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Titel
Hitlers Pressechef. Otto Dietrich (1897-1952). Eine Biographie


Autor(en)
Krings, Stefan
Erschienen
Göttingen 2010: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
543 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karl-Günter Zelle, Mainz

Der Journalist Dr. Otto Dietrich war ab August 1931 „Reichspressechef der NSDAP“. Im Januar 1938 wurde er außerdem in Nachfolge von Walther Funk „Pressechef der Reichsregierung“ und Staatssekretär im Propagandaministerium. Ab Beginn des Krieges hielt er sich ständig in Hitlers Umgebung auf. Bei den Sprachregelungen für die Presse scheint er sich vorübergehend auch gegenüber Goebbels durchgesetzt zu haben. Ab 1943 verfiel jedoch seine Macht. Im Wilhelmstraßenprozess wurde er im April 1949 zu sieben Jahren Haft verurteilt, aber bereits im Jahr darauf freigelassen. Journalistisch war er danach nicht mehr tätig. Mit seiner insgesamt gelungenen Biografie setzt sich Stefan Frings das Ziel, sowohl das öffentliche Wirken als auch den Privatmann Dietrich zu beschreiben. Zumal soll die „politische Prägung in den Jugendjahren“ (S. 30) nachgezeichnet werden. Einbetten will Frings dies in eine Darstellung der „verschiedenen Milieus der sekundären Sozialisation“ (S. 30). Aber eine „umfassende Geschichte der Presse im Dritten Reich“ (S. 31) will diese Arbeit doch nicht sein.

Für Jugend, Kriegszeit und Studium gibt es indessen kaum persönliche Dokumente. Krings liefert stattdessen Milieuschilderungen, so über den tief verwurzelten Katholizismus im Thüringer Eichsfeld, dem die Familie entstammte. In allen Einzelheiten erfährt man, wie der Platz in Essen aussah, an welchem sich das elterliche Geschäft befand. Was Dietrich bewog, sich im Ersten Weltkrieg als Freiwilliger zum Heer zu melden, ist unbekannt. Stattdessen liest man, welche Motivbündel junge Gymnasiasten zu den Waffen eilen ließen. Auch seine Kriegserfahrung ist nicht belegt. Eine Rede, zehn Jahre nach Kriegsende, soll das ersetzen. Besonders gefährlich wird dieses Verfahren bei der Suche nach mutmaßlichen Einflüssen während der Studienzeit. Breit schildert Frings die nationalistischen und antisemitischen Strömungen in der Studentenschaft der jungen Weimarer Republik. Es könnte jedoch sein, dass Dietrich sich diesen entzog: Seine volkswirtschaftliche Dissertation beschäftigte sich mit dem jüdischen Soziologen und Philosophen Georg Simmel; sein Doktorvater war nach 1933 Gegner des Nationalsozialismus. – Derartige Umfeldschilderungen können also eher irreführend sein, wenn der Zusammenhang mit der untersuchten Person nicht herzustellen ist.

Eine erfolgreiche Tätigkeit in einer jüdischen Firma gab Dietrich 1925 auf, um Journalist zu werden, zunächst bei einer linksliberal orientierten Zeitung, dann bei einer nationalkonservativen. Schließlich wurde er im Februar 1931 stellvertretender Hauptschriftleiter bei der nationalsozialistischen „Nationalzeitung“ in Essen. Schon zuvor, im April 1929, war er nach einer Hitlerrede der NSDAP beigetreten. – Anders als Frings es vermutet, fand also Dietrichs endgültige politische Prägung vielleicht nicht in der Kriegs- und Studentenzeit statt, sondern in dieser bemerkenswerten politischen Wanderung. Man fragt sich, wie seine Artikel diesen Wandel widerspiegeln – hierzu erfährt man zu wenig.

Im August 1931 ernannte ihn Hitler zum „Reichspressechef der NSDAP“. Die Aufgaben ließen nicht auf sich warten. 1932 war ein Jahr der Wahlkämpfe. Spektakulär waren Hitlers Deutschlandflüge vor der Stichwahl zum Amt des Reichspräsidenten im April 1932. Dietrich gehörte zu dessen Begleitung und steuerte die Parteipresse. Aber wenn Frings ihm einen „maßgeblichen Anteil“ an der Planung zuschreibt (S. 119), so erscheint dies zweifelhaft, denn die Tagebücher von Joseph Goebbels deuten auf eine eher untergeordnete Rolle hin.1 Im März 1933 gelang es Dietrich, den Reichsverband der Deutschen Presse (RDP) hinter sich zu bringen und für einige Monate dessen Vorsitzender zu werden. In einem brillanten Exkurs schildert Frings, aus welchen Motiven die Mitglieder zu dieser Selbstentmachtung ihres Verbandes bereit waren.

Für die Zeit ab 1931 sprudeln die Quellen reichlicher. Frings hat sie umfassend ausgewertet. Jetzt wechseln chronologische Kapitel, in denen die Ereignisse beschrieben werden, mit thematischen, in denen Dietrichs Veröffentlichungen behandelt werden. So schrieb er ein außerordentlich erfolgreiches Buch, „Mit Hitler an die Macht“, in welchem er sich als hemmungsloser Panegyriker zeigt. Auch versuchte er sich an „Philosophischen Grundlagen des Nationalsozialismus“, von Goebbels als „Edelquatsch“ bezeichnet. Anders sah es Alfred Rosenberg, der seine philosophische Deutungshoheit gefährdet sah.

Dietrichs Antisemitismus äußerte sich erst zu Beginn der 1930er-Jahre. Dennoch vermutet Frings, dieser habe früher begonnen. Hierzu schildert er eine antisemitische Tradition, die in der Nachkriegszeit kulminierte. „[…] so kann die antisemitisch aufgeladene Atmosphäre an den deutschen Universitäten in den Nachkriegsjahren nicht spurlos an ihm vorübergegangen sein.“ (S. 297) Die wenigen Belege deuten jedoch nicht darauf hin. In seinem Parteiamt begrüßte und förderte Dietrich allerdings das Berufsverbot für jüdische Journalisten und forderte deren Vertreibung. Auch bezeichnete er 1937 Moskau als „politische Zentrale des Weltjudentums“ – ob er wie Hitler an eine jüdische Weltverschwörung glaubte, sei dahingestellt. Auf die Pogromnacht des 9. November 1938 reagierte Dietrich auf zweierlei Weise: voller Abscheu im privaten Gespräch, rechtfertigend und verteidigend in seinen öffentlichen Äußerungen. Dies führt zu der Frage, ob es hinter der Fassade öffentlichen Funktionierens eine verborgene eigene Meinung gab. Hierzu gibt es nur verstreute Hinweise.

Während der ersten Kriegsjahre konnte sich Dietrich stets darauf berufen, dass er Hitlers Anweisungen befolgte. So gelang es ihm, neben oder vorübergehend auch über Goebbels eine eigene Machtposition in der Presselenkung aufzubauen. Hierzu gehört auch, dass er am 9. Oktober 1941 in einer theatralischen Inszenierung den bevorstehenden Sieg über die Sowjetunion verkündete. Goebbels war entsetzt: Falsche Hoffnungen wollte er vermieden sehen. Frings erwähnt nicht, dass auch Hitler sich kurz zuvor, am 3. Oktober, in einer Rede triumphierend und siegessicher präsentiert hatte. Von besonderem Interesse wäre natürlich die Frage, in welchen Fällen Dietrich Goebbels tatsächlich hat überspielen können. Frings lässt das offen. Es wäre ein aufwendiges, aber wohl keineswegs aussichtsloses Vorhaben, die Protokolle aus Goebbels‘ „Ministerkonferenzen“, die ja bis 1943 überliefert sind, mit den von Dietrich verantworteten „Tagesparolen“ abzugleichen. Erstaunlich ist es, dass Dietrich im Jahr 1944 eine „große Arbeit zum historischen Jubiläum 1848/1948“ (S. 398f.) in Auftrag gab. Was wollte er feiern – etwa das Aufblühen einer vielfältigen Presselandschaft? Und wollte er sich vorstellen, dass der Nationalsozialismus bis 1948 überleben würde? Letzteres kaum, die wenigen Zeugnisse deuten auf das Gegenteil hin.

Dietrich kann im Wesentlichen nur anhand seines öffentlichen Wirkens dargestellt werden. Zu seinem Privatleben, seinem Charakter, seinen vielleicht vorhandenen eigenen Meinungen ist wenig überliefert. So muss die Charakterisierung notgedrungen etwas blass bleiben. Frings liefert eine umfangreich recherchierte, sehr lesenswerte und inhaltreiche Studie, trotz der geschilderten Mängel.2 Sein Interesse gilt neben der Hauptperson zu Recht der Presse und den Journalisten. Die Gliederung ist klar und praktikabel, der flüssige Stil macht das Lesen angenehm. Hilfreich sind auch die zahlreichen biografischen Angaben.

Anmerkungen:
1 Elke Fröhlich (Hrsg.), Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil I: Aufzeichnungen 1923-1941, Teil 2/II Juli 1931 – September 1932, bearbeitet von Angela Hermann, München 2004, S. 245 und. 248.
2 Fehler gibt es auch zur Wirtschaft des Dritten Reiches, vgl. S. 304f: Die Frauen wurden nicht aus der Wirtschaft verdrängt. Unter den Beamten, Angestellten und Arbeitern waren 1939 über sieben Millionen Frauen, das sind über 30 Prozent, vgl. Stefan Bajohr, Die Hälfte der Fabrik. Geschichte der Frauenarbeit in Deutschland 1914 bis 1945, Marburg 2. Aufl. 1984, S. 18, 23. Die Aufrüstung wurde nur zum kleineren Teil über Mefo-Wechsel finanziert, überwiegend über Schuldenaufnahme des Reiches. Mit den Mefo-Wechseln wurde auch nicht auf das Kapital der großen Firmen zugegriffen, vielmehr stellten diese eine außerbilanzielle Geldschöpfung durch die Reichsbank dar, vgl. Willi A. Boelcke, Die Kosten von Hitlers Krieg. Kriegsfinanzierung und finanzielles Kriegserbe in Deutschland 1933 – 1948, Paderborn 1985, S. 22, 24.

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