahl Seiten
394 S.
Preis
€ 24,41
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markus Meumann, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Um sich über die praktische Seite der Kriegführung im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit zu informieren, war es schon immer eine gute Wahl, zu einem der zahlreichen englischsprachigen Werke zu greifen. Anders als die meisten deutschsprachigen Darstellungen scheuen sich diese in der Regel nämlich nicht, grundlegende militärgeschichtliche Fragen wie Bewaffnung, Strategie und Taktik zu erläutern. In diese Tradition stellt sich auch der vorliegende Band, wenn die Herausgeber pointiert festhalten: „The book takes as its starting point that armies and fleets were for fighting […]“. (S. 2) Sie setzen sich damit ganz bewusst von der in der new military history kontinentaleuropäischen Zuschnitts vorherrschenden Tendenz ab, vor allem die Sozialgeschichte des Militärs zu betrachten: „The social history of armies and navies should not distract attention from their primary function: campaigning. This book, then, is a history of warfare, rather than of war.“ (S. 2)

Wendet man sich den Beiträgen zu, findet sich dies allerdings so nicht wieder. Rund die Hälfte der insgesamt 14, von namhaften europäischen und US-amerikanischen Experten verfassten Aufsätze (die Einleitung der beiden Herausgeber, die nach angelsächsischer Manier als erstes Kapitel gezählt wird, einmal nicht mitgerechnet), ist nämlich – man ist versucht zu sagen: einmal mehr – schon ausweislich des Titels dem Verhältnis von Kriegführung und Staat bzw. Staatsbildung gewidmet. So zeichnet Kelly DeVries im ersten Beitrag „Warfare and the international state system“ in eher traditioneller Weise die bekannten großen Linien der europäischen Konfliktlagen von der Eroberung Konstantinopels 1453 und den italienischen Städtekriegen des 14./15. Jahrhunderts bis hin zu den konfessionell motivierten Konflikten des 17. Jahrhunderts und ihren Auswirkungen auf das Mächtesystem sowie die Entstehung der europäischen Staaten nach. Positiv ist zu vermerken, dass er dabei den Auseinandersetzungen der westeuropäischen Kolonialmächte zur See sowie in Afrika und der Neuen Welt mehr Raum schenkt, als dies üblicherweise, zumal in deutschsprachigen Überblicken der Fall ist, und auch aus west- bzw. zentraleuropäischer Sicht eher an der Peripherie liegende Konflikte wie das Zusammentreffen Portugals und des Osmanischen Reiches auf der Arabischen Halbinsel (1538–1557) erwähnt. Überhaupt finden das Osmanische Reich, Südost- und Ostmitteleuropa mit insgesamt drei Beiträgen erfreulich breite Berücksichtigung (László Vesprémy, The state and military affairs in east central Europe, 1380 – c. 1520s; Gábor Ágoston, Empires and warfare in east-central Europe, 1550–1750: the Ottoman-Habsburg rivalry and military transformation; Rhoads Murphey, Ottoman military organisation in south-eastern Europe, c. 1420–1720). Dabei eröffnet vor allem Murpheys Beitrag die aus westeuropäischer Sicht bemerkenswerte Einsicht, dass für das Osmanische Reich im 16. und 17. Jahrhundert noch am ehesten – jedenfalls eher als für die westeuropäischen Mächte – von einem ‚verstaatlichten‘ Militärwesen gesprochen werden kann.

Mit der westeuropäischen Entwicklung befassen sich ebenfalls drei Beiträge. Steven Gunn lässt noch einmal die wichtigsten Argumente für einen Einfluss von Krieg und Militär auf die Entstehung des modernen Staates – die Etablierung stehender Heere und Flotten seit dem Spätmittelalter, die Einführung neuer Steuern usw. – Revue passieren, wobei er eine deutliche Skepsis gegen lineare bzw. teleologische Modelle und Theorien à la Max Weber und Otto Hintze an den Tag legt und die Bedeutung des Adels hervorhebt. David Parrott führt dann eben diese Kritik deutlich weiter, wenn er der Geringschätzung des Militärunternehmertums durch eine über viele Jahrzehnte auf die Engführung von (stehendem) Heer und Staat fixierte Forschung entgegenhält, dass im 17. Jahrhundert allein dieses nicht nur aus einzelnen Obristen, sondern aus großen, übernationalen Netzwerken bestehende contractorship in der Lage war, die notwenigen finanziellen und personellen Ressourcen für die Kriegführung zu mobilisieren, indem es den Adel ebenso wie das Wirtschaftsbürgertum in die Heeresaufbringung einband. Olaf van Nimwegen schließlich beschreibt den Übergang von den temporär angeworbenen Söldnertruppen des 15. und 16. Jahrhunderts zum stehenden Heer, das er erstmals in der Armee Ludwigs XIV. sowie der niederländischen Armee nach 1672 verwirklicht sieht. Er erkennt dabei drei Stadien: Die „free soldiers“ des 16. Jahrhunderts, also Landsknechte, die „disziplinierten Söldner“ des späten 16. Jahrhunderts und des Dreißigjährigen Krieges nach oranischem Vorbild, schließlich die stehenden Heere der zweiten Hälfte des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Als eine Art Sonderfall des stehenden Heeres erscheint die preußische Armee Friedrichs II., wobei van Nimwegen allerdings im Fahrwasser älterer Studien den Militarisierungsgrad der preußischen Gesellschaft (Stichwort Kantonsystem) überschätzt.

Das eigentliche campaigning – also operations-, taktik- und technikgeschichtliche Entwicklungen – spielt demgegenüber mit insgesamt drei Beiträgen eine quantitativ untergeordnete Rolle: Simon Pepper stellt unter der Überschrift „Aspects of operational art“ drei Bereiche vor, von denen zwei – die Entwicklung von Kommunikationsmitteln und Karten einerseits, die der Artillerie und, in Reaktion darauf, des Festungsbaus andererseits – seiner Ansicht nach am deutlichsten den Wandel der Militärtechnik zwischen dem späten Mittelalter und dem 18. Jahrhundert reflektieren. Ein dritter Abschnitt ist dem „Kleinen Krieg“ gewidmet, den er nicht als Innovation des 18. Jahrhunderts wertet, sondern bereits im 16. und 17. Jahrhundert verwirklicht sieht. Clifford J. Rogers gibt im Anschluss daran einen instruktiven Überblick über den Wandel der Kampftaktik vom Spätmittelalter bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, wobei das Hauptaugenmerk auf der Infanterie und der zunehmenden Bedeutung von Handfeuerwaffen liegt. Dabei wird die defensive Funktion der Pikeniere ebenso anschaulich erklärt wie die wohl berühmteste Angriffsformation der Kavallerie jener Zeit, die caracolla. Louis Sicking schließlich führt den Leser in die wesentlich langwierigeren Veränderungen staatlich organisierter Seekriegsführung ein – Kaperei und Piraterie bleiben weitgehend außen vor –, wobei er besonders auf die anhaltende Bedeutung von Galeeren (vor allem im Mittelmeer, aber auch im Ärmelkanal und in der Ostsee) und die bis ca. 1650 übliche temporäre Umwandlung von Handels- zu Kriegsschiffen hinweist. Zwei weitere Beiträge (Matthew Bennett, Legality and legitimacy in war and its conduct, 1350–1650; D.J.B. Trim, Conflict, religion, and ideology) befassen sich sodann mit ideologischen und normativen Aspekten europäischer Kriegführung im Spannungsfeld von Regulierung und (religiös motivierter) Entfesselung kriegerischer Gewalt. Sie zeigen, dass über die Frage der Legitimität von Gewalt weniger grundsätzlich bzw. statisch als vielmehr situativ-variabel entschieden wurde.

Im Zentrum des Bandes aber steht eben doch, wie die beiden letzten Beiträge noch einmal deutlich zeigen, die Frage nach dem Staat. Jan Glete erzählt das Narrativ vom Zusammenhang zwischen Krieg und Staatsbildung noch einmal aus der Perspektive ökonomischer und soziologischer Theorien. Der Staat in seiner spezifisch frühneuzeitlichen Spielart des fiscal-military state (die Bezeichnung geht auf John Brewer zurück) wird dabei als komplexe Organisation betrachtet, die im Gegenzug für den Schutz vor Gewalt Ressourcen (vornehmlich in Form von Steuern) generiert, wofür sie sich unternehmerischer Prinzipien bedient („protection sellers“). Damit wird die Trennung zwischen Kriegsunternehmern und ‚staatlicher‘ Heeresorganisation, die die Forschung lange Zeit dominiert (und eine neue Sicht auf die Rolle ‚privater‘ Kriegsunternehmer behindert) hat, aufgehoben, letztlich aber bleibt auch dieser Ansatz in seinem makrohistorischen Setting au fond staatszentriert. Eine eher kritisch-evaluierende Sicht auf den traditionell unterstellten Zusammenhang von Krieg und Staatsbildung nimmt dagegen der Beitrag von Ronald G. Asch ein, der unter dieser Fragestellung zugleich eine Synthese der vorausgegangenen Beiträge versucht. Asch liegt dabei auf einer Linie mit den Herausgebern, die in ihrer Einleitung ebenfalls linearen Erklärungsmodellen wie der military revolution eine Absage erteilen und dafür plädieren, stattdessen konkrete Veränderungen und deren Folgen in den Blick zu nehmen, wofür sie einige übergreifende „common themes“ (Bedeutung des Adels und privater Kriegsunternehmer, Einfluss technologischer Innovationen) identifizieren.

Trotz der Skepsis gegenüber makrohistorischen grand narratives – und obwohl die Beiträge durchweg auf dem aktuellen Stand der Forschung argumentieren – wirkt der Band wegen der Fokussierung auf den Zusammenhang von Kriegführung und Staatsbildung letztlich vom Gesamtzuschnitt her eher konventionell. Beiträge zur sozialen Zusammensetzung spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Heere (oder auch Flotten), zur Versorgung der Armeen und der damit verbundenen ‚Ökonomie der Gewalt‘ sowie schließlich zu den Auswirkungen ‚vormoderner‘ Kriegführung und ihres Wandels auf die ‚zivile‘ Gesellschaft hätten es erlaubt, die zentrale Frage des Bandes („what effect(s) did changes have?“ S. 9) noch differenzierter zu beantworten.