C. Plöger: Von Ribbentrop zu Springer

Cover
Titel
Von Ribbentrop zu Springer. Zu Leben und Wirken von Paul Karl Schmidt alias Paul Carell


Autor(en)
Plöger, Christian
Erschienen
Anzahl Seiten
478 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wigbert Benz, Werner-von-Siemens-Schule Karlsruhe

Die Forschung hat Paul Karl Schmidt lange Zeit wenig beachtet.1 Dabei war er immerhin im Zweiten Weltkrieg mit noch nicht einmal 29 Jahren als Pressechef des Auswärtigen Amtes jüngster Ministerialdirigent und Gesandter I. Klasse des NS-Regimes und nach 1945 Autor langer geschichtspolitischer Artikel unter anderem der „Zeit“, des „Spiegel“, der „Welt“, ein Bestsellerautor zum „Unternehmen Barbarossa“ sowie ein enger Berater Axel Springers. Während Peter Longerich in seiner Dissertation zur Presseabteilung des Auswärtigen Amtes Schmidt zwar zutreffend als pragmatischen und von der NS-Ideologie überzeugten Abteilungsleiter darstellte, seine Nachkriegsidentität aber nur in einer Fußnote andeutete und Schmidts propagandistische Vorschläge zur Verschleierung des Judenmords 1944 in Ungarn nicht thematisierte, wurden diese nach der Skandalisierung durch den Journalisten Otto Köhler in einem 2001 von Norbert Frei herausgegebenen Sammelband als „PR für die ‚Endlösung’“ definiert.2

Der gelernte Journalist Christian Plöger, der für die „Welt“ sowie das Magazin „Impulse“ schrieb, legt nun mit der Publikation seiner soziologischen Münsteraner Dissertation die erste umfassende Biografie dieses NS-Karrieristen vor. Allein für den Zeitraum von 1931 bis 1945 hat Plöger ca. 25.000 Blatt in verschiedensten Archiven aufbewahrte Einzeldokumente ausgewertet. Trotz ihres Umfangs und der wissenschaftlichen Ausdifferenzierung präsentiert er die ebenso vielschichtige wie gut lesbare Wirkungsgeschichte Schmidts vom Pressesprecher Joachim von Ribbentrops bis zum Sicherheitschef, Autor und engen Berater Axel Springers. Den Schwerpunkt seiner Darstellung legt Plöger dabei auf die Zeit vor 1945 und untersucht mit in erster Linie werkbiografischem Ansatz vor allem die Bedeutung der Kategorien „Ideologie“ und „Machtstreben“ für Schmidts Handeln.

Als unehelicher Sohn einer Landarbeiterin im Haus seines Großvaters, einem Schuhmachermeister, in einfachen aber nicht ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, glänzte Schmidt als Schüler mit sehr guten Leistungen, studierte Psychologie an der Universität Kiel und promovierte mit Bestnote. Noch als Schüler 1931 in die NSDAP eingetreten, amtierte er schon im Februar 1933 als Vorsitzender der Kieler Studentenschaft und wurde 1935 stellvertretender NS-Gaustudentenführer Schleswig-Holsteins. Plöger beschreibt, wie Schmidt in dieser Funktion schon vor dem Machtantritt Hitlers den universitären Lehrbetrieb mehrere Tage lahm legte und unter anderem testatfähige Vorlesungen über Wehrpolitik und Kriegswissenschaft durchsetzen konnte. In einem von Plöger gefundenen Bericht Schmidts über ein einwöchiges Schulungslager im Oktober 1933 unter Leitung des Philosophen Martin Heidegger identifiziert sich Schmidt ausdrücklich mit dessen Definition des „Nationalismus als heldisches Führertum“ und des Sozialismus als „auf unbedingte Gefolgschaft gegründete Gemeinschaft eines Volkes in allen seinen das Leben gliedernden Ständen und Schichten“ (S. 97).

Bis zu seinem Wechsel von der Universität Kiel in die sogenannte Dienststelle Ribbentrop im Jahr 1937 hatte Schmidt als wissenschaftlicher Universitäts-Assistent und Leiter der Sektion Zeitungswissenschaft und Meinungsforschung bereits einschlägige Erfahrungen mit der Pressearbeit gesammelt. Nach der Übernahme des Außenministeriums durch Ribbentrop wurde Schmidt schnell dessen Pressechef. In dieser Funktion leitete er die täglichen Pressekonferenzen des Auswärtigen Amtes, gab Sprachregelungen für die Auslandsberichterstattung vor und wirkte mit Hilfe zahlreicher Zeitschriften als einer der führenden Auslandspropagandisten des Regimes. So nahm Schmidt zum Beispiel maßgeblichen Einfluss auf die mit Millionenauflage in zwanzig Sprachen erschienene Auslandsillustrierte „Signal“, die den Kreuzzug Europas gegen den Bolschewismus propagierte und den Überfall Deutschlands auf die UdSSR am 22. Juni 1941 als „Präventivkrieg“ rechtfertigte, eine These, die Schmidt auch nach 1945 weiter vertrat.

Der Autor arbeitet insbesondere Schmidts Antisemitismus und seinen Anteil an der propagandistischen Verschleierung des Holocaust heraus. So forderte Schmidt in einem von Plöger gefundenen Schreiben an Unterstaatssekretär Martin Luther Ende Dezember 1941 diesen auf, beim Generalbauinspektor darauf hinzuwirken, „eine Judenwohnung zugeteilt zu bekommen“ und bat konkret „um Zuweisung einer 9 bis 10 Zimmerwohnung“ (S. 144). Persönlicher Antisemitismus in Verbindung mit Vorteilsnahme und Karrierestreben führten auch zu der propagandistischen Initiative Schmidts vom 27. Mai 1944, als er vorschlug, vor der Deportation der Budapester Juden diesen – zum Beispiel in ihren Synagogen – Sprengstoffe und Waffen unterzuschieben und dann umgehend eine Razzia durchzuführen, um die Opfer als kriminelle Täter präsentieren zu können. Schmidts Vorschlag wurde letzten Endes deswegen nicht umgesetzt, weil sich die Rahmenbedingungen nach der Landung der Alliierten wenige Tage danach, am 6. Juni 1944, dramatisch geändert hatten. In diesem Zusammenhang kritisiert der Autor Peter Longerich hart: „Mehr als unverständlich ist vor diesem Hintergrund die Einordnung der Schmidtschen Vorschläge durch Longerich. Inhaltlich geht er auf diese in seiner grundlegenden Arbeit über die Presseabteilung des AA gar nicht ein, obwohl er von ihnen Kenntnis hatte“ (S. 167).

Nach dem Krieg mutierte Schmidt vom potentiell Anzuklagenden im Nürnberger Nachfolgeprozess „Fall 11“, dem sogennanten Wilhelmstraßenprozess gegen das Auswärtige Amt, zum Zeugen der Anklage und verfasste schon ab 1949 vom CIA finanzierte Propagandaschriften für den Marschallplan, ehe er ab 1954 als P. C. Holm für die „Zeit“ die deutsche Verantwortung für den Ersten und Zweiten Weltkrieg minimieren durfte. 1957 lancierte er im „Spiegel“ die These vom Alleintäter Marinus van der Lubbe beim Reichstagsbrand. Plöger betont, dass Schmidt diese Behauptung „maßgeblich mitinitiierte“ (S. 419). Er untersucht ihre Wirkungsmächtigkeit bis in die gegenwärtige Historiografie und die juristischen Auseinandersetzungen, so bei der Klage des „Spiegel“ gegen das Reichstagsbrand-Feature des Bayerischen Rundfunks im Jahr 2007. Im Hinblick auf Schmidts Wirken beim „Spiegel“ und im Springer-Verlag ist wichtig, dass – wie Plöger eruiert hat – Schmidts propagandistische Initiative vom 27. Mai 1944 zur Verschleierung des Judenmords eben nicht bis Ende der 1950er-Jahre unbekannt geblieben war. Denn die „Welt“ berichtete in ihrer Ausgabe vom 7. August 1947 unter der Schlagzeile „Presse-Schmidts Rolle“ darüber und druckte dessen Vorschläge im Wortlaut ab. Damit wird die immer wieder vorgebrachte Entlastungsbehauptung hinfällig, die Öffentlichkeit habe von Schmidts Vorschlägen zur Judenvernichtung nichts wissen können. „Weil sie nach Kriegsende unbekannt blieben“, so zuletzt der Historiker und „Welt“-Redakteur Sven Felix Kellerhoff, „konnte er sich als Journalist etablieren – beim Springer-Verlag und eben auch beim ‚Spiegel’“.3

Ab Ende der 1950er-Jahre verstärkte Schmidt sein publizistisches Engagement in Axel Springers Zeitschrift „Kristall“, in der er mit etlichen Serien den tapferen deutschen Soldaten huldigte. Die Kontinuität von Schmidts Wirken besteht darin, dass er auch nach 1945 seine Arbeit der Meinungsbeeinflussung auf politischem und zeithistorischem Terrain, insbesondere der Rechtfertigung von Krieg und Nationalsozialismus, gewidmet hat. So tauchen in der Arbeit Plögers derart viele personelle Interaktionen und Verflechtungen auf, dass ein Personenverzeichnis ein Muss für diese umfangreiche Studie gewesen wäre. Mit seinen Bestsellern zum „Unternehmen Barbarossa“ ab den 1960er-Jahren stand Schmidt auf dem Zenit seines politischen Erfolgs, und auch ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen Mordes, aufgrund seiner propagandistischen Initiative zum Judenmord 1944, überstand er unbeschadet. Mit Axel Springer, dem er bis zu dessen Tod 1985 nicht nur als Autor, Berater und Redenschreiber, sondern auch als persönlicher Sicherheitschef diente und für diesen sogar Fluchtpläne für den Fall eines sowjetischen Angriffs ausarbeitete, verband ihn ein bedingungsloser Antikommunismus. So fand Schmidt zum Beispiel in der „Welt“ ein publizistisches Forum und konnte dort am 21. Oktober 1979, im unmittelbaren Vorfeld des NATO-Doppelbeschlusses vom Dezember 1979 zur Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen, den notfalls präventiven Einsatz der Bundeswehr und der NATO propagieren. „Machtstreben wie Weltanschauung veränderte er in ihren Grundfesten nicht“, resümiert Plöger über Schmidts Wirken nach dem Ende des Nationalsozialismus, „sondern variierte sie lediglich bei Bedarf“ (S. 429).

Anmerkungen:
1 Zum Forschungsstand Wigbert Benz, Paul Carell, Ribbentrops Pressechef Paul Karl Schmidt vor und nach 1945, Berlin 2005; Vgl. die Rezension von Carsten Dams, in: H-Soz-u-Kult, 22.09.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-3-180> (30.03.2010).
2 Peter Longerich, Propagandisten im Krieg. Die Presseabteilung des Auswärtigen Amtes unter Ribbentrop, München 1987, hier S. 154, Fußnote 13; Otto Köhler, Unheimliche Publizisten. Die verdrängte Macht der Medienmacher, München 1995 (zuerst unter dem Titel „Wir Schreibmaschinentäter“, Köln 1989), S. 164-203; Matthias Weiß, Journalisten: Worte als Taten, in: Norbert Frei (Hrsg.), Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945, Frankfurt am Main 2001, S. 241-299, hier S. 269.
3 Sven Felix Kellerhoff, Der Reichstagsbrand. Die Karriere eines Kriminalfalls, Berlin 2008, S. 99.

Kommentare

Von H-Soz-Kult, Redaktion04.05.2010

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Rezension war der Redaktion nicht bekannt, dass der Autor Christian Plöger dem Rezensenten Wigbert Benz im Vorwort seiner Studie für dessen "nicht groß genug zu würdigenden Anteil an dieser Arbeit" dankt. Die Publikation von Rezensionen, deren Verfasser im weiteren Sinne an der Entstehung der besprochenen Studie beteiligt waren, steht der regulären Veröffentlichungspraxis von H-Soz-u-Kult entgegen. - Die Redaktion


Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension