Die Staufer und Italien

Veranstalter
Ausstellung der Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen
Ort
Mannheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.09.2010 - 20.02.2011

Publikation(en)

Wieczorek, Alfried; Schneidmüller, Bernd; Weinfurter, Stefan (Hrsg.): Die Staufer und Italien. Drei Innovationsregionen im mittelalterlichen Europa. Stuttgart 2010 : Theiss Verlag, ISBN 978-3-8062-2366-8 2 Bd., 800 S. € 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ines Keske, Global and European Studies Institute & Research Academy Leipzig, Universität Leipzig

Das schwäbische Adelsgeschlecht der Staufer bestimmte maßgeblich die europäische Geschichte des 12. und 13. Jahrhunderts. Seinen zwei berühmtesten Vertretern, Friedrich I. Barbarossa und dessen Enkelsohn Friedrich II., ist es zu verdanken, dass die Staufer die bis heute meist erinnerte Kaiserdynastie des Mittelalters sind. Im 19. Jahrhundert noch als schlafender „Rotbart“ im Inneren des Kyffhäusers per Denkmal verehrt und so von Kaiser Wilhelm I., dem „Weißbart“, instrumentalisiert, wurde der Beiname Friedrichs I. auch für den nazideutschen Angriff auf die Sowjetunion 1941, dem „Unternehmen Barbarossa“, missbraucht. Friedrich II. wurde insbesondere von Gelehrten gefeiert; unter anderem von Friedrich Nietzsche als „erster Europäer nach meinem Geschmack“.1

Diesen jahrhundertelang tradierten deutschen Staufermythos kritisch zu hinterfragen, bildet den Ausstellungsauftakt der Mannheimer Ausstellung „Die Staufer und Italien“. Erinnert wird dabei auch an die denkwürde Schau „Die Zeit der Staufer“ (1977) in Stuttgart – jene Ausstellung, die nicht nur den Beginn einer Reihe historischer Großausstellungen in der Bundesrepublik darstellt, sondern auch das Fach Nationalgeschichte nach 1945 maßgeblich wiederbelebt hat.2 Im Ausstellungskatalog von 2010 ist zu lesen, dass die Ausstellungsmacher hoffen, erneut diese Begeisterung auslösen zu können. Eigens dafür haben die Reiß-Engelhorn-Museen 2010 zum Stauferjahr erklärt, dessen Höhepunkt die Schau darstellt. Zudem kann der Ausstellungsbesuch an 23 authentischen Stauferorten in der Region Rhein-Main-Neckar – einst Stauferkernland – fortgesetzt werden. Mannheim selbst ist nämlich kein authentischer Ort der Stauferzeit, wohl aber das Zentrum dieses heute als „Europäische Metropolregion“ ausgezeichneten Landstrichs.

War die Stuttgarter Ausstellung 1977 nach kunsthistorischen Gattungen gegliedert (Urkunden, Handschriften, Glasmalereien, Bronzen etc.), setzt die Mannheimer 33 Jahre später einen anderen Schwerpunkt. Ihr Blick wendet sich der Sozialgeschichte zu. Es geht um die Innovationen der Stauferzeit in Kultur, Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft sowie im theologischen Diskurs und Rechtswesen; jeweils lokalisierbar in drei Staufischen Kernregionen: dem Rhein-Main-Neckar-Raum, Oberitalien und dem Königreich Sizilien (mit Teilen Unteritaliens). Wie die Ausstellung ausführlich zeigt, wurde das Leben in diesen Regionen durch Austausch von Ideen und Transferleistungen, beispielsweise durch Künstler, gegenseitig befruchtet. Ausgewählt wurden diese Regionen anhand der Zählung von Reisen der Staufer, die hier am häufigsten verweilten und zu herrschen versuchten. Ganz im Sinne des französischen Historikers und Mittelalterexperten Jacques Le Goff wird hier „eine Geburtsstunde Europas“ en miniature – nämlich mit Blick auf Regionen als zentralem Raumentwurf – geschrieben.3 Untermalt wird dies in zahlreichen Karten und Videoanimationen, die die Regionen meist aus der Vogelperspektive visualisieren.

Über 530 Exponate (vor allem aus Italien und Frankreich), von denen 70 Prozent hierzulande zum ersten Mal zu sehen sind, versinnbildlichen die Verknüpfung zweier Blickachsen, nämlich die der Reichspolitik mit der der Geschichte des Wandels von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft in den zentralen Stauferregionen. Die Schau untergliedert sich auf drei Etagen in sechs Sektionen, innerhalb derer folgende zwei Hauptthesen vertreten werden: Erstens beeinflussten die neun staufischen Kaiser und Könige die Modernisierungsschübe ihrer Zeit maßgeblich, die durch Austausch und Transferprozesse charakterisiert waren. Auch wenn die Stauferdynastie unterging, wirkten zweitens die Innovationen in den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur teilweise lange nach und sind mitunter in nachfolgenden Zeiten unübertroffen geblieben.

Auf die De-Konstruktion der „Staufermythen“ (1. Sektion) folgt der „Aufstieg der Stauferfamilie“ (2. Sektion), die innerhalb von vier Generationen das deutsche Königtum erlangte. Dabei wird auch die Rolle der staufischen Ehefrauen thematisiert. Für die Staufer war „Italien: Vorbild und Faszination“ (3. Sektion). Die einsetzende Antikenrezeption in der Kunst war zuvorderst ein Zeichen für das staufische Drängen nach Rom, dem Ort der Kaiserkrönung. Die drei bereits genannten Stauferregionen erfuhren der 4. Sektion „Beschleunigung: Drei Kraftregionen im Stauferreich“ zufolge unvergleichliche Modernisierungsschübe, so vor allem in der Architektur und Geldwirtschaft. Herausgearbeitet wird bei der Präsentation jeder Region aber auch, dass diese typische Charakteristika bewahren, wenn nicht sogar verstärken konnten wie das Scheitern der Staufer am Widerstand der erstarkenden oberitalienischen Städte zeigt. Der Aspekt „Gelebte Vielfalt“ (5. Sektion) wird einfach, aber besonders erhellend, durch eine Inszenierung zur Ess- und Wohnkultur visualisiert: Eine lange, gedeckte Tafel verdeutlicht die vor allem klimatisch bedingten Unterschiede des nord- und südalpinen Raums. Die Ausstellung schließt mit den „Verwandlungen des Stauferreichs“ (6. Sektion). So entwickelte sich in Reaktion auf den zunehmenden Reichtum jener Zeit im theologischen Diskurs beispielsweise eine neue Frömmigkeit, die dem Armutsideal nachging – hier durch zwei Frauen, Hildegard von Bingen und Elisabeth, Landgräfin von Thüringen, vertreten, deren Wirken die Staufer überdauert hat.

Die Schau wurde durch zwei internationale Konferenzen inhaltlich vorbereitet, deren Beiträge zusätzlich zum Katalog publiziert wurden.4 Eine Stauferausgabe der Zeitschrift DAMALS und ein Reiseführer komplettieren das Angebot. Der zweibändige, äußerst umfangreiche Ausstellungkatalog (1. Bd. Objekte, 2. Bd. Essays) besticht nicht nur durch seine fundierten Texte. Insbesondere der Essayband versammelt neue Thesen zur Transfer-, Kultur- und Sozialgeschichte der Stauferzeit. Aber auch Zusatzmaterialien (wie Karten, kurze Vertiefungstexte zu zentralen Exponaten und eine ausführliche Bibliographie) bereichern die breite Publikationslandschaft rund um die Staufer.

Letztendlich dominiert dieser sich in den Publikationen niederschlagende wissenschaftliche Anspruch und Hintergrund der Macher – zwei der Ausstellungsleiter sind Historiker an der Universität Heidelberg – den Ausstellungsbesuch jedoch nicht. Die mit klaren Farben bemalten Räume und im Halbdunkeln ästhetisch präsentierten Exponate schaffen eine Atmosphäre des Schauens und Genießens. Der Besucher findet ein sehr ausgewogenes Maß an Objekten und Texten vor, die ihn weder ermüden noch überfordern. Wie zu beobachten war, stehen die prätentiösen Exponate bei den Besuchern im Mittelpunkt des Interesses. Aus didaktischer Sicht ist es daher schade, dass die Erforschung der Stauferzeit oft als abgeschlossen dargestellt wird, Exponattexte kaum über widerstreitende Interpretationen informieren, obwohl doch einige Hinterlassenschaften der Stauferzeit noch Fragen aufgeben. So wäre es erhellend gewesen, nicht nur in der Besucherführung anklingen zu lassen, dass Zweifel darüber bestehen, ob der berühmte „Cappenberger Barbarossakopf“ wirklich ein Abbild Friedrichs I. darstellt oder den Idealtypus weströmischer Kaiser nachempfindet. Und auch das Leitobjekt der Schau, die norditalienische Monumentalskulptur „Thronender König“ verbirgt noch einige Geheimnisse in sich, wie der Audioguide, aber nicht der Objekttext verrät. Man vergibt auch Spannungsmomente, wenn man nicht mitteilt, dass diese rätselhafte Figur erst kürzlich in den Depots des Metropolitan Museum of Art in New York entdeckt worden ist.

„Die Staufer und Italien“ ist keine Landesausstellung, sondern ein Dreiländer-Projekt Baden-Württembergs, Rheinland-Pfalz’ und Hessens in Kooperation mit den Regionalverwaltungen der Lombardei und Siziliens. Die drei Bundesländer haben flächenmäßig Anteile sowohl an der einstigen Rhein-Neckar-Stauferregion, als auch an der „Europäischen Metropolregion Rhein-Neckar“, die fast dasselbe Gebiet umfasst und seit 2006 als Modellregion für kooperativen Föderalismus fungiert. In einer Mittelalterschau daher mit dem Begriff „Innovationsregionen“ zu argumentieren, könnte in diesem Kontext als ein politisches Statement der Macher gedeutet werden, die damit für die Metropolregion ein geschichtspolitisches Argument von einer schon immer währenden Qualität vor allem in der Wirtschaft liefern würden. Allerdings ist diese Interpretation einiger Journalisten mit Blick auf den reinen Ausstellungsbesuch zu widerlegen, denn eine derartige politische Dimension ist hier nicht erkennbar. Spürbar ist aber, dass sich die Ausstellungsmacher einer europäischen Perspektive verschrieben haben, die wenn, dann in die Nähe des „Europa der Regionen“-Konzepts zu rücken wäre.

Bemerkenswert an der Mannheimer Schau ist hingegen, dass ein derart klares Fokussieren auf Regionen in den bislang mehrheitlich nationalhistorisch ausgerichteten Großausstellungen ein Novum darstellt. Ebenso wurde in Mannheim der Typus der Landesausstellung weiterentwickelt, der sich der Geschichte nicht innerhalb von administrativ oder künstlich gezogenen Grenzen, sondern in vergleichender Perspektive zwischen historisch geformten und als Einheit wahrgenommenen Räumen widmet – unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu Bundesländern, Modellregionen oder Nationen.

Anmerkungen:
1 Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse: Vorspiel einer Philosophie der Zukunft, Leipzig 1886, S. 110.
2 Gemeint ist die Ausstellung „Die Zeit der Staufer: Geschichte, Kunst, Kultur“, Württembergisches Landesmuseum, Stuttgart, 26.03.-05.06.1977. Einschlägig zum Begriff der Großausstellungen ist die Arbeit von Martin Große Burlage, Große historische Ausstellungen in der Bundesrepublik Deutschland 1960-2000, Münster 2005. Für eine kürzere Ausführung siehe Alexander Schubert, Geschichte für 100 Tage. Kulturhistorische Großausstellungen im Spannungsfeld von musealer Arbeit und populärer Vermittlung, in: Klaus Arnold / Walter Hömberg / Susanne Kinnebrock (Hrsg.), Geschichtsjournalismus: Zwischen Information und Inszenierung, Berlin 2010, S. 251-267.
3 Vgl. Jacques le Goff, L’Europe est-elle née au Moyen Age? Seuil 2003 (dt.: Die Geburt Europas im Mittelalter, München 2007.)
4 Bernd Schneidmüller / Stefan Weinfurter / Alfried Wieczorek (Hrsg.), Verwandlungen des Stauferreichs: Drei Innovationsregionen im mittelalterlichen Europa, Stuttgart 2010; Stefan Burkhardt u.a. (Hrsg.), Staufisches Kaisertum im 12. Jahrhundert: Konzepte – Netzwerke – politische Praxis, Regensburg 2010.

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