Auga, Ulrike; Bruns, Claudia; Harders, Levke; Jähnert, Gabriele (Hrsg.): Das Geschlecht der Wissenschaften. Zur Geschichte von Akademikerinnen im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2010 : Campus Verlag, ISBN 978-3-593-39148-9 337 S. € 29,90

Maurer, Trude (Hrsg.): Der Weg an die Universität. Höhere Frauenstudien vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Göttingen 2010 : Wallstein Verlag, ISBN 978-3-8353-0627-1 288 S. € 19,90

Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin und Projektgruppe Edition Frauenstudium (Hrsg.): Störgrösse "F". Frauenstudium und Wissenschaftlerinnenkarrieren an der Friedrich-Wilhelms-Universität berlin, 1892 bis 1945. Eine kommentierte Aktenedition. Berlin 2010 : Trafo Verlag, ISBN 978-3-89626-895-2 552 S. € 34,80

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Kemper, Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg

Vor nunmehr 102 Jahren wurde es Frauen in Preußen offiziell erlaubt, ein Hochschulstudium aufzunehmen. Die hier zu rezensierenden Sammelbände haben Anteil an der kritischen Bilanzierung dieses Jubiläums. Der wissenschaftliche Ertrag der drei inhaltlich und konzeptionell ganz unterschiedlich gestalteten Sammelbände liegt vor allem in ihrer gegenseitigen Ergänzung, die eine ergiebige Verknüpfung von Professionalisierungs- und Geschlechterforschung am Beispiel des Frauenstudiums bietet.

Als sich 1908 an den Universitäten in Göttingen und Berlin die ersten Frauen immatrikulierten, hatten andere europäische Länder von Polen über Frankreich bis England Frauen schon längst für die akademische Ausbildung zugelassen. Ob diese Ungleichzeitigkeit an vermeintlicher preußischer Rückständigkeit oder polnischer Fortschrittlichkeit lag, lässt sich unter anderem in Trude Maurers Sammelband „Der Weg an die Universität“ nachlesen. Die Göttinger Osteuropa- und Wissenschaftsforscherin versammelt zwölf Beiträge einer Ringvorlesung, die anlässlich des hundersten Jubiläums der ersten Frauen-Immatrikulation 2008 an der Universität Göttingen gehalten wurde. Maurers forschendes Leitthema „Teilhabe und Distanz“ spiegelt sich in dieser Veröffentlichung wider, deren Beiträge vom Mittelalter bis in die Gegenwart reichen, aber im Kern die Debatte um die Zulassung von Frauen zwischen 1874 und 1908 behandeln. Die gängige Einordnung von rückständiger oder fortschrittlicher Bildungspolitik ließe sich, so macht Maurer klar, nicht am Faktor Zulassungserlaubnis festmachen, vielmehr müssten die jeweiligen nationalen Universitätsstrukturen und Wissen(schaft)skulturen betrachtet werden, um den jeweiligen Status von Frauen nachvollziehen zu können. So gab es in England oder Russland im 19. Jahrhundert eigene Frauenhochschulen, an denen Frauen die Möglichkeit zur gelehrten Tätigkeit, aber kein anerkannter Abschluss wie an den Universitäten des Landes geboten wurde. Jüngere Universitäten in der Schweiz – in der „ein generell geringes Interesse an der Universitätsausbildung“ (S. 15) vorherrschte – ließen Frauen schon in den 1860er-Jahren zu, während in der Habsburgermonarchie 1897 Frauen zu allen Universitäten, aber nur an der Philosophischen Fakultät zugelassen wurden. Die preußische Diskussion um die Zulassung von Frauen war zudem deutlich vom Polarisierungsdiskurs im 19. Jahrhundert geprägt, der im Zuge bürgerlicher Professionalisierung männliche von weiblichen Sphären radikal trennte. Erziehung und Fürsorge galten als genuin weibliche Veranlagung und Tätigkeiten und wurden schließlich auch zur Grundlage der ersten Fächer, in denen sich Frauen profilieren durften: Pädagogik und Medizin.

Zu Recht ordnet Maurer die Erforschung des Frauenstudiums nicht nur in die Geschlechter-, sondern auch Gesellschaftsgeschichte ein. Ebenso naheliegend stammen die Autoren des Sammelbandes aus den Fächern Bildungsforschung, Pädagogik, Sozial- und Geschichtswissenschaft. Hedwig Röckelein und Heide Wunder gehen auf vormoderne gelehrte Möglichkeitsstrukturen von Frauen während des Mittelalters und der Frühen Neuzeit ein. Horst Kern erzählt anhand der Geschichte von Dorothee Schlözer, der ersten weiblichen Promovierenden an der Universität Göttingen im Jahr 1787, keinen Fall von Emanzipation, sondern die Geschichte eines ausgeprägten Paternalismus, der Schlözer zum Untersuchungsobjekt machte. Im Anschluss folgen Juliane Jacobi über englische Frauenhochschulen, Trude Maurer über das russische und Maria Rhode über das polnische Frauenstudium. Margret Kraul, Ilse Costas, Andreas Hoffmann-Ocon, Jahoanna Bleker und Jutta Limbach setzen sich mit Facetten der deutschen Schul- und Universitätsbildung für Frauen auseinander. Im abschließenden Beitrag stellt Ada Pellert die historiographische und zugleich gegenwartsbezogene These auf, dass der universitäre „Umgang mit gender […] ein ‚Seismograph‘ für den Umgang mit gesellschaftlich brennenden Fragen“ sei (S. 262). Trude Maurers Sammelband mit Fallstudien zum weiblichen „Weg an die Universität“ bietet vor allem einen europäisch orientierten Querschnitt, der die praktische Geschlechtererfahrung im akademischen Umfeld in den Mittelpunkt stellt. Hieraus lassen sich – ganz im Zeichen des europäischen Hochschulraumes – Anregungen für interdisziplinär und transnational ausgerichtete historische Forschungsprojekte ableiten.1

In der aktuellen Diskussion um Chancengleichheit und Reformmodelle spielt die Genderfrage zwar eine wichtige Rolle, gleichwohl stellt sie in der Forschung oftmals noch einen isolierten Zweig dar, anstatt routinemäßig in allen Bereichen berücksichtigt zu werden. Auf diese Forderung ließen sich wohl auch die Herausgeberinnen des Sammelbandes „Das Geschlecht der Wissenschaft“ ein, in dem es nicht nur um die Geschichte des Frauenstudiums, sondern auch um das generelle Spannungsverhältnis von Geschlecht und wissenschaftlicher Autorität geht. Ulrike Auga, Claudia Bruns, Levke Harders, Gabriele Jähnert und Katrin M. Kämpf verknüpfen die insgesamt 15 Beiträge des Bandes durch Fragen nach der Wirkmächtigkeit der Kategorie Geschlecht in der Wissenschaft und nach den konkreten Möglichkeiten und Bedingungen für Frauen, nicht nur gelehrte, sondern wissenschaftliche Karrieren zu verfolgen. Der Sammelband beruht auf der Netzwerkarbeit des „Zentrums für Transdisziplinäre Geschlechterstudien“ an der Berliner Humboldt Universität und entstand im Zusammenhang mit dem hundertjährigen Jubiläum des Frauenstudiums an der vormaligen Friedrich-Wilhelms-Universität. Anhand einer kritischen Ausleuchtung dieses Jubiläums bietet der Band drei Dimemsionen an, in denen erstens „theoretisch und diskursgeschichtlich den Verknüpfungen von Wissen, Macht und Weiblichkeit“ nachgegangen wird, zweitens „ein wissenschaftshistorischer Blick auf In- und Exklusionsmechanismen, mit denen sich Frauen konfrontiert sahen“, geworfen wird und drittens die „vergeschlechtlichten Strukturen“, Inhalte und Grundlagen einzelner Fächer thematisiert werden (S. 10).

Den ersten Abschnitt leitet der Festvortrag von Friederike Hauser ein. Hauser komponiert darin das Paradoxon von schlauen Frauen in Wissenschaften, die auf jahrhundertlange Segregation vermeintlich weiblicher und männlicher Fähigkeiten aufbauen. Claudia Bruns zeigt ausgehend von einer feministischen Debatte unter Studentinnen der 1920er-Jahre die aktuellen Mechanismen von Projektion und Aneignung, die in Diskussion um einen „neuen Feminismus“ auftreten. Hier tue sich erneut eine „Quadratur des Kreises“ auf, die darauf ziele, gleich zu werden, aber Frau beziehungsweise Mädchen zu bleiben (S. 65). Unter „merely cultural“? reflektiert Renate Hof das unausgegorene Verhältnis zwischen Gender Studies und Kulturkritik und fordert, letztere mit einem gegenderten Perspektivenwechsel zu betreiben, um „das Verhältnis von Wissen und Macht“ erweitert zu durchleuchten. Schließlich unterzieht Susanne Baer den Begriff und Inhalt der „Gleichstellung“ einer Analyse unter Gender-Aspekten.

Im zweiten Abschnitt des Bandes widmen sich die Beiträge unterschiedlichen Formen gelehrter und wissenschaftlicher Tätigkeit von Frauen. Patrizia Mazón skizziert die historischen Rahmenbedingungen des Frauenstudiums in Deutschland, Alexandra Tischel stellt die Germanistin Helene Herrmann vor, die als Frau und Jüdin in zweifacher Hinsicht von einer Hochschullaufbahn ausgeschlossen blieb und dennoch erfolgreich Wissenschaft betrieb. Daran anschließend untersucht Silke Helling die autobiographischen Quellen der Journalistin und radikalen Nationalistin Else Frobenius in Hinblick auf Selbstbeschreibungen und Konstruktionen im Spannungsfeld von Geschlecht und Bildungspartizipation. Die strukturelle Marginalisierung von Frauen innerhalb des Wissenschaftsbetriebs macht die Erforschung außeruniversitärer Wissenschaftseinrichtungen und deren Möglichkeiten für weibliche Karrieren umso interessanter. Unter diesem Aspekt stellt Petra Hoffmann die „Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin“ vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart vor. Nach den jahrelangen Errungenschaften für Frauen in der Wissenschaft bedeutete die NS-Zeit das Aus für zahlreiche Karrieren. Christine von Oertzen nimmt diesen Ausschluss als Ausgangspunkt für eine Geschichte des Aufbruchs. Schon seit 1919 engagierte sich die „International Federation of University Women“ als akademisches Netzwerk in den USA und Großbritannien und entwickelte sich in den 1930er-Jahren zur maßgeblichen Unterstützerin für verfolgte Akademikerinnen aus Deutschland, die in der Emigration ihre wissenschaftliche Arbeit fortsetzen sollten. Schließlich verbindet Massimo Perinelli die Bildungs- und Geschlechterperspektive mit einem medienanalytischen Ansatz. Anhand des westdeutschen Kinofilms „Studentin Helene Willfüer“ aus dem Jahr 1956 zeigt er die Widersprüchlichkeiten der 1950er-Jahre, Kontinuitäten in die Weimarer Republik und zunehmende Verwerfungen im scheinbar festgefahren Geschlechterbild.

Der dritte Abschnitt des Sammelbandes richtet die Frage nach weiblicher Teilhabe und Distanz in den Wissenschaften an das in ihr kursierende Wissen. Die Disziplinierung der Fächer und Herausbildung wissenschaftlicher communities, Regeln, Sprache und Normen war eng verbunden mit einer Disziplinierung des Geschlechts. Falko Schnicke bietet Einblicke in Heinrich von Treitschkes Geschlechterparadigma und Christina Altenstraßer in die Habilitationsverfahren der Berliner Staatswissenschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Levke Harders widmet sich der „Geschlechterordnung geisteswissenschaftlicher Fächer in Deutschland und den USA“, die in „engem Zusammenhang mit den jeweiligen Hochschulsystemen“ standen (S. 260). Inwiefern historische Frauengestalten und Wissenschaftlerinnen während des 20. Jahrhunderts auf die Theologie einerseits und Kirchengeschichte andererseits einwirkten umreißt Rajah Scheepers, während Ulrike Auga die feministisch-theologischen Ansätze mit der zusätzlichen Dimension ost- und westdeutscher Frauen kreuzt.

Dierser vielseitige Sammelband zum „Geschlecht der Wissenschaft“ wird erfreulicherweise durch eine kommentierte Aktenedition ergänzt und erweitert für die ebenfalls das „Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien“ weitgehend verantwortlich zeichnet. Deren Geschäftsführerin Gabriele Jähnert betont im Vorwort, dass mit „Störgröße >F<“ die bislang umfassendste kommentierte Quellensammlung zur Geschichte des Frauenstudiums und der weiblichen Wissenschaftlerkarrieren bis 1945 vorgelegt wurde. Die Sammlung bietet Quellen des Universitätsarchivs der Humboldt-Universität, deren erstes Dokument eine „Antwort des Dekans der Medizinischen Fakultät zur Zulassung von Frauen“ aus dem Jahr 1892 ist. Die Sammlung endet mit Dokumenten zu Ursula Goetze, die an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin Romanistik studierte, an Widerstandsaktionen teilnahm und 1943 zum Tode verurteilt wurde. Dazwischen liegen an die 240 Quellendokumente, chronologisch-systematisch geordnet und detailliert kommentiert. 20 Seiten Literaturverzeichnis, 70 Seiten mit biographischen Skizzen und ein Personenregister schließen die Aktenedition ab und machen sie zu einem fundierten und enorm praktikablen Handbuch.

Alle hier vorgestellten Sammelbände überzeugen durch ihre sorgfältige Bearbeitung und reflektierte Themenwahl. Durch die Kombination aus Professionalisierungsgeschichte mit diskurs- und wissensanalytischen Perspektiven bietet sich ein gender-spezifischer Zugang zur bislang allzu neutral betriebenen Wissenschaftsgeschichte. Die auf diese Weise erweiterte Geschlechterforschung fügt dem historiographisch mittlerweile gut erforschten Thema Frauenstudium neue Dimensionen hinzu. Den Intentionen der Herausgeberinnen ist zuzustimmen, dass die Gender-Frage zunehmend auch von nicht ausgewiesenen Geschlechterforschern in ihren Untersuchungen berücksichtigt werden sollte. Gleichzeitig sollte die Geschlechterforschung deutlich sichtbarer innerhalb der gesamten intellectual history Position beziehen. Die Ausgangsposition ist hier gegeben.

Anmerkung:
1 Vgl. auch Iris Schröder, Europäische Geschichte - Geschlechtergeschichte. Einführende Überlegungen zu einer möglichen Wahlverwandtschaft, in: H-Soz-u-Kult, 10.05.2010, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=1218&type=diskussionenonen> (01.12.2010).

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