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Titel
Natur-Geschichte. Das Naturhistorische Museum Basel im 19. und 20. Jahrhundert


Autor(en)
Simon, Christian
Erschienen
Anzahl Seiten
415 S.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Fabian Schwanzar, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Nachhaltigkeit und Biodiversität sind Schlüsselwörter klimapolitischer Debatten. Lange vor den jüngsten Diskussionen pflegten Naturkundemuseen ihre Tradition als Institutionen naturgeschichtlicher Sammlungen und sie sind bis in die Gegenwart wichtige Motoren der biowissenschaftlichen Grundlagenforschung. Christian Simon untersucht in seiner Monographie Kontinuität und Wandel der „Naturgeschichte“ im 19. und 20. Jahrhundert am Beispiel Basel. Dem Phänomen „Sammeln als Wissen“ (S. 23) nähert er sich mit einem kultur- und wissenschaftsgeschichtlichen Ansatz. Im Zentrum steht die Frage nach dem Beziehungsdreieck „Museum – Universität – Staat“ (S. 14). Die aus dem Forschungsprojekt „Archive des Lebens“ hervorgegangene Arbeit stützt sich in der Hauptsache auf unveröffentlichte Quellen aus dem Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt.

Im Mittelpunkt der Studie steht das Naturhistorische Museum Basel (NMB), das auf eine beinahe 200-jährige Geschichte zurückblicken kann. Simon geht es um eine dichte Rekonstruktion der Sammlungsgeschichte vor dem Hintergrund der (natur-)wissenschaftlichen Forschung im Museum und an der Universität in der Handels- und Missionsstadt Basel. Der Verfasser kann zeigen, dass zwischen diesen Einrichtungen trotz einer funktionalen Differenz eine „ideelle Klammer“ (S. 123) sowie eine personelle Vernetzung bestand, eine Art „Basler Tradition“, die auf der Arbeit mehrerer Forschergenerationen beruhte. Obwohl das Museum rechtlich eine universitäre Dienststelle war, verkörperte das Naturkundemuseum eine Institution sui generis, an der Museumsmitarbeiter wie Externe in den Schausammlungen ergiebig forschten. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts legitimierte sich das Museum – noch verstärkt durch eine außerwissenschaftliche Erwartungshaltung der Politik – durch den öffentlichen Bildungsauftrag.

Die ersten beiden Abschnitte beschäftigen sich mit den Traditionen in Universität und Privatgelehrsamkeit sowie mit dem Museum als Ort der Naturgeschichte bis 1960. Drei weitere Kapitel widmen sich der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, genauer der Modernisierung des Museums, neuen Wegen der Wissenschaft an der Universität sowie der staatlichen Museumspolitik der 1990er-Jahre. Der Schwerpunkt liegt unverkennbar auf dem 20. Jahrhundert, vor allem auf den Entwicklungen seit den 1950er-Jahren, und hier schließt Simon eine beachtliche Forschungslücke.

Das erste Kapitel umreißt kursorisch die Basler Naturgeschichte zwischen 1850 und 1960. Im 19. Jahrhundert institutionalisierten die anerkannten Universitätsprofessoren Peter Merian und Ludwig Rütimeyer eine naturgeschichtliche Denkschule, die sich kritisch mit der Evolutionsbiologie darwinscher Prägung auseinandersetzte. Als Kommissionspräsidenten leiteten sie gleichzeitig das Museum, so dass sie einen starken Einfluss auf die Entwicklung der naturgeschichtlichen Sammlung ausübten. Daran anknüpfend distanzierte sich der Basler Zoologe Adolf Portmann noch in den 1920er-Jahren vom Darwinismus und kritisierte – verstärkt durch die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus – besonders die Eugenik und Genetik. Simon kommt zu dem Schluss, dass die Ausprägung der Zoologie und Paläontologie an der Universität ein „Hort der Naturgeschichte“ (S. 87) war. Erst mit dem Ausklang der Ära Portmann an der Universität 1967 beendete die Etablierung der Neuen Biologie diese für Westeuropa ungewöhnlich lange Dominanz der Naturgeschichte.

Nachdem das Museum 1821 gegründet wurde, zog es wegen Platzmangels bereits 1849 in das von Melchior Berri entworfene Museumsgebäude in die Augustinergasse, in dem sich anfangs auch eine Bibliothek sowie eine Kunstsammlung befanden. Die Stadt band die Sammlung unterdessen als Universitätsgut an das Basler Territorium, um die Schatzkammer vor dem Zugriff der Landschaft zu schützen. Simon konstatiert für das frühe 20. Jahrhundert eine Epoche der Privatgelehrten, da die Museumsleitung zwischen 1895 und 1956 nicht mehr in den Händen von Professoren lag. Weiterhin überantworteten vornehmlich Gentleman-Wissenschaftler der Basler Eliten ihre eigenen Sammlungsobjekte dem Museum. Eine strikte Trennung zwischen Speicher und Schausammlung existierte nicht, was teils gängige museologische Praxis darstellte, teils dem chronischen Platzmangel geschuldet war. Überhaupt fällt auf, dass ein Diskurs über Museumspolitik erst in der Nachkriegszeit einsetzte. 1956 erfolgte schließlich ein Systemwechsel: Eduard Handschin, berufen von der Basler Regierung, wurde der erste verbeamtete Museumsdirektor. Ein neues Museumskonzept führte schrittweise dazu, dass sich Ausstellung und Depot ausdifferenzierten. Gleichzeitig wandelte sich das Naturkundemuseum zu einem offenen Lehrbuch mit regelmäßigen Sonderausstellungen. Allerdings verursachte der Modernisierungsprozess eine Dauerkrise, denn der politische Ruf nach Öffnung, Vermittlung und Ausstellungsdidaktik konnte von der Leitung wegen finanzieller und personeller Engpässe nicht annähernd erfüllt werden.

Im letzten Kapitel zeichnet der Autor die jüngste Dynamik der staatlichen Museumspolitik nach. Seit 1990 bewegte sich die Institution in einem „schwierigere[n] Fahrwasser“ (S. 204), da die Sparpolitik der Regierung die Museumslandschaft allgemein vor große Herausforderungen stellte. Mit dem Museumsgesetz von 1999 endete die Symbiose zwischen NMB und Universität, worin Simon eine Chance gegen Effekte kurzfristiger wissenschaftlicher Moden erkennt. Problematisch sei hingegen der aktuelle globale Trend zur Kulturalisierung, der zu einer Umdeutung des naturwissenschaftlichen Kontextes beitrüge, weil naturkundliche Sammlungen dadurch zu einem unspezifischen Kulturgut erhoben würden.

Die Detailstudie leistet nicht nur einen allgemeinen Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte, hier der Biowissenschaften, sondern regt darüber hinaus zur weiteren Beschäftigung mit Museen als Wissenschaftsorten an. Zwar liegt der Schwerpunkt auf örtlichen Institutionen, aber der Autor betrachtet diese nicht isoliert von städtischer Politik und globalen Forschungstrends, sondern kontrastiert die lokalen Besonderheiten mit überregionalen Entwicklungen. Im Zentrum stehen die institutionellen und personellen Träger der Wissenschaften, aber der Verfasser verliert sich nicht in Anekdoten oder Details. Ausstellungsfragen (S. 178-185) werden kaum erwähnt und die Studie liefert keine neuen Erkenntnisse zu präsentationsgeschichtlichen Aspekten. Es ist dem Umfang des Projektes geschuldet, dass konkrete Forschungsergebnisse im Rahmen des Museums unterbelichtet bleiben. Autor bzw. Verlag verzichteten auf ein Personen- und Sachregister, eine Entscheidung, die gerade angesichts der vielen biografischen Darlegungen kaum nachvollziehbar ist. Dagegen lockern zahlreiche Tabellen und Abbildungen den Text auf, was ungemein zur Lesbarkeit des Buches beiträgt. Die Monographie bietet einen aufschlussreichen Einblick in die Baseler Naturgeschichte und sei allen Lesern anempfohlen, die sich mit der Historisierung der Biowissenschaften, naturkundlichen Forschern und Museumssammlungen sowie mit Kulturpolitik auseinandersetzen möchten.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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