A. Kufer (Hrsg.): Handwörterbuch der deutsch-französischen Beziehungen

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Titel
Handwörterbuch der deutsch-französischen Beziehungen.


Herausgeber
Kufer, Astrid; Guinaudeau, Isabelle; Premat, Christophe
Erschienen
Baden-Baden 2009: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
245 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Lappenküper, Otto-von-Bismarck-Stiftung Friedrichsruh

Die Idee wirkt bestechend: ein Handwörterbuch, das einen übersichtlichen Einstieg in die immer spezialisiertere Literatur über die wechselhafte Geschichte der Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich bieten soll. Ein „pluridisziplinär zusammengesetztes Team junger deutscher und französischer Nachwuchswissenschaftler“ (S. 13) hat sich dieses Gedankens angenommen und liefert nun mit einer der „histoire croisée“ verpflichteten Sammlung ausgewählter Schlüsselbegriffe eine kompakte Zusammenschau der Entstehung und des Standes des bilateralen Verhältnisses von der Französischen Revolution 1789 bis zur Wiedervereinigung Deutschland 1989/90. Vorgestellt werden sowohl Persönlichkeiten und Mittlerfiguren aus Politik, Wissenschaft, Literatur und Musik als auch „tragende analytische Konzepte“ (S. 7). Besondere Aufmerksamkeit widmen die Autoren den Akteuren, Institutionen und Handlungsfeldern der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit, den Wirtschaftsbeziehungen sowie gesellschaftlichen Fragen. Mittels bibliografischer Angaben laden die durch Querverweise miteinander vernetzten Artikel zur weiterführenden Lektüre ein. Ein als „Sachregister“ (S. 237) angelegter Index mit Personen, Orten und Sachbegriffen soll den Band erschließen.

Zu Recht betont das Herausgeberteam, dass mit den knapp 90 alphabetisch gegliederten Beiträgen keine Vollständigkeit erreicht werden könne. Dennoch wirkt manche Lücke überraschend. So bietet das Handwörterbuch zwar einen Beitrag über „Bordeaux“, nicht aber über Verdun, Versailles oder Oradour. Als prägende Persönlichkeiten werden Paul Celan, Alfred Grosser, Heinrich Heine, Stéphane Hessel, Karl der Große, Napoleon, Joseph Rovan, Albert Schweitzer sowie „Briand & Stresemann“ (S. 36) vorgestellt, nicht aber André Gide, Ernst Robert Curtius oder Romain Rolland.

Es sind freilich nicht diese letztlich durchaus nachvollziehbaren Lücken, die den Wert des an ein breites Publikum gerichteten Handwörterbuchs schmälern. Bedauerlich an dem sowohl in einer deutsch- als auch einer französischsprachigen Ausgabe erscheinenden Arbeitsinstrument sind neben grammatikalischen Mängeln die inhaltlichen Unebenheiten: Was meint Marie-Ange Maillet mit dem Satz, Heinrich Heines „Harzreise“ von 1826 sei eine „scharfsinnige Kritik am Deutschland der Restaurationszeit (d.h. nach Wiederherstellung der Monarchie)“ (S. 101)? Worauf beruht die Behauptung Delphine Deschaux-Baumes, die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich seien vor der Reichseinigung 1871 „zumeist konfliktreich“ gewesen (S. 55)? Kaum der Überprüfung Stand hält die Auffassung von Raphaël Chiappini, das Deutsche Reich habe sich „von 1870 an und unter der Führung Bismarcks erneut protektionistisch verhalten“ (S. 99). Zumindest schief ist der Satz von Isabelle Guinaudeau und Odile Bour, dass nach der Annexion des Elsass durch das Kaiserreich die Universität Straßburg „erbaut“ worden sei (S. 62). Christophe Premat legt die „Gründung der Universität Straßburg“ gar ins Jahr 1919, ohne jeglichen Hinweis auf die Alte bzw. die Kaiser-Wilhelm-Universität! (S. 107).

Es kann nicht davon die Rede sein, dass die französische „Besatzung des Ruhrgebiets“ 1922 erfolgte (Sonia Lemettre, S. 162). Befremdlich wirkt die Formulierung Astrid Kufers von der „sog. Politik der deutsch-französischen Annäherung“ in der Ära Briand-Stresemann (S. 36). Gern würde man den Beleg der Behauptung von Delphine Deschaux-Baume kennenlernen, dass Robert Schuman „als erster die Idee einer europäischen Armee“ formuliert habe (S. 206). Kaum zu belegen sein dürfte indes die These Isabelle Guinaudeaus und Odile Bours von einer „Gründung und Einrichtung des Europäischen Parlaments 1949“ (S. 64).

Sprachliche Präzision lassen die Vermischung der Begriffe Verständigung und Versöhnung (S. 30) oder die Umwandlung des deutsch-französischen Kulturabkommens von 1954 in eine „Vereinbarung“ (129) vermissen. Der „Länderbeauftragte der BRD für die kulturellen Angelegenheiten im Rahmen des Vertrages zur deutsch-französischen Kooperation“ (129) heißt in Wirklichkeit „Der Bevollmächtigte der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheiten im Rahmen des Vertrages über die Deutsch-Französische Zusammenarbeit“.

Von Unkenntnis der Chronologie zeugt die Behauptung Astrid Kufers und Isabelle Guinaudeaus, de Gaulle hab sich „nach seiner Rückkehr 1958“ der Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft widersetzt (S. 193). Welche „Besoldungsunterschiede“ den Dialog zwischen Brandt und Pompidou erschwerten, bleibt ihr Geheimnis (S. 194).

Nur bedingt korrekt ist die Behauptung von Mathias Delori, die Regierungen in Bonn und Paris hätten sich für die ersten Jahrestage des Elysée-Vertrages nicht interessiert (S. 31). Man denke nur an die Bundestagsrede François Mitterrands und den Auftritt Helmut Kohls im Hôtel des Monnaies im Januar 1983. Unverständlich wirkt der Hinweis Benoît Roussels auf eine von Gerhard Schröder und Tony Blair geschmiedete „sozial-liberale politische Achse“ (S. 52).

Handelt es sich bei dieser Fülle von Ungereimtheiten nun um sprachliche Unzulänglichkeiten, fehlerhafte Übersetzungen oder schlichtweg Belege der Unwissenheit? Wieso, muss überdies gefragt werden, wird im Artikel über die Kollaboration der Name René Bousquet nicht erwähnt, dafür aber Maurice Papon oder Jacques Chirac (S. 123), die notabene im Register fehlen? Fast zur Erheiterung führt das Kürzel DFB, hinter dem sich nicht – wie in der Bundesrepublik üblich - der Deutsche Fußballbund verbirgt, sondern die Deutsch-französische Brigade (S. 208). Schlichtweg falsch ist dagegen in einem deutschsprachigen Handbuch die Abkürzung WEO für Westeuropäische Union (S. 207).

Führen die inhaltlichen Defizite bei der Lektüre bereits zu erheblichem Unbehagen, verursachen die Literaturhinweise weitere Fragezeichen: Im Artikel über ARTE wird der Buchtitel von Inge Gräßle nur verstümmelt wiedergegeben (S. 25) 1. Im Beitrag über Briand und Stresemann vermisst man neben den einschlägigen Biographien die Arbeit von Ralph Blessing 2. Beim derzeit wichtigsten Buch über das Deutsch-französische Jugendwerk wird der Mitherausgeber Hans Manfred Bock (S. 49), beim Thema Elysée-Vertrag gar das aktuelle Standardwerk übersehen 3. In Bezug auf die Beziehungen Frankreichs zur DDR fehlt die zentrale Studie von Ulrich Pfeil 4 und hinsichtlich der deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen die grundlegende Arbeit von Sylvie Lefèvre bzw. ein fundamentaler Sammelband von Andreas Wilkens.5 Zum Artikel über den „Philosophischen Gedankenaustausch“ hätte man kaum den Aufsatz von Guido Müller über den luxemburgischen Stahlkonzern ARBED und die wirtschaftliche Verflechtung der 1920er Jahren erwartet (S. 153), wohl aber einen Hinweis auf seine Habilitationsschrift über das Deutsch-Französische Studienkomitee.[7]

De Gaulle hat den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag bekanntlich einmal als Rosenstock beschrieben, der immer wieder neue Blüten treibe. Auch Stephan Martens und Henrik Uterwedde greifen in ihrem Vorwort bei der Würdigung des Buches zu einer botanischen Metapher: „Es gibt tausend Blüten im deutsch-französischen Garten zu entdecken, und dieses Buch unternimmt mit uns eine Gartenführung besonderer Art“ (S. 7). Manche Pflanze wäre dem Gartenfreund nach einer genaueren Untersuchung durch den Gärtner besser vorenthalten worden.

Anmerkungen:
1 Inge Gräßle, Der europäische Kulturkanal ARTE. Deutsch-französische Medienpolitik zwischen europäischem Anspruch und nationaler Wirklichkeit, Frankfurt am Main 1995.
2 Ralph Blessing, Der mögliche Frieden. Die Modernisierung der Außenpolitik und die deutsch-französischen Beziehungen 1923-1929, München 2006.
3 Ulrich Lappenküper, Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963. Von der „Erbfeindschaft“ zur „Entente élémentaire“, 2 Bde., München 2011.
4 Ulrich Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949-1990, Köln Wien 2004.
5 Sylvie Lefèvre, Les relations économiques franco-allemandes de 1945 à 1955: De l'occupation à la coopération, Paris 1998; Andreas Wilkens, (Hrsg.), Die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen 1945-1960. Kolloquium des Deutschen Historischen Instituts 8.-10. Dezember 1994, Sigmaringen 1997.
[7] Guido Müller, Europäische Gesellschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg. Das Deutsch-Französische Studienkomitee und der Europäische Kulturbund, München 2005.

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