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Titel
Buch.


Autor(en)
Rautenberg, Ursula; Wetzel, Dirk
Reihe
Grundlagen der Medienkommunikation 11
Erschienen
Tübingen 2001: Max Niemeyer Verlag
Anzahl Seiten
106 S.
Preis
€ 10,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jacob Klingner, Ältere deutsche Literatur, FU Berlin

Um den prägnanten und selbstreferentiellen Titel der vorliegenden Publikation kann man die Autoren nur beneiden. Weniger beneidenswert ist die schwierige Aufgabe, auf gut hundert Seiten eine Einführung in die verschiedenen Aspekte der Buchwissenschaft zu geben. Ursula Rautenberg und Dirk Wetzel setzen sich dabei selbst hohe Ansprüche. Neben einer historischen wie systematischen Analyse des Mediums Buch aus „druckgeschichtlicher, medialer, gesellschaftlicher und ökonomischer Perspektive“ wollen sie einen „Ausgangspunkt für eine zukünftig noch zu entwickelnde Theorie des Buches“ (Klappentext) liefern.

Eine solche Darstellung ist nicht nur für den begrenzten Kreis spezialisierter Buch-, Medien- oder Kommunikationswissenschaftler interessant. Das Buch als materieller Träger kultureller Kommunikation kommt in den letzen Jahren im Rahmen einer disziplinenübergreifenden, kulturwissenschaftlich orientierten Forschung verstärkt in den Blick. Einer reinen hilfswissenschaftlichen Dienstleistung wollen sich Rautenberg und Wetzel - Vertreter der Buchwissenschaft in Erlangen - aber verschließen. Sie zielen mit ihrem Bändchen und ihrer Forderung nach einer „Theorie des Buches“ anscheinend auf eine in Deutschland bisher nur unbefriedigend erfolgte Grundlegung der Buchwissenschaft als eigenständige akademische Disziplin. Nicht dem Alltagsgegenstand Buch gilt ihre Darstellung, sondern dem „Formalobjekt wissenschaftlicher Disziplinierung“ (S. 1).

Das Buch ist in fünf jeweils gleich umfangreiche Kapitel gegliedert. Die Autoren zeichnen mit ihren Kürzeln jeweils einzeln unter den Unterabschnitten. In einem ersten Kapitel wird die Frage „Was ist ein Buch“ aus der Sicht der bücherproduzierenden und bücherverbreitenden Gewerbe, wie auch der kommunikations- und sozialwissenschaftlichen Theoriebildung beantwortet. Während die erste Antwort vortheoretisch bleibt und sich in der Vergabe einer ISBN-Nummer zu erschöpfen scheint, führt die zweite zu einem komplexen Buchbegriff, der paradigmatisch von der Materialität der Zeichen ausgeht. Ein solcher Buchbegriff erlaubt es, unterschiedlich aktualisierte materielle Formen der Textüberlieferung zu subsumieren. Allerdings kollidiert diese Offenheit mit dem alltagsweltlichen Vorverständnis, demzufolge das „Buch“ gleichbedeutend ist mit der „abendländischen Tradition des Kodex“ (S. 2), denn hier werden gewisse Erwartungen bezüglich Handhabbarkeit, Mindestumfang, Stabilität etc. gemacht. In der Folge ist nicht ganz klar, ob die Autoren dem eher offenen, zeichentheoretischen Buchbegriff folgen, oder dem des Vorverständnisses. Genauso ist das bei der Darstellung gesellschaftstheoretischer Kommunikationsmodelle. Obwohl dem systemtheoretischen Ansatz im Hinblick auf eine „Theorie des Buches“ eine große Leistungsfähigkeit zugesprochen wird, bleibt unklar, ob sich Rautenberg und Wetzel in ihrem Buch an Luhmanns Medienbegriff orientieren wollen (sie tun es offensichtlich nicht konsequent). Relativ umfangreich gerät der daran anschließende Abschnitt zum Stand der Buchwissenschaft und Buchforschung in Deutschland, was sicher an der oben skizzierten Interessenlage der Autoren liegt.

Im zweiten Kapitel wird die „Herstellungstechnik des Buches“ behandelt. Die Autoren beschränken sich weitgehend auf eine Darstellung der Geschichte der Druckverfahren seit Gutenberg sowie knappe Anmerkungen zu „Beschreib- und Bedruckstoffen“. Nicht ganz einsichtig ist die Platzierung eines hierauf folgenden Abschnittes über „Typographie und Text digital“, geht es auf diesen vier Seiten doch wieder um den Buchbegriff, der durch die Entwicklung sogenannter „e-books“ in Frage gestellt wird. Schon im ersten Kapitel wurde zum Thema „e-book“ festgestellt: „...mit Name und als Gegenstand soll es an das herkömmliche Buch erinnern, obwohl es keine gemeinsamen Eigenschaften mit der Kodexform aufweist. Jede Rede vom „Buch“ kann hier wohl nur metaphorisch sein.“ (S. 10) Dass die Aufbereitung von Texten für eine Lektüre am Bildschirm nun einige Seiten später doch eingehende Behandlung erfährt, erstaunt, auch wenn man hinter den nicht immer sehr reflektierten Wertungen (angeblich fehlende intuitive, buchspezifische Orientierungsformen; unbefriedigende starre Lesehaltung etc.) eine Apologie des neuzeitlichen gedruckten Buches und somit einen recht engen Buchbegriff vermuten muss.

Das dritte Kapitel „Das Buch in der Gesellschaft“ soll das Kommunikationsmedium Buch durch Beschreibung seiner Funktionen in gesellschaftlichen Zusammenhängen konturieren. In Hinblick auf eine zukünftige „Theorie des Buches“ ist ein solches Vorhaben zentral, geht es hierbei doch darum, die Spezifik der Buchkommunikation „in Abgrenzung zu den generellen Funktionen von Schrift und Schriftlichkeit“ (S. 42) sowie anderer (audiovisueller) Medien zu erfassen. Die Autoren sind sich dieser Zentralstellung bewusst, räumen aber auch ein, dass die Aufgabe im Rahmen der vorliegenden Publikation nicht befriedigend gelöst werden kann. In einem ersten systematischen Schritt werden die Leistungen des Buches im Rahmen der Schriftkultur (vor allem als Speicherungs- und Publikationsmedium) benannt. Zur Sprache kommen auch sekundäre Buchfunktionen wie der rituelle oder der symbolische Buchgebrauch). Der folgende „geschichtliche Abriss“ funktionaler Veränderungen der Buchkommunikation beschränkt sich (ohne dass diese explizit benannt oder problematisiert würde) weitgehend auf die europäische, ja sogar die deutsche Geschichte. Positiv fällt die Kritik an der unreflektierten Rede von „Medienrevolutionen“ oder von „Medienkonkurrenz“ auf.

Mit dem Buch als Ware befassen sich die beiden letzten Kapitel zu „Buchhandel“ und „Buchmarkt und Buchmarketing“. Sie kommen ohne die theoretisch oftmals anspruchsvollen Passagen der vorhergehenden Kapitel aus. Zunächst wird in Kapitel 4 eine knappe, aber informative Entwicklungsgeschichte des deutschen Buchhandels gegeben. Ein Schwerpunkt liegt bei Institutionalisierung des Buchhandels im Rahmen des „Börsenvereins“. Auch die unter dem Schlagwort vom „Doppelcharakter von Geist und Ware“ geführte, immer noch aktuelle Debatte (Buchpreisbindung) findet scharfsinnige kritische Behandlung. Das fünfte Kapitel erschöpft sich in einer Beschreibung des status quo des Buchhandels in Deutschland. Der hier gebotene Überblick mag als erste Orientierung hilfreich sein, die wissenschaftliche Substanz der Ausführungen ist jedoch nicht allzu hoch. Gerade der Abschnitt zum Marketing wirkt durch Floskeln wie „in der Regel“, „gewöhnlich“, „oft“ wie eine Aneinanderreihung ungeprüfter Beobachtungen und Assoziationen.

Das Fehlen eines Registers ist wohl den Zwängen der seitenzahlbeschränkten Buchreihe geschuldet. Ähnlich ist es zu erklären, dass das Literaturverzeichnis nur die im Text genannte (durchweg neuere) Literatur aufführt und somit nur bedingt als Auswahlbibliographie dienen kann. Der intendierten Funktion der Publikation als „Einführung in die buchwissenschaftliche Forschung“ (Klappentext) ist das sicher nicht zuträglich. Aber auch aufgrund seiner komprimierten Darstellungsform ist das Buch nur dem vorgebildeten Leser zu empfehlen. Die theoretischen Abschnitte sind auf hohem Niveau gehalten, und erst der mit dem Gegenstand schon einigermaßen Vertraute wird die in gutem Sinne polemische, oft ideologiekritische Behandlung mancher Punkte richtig würdigen können. Dem erfahrenen Leser dient das Bändchen, indem es Detailprobleme oder Diskussionsfelder immer nur kurz antippt oder knapp zusammenfasst, als gute Erinnerungshilfe und vermittelt manch neue Erkenntnis.

Die Leistung des Autorenduos, nahezu alle relevanten Perspektiven und Aspekte eines Wissensbereiches zusammenzustellen, ist zu bewundern. Dennoch kann man mit dem Gesamteindruck, den das Bändchen hinterlässt, nicht ganz zufrieden sein. Zu viel wurde hineingepackt, zu unausgewogen stehen die einzelnen Kapitel nebeneinander, nicht nur was die Informationsdichte, sondern auch was die Relevanz der Gegenstände angeht. Besonders auffällig und anstrengend ist das Hin und Her zwischen abstrakter theoretischer Argumentation und konkreter, bisweilen banaler Information. Dem Buch hätte der Mut zur Lücke, zur Akzentuierung, vielleicht auch der Verzicht auf die mechanische Aufteilung in fünf gleichlange Kapitel gut getan.

Ein Rezensent hat bereits den Wunsch geäußert, eine Neuauflage möge 50 Seiten mehr bekommen, auf denen Gedrängtes entzerrt und Unterlassenes (Abbildungen, Register) nachgeholt werden könnte. 1 Obgleich eine solche Erweiterung im Rahmen der Reihe „Grundlagen der Medienkommunikation“ wenig wahrscheinlich ist, kann man sich diesem Wunsch nur anschließen. Wirklich nützlich und benutzbar kann man sich eine solche Einführung nur vorstellen, wenn entweder die Stofffülle eingeschränkt, oder der Darstellung mehr Raum gegeben wird.

Anmerkungen:
1 Wulf D. von Lucius, Riesenthema im Zwergenformat, In: Forschung & Lehre 1.2002, S. 37. Weitere Kurzrezensionen: U. Jauch, Kante, Falz, Fuss, In: Neue Zürcher Zeitung Nr. 262 vom 10.11.2001, S. 68; Susanne Hilf, Alltagsgegenstand, Medium und Ware, In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 13./15.Februar 2002, S. 27.

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