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Titel
Das Kabarett der DDR: "... eine Untergrundorganisation mit hohen staatlichen Auszeichnungen..."?. Gratwanderungen zwischen sozialistischem Ideal und Alltag (1949-1999)


Autor(en)
Riemann, Brigitte
Reihe
Zeit und Text 17
Erschienen
Münster 2001: LIT Verlag
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€ 25,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sylvia Klötzer, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder

Brigitte Riemanns Dissertation stellt ein „repräsentatives Gesamtbild“ (6) des DDR- und des ostdeutschen Kabaretts zwischen 1949 und 1999 in Aussicht. Dafür dienen die beiden ältesten DDR-Ensembles als Modell. Die Grundlage bildet eine 1995 vorgelegte Magisterarbeit zur (Ost-)Berliner „Distel“. Hinzu kommen Untersuchungen zur „Leipziger Pfeffermühle“ sowie zu Programmen beider Kabaretts bis 1999. Nicht einbezogen wird die Dresdner „Herkuleskeule“, wie es noch der Klappentext inkorrekter weise ankündigt, die Autorin jedoch ausdrücklich ausschließt (4, Anm. 7).

Mit der These, dass „es zwar graduelle, jedoch keine prinzipiellen Unterschiede innerhalb der Kabarettlandschaft gab“ (4), begründet Brigitte Riemann ihr Verfahren, aus den Einzelbefunden für das Berliner und das Leipziger Ensemble, die 1953 bzw. 1954 ihren Spielbetrieb aufnahmen, Aussagen zu treffen sowohl für das Kabarett der DDR als auch für das ostdeutsche Kabarett seit 1990. In der Konzentration auf die sich von der Bundesrepublik radikal unterscheidende Lage des DDR-Kabaretts, als staatliche Institution unter Kontrolle und im Dienst einer Staatspartei zu stehen, bleibt der Blick verstellt für die Frage, inwieweit und warum sich unter dieser Voraussetzung in der DDR kabarettistische Praxen dennoch voneinander unterscheiden konnten. Auch werden auf diese Weise künstlerische und politische Ansätze, Ansprüche und Handschriften der beteiligten Satiriker selbst ausgeblendet. So kommt es bei einer Reihe zutreffender Einzelaspekte zu unscharfen und auch widersprüchlichen Aussagen für „das“ DDR- und ostdeutsche Kabarett, die einer Überprüfung nicht standhalten und - bei Kenntnis der Materie - oft Widerspruch hervorrufen.

Beispielsweise gab es kein „formales Zensurverfahren, das für alle Berufskabaretts nach den gleichen Regeln ablief“ (55). Vielmehr war dieses trotz einer sich formal gebenden (Zensur)„Abnahme“ neuer Programme ein bis zuletzt vielschichtiger und auch willkürlicher Prozess, der von (partei-)politischen Lagen und von beteiligten Personen abhing, insbesondere den Dynamiken, Arrangements wie Antagonismen zwischen Kabarettleitungen und staatlichen lokalen wie überregionalen SED-Stellen sowie dem Rat der Stadt und des Bezirkes. Ebensowenig waren die Kabarettleitungen „in der Regel linientreue SED-Mitglieder“ (56). Mag die Linientreue für Otto Stark (der von 1968 bis 1990 die „Distel“ leitete) zutreffen, so weist allein das Beispiel Conrad Reinhold, der von 1955 bis 1957 Chef der „Pfeffermühle“ war und den die Autorin in anderem Zusammenhang mit Recht als „unerschrocken“ (106) würdigt, darauf hin, welch grobe Verallgemeinerung an dieser Stelle vorgenommen wurde. Gleiches gilt für die Aussage, dass die Kabarettensemble der DDR „jeden Abend vor ausverkauften Häusern“ (45) spielten. Die Situation, in der sich die Kabaretts in den siebziger und achtziger Jahren befanden, läßt sich nicht auf die beiden ersten Jahrzehnte übertragen. „Pfeffermühle“ und „Distel“ spielten nach Auskunft von Zeitzeugen wie nach MfS-Berichten z.B. Anfang der sechziger Jahre häufig vor einem gerade zu Zweidritteln gefüllten Saal. Weiter verschenkt die Autorin in der Annahme, dass beide Kabaretts „in besonderem Maße den kulturpolitischen Schwankungen des SED-Staats [unterlagen]“ (4) eine Thematisierung der Spannbreite zwischen beiden Ensembles.

Die Veröffentlichungen und Aussagen beteiligter Akteure und die Texte der beiden Kabaretts betrachtet Brigitte Riemann vor allem unter politikwissenschaftlichen Gesichtspunkten. Ausgeblendet bleiben die (Berufs-)Biographien wie auch die Frage nach einer möglichen Bedeutung (unterschiedlicher) Generationserfahrungen. Nicht identifiziert werden die Autoren der zitierten Sketche, so dass weder Handschriften, Kontinuitäten und Diskontinuitäten hervortreten können, noch Unterschiede in den Beiträgen der selben Texter für Berliner im Gegensatz zu Leipziger Programmen. Die Autorin konzentriert sich auf „einschneidende kultur- und gesellschaftspolitische Ereignisse“ (9) und fragt nach Reaktionen der Kabaretts: auf das „sog. ‚Tauwetter‘“ (102) und den Ungarn-Aufstand, den Bau der Berliner Mauer, die Biermann-Ausbürgerung sowie auf die Friedens- und Bürgerrechtsbewegung in den achtziger Jahren und schließlich auf den Zusammenbruch der DDR und die Umbruchszeit.

Für die (Spiel-)Zeit nach 1990 untersucht sie ihre Kabaretts darauf, inwieweit diese eine Vergangenheitsaufarbeitung leisten oder vorantreiben, welche Feindbilder unangetastet bleiben bzw. affirmiert werden. Die Untersuchung reicht bis in die späten neunziger Jahre und endet mit einem Abschnitt, in dem das Thema Stasi-Verstrickungen angerissen wird, welches zu der Zeit, als die Dissertation abgeschlossen wurde, in Zusammenhang mit der damaligen Intendantin der „Distel“, Gisela Oechelhaeuser, erneute Aktualität erlangt hatte. Skizziert werden einige Aspekte, nebeneinandergestellt verschiedene Aussagen und Bewertungen. Am Ende der Lektüre ahnt man, dass das MfS auf die eine oder andere Weise immer dabei war, ohne dass die Frage der Relevanz der verschiedensten Beziehungen zur Stasi nachdrücklich gestellt wird und das Verhältnis der SED gegenüber ihrem „Schild und Schwert“ in Bezug auf die Kabaretts genauso undiskutiert bleibt wie die Gründe andauernder Blockaden und vager Andeutungen über aktive MfS-Mitarbeit (281) in den untersuchten Ensembles.

Die Autorin kennzeichnet ihre persönliche Perspektive als „westliche[n] Erfahrungshintergrund [...] welcher eine Bewertung der DDR-Verhältnisse sowie des gesellschaftlichen Umbruchs in Ostdeutschland zweifellos deutlich erschwert“ (10). Die Annäherung an ein „‘fremdes‘ Territorium“ (10) entwickelt dann ihre produktiven Momente, wenn ungewohnte Fragen gestellt werden. Dies ist besonders erfrischend, wenn Brigitte Riemann die Haltungen beschreibt, die ihre Kabaretts in der Wende- und Nachwendezeit einnahmen. Der Blick von außen entschuldigt jedoch weder den Anspruch auf allgemeingültige Aussagen auf der Basis lediglich zweier Kabaretts, die beide leider auch nicht konsequent miteinander verglichen werden, den Mangel präziser zeitlicher Differenzierungen und vor allem nicht die fehlende Quellenkritik sowie die völlig ausgesparte Auseinandersetzung mit einschlägigen Forschungserträgen.

Die Autorin bezieht sich bis auf wenige Ausnahmen auf Sekundärquellen und liefert dabei insgesamt keine Bewertung der Entstehungszusammenhänge dieser sehr heterogenen Dokumente zum Kabarett. Auch bleiben Veröffentlichungsgrundsätze und -verfahren der SED ausgeblendet, die ja sowohl die zitierten Buchveröffentlichungen als auch in weit restriktiverem Maße die Zeitungen prägten. So führen die zum Nennwert genommenen öffentlichen Aussagen Beteiligter und die (häufig indirekten) Zitate aus DDR-Medien zu Einschätzungen, die zu kurz greifen. Ohne deren Spannungen aufzuzeigen, werden Zeugnisse von Satirikern, die vor 1989 veröffentlicht wurden, kommentarlos neben Aussagen gestellt, die nach 1989 entstanden sind. Neben die Erinnerungen und Darstellungen Beteiligter treten unvermittelt Darstellungen des DDR-Kabaretts aus ost- und westdeutscher Perspektive, neben DDR-offizielle Kabarettgeschichte und -programmatik Bewertungen des DDR-Kabaretts aus Sicht der neunziger Jahre. Die Untersuchung hätte ihren Aussagewert erheblich erhöhen können, wenn die verschiedenen Quellen interpretiert und gewichtet worden wären.

Punktuell zieht die Autorin auch Primärquellen heran. Unverständlich bleibt dabei, wieso bis auf die Ausnahme der BStU-Akten für alle anderen Archivquellen weder Bestände noch Signaturen genannt werden. Besonders beklagenswert im Sinne einer voranzutreibenden Forschung ist, dass sich die Autorin nicht den einschlägigen aktuellen Erträgen zum DDR-Kabarett gestellt hat. Dies betrifft ganz besonders die Untersuchung Dietmar Jacobs 1 zu den hier betrachteten Kabaretts in der Ära Honecker, die bereits zu Beginn der Dissertation vorlag wie auch Frank Wilhelms 2 Arbeit zur DDR-Satire in den fünfziger Jahren, die vor Abschluß der Dissertation zugänglich war.

Das Ergebnis ist eine Annäherung an das Thema Kabarett in der DDR und in Ostdeutschland aus politikwissenschaftlicher Sicht. Ihre Stärke und ihr Gewinn liegen in der kritischen Betrachtung der Kabaretts in der unmittelbaren Nachwendezeit 1991/92. Auch regt die Vielzahl der Aspekte, die die Autorin zusammenträgt, zu einer - auch im Widerspruch - produktiven Auseinandersetzung an. Bei einer umgekehrten Gewichtung, und zwar der Bescheidung und Konzentration auf die immerhin 45- bzw. 46jährige Geschichte der beiden Kabaretts und hier unter Betonung der achtziger und neunziger Jahre, hätte der Text Brigitte Riemanns jedoch entschieden an Aussagekraft und Bedeutung für die weitere Forschung gewinnen können.

Anmerkungen:
1 Dietmar Jacobs, Untersuchungen zum DDR-Berufskabarett in der Ära Honecker. Frankfurt/Main u.a.: Peter Lang 1996.
2 Frank Wilhelm, Literarische Satire in der SBZ/DDR 1945-1961. Autoren, institutionelle Rahmenbedingungen und kulturpolitische Leitlinien. Hamburg: Kovac 1998.

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