S. Dabringhaus: Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert

Cover
Titel
Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert.


Autor(en)
Dabringhaus, Sabine
Erschienen
München 2009: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 22,50
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Helwig Schmidt-Glintzer, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel

Das vorliegende Buch will China nicht einfach beschreiben und auch nicht eine reine Ereignisgeschichte sein, sondern China verstehen. Dieser „großen Herausforderung“ stellt sich Sabine Dabringhaus unter Bezugnahme auf einen Ordnungsrahmen: sie unterscheidet zehn „markante Perioden“ und adressiert „Aspekte der Kontinuität“, darunter „beispielsweise die Bindung des chinesischen Herrschaftssystems an ideologische Bekenntnisse, an eine starke Führungselite und an eine landesweite bürokratische Kontrolle“ (S. 9).

Der Aufbau des Buches folgt jedoch zunächst der Chronologie. Die genannten zehn Perioden [Zusammenbruch der dynastischen Ordnung (1908-1916) – Bewegung für Neue Kultur (1915-1925) – Nanjing-Regime der Guomindang (1927-1937) – Chinesisch-japanischer Krieg (1937-1945) – Bürgerkrieg (1946-1949) – Errichtung und Konsolidierung des Parteienstaates (1949-1956) – Großer Sprung und Großer Hunger (1958-1962) – Kulturrevolution (1966-1976) – Reform und Öffnung (1978-1989) – Aufstieg zur ökonomischen Globalmacht (seit den 1990er Jahren)] behandelt sie in fünf Kapiteln, gefolgt von einem „Epilog“, Zeittafel, Literaturverzeichnis, Nachweisen und Registern.

In der Gliederung der Perioden folgt die Verfasserin der Konvention. Die fünf Hauptkapitel behandeln zunächst (I.) die Reformversuche im späten 19. Jahrhundert, den Zusammenbruch der Mandschudynastie und den zunächst scheiternden Versuch der Gründung einer Republik nach westlichem Vorbild. Sodann (II.) wird unter der Überschrift „Nationalismus in einer schwachen Republik“ die chinesische Grunderfahrung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschildert, die Stärke der fremden Mächte, insbesondere der Imperialismus Japans, und die innere machtpolitische Zerrissenheit. Es folgt (III.) die Darstellung der Machtkonsolidierung der Kommunisten und die zum Teil sehr opferreichen Modernisierungsanstrengungen eines weitgehend sich isolierenden China bis zur außenpolitischen Öffnung in den siebziger Jahren, welche in eine neue Reformära (IV.) überging mit Ansätzen zu einer Demokratiebewegung, zu der dann (V.) eine von starker Hand gelenkte wirtschaftliche Liberalisierung unter Beibehaltung eines strengen politischen Ordnungsrahmes bis heute im Kontrast steht. Mit dem Hinweis auf Widersprüche, die „Wiederentdeckung der Tradition“ und „neue Impulse“ klingt dieses Kapitel aus.

Der Reiz der Darstellung liegt darin, dass sich die Verfasserin keinem der bisherigen Erklärungsversuche anschließt, sondern bereits in der Einleitung die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Modernisierungswege Chinas herausarbeitet und ihre facettenreiche Darstellung vorbereitet. Bei einer solchen gerafften Darstellung ist es unausweichlich, dass hinter manche Aussagen Fragezeichen gesetzt werden könnten. Insbesondere gibt es für zahlreiche Entwicklungen, deren Beginn in das 19. Jahrhundert datiert wird, weiter in die Vergangenheit zurückreichende Vorläufer. Und doch ist es richtig, mit den Reformen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts einzusetzen und aus deren Scheitern die Dynamiken zur Neuorientierung der Elite seit der Jahrhundertwende zu erklären.

In einem lebendigen und klaren Stil schreitet die Verfasserin von einzelnen Ereignissen und Strukturanalysen zu neuen Themen, so dass praktisch Seite für Seite ein neues Kapitel aufgeschlagen und ein neuer Ton angestimmt wird. Dies macht die Darstellung kurzweilig und beschleunigt das Lesen dieses überaus informierten und flott geschriebenen Buches.

Wer vertiefende Informationen wünscht, wird in den Anmerkungen auf weiter führende Literatur verwiesen. Hier fällt auf, dass diese Verweise fast ausschließlich englischsprachige Titel nennen. An jeder Stelle des Buches bleibt der Blick auf weitere Zeiträume erhalten, und so wird etwa im Abschnitt „Religion als Modernisierungselement“ am Ende des ersten Kapitel (S. 61 ff.) bereits auf die Lage vor der Errichtung der Volksrepublik Bezug genommen.

Im zweiten Kapitel hätte man sich etwas ausführlichere Informationen zur Lage der Landwirtschaft und zur Wirtschaft überhaupt gewünscht, und auch die Militärreform bzw. die ausländischen militärischen Berater waren für die Stabilisierung neu entstehender Herrschaftsstrukturen von zentraler Bedeutung. Insgesamt findet die Verfasserin einen angemessenen Ton in der Schilderung der Ereignisse vor dem Hintergrund oft einander widerstreitender Kräfte und Interessen, so dass man sich sehr gut informiert fühlt.

Dass die gesamte Darstellung weitgehend aus der Perspektive Chinas und nicht der Randvölker geschrieben ist, ist nicht überraschend und verbindet sie mit anderen derartigen Darstellung; jedoch werden ausdrücklich auch die problematischen Seiten der Integration der Randgebiete wie der Mongolei und Tibets in das chinesische Herrschafts- und Wirtschaftssystem angesprochen.

Besonders erfreulich ist die Einbeziehung des subjektiven Faktors, das heißt der politischen und intellektuellen Debatten und Initiativen und deren Berücksichtigung in der Erörterung von Modernisierungsprozessen. Auf diese Weise wird die Eigengesetzlichkeit und werden Strukturen der Geschichtsdynamik hervorgehoben, zu denen nach dem Zerfall der Sowjetunion inzwischen weitere Unwägbarkeiten hinzugetreten sind, mit denen sich China weiterhin konfrontiert sieht.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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