T. Dvoráková u.a.: Prag-Film AG 1941–1945

Cover
Titel
Prag-Film AG 1941–1945. Im Spannungsfeld zwischen Protektorats- und Reichs-Kinematografie


Autor(en)
Dvoráková, Tereza; Klimeš, Ivan
Anzahl Seiten
211 S.
Preis
€ 19,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Volker Mohn, Historisches Seminar V: Geschichte und Kulturen Osteuropas, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Die Geschichte der Prag-Film AG wurde von der Forschung lange vernachlässigt: Aus tschechischer Sicht galt sie in erster Linie als „reichsdeutsche“ Produktionsgesellschaft. Deutsche Studien beschäftigten sich nur ansatzweise mit dem Betrieb oder gingen auf einzelne Filmproduktionen ein. Arbeiten zur Institution selbst fehlten bislang. Dass sich Tereza Dvořáková und Ivan Klimeš in ihrer Studie eines Themas annahmen, das sich „jahrzehntelang in einem eigentümlichen Niemandsland befand“ (S. 7), ist vor diesem Hintergrund ein wichtiger Schritt.

Für beide Autoren ist das Filmwesen im Protektorat keineswegs thematisches Neuland: Dvořáková, seit 2006 Assistentin am Lehrstuhl für Filmwissenschaften an der Prager Karls-Universität, veröffentlichte mehrere Beiträge in der Zeitschrift für Filmtheorie „Iluminace“ 1. Besondere Beachtung verdient zudem ihre Studie über die „Machtstrukturen der Kinematografie im Protektorat Böhmen und Mähren“ 2. Der hier besprochene Band zur Prag-Film AG ist eine überarbeitete Fassung ihrer Diplomarbeit. Auch ihr Promotionsprojekt widmet sich dem Filmwesen während der Besatzungszeit. Der Filmhistoriker Ivan Klimeš arbeitet seit 1981 beim Nationalen Filmarchiv (früher „Československý filmový ústav“ –Tschechoslowakisches Filminstitut) und leitet dort die Abteilung für Filmgeschichte und -theorie. Zudem ist Klimeš Leiter des Lehrstuhls für Filmwissenschaften an der Karls-Universität. Auch er ist ausgewiesener Kenner des tschechischen Filmwesens und Autor mehrerer einschlägiger Forschungsarbeiten. 3

Die Studie über die Prag-Film AG ist im Zusammenhang einer ganzen Reihe von Veröffentlichungen insbesondere junger tschechischer Historiker zu sehen, die in den vergangenen Jahren entstanden sind und die Forschung auf diesem Gebiet wesentlich voranbrachten: Genannt seien hier vor allem die Studien von Petr Bednařík und Lukáš Kašpar. 4 Dank dieser Veröffentlichungen ist die Entwicklung des tschechischen Filmwesens während der Protektoratszeit wesentlich besser erforscht als andere kulturelle Teilgebiete.

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert: Zunächst beleuchtet Ivan Klimeš die einzelnen Bereiche des Filmwesens, also Filmproduktion, -verleih und auch Kinos sowie die Maßnahmen der Besatzungsmacht, die eine Zentralisierung der beteiligten Institutionen und damit eine Bündelung ihrer Kontrolle anstrebte. Mit diesem Einstieg gewinnt der Leser einen Überblick über die verschiedenen Aspekte des Themas.

Im zweiten Teil widmet sich Tereza Dvořáková der Entwicklung der Prag-Film AG und dem institutionellen Umfeld der Filmindustrie. Grundsätzlich fallen mehrere Dinge positiv auf: Zunächst die für eine Diplomarbeit bemerkenswert breite Quellengrundlage. Dvořáková wertete zuvor kaum bearbeitete Aktenbestände zur Prag-Film AG und zur „Böhmisch-mährischen Filmzentrale“ im Prager Nationalen Filmarchiv aus. Zudem verwendete sie Bestände zu Protektoratsbehörden, die im Nationalarchiv vorliegen. 5 Dass sie zusätzlich die im Bundesarchiv Berlin vorhandenen Akten zur Reichsfilmintendanz und zur Universum Film AG mit einbezog, kommt ihrer Arbeit zugute: Auf diese Weise gelingt es, Prag-Film im Zusammenhang der Reichsfilmpolitik zu sehen und Maßnahmen der Besatzungsbehörden richtig einzuordnen. Konkret wurden im Normalfall Filmproduktionsgesellschaften scheinbar legal erworben und in die staatlich kontrollierte Filmwirtschaft eingebaut. Die Prag-Film AG war also „eines der typischen Mosaiksteinchen im Geflecht des Filmwesens im ‚Drittem Reich‘“ (S. 39) – eine Einbindung, die bereits an der Umbenennung der Gesellschaften deutlich wird. So waren neben der „Prag-Film“ auch andere Produktionsfirmen wie die „Wien-Film“ oder „Berlin-Film“ nach ihrem Sitz benannt. Dvořákovás Blick über die Grenzen Böhmens und Mährens hinaus ist in der Forschung zur Protektoratszeit immer noch keineswegs selbstverständlich. 6 Zudem beinhaltet die Studie einen Ausblick auf die Abwicklung der Gesellschaft in der Nachkriegszeit.

Die Studie gewährt einen Einblick in die Tätigkeit der Prag-Film AG. So wurden in den für damalige Verhältnisse hochmodernen Prager Barrandov-Studios vor allem deutschsprachige Produktionen gedreht. Darunter waren abendfüllende Spielfilme, mehrere Zeichentrickfilme, aber auch die sogenannten „Kulturfilme“ – also zumeist propagandistische und ideologische Produktionen, die wie die Wochenschau obligatorisch vor dem eigentlichen Hauptfilm gezeigt wurden (S. 76-85). An den Filmen waren oftmals deutsche Stars beteiligt, darüber hinaus aber auch eine Vielzahl tschechischer Kräfte. Mit Prag-Film arbeitete „im Grunde die gesamte Creme der tschechischen Regisseure jener Zeit zusammen“ (S. 87), also beispielsweise Martin Frič, Vladimír Slavinský oder Miroslav Cikán (als Martin Fritsch, Otto Pittermann und Friedrich Zittau). Unter Vertrag waren nahezu alle prominenten tschechischen Filmschauspieler, und dies ebenfalls unter abgeändertem Namen: Aus Nataša Gollová wurde bei Prag-Film Ada Goll, Hana Vítová tauchte im Filmabspann als Hanna Witt auf. Neben diesen prominenten Personen bezieht Dvořáková auch Beteiligte mit ein, deren Rolle lange Zeit kaum wahrgenommen wurde: Hierzu zählen beispielsweise Kameramänner, aber auch Filmschaffende wie der Dokumentarfilmer Karel Plicka, der an zahlreichen Kulturfilm-Produktionen beteiligt war. Hier lohnt sich Dvořákovás Blick über die Besatzungszeit hinaus, gelang es Plicka doch nach dem Krieg rasch, zum Direktor der renommierten Prager Filmakademie „Filmová fakulta Akademie múzických umění“ (FAMU) zu avancieren.

Die Autoren konstatieren eine „große Bandbreite verschiedener Anpassungsformen“ (S. 7), und thematisieren diese in einer wesentlich differenzierteren Form, als es in zahlreichen anderen Forschungsarbeiten der Fall ist. 7 Wünschenswert wäre allerdings ein noch genauerer Umgang mit dem Begriff der „Kollaboration“ gewesen, der an mehreren Stellen ohne hinreichende Definition gebraucht wird (beispielsweise S. 7, S. 70 sowie S. 88f). Erst am Ende der Studie folgt eine Verwendung „in Anführungszeichen“. Trotz des dortigen Vermerks, dass mit dieser Arbeit weder das Ziel einer Definition von „Kollaboration“ noch eine Beurteilung der „individuelle[n] Schuld einzelner Künstler und filmischer Angestellter“ (S. 99) verfolgt werde, würden bereits wenige Sätze zur Problematik des Begriffes die Darstellung sinnvoll ergänzen.

Insgesamt legen Dvořáková und Klimeš eine Studie vor, die zweifelsohne eine große Bereicherung der Forschung zum Thema darstellt und inhaltlich neue Aspekte bringt. Hierzu tragen die breite Quellenbasis, eine sinnvolle Gliederung und der Blick über die Grenzen des Protektorates hinaus wesentlich bei. Hervorzuheben ist der umfassende Anhang der Studie: Dort bieten eine ausführliche Filmografie sowie eine Vielzahl zentraler Dokumente und Presseartikel eine dankenswerte Ergänzung.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Tereza Dvořáková, Německá dohoda o budoucnosti kinematografie protektorátu (Das deutsche Übereinkommen über die Zukunft der Kinematografie im Protektorat), in: Iluminace, Heft 4 (2002), S. 101-118.
2 Tereza Dvořáková, Im Prager Spannungsfeld. Machtstrukturen der Kinematografie im Protektorat Böhmen und Mähren, in: Hans-Michael Bock u.a. (Hrsg.), Zwischen Barrandov und Babelsberg. Deutsch-Tschechische Filmbeziehungen im 20. Jahrhundert, München 2008, S. 84-93.
3 Vgl. beispielsweise Ivan Klimeš, A Dangerous Neighbourhood. German Cinema in the Czechoslovak Region, 1933-45, in: Roel Vande Winkel / David Welch (Hrsg.), Cinema and the Swastika. The international Expansion of Third Reich Cinema, New York 2007, S. 112-129; vgl. Martin Loiperdinger: Rezension zu: Vande Winkel, Roel; Welch, David (Hrsg.): Cinema and the Swastika. The International Expansion of Third Reich Cinema. New York 2007, in: H-Soz-u-Kult, 16.07.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-3-046> (07.05.2010).
4 Siehe beispielsweise Petr Bednařík, Arizace české kinematografie (Die Arisierung der tschechischen Kinematografie), Prag 2003. Erwähnt sei hier zudem Bednaříks Studie zu Prager Kinos im Protektorat. Petr Bednařík, Pražská kina za protektorátu, in: Olga Fejtová / Václav Ledvinka / Jiří Pešek (Hrsg.), Evropská velkoměsta za druhé světové války. Každodennost okupovaného velkoměsta. Praha 1939 - 1945 v evropském srovnání (Europäische Großstädte während des Zweiten Weltkrieges. Alltag in einer okkupierten Großstadt. Prag 1939 – 1945 im europäischen Vergleich), Prag 2007, S. 327-342. Siehe zudem Lukáš Kašpar, Český hraný film a filmaři za protektorátu. Propaganda, kolaborace, rezistence (Tschechischer Spielfilm und Filmschaffende im Protektorat. Propaganda, Kollaboration, Resistenz), Prag 2007.
5 Zu nennen sind vor allem die Aktenbestände des Amtes des Reichsprotektors sowie des Ministeriums für Volksaufklärung.
6 Siehe Jaroslav Kučera / Volker Zimmermann, Zum tschechischen Forschungsstand über die NS-Besatzungsherrschaft in Böhmen und Mähren, in: Bohemia 49 (2009), S. 164-183, bes. S. 171.
7 Ebd., bes. S. 178-182.

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