J. Hodel u.a. (Hrsg.): Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 07

Titel
Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 07. Beiträge zur Tagung "geschichtsdidaktik empirisch 07"


Herausgeber
Hodel, Jan; Ziegler, Béatrice
Erschienen
Bern 2009: h.e.p. verlag
Anzahl Seiten
340 S.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markus Furrer, Pädagogische Hochschule Zentralschweiz

Der Band „Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik“ geht auf die Tagung „geschichtsdidaktik empirisch 07“ in Basel zurück und lässt sich im Umfeld des Aufbruchs empirisch ausgerichteter geschichtsdidaktischer Forschung in den vergangenen Jahren einordnen. Wie Bodo von Borries im „Rückblick und Ausblick“ des Tagungsbandes festhält, reichen die Bemühungen der Umsetzung empirischer Forschung in diesem Bereich in die 1970er-Jahre zurück. Der „innovative Versuch“ (S. 305), so von Borries, stieß jedoch an seine Grenzen und erst im Zuge der neueren Forschungsausrichtung mit dem Fokus auf die internationale Lehr-Lernforschung rückten empirische Analysemethoden in den Vordergrund, ja drängten sich geradezu auf. So hält von Borries fest, dass es darum gehe, einen Weg aus der Abbilddidaktik zu finden und nahe an den Lernprozess und an die Lernenden heranzukommen (S. 318). Der bis anhin erreichte Zwischenstand lässt sich an Tagungsbänden sowie weiteren Beiträgen der letzten Jahre eruieren1, die teils noch primär den Werkstattcharakter betonen, wie dies auch im Titel dieses Tagungsbandes explizit vermerkt ist. Wie Wolfgang Hasberg zeigt, entwickelte sich die empirische Forschung in den 1970er- und 1980er-Jahren von einer außen- und situationsgesteuerten Bedarfsforschung der Geschichtsmethodik hin zur Geschichtsforschung einer Geschichtsdidaktik, die sich als Wissenschaft vom Geschichtsbewusstsein definiert.2 Mitdiskutiert ist zumeist auch die disziplinäre Ausrichtung. Der eingeforderte Übergang der Geschichtsdidaktik von der „normativen Anleitung“ zur „empirischen Unterrichtsforschung“, wie sie Lucien Criblez in seinem „Tagungsauftakt“ einfordert, berge auch Probleme, so von Borries (S. 318), indem es ziemlich schwierig sei, von der Empirie zur Praxisanleitung zu kommen.

Wie Béatrice Ziegler ausführt, strebt Geschichtsdidaktik wie andere Fachdidaktiken nach forschungsmethodischer Selbstständigkeit. Die Fachwissenschaft Geschichte als Referenzwissenschaft biete hier jedoch wenig Hilfestellungen (S. 9), konzentriere sich doch diese auf die Untersuchung zeitlicher Phänomene und nicht auf ihre Vermittlung und Rezeption und schon gar nicht auf Darstellungs-, Unterrichts- oder Lernprozesse, die historisches Denken anregen oder Geschichtsbewusstsein formen wollen. Ihr methodisches Repertoire entlehnen empirisch forschende Geschichtsdidaktikerinnen und Geschichtsdidaktiker primär der Psychologie, der Erziehungswissenschaft oder der Sozialwissenschaft.

Der Band nimmt nicht in Anspruch, grundlegend neue Antworten zur empirischen Forschung in der Geschichtsdidaktik zu liefern, sondern will vielmehr Einblick in den Stand der derzeitigen Forschungswerkstatt vermitteln. Einige der vorgestellten Projekte sind angedacht, andere sind bereits umgesetzt. Aus Schweizer Sicht ist es verdienstvoll, dass es im Rahmen des Auf- und Ausbaus der Pädagogischen Hochschulen der PH Nordwestschweiz gelungen ist, sich als Referenzadresse empirisch ausgerichteter Geschichtsdidaktikforschung in der Schweiz zu etablieren. Wie die Herausgeberin und der Herausgeber formulieren, stellen sich insbesondere mit dem Fokus auf Kompetenzmodelle neue Herausforderungen, indem es darum gehe, gegenüber dem allgemeinen Prozess des Lernens und Verstehens den expliziten geschichtsspezifischen Anteil an Kompetenzen und Kompetenzaufbau zu erfassen.

Die Beiträge zur Tagung „geschichtsdidaktik empirisch 07“ lassen sich in neun Bereiche gliedern: Moralische Erziehung und Geschichtsunterricht; Vorstellungen von Geschichte; Geschichte, Erinnerung und Unterricht; Geschichtsidentität von Jugendlichen; Geschichtslernen mit visuellen Medien; Geschichtslernen mit digitalen Medien; Geschichtslernen mit Kompetenzentwicklung; Geschichtslernen anleiten und prüfen; Geschichtsunterricht heute. Jedem Bereich geht ein einleitender „Kommentar“ voraus, der auch die vorausgegangene Diskussion an der Tagung aufnimmt.

Matthias Proske verweist in seinem Beitrag „Moralerziehung im Geschichtsunterricht. Zwischen expliziter Vermeidung und impliziter Unvermeidlichkeit“ darauf, dass bislang kaum empirische Erkenntnisse über den Umgang mit Moral im Geschichtsunterricht vorliegen. In seinen Untersuchungen kommt er zum Schluss, dass moralische Grenzziehungen vor allem implizit vollzogen werden. Die Form der Moralerziehung folge nicht einem handlungstheoretischen Modell, das von der direkten pädagogischen Einwirkung ausgehe, sondern sei in der kommunikativen Struktur des Unterrichtssystems verortet. Monique Eckmann und Charles Heimberg verweisen in ihrer Untersuchung auf die „Vermittlung der Shoah im Unterricht aus den Erfahrungen und der Sicht der Lehrpersonen“. Ihre Forschungsbasis sind halbstrukturierte Interviews mit Geschichtslehrkräften. Ein häufig gewählter Zugang der Lehrkräfte sei es, das Thema aus der Opferperspektive anzugehen oder im Kontext von Genoziden zu thematisieren. Wie die Untersuchung zeigt, ist der Erwartungshorizont von Lehrpersonen sowohl sich selbst wie der Klasse gegenüber hoch. Dies sei, so die Autoren, begrüßenswert, berge jedoch die Gefahr in sich, dass Lehrkräfte ihre Vermittlung nicht genügend durch Untersuchungen, theoretische Überlegungen und wissenschaftliche Debatten untermauerten. Sabina Brändli und Stephan Hediger untersuchen mittels Fragebogen, Einzelinterviews und Gruppeninterviews, wie Jugendliche Einstellungen zu Gleichstellung und Diskriminierung begründen. Wie die Autoren folgern, wirken die Begründungen der Einstellungen in der Regel logisch und kohärent, gleichzeitig seien sie aber auch sehr „einsilbig“ aufgeführt (S. 71) und politisch brisante Aussagen würden nur sehr oberflächlich verstanden.

Ulrike Hartmann befasst sich in ihrem Beitrag mit Kompetenzprofilen historischer Perspektivenübernahme in den Klassen 7 und 10, ausgehend vom Kerngedanken, dass es Ziel des Geschichtsunterrichts sei, Schülerinnen und Schüler darin anzuleiten, historisch zu denken. Im Zentrum der mittels Befragung erhobenen Daten steht die Frage der Fähigkeit von Schülerinnen und Schülern, sich in historische Akteure und Situationen hineinzuversetzen und historische Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungshorizonte adäquat zu rekonstruieren. Matthias Martens schreibt über „Schüler deuten Geschichte(n)“ und kann sich dafür auf Vorstellungen von Schülerinnen und Schülern in Gruppendiskussionen stützen. Offenkundig wird dabei die Schwierigkeit, die die Befragten bezüglich der Unterscheidung der Begriffe „Quelle“ und „Darstellung“ haben. Es scheine sich, so Martens, hierbei um tiefere konzeptionelle Schwierigkeiten zu handeln. Christian Mathis untersucht „Schülervorstellungen zur Französischen Revolution“ mit einem vergleichenden Ansatz in der deutsch- und französischsprachigen Schweiz auf der Basis von Gruppengesprächen. Die Gruppe Jugendlicher aus der deutschsprachigen Schweiz schätzte Napoleon und die Auswirkungen der Revolution insgesamt positiver ein als die befragten Jugendlichen aus der Romandie. Die genauen Ursachen wären noch zu erläutern, sind jedoch nicht Gegenstand der Untersuchung. Wolfgang Hasbergs Beitrag zu „Gelebte Geschichte erzählt“ geht von zwei zentralen Aspekten aus: der Frage nach dem Zusammenhang von Geschichte und Lebensgeschichte (erlebte Geschichte) und jener nach den Strategien historischer Sinnbildung (erzählte Geschichte). Basis der Untersuchung sind Mitgliedergespräche im Diözesanverband Köln des Internationalen Kolpingwerks.

François Audigier und Philippe Haeberli präsentierten die wichtigsten Resultate einer Befragung mittels Fragebogen und halbstrukturierter Interviews bei Genfer Oberstufenschülern. Sie gehen davon aus, dass im Unterricht Schüler und Schülerinnen nicht in die Geschichte als Wissenschaft eingeführt werden, sondern dass Geschichte als schulische Disziplin durch Curricula und pädagogische Praktiken geprägt ist, wie sie durch Schule und ihre Akteure definiert werden, die wiederum in ihrem gesellschaftlichen Umfeld einzuordnen sind. Geschichte wird von den Heranwachsenden meist als lineare und glatte Erzählung aufgefasst und der Geschichtsunterricht wird eng mit kulturellen Zielvorstellungen verbunden. Nadine Fink untersucht den Einsatz von Zeitzeugenberichten im Unterricht am Beispiel von Interviewausschnitten, die tragende Elemente der Ausstellung „L’Histoire c’est moi“ waren. Sie verspricht sich vom Einsatz der Zeitzeugenberichte eine Einsicht bei Schülerinnen und Schülern, die damit stärker den Konstruktionscharakter geschichtlicher Darstellungen wahrnehmen sollten. Wie ihre Untersuchung zeigt, scheinen die Lehrenden gegenüber dieser menschlichen Dimension von Vergangenheit sensibel zu sein.

Michele Barricelli schreibt über ein Museums-, Unterrichts- und Forschungsprojekt anlässlich einer historischen Ausstellung zu Migration in der deutschen Geschichte. Geschichtsunterricht, so seine Ausgangsüberlegung, sei ein hochsymbolischer Ort, wo über das Mittel der Erinnerungspolitik das ethnokulturelle Selbstverständnis einer Staatsnation verhandelt werde. Die für die empirische Forschung zugänglichen Materialien wurden im Zuge zweier Handlungen (Zusammentragen von Gegenständen aus dem eigenen familiären Kontext mit Bezug zum Wanderungsgeschehen, die mittels Geschichten erläutert und verschriftlicht werden sowie nachfolgenden evaluativen Gruppengesprächen) entwickelt. Barricelli macht einen revolutionären Wahrnehmungswandel bei der jüngeren Generation aus, der nicht ohne Auswirkungen auf den Geschichtsunterricht bleiben dürfte, indem dessen bisherige Aufgabe schwindet, zweckgebundene Orientierung in definierten Räumen zu etablieren (S. 167). Johannes Meyer Hamme arbeitet vor dem Hintergrund der kulturellen Heterogenität Jugendlicher den Umgang von Schülerinnen und Schülern mit Geschichte heraus, mit dem Ziel, die Zusammenhänge zwischen historischer Identität und dem Geschichtsunterricht aufzuzeigen.

Sabine Horns Beitrag „Dekonstruktion von Filmen im Geschichtsunterricht“ veranschaulicht, wie dem geschichtskulturellen Phänomen eines boomenden fiktionalen oder nicht-fiktionalen Genres begegnet werden kann. Sie entwickelt eine Methode, angelehnt an die historisch-diachrone Medienproduktanalyse, mit der sich Schülerinnen und Schüler in relativ eigenständiger Form des forschenden Lernens der Thematik nähern können. Wie mittels Concept Maps Wissensstrukturen erschlossen werden, untersucht Kristina Lange. Markus Bernhardt kommt auf der Basis von Interviews, denen eine labormäßige Rekonstruktion einer klassischen Einstiegssituation zugrunde liegt, zur Einsicht, dass Schülerinnen und Schüler gesetzten Bildungsstandards in der „Bildkompetenz“ nicht entsprechen. Er fordert diesbezüglich realitätsnähere Bildungsstandards ein.

Mit „Geschichtslernen im Zeitalter von Social Software (wie Wikipedia, My Space oder Youtube)“ befasst sich Jan Hodel, der mit Methoden der qualitativen Sozialforschung das Medienhandeln von Schülerinnen und Schülern beim selbstständigen oder von der Schule angeleiteten Geschichtslernen im Fokus hat. Waltraud Schreiber zeigt in ihrem Beitrag, dass die Logiken und Verfahrensweisen einer qualitativ-kategorialen inhalts- und strukturbezogenen Schulbuchanalyse eine Basis für empirische Forschungen zum historischen Denken und Lernen sind. Dabei orientiert sie sich an der Spezifik des Mediums Schulgeschichtsbuch und erläutert, wie die Relevanz der De-Konstruktion historischer Narrationen sowie der Analyse der Kompetenzförderung für empirische Untersuchungen zum historischen Denken und Lernen genutzt werden können. Olaf Hartung befasst sich mit epistemischen Textarbeitsformen im Geschichtsunterricht. Wie seine Ergebnisse der Voruntersuchung vermuten lassen, kommen im Geschichtsunterricht epistemisch-heuristische Schreibformen selten vor, auch scheint das Bewusstsein für die Bedeutung der kommunikativen Seite des Schreibens nicht besonders ausgeprägt zu sein. Wie seine Untersuchung jedoch zeigt, sind Lernende durchaus in der Lage, beim Schreiben adäquat zu perspektivieren und zu differenzieren. Eine Forschungsskizze zu „Prüfung als Visitenkarte des Geschichtsunterrichts“ legen Karin Fuchs und Nadine Ritzer vor. Ein Diagnoseraster soll zur Erfassung und Typologisierung von Prüfungsaufgaben dienen, um herauszufinden, welche Kompetenzen wie geprüft werden. Michael Strub geht es in seinem Beitrag „Geschichtslernen anleiten und prüfen“ um mögliche Kriterien für die Optimierung von Aufgaben. Wie er ausführt, will er mit seiner Untersuchung verlässliche Aussagen darüber machen können, worauf Lehrpersonen beim Verfassen von Arbeitsaufträgen auf der sprachlichen Ebene zu achten haben.

In einem abschließenden Beitrag befasst sich Hilke Günther-Arndt mit der Studie „Geschichtsunterricht heute“.3 Ein wichtiges Verdienst dieser Studie sei es, dass sie in Anlehnung an die amerikanische Forschungspraxis empirische geschichtsdidaktische Forschung in den fünf Forschungsrichtungen Phänomenforschung, Ergebnisforschung, Wirkungsforschung, Interventionsforschung und Forschung zu historischem Denken und Lernen, differenziert.4

Anmerkungen:
1 Wolfgang Hasberg, Empirische Forschung in der Geschichtsdidaktik. Nutzen und Nachteil für den Geschichtsunterricht, 2 Bde., Neuried 2001; Helmut Beilner, Empirische Forschung in der Geschichtsdidaktik, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 54, 5/6 (2003), S. 212-302; Hilke Günther-Arndt / Michael Sauer, Geschichtsdidaktik empirisch. Untersuchungen zum historischen Denken und Lernen, Berlin 2006; Peter Gautschi u.a. (Hrsg.), Geschichtsunterricht heute. Eine empirische Analyse ausgewählter Aspekte, Bern 2007; Wolfgang Hasberg, Im Schatten von Theorie und Pragmatik – Methodologische Aspekte empirischer Forschung in der Geschichtsdidaktik, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik (2007), S. 9-40.
2 Vgl. Wolfgang Hasberg, Nutzen und Nachteil der empirischen Forschung für den Geschichtsunterricht, in: Internationale Schulbuchforschung 3 (2001), S. 379-396, hier S. 387.
3 Vgl. Markus Furrer: Rezension zu: Peter Gautschi u.a. (Hrsg.): Geschichtsunterricht heute. Eine empirische Analyse ausgewählter Aspekte. Bern 2007, in: H-Soz-u-Kult, 11.07.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-3-029> (18.12.2009).
4 Zur Diskussion siehe: Wolfgang Hasberg, Im Schatten von Theorie und Pragmatik – Methodologische Aspekte empirischer Forschung in der Geschichtsdidaktik, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik (2007), S. 9-40, hier S. 17-18.

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