S. H. Norwood: The Third Reich in the Ivory Tower

Cover
Titel
The Third Reich in the Ivory Tower. Complicity and Conflict on American Campuses


Autor(en)
Norwood, Stephen H.
Erschienen
Anzahl Seiten
339 S.
Preis
€ 20,00 ($ 29,00)
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Cord Arendes, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Historische Untersuchungen zur NS-Außenpolitik konzentrieren sich zumeist auf die Frage, in wieweit diese bereits von Beginn an auf den späteren Welt- und Vernichtungskrieg angelegt war. Weit weniger Beachtung finden die unterschiedlichen Formen der Außendarstellung des „neuen Deutschland“: Während die Olympischen Spiele des Jahres 1936 in Garmisch-Patenkirchen und Berlin als ein wichtiges Vehikel für eine „Beruhigung“ des Auslandes gelten, wird bei vielen anderen Aktivitäten der NS-Propaganda nur deren Wirkung auf die deutsche Bevölkerung hervorgehoben, so unter anderem bei der Gleichschaltung der Hochschulen. Einem bisher im deutschen Kontext wenig beachteten Thema, den Beziehungen der amerikanischen Eliteuniversitäten zu ihren deutschen Pendants und offiziellen Vertretern des NS-Systems, hat jetzt Stephen Norwood eine lesenswerte und vor allem in den USA kontrovers diskutierte Studie gewidmet, in deren Mittelpunkt die Institutionen, Personen und Mechanismen stehen, die auf Seiten der amerikanischen Elitehochschulen dazu beigetragen haben, das NS-Regime im internationalen System der Zwischenkriegszeit zu stabilisieren.1

Die Berichterstattung über die Restriktionen gegenüber jüdischen Mitbürgern in englischen und amerikanischen Tageszeitungen führte bereits im Frühjahr 1933 zu ersten Massenprotesten in amerikanischen Großstädten: So versammelten sich allein am 27. März 1933 fast 35.000 Menschen im New Yorker Madison Square Garden, um an einer Großveranstaltung gegen den Antisemitismus in Nazi-Deutschland teilzunehmen. Die Proteste nahmen in der Folge unterschiedliche Formen an und umfassten verschiedene gesellschaftliche Gruppen, mit einer bedeutenden Ausnahme: „The leaders of America’s universities, however, remained largely silent“ (S. 12f.). Weder traten führende Repräsentanten prominenter amerikanischer Colleges und Universitäten in signifikanter Zahl als Redner auf, noch sandten sie offizielle Solidaritätsadressen – in einigen Fällen nicht einmal auf ausdrückliche Bitte der Veranstalter. Wie Stephen Norwood zeigen kann, standen die Universitätsleitungen den Aktivitäten von Fakultätsmitgliedern und Studierenden überwiegend kritisch gegenüber und versuchten die wenigen Fälle von öffentlichkeitswirksamen Campusprotesten schnell und effektiv zu unterdrücken.

Eine anfängliche Sympathie für die neuen Entwicklungen im nationalsozialistischen Deutschland zeigte sich unter anderem im verstärkten Ausbau studentischer Austauschprogramme, der Teilnahme von deutschen wie amerikanischen Wissenschaftlern an Konferenzen, Roundtables und Vorträgen oder der Einladung deutscher Alumni zu Universitätsjubiläen, wie zum Beispiel des bekannten Hitler-Förderers und zeitweiligen Pressechefs der NSDAP, Ernst Hanfstaengl, nach Harvard im Sommer 1934. Stephen Norwood lenkt den Blick aber auch auf Ereignisse außerhalb rein wissenschaftlicher Beziehungen, die ebenfalls eine Aufwertung Deutschlands zur Folge hatten: 1934 besuchte der Kreuzer „Karlsruhe“ die USA, und im Jahr 1935 begab sich der deutsche Botschafter Hans Luther auf eine ausgedehnte Rundreise durch das Land. In beiden Fällen ergingen an die offiziellen NS-Vertreter vielfach Einladungen zu Universitätsbesuchen und -besichtigungen. Einen explizit politischen Charakter mochten viele Universitätsleitungen auch der propagandistischen Ausgestaltung zweier großer deutscher Universitätsjubiläen in Heidelberg (1936) und Göttingen (1937) nicht zusprechen: Zur Feier des 550-jährigen Bestehens der Heidelberger Universität sandten sowohl Harvard als auch Columbia mit der Begründung, dass es sich hier um eine rein akademische Veranstaltung handele, eine offizielle Delegation. Die Bedeutung des Vorganges ermisst sich erst im „direkten“ Vergleich: Keine Delegation der traditionsreichen britischen Universitäten mochte der Einladung folgen. Auch wenn von Stephen Norwood nicht weiter ausgeführt, so bliebe zu ergänzen, dass nach ersten prominenten Absagen alle britischen Universitäten sogar offiziell wieder von den Heidelberger Feierlichkeiten ausgeladen wurden. Dieser erschreckenden „Indifferenz“, die in einigen Fällen auch eine stille „Akzeptanz“ der nationalsozialistischen Bücherverbrennungen mit einschloss, misst Stephen Norwood deshalb eine so hohe Bedeutung bei, da die Präsidenten der großen Universitäten als Stützen des amerikanischen Bildungssystems über ein hohes Maß an moralischer Verantwortung verfügten: Ihnen kam ein großes Gewicht bei der Beeinflussung der öffentlichen Meinung in den USA zu.

Diese These wird durch eine Vielzahl eindringlicher Fallbeispiele untermauert, die auf einer breiten und ausgewogenen Quellenauswahl basieren. Neben Akten aus den Universitätsarchiven liegen der Arbeit vor allem zeitgenössische Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, einschließlich der wichtigen Universitätszeitungen, zugrunde. In den einzelnen Kapiteln rücken dabei jeweils ausgewählte Institutionen oder Personen in den Vordergrund: Harvard unter Präsident James B. Conant ließ nahezu alle Chancen, sich öffentlich gegen den Antisemitismus der Nationalsozialisten auszusprechen, ungenutzt verstreichen. Die Universität zeigte ein „shocking lack of awareness of Nazism“ (S. 40), das von der Studierendenschaft genauso geteilt wurde wie von einflussreichen Alumni. Auch Columbia unter Präsident Nicholas M. Butler beschrieb die intensiven Verbindungen nach Deutschland als „strictly academic“ (S. 96). Columbia war zudem die erste amerikanische Eliteuniversität, die eine offizielle „anti-Jewish quota“ (S. 79) eingeführt hatte, die ausdrücklich auf nicht-akademische Zulassungskriterien zurückgriff. Antijüdische Ressentiments waren in den Institutionen des Higher Learning in den USA der 1920er- und 1930er-Jahre allerdings keine Einzelerscheinungen, wie Jerome Karabel bezüglich der Konjunkturen der Zulassungsbeschränkung im 20. Jahrhundert herausgearbeitet hat.2

Die mit hoher landesweiter Reputation ausgestatteten Elite-Colleges für Frauen, die „Seven Sisters“ Vassar, Smith, Mt. Holyoke, Wellesley, Bryn Mawr, Radcliff und Barnard, verfügten über umfangreiche Austauschprogramme mit deutschen Universitäten, die nahezu ausschließlich in den frühen 1930er-Jahren begründet und aufgebaut wurden. Redner, die dem NS-System bekanntermaßen sympathisierend gegenüberstanden, wurden auch hier wiederholt zu Vorträgen oder als „visiting professors“ eingeladen. Während deutsche Austauschstudentinnen zumeist ohne Einschränkungen als Propagandistinnen für das NS-System an den amerikanischen Colleges agieren konnten, berichteten viele ihrer amerikanischen Kommilitoninnen nahezu emphatisch über die Verhältnisse in Deutschland und ihre freundliche Aufnahme an den Universitäten und in den nationalsozialistischen Gastfamilien. So zum Beispiel im „Junior Year“ in München, das erst durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges suspendiert wurde – und dies alles trotz der nicht zu leugnenden drastischen Beschneidung der Studienmöglichkeiten für Frauen in Deutschland. Einer der Gründe hierfür mag darin liegen, dass der Regelung des Zugangs zum Hochschulsystem im amerikanischen Kontext eine andere Bedeutung zugemessen wurde: Die „admission“ verfügte bereits über ihre eigene Geschichte.

Die Symposien des „Institute of Public Affairs“ der University of Virginia boten zwischen 1933 und 1941 „a major platform to scholars, polemicists, and German diplomats who advanced the revisionist argument on the origins of the World War, which denied that Germany was primarily responsible for starting it“ (S. 133). Als Propagandaschmieden oder gar „Nazi Nests“ galten zudem die „German Departments“ und die angeschlossenen „German Clubs“ amerikanischer Universitäten: Sie bildeten den Ort der sozialen Interaktion zwischen deutschen Diplomaten und den Universitätsverwaltungen und halfen der NS-Regierung, sich als legitimes Mitglied der Gemeinschaft von Nationen zu präsentieren – dies sollte sich erst nach der „Reichskristallnacht“ im November 1938 grundlegend ändern. Selbst dann verblieben die Proteste aber auf der Ebene des gesprochenen Wortes: Wenn es konkret darum ging, „Refugee Scholars“ oder „Students“ in die eigenen Departments aufzunehmen, war die Bereitschaft hierzu eher gering. Selbst dann, wenn externe Organisationen sich bereit erklärt hatten, einen Teil der anfallenden Kosten zu übernehmen, zählten Antisemitismus, strenge Einwanderungsbeschränkungen und finanzielle Zwänge zu den Argumenten, die die Ablehnung der (über-)lebenswichtigen Stipendien begründen sollten. So sahen sich beispielsweise die Rutgers-Universität oder das New Jersey Women College nicht in der Lage, mehr als jeweils nur einen „refugee student“ zu akzeptieren.

Handelt es sich insgesamt „nur“ um unreflektierte Sympathie gegenüber Vertretern des NS-Systems, die unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit geäußert wurde, oder muss von einer Art Kollaboration der amerikanischen Eliteuniversitäten gesprochen werden? Obwohl deren Vertreter die Situation in Deutschland in vielen Fällen sogar aus eigener Anschauung kannten, stellten sie zumindest willentlich eine Plattform für die „Außendarstellung“ des NS-Systems bereit, auch wenn diese Entwicklung im Kontext einer breiteren organisatorischen Opposition gegen den Nationalsozialismus in der amerikanischen Gesellschaft betrachtet werden muss. Insgesamt liefert Stephen Norwood in seiner äußerst informativen Studie eine erste systematische bzw. überfällige Untersuchung der Art und des Ausmaßes des vielfältigen Beziehungsgeflechts zwischen Vertretern des NS-Systems und den amerikanischen Eliteuniversitäten in den 1930er-Jahren. Das Ergebnis liefert nicht nur für die Geschichte des Nationalsozialismus und die deutsch-amerikanischen Beziehungen im 20. Jahrhundert, sondern vor allem auch für die Wissenschafts- und Universitätsgeschichte wichtige neue Erkenntnisse und wirft weitere Forschungsfragen auf. Zum Beispiel die, ob ein Zusammenhang zwischen den „verpassten Chancen“ der 1930er-Jahre und den zum Teil umfassenden Studentenprotesten in den USA der 1960er-Jahren bestehen könnte.

Anmerkungen:
1 Siehe zum Beispiel die Diskussion um die Rolle Harvards in Folge der ersten Präsentation der Kernthesen auf einer Konferenz des David S. Wyman Institut for Holocaust Studies (Washington D. C.) im November 2004: Marcella Bombardieri, Harvard’s stance on Nazis questioned, in: The Boston Globe, 14. 11.2004; ebd. (18. 11.2004); Andrew Schlesinger, The real story of Nazi’s Harvard visit, in: The Boston Globe, 18. 11.2004.
2 Jerome Karabel, The Chosen. The Hidden History of Admission und Exclusion at Harvard, Yale, and Princeton, Boston 2005 (vgl. Cord Arendes: Rezension zu: Karabel, Jerome: The Chosen. The Hidden History of Admission and Exclusion at Harvard, Yale, and Princeton. Boston 2005, in: H-Soz-u-Kult, 12.05.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-2-104>).

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension