O. Auge: Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter

Cover
Titel
Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter. Der südliche Ostseeraum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die frühe Reformationszeit


Autor(en)
Auge, Oliver
Reihe
Mittelalter-Forschungen 28
Erschienen
Ostfildern 2009: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
XIV, 543 S.
Preis
€ 79,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Puhle, Kulturhistorisches Museum Magdeburg

Das vorliegende Buch wurde 2008 von der Philosophischen Fakultät der Universität Greifswald als Habilitationsschrift angenommen. Ausgehend von den Dynastien der Fürsten und Herren von Mecklenburg, Werle, Pommern und Rügen zwischen dem ausgehenden 12. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts werden die Handlungsspielräume fürstlicher Politik untersucht. Dies geschieht auf dem Wege einer Konstellationsanalyse innerhalb der Themenfelder „Raum“, „Finanzen“, „Familie und Dynastie“, „verfassungsrechtliche Stellung“ sowie „Rangbewusstsein und Repräsentation“, die „wir als Koordinaten oder Ordnungskonfigurationen eines Systems begriffen, in welchem dem fürstlichen Handeln der Zeit diverse Möglichkeiten geboten und zugleich vielfache Grenzen gesetzt waren“ (S. 347).

Oliver Auge versucht mit seiner Arbeit nicht mehr und nicht weniger, als „einen neuerlichen Perspektivwechsel in der Geschichtswissenschaft vorzunehmen, die seit dem sozio-cultural turn ihren Schwerpunkt unbestritten im gesellschafts- und kulturwissenschaftlichen Bereich sucht und demgegenüber politik-, rechts-, ja sogar wirtschaftsgeschichtliche Fragestellungen eher vernachlässigt“ (S. 347). Ob dieser Perspektivwechsel nicht schon längst eingesetzt hat, mag dahingestellt sein. Der Verdienst dieser Arbeit ist es, im Unterschied zu älteren herrschaftsgeschichtlichen Untersuchungen nicht vor allem der Chronologie folgend die Ereignisgeschichte darzustellen, sondern sich strikt in dem System der fünf Koordinaten zu bewegen, diese umfassend zu untersuchen und Wechselbeziehungen innerhalb dieses Koordinatensystems nachzuspüren, da nur die Gesamtbetrachtung greifbare Ergebnisse bringen kann.

Die Auswertung der anhand der Analysemethode ermittelten Zusammenhänge bringt nun zwar nicht völlig Überraschendes und Unerwartetes hervor, verdichtet aber bisher eher als Vermutungen zu bezeichnende Positionen in der Forschung zu Erkenntnissen, was eines der Grundprobleme der mediävistischen Forschung überhaupt angeht, nämlich der Frage nach den Grundlagen der Herrschaftspraxis im Mittelalter. Inwieweit besaßen die Fürsten einen Plan oder gar eine Herrschaftskonzeption? Oder ist hier eher Reaktion auf Aktionen anderer und sehr viel Zufall im Spiel?

Zwei wesentliche Ergebnisse dieser Arbeit neben vielen interessanten Details sind in diesem Zusammenhang festzuhalten und mit großer Wahrscheinlichkeit über die untersuchten Dynastien hinaus zu generalisieren.

1.: „Vieles, wenn nicht das Meiste im Handeln der Fürsten war eben nicht Plan, sondern Entwicklung, nicht geplante Aktion, sondern – im besten Fall durchdachte – Reaktion. Und vieles davon entzieht sich einem rationalen Zugangsversuch wie dem unsrigen, einer schlüssigen Erklärung, da es im emotionalen Bereich oder in uns in ihrer Gesetzmäßigkeit kaum oder nur schwer zugänglichen Regel- und Denkmechanismen seine Ursache und Begründung hatte.“ (S. 7)

2.: Am Ende des 15. Jahrhunderts kann eine starke Entwicklung zu einer sich verstetigenden und verrechtlichenden, mithin rationaleren Politik der Fürsten festgestellt werden, was Oliver Auge etwa aus der Bündnispolitik der Fürsten nachweisen kann: „Hinter dem diplomatischen Hin und Her stand ganz offensichtlich das Bestreben, die eigene Position um nahezu jeden Preis zu stärken und die des anderen Fürsten zu schwächen, auf keinen Fall aber eine Stärkung der letzteren zuzulassen. Außerhalb dieser Gesetzmäßigkeit findet sich von Verlässlichkeit und Stetigkeit in der Bündnispolitik lange, bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, keine Spur“ (S. 349), womit der Autor ganz nebenbei auch einen weiteren Beweis abliefert, dass es gerechtfertigt ist, das Mittelalter um 1500 enden zu lassen.

Oliver Auges Untersuchung wird sich sehr schnell zu einem Standardwerk der landesgeschichtlichen Forschung insgesamt entwickeln, da sie eine umfassende Darstellung fürstlicher Politik im südlichen Ostseeraum vom 12. Jahrhundert bis zum Beginn der Frühen Neuzeit mit dem gelungenen Versuch verbindet, Rahmenbedingungen und Motive für das Handeln der Fürsten freizulegen.

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