N. Asutay-Effenberger u.a. (Hrsg.): Sultan Mehmet II.

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Titel
Sultan Mehmet II.. Eroberer Konstantinopels – Patron der Künste


Herausgeber
Asutay-Effenberger, Neslihan; Rehm, Ulrich
Erschienen
Köln 2009: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
227 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Woelki, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität Berlin,

Die traumatisierende Schockwelle, die nach dem Fall Konstantinopels am 29. Mai 1453 den lateinischen Westen ergriff, hatte weitreichende Auswirkungen auf das Bild, das man sich vom Eroberer, dem türkischen Sultan Mehmet II., machte. Eine in drastischer Gräuelrhetorik ausgemalte, auch dem Herrscher persönlich zugeschriebene Grausamkeit gipfelte in der Episode von der byzantinischen Kaisertochter, die der Sultan in der Siegesnacht vergewaltigt und nach verweigertem Übertritt zum Islam eigenhändig auf einer Madonnenstatue in der Hagia Sophia enthauptet haben soll.1 Die nun wieder aufflammende Kreuzzugspropaganda wurde nicht nur von charismatischen Predigern wie Giovanni da Capestrano OFM getragen, sondern vor allem von humanistischen Rhetorikvirtuosen, deren Zusammenstellung der gängigen Barbarentopoi auch nicht den Vorwurf ungebildeter Stumpfsinnigkeit ausließ: „Literas odit, humanitatis studia persequitur“, heißt es über Mehmet II. in der berühmten Frankfurter Reichstagsrede des Humanisten Enea Silvio Piccolomini.2

Beinahe gleichzeitig, und paradoxerweise von der gleichen intellektuellen Führungselite getragen, entstand ein in ähnlicher Weise überzeichnetes, ins überschwänglich Positive gewendetes Bild des türkischen Sultans als Förderer von Kunst und Wissenschaft, glühendem Bewunderer Alexanders des Großen und Caesars, Liebhaber und Bewahrer der antiken Literatur. Die ältere Forschung hat hierin im Wesentlichen eine Bewerbungsrhetorik arbeitssuchender Humanisten erkannt und die Gelehrsamkeit und das Anschlussinteresse des türkischen Sultans an die abendländische, insbesondere italienische Renaissancekultur stark relativiert.3

Demgegenüber unternimmt der aus einem internationalen Kolloquium zu Ehren des ehemaligen Leiters des Berliner Bode-Museums Arne Effenberger vom April 2007 hervorgegangene Band über „Sultan Mehmet II. Eroberer Konstantinopels – Patron der Künste“ den Versuch, die durch kontinuierliche militärische Expansion geprägte und im christlichen Abendland als traumatisierende Bedrohung erfahrene Regierungsphase Mehmets II. als eine Zeit kultureller Offenheit zum lateinischen Westen und den Sultan selbst als „humanistisch gebildete[n] Renaissancefürst[en]“ (S. 12, Einleitung der Hrsg.) zu charakterisieren und balanciert dabei auf einem schmalen Grat zwischen interdisziplinär-internationaler Forschung und einer sich dem Zeitgeist andienenden politischen Korrektheit.

Gleich zwei Beiträge befassen sich mit der griechischen Geschichtsschreibung und liefern ein wertvolles quellenkundliches Panorama der Epoche. Diether Roderich Reinsch (S. 15–40) stellt die vier bedeutendsten zeitgenössischen byzantinischen Chronisten vor und erörtert die jeweiligen Sichtweisen auf den türkischen Sultan. Die nach 1453 im Umfeld des Patriarchats von Konstantinopel fortexistierende christliche Geschichtsschreibung untersucht Peter Schreiner (S. 31–40). Das hierin aus zum Teil bislang unbekannten Quellen rekonstruierte positive Bild Mehmets II. dürfte wohl das gewichtigste Argument gegen die in der älteren Forschung vertretenen Positionen darstellen.

Die für die Zeit unmittelbar nach der Eroberung Konstantinopels charakteristischen Bau- und Raumordnungsinitiativen stehen im Mittelpunkt zweier weiterer Beiträge. Ömür Bakirer (S. 41–57) stellt schwer zugängliche Stiftungsurkunden in Regestform zusammen und verdeutlicht hieran die systematische urbanistische Umorganisation der eroberten Stadt, die vor allem von Zwangsumsiedlungen und großangelegten Bauprojekten geprägt war. Dass die Architekten der Epoche durchaus auch auf byzantinische Vorbilder zurückgriffen, zeigt Hubertus Günther (S. 93–118) vor allem anhand der als dynastische Grablege konzipierten Mehmet-Moschee (Mehmet Fatih Camii). Im Gegensatz zur abendländischen Renaissancearchitektur sieht der Autor in dieser „osmanischen Renaissance“ eine wesentlich offenere Antikentransformation nach vorgefundenen traditionellen Mustern.

Die westliche Sicht auf die türkische Eroberung wird vor allem durch Bildanalysen repräsentiert. Von hohem Symbolwert für die Präsenz westlicher Künstler und Gelehrter am osmanischen Hof ist die Reise des venezianischen Malers Gentile Bellini nach Konstantinopel (1479–81). Jürg Meyer zur Capellen (S. 139–160) untersucht anhand der in dieser Zeit entstandenen Bildnisse Bellinis die Verschmelzung von orientalischen Motiven und perspektivischer Darstellung und identifiziert die zahlreichen erhaltenen ganzfigurigen Zeichnungen als Kostümstudien. Ulrich Rehm (S. 161–176) sieht allein am kreuzzugseuphorisierten burgundischen Hof einen leisen und letztlich wirkungslosen politischen Appell gegen die Türkenherrschaft im Bildprogramm von Handschriftenminiaturen realisiert, während sich die übrigen abendländischen Fürsten recht schnell mit der Eroberung abgefunden hätten. Einer bislang wenig beachteten westlichen Stimme verschafft Hubertus Günther Gehör (S. 93–138). Der zeitweise in türkischen Diensten stehende Geschützgießer Jörg von Nürnberg betrachtet Mehmet II. als unehrlich, unzuverlässig und cholerisch, hebt aber die üppige Besoldung hervor.

Die in der Forschung umstrittenen intellektuellen Neigungen Mehmets II. untersucht Michael Rogers (S. 77–92) anhand einer Zusammenstellung von Handschriften, die am osmanischen Hof kopiert wurden. Die unsystematische Büchersammlung naturwissenschaftlicher Texte weist hierbei eine starke Konzentration auf geografische, medizinische und militärtechnische Literatur auf. Zwei militärgeschichtliche Beiträge markieren auch den Schluss des Bandes. Michael Greenhalgh (S. 177–210) macht plausibel, dass das weitgehende Fehlen antiker Monumente im Umfeld Konstantinopels vor allem auf eine besondere Form der Spoliierung zurückzuführen ist: Marmorne Altertümer wurden massenhaft zu Wurfgeschossen und Geschützkugeln verarbeitet und gegen die Mauern Konstantinopels geschleudert. Auf den ersten Blick kurios wirken die physikalischen Berechnungen der Dimensionen der berühmten Riesenkanone des Geschützgießers Urban, anhand derer Neslihan Asutay-Effenberger (S. 211–225) die in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung enthaltenen Maßangaben überprüft.4

Insgesamt zeichnet der Band ein differenzierteres und wesentlich positiveres Bild von der Regierungszeit Mehmets II. als die bisherige westliche Forschung, wobei allerdings weitgehend auf eine konfrontative Auseinandersetzung mit älteren Positionen und eine Einordnung der Ergebnisse in den Forschungsstand verzichtet wird. Dies wäre wohl Aufgabe einer Zusammenfassung gewesen, die dem schön gestalteten und reich illustrierten Band ebenso wie ein Register leider fehlt.

Anmerkungen:
1 Zu dieser bei Mathieu d’Escouchy kolportierten Geschichte vgl. Erich Meuthen, Der Fall von Konstantinopel und der lateinische Westen, in: Historische Zeitschrift 237 (1983), S. 1–35, hier S. 6.
2 Siehe dazu Meuthen, Fall von Konstantinopel, S. 7; Johannes Helmrath, Pius II. und die Türken, in: Bodo Guthmüller / Wilhelm Kühlmann (Hrsg.), Europa und die Türken in der Renaissance, Tübingen 2000, S. 79–137, hier S. 105. Eine kritische Neuedition der Rede ‚Constantinopolitana clades‘ steht unmittelbar vor dem Abschluss: Johannes Helmrath (Ed.), Deutsche Reichstagsakten. Ältere Reihe, Bd. 19/2, Nr. 67.
3 Siehe dazu das noch immer unverzichtbare Werk von Franz Babinger, Mehmet der Eroberer und seine Zeit. Weltenstürmer einer Zeitenwende, 2. Aufl. München 1958 (1. Aufl. 1953); zu benutzen in der um Anmerkungen erweiterten und aktualisierten englischen Übersetzung: Mehmed the Conqueror and his Time, ed. by William Hickman, 2. Aufl. Princeton 1992 (1. Aufl. 1978), hier S. 409–432. Deutlicher ausformuliert ist die These bei Franz Babinger, Maometto il Conquistatore e gli umanisti in Italia, in: Venezia e l’Oriente fra il tardo medioevo e Rinascimento, a cura di Agostino Pertusi, Firenze 1966, S. 433–449, hier S. 435: „La sola cosa che Maometto II avesse in comune coi principi italiani del suo tempo, era la sua crudeltà e lo sfruttamento dei suoi cooperatori, ma ciò non basta per dichiararlo uomo rinascementale.” Siehe auch und bei Christos G. Patrinelis, Mehmed II the conqueror and his presumed knowledge of Greek and Latin, in: Viator 2 (1971), S. 349–354.
4 Ähnliche Berechnungen bereits bei: Agostino Pertusi, La caduta di Costantinopoli, Bd. 1: Le testimonianze dei contemporanei, Milano 1976, S. XXII. Die Nachvollziehbarkeit der auf zwei Seiten ausgeführte Berechnung wird durch das Abweichen von physikalischen Konventionen erschwert. Statt von der Dichte spricht die Autorin vom „spezifischen Gewicht“, dessen Einheit mit g statt g/cm³ angegeben wird, wodurch die Einheitenrechnung fehlerhaft wird.

Kommentare

Von Prinzing, Günter 14.01.2010

Sehr geehrte Redaktion,

mit Interesse (am Ende eher mit Belustigung) habe ich die von Herrn Wölki verfasste Rezension zu dem Sammelband über Mehmet II., Patron der Künste (s. den unten angehängten Text) gelesen und dabei doch nicht wenig gestaunt.

Zunächst fiel mir auf, dass der Rezensent eigenartigerweise (aber s.unten) nicht auch die Titel der jeweiligen Beiträge mit angeführt hat: Ich denke, zu einer sachlichen Stellungnahme gehöre es an sich auch, dass man nachvollziehbar registriert, was man da rezensiert, und bei einem Sammelband sind es eben dann mehrere Titelangaben, die man gern auch im Text der Rezension (samt den Seitenangaben, die hier in der Rezension ja auch nicht fehlen) wiedergegeben sieht. Der Einwand, das erübrige sich, weil ja der Link zum elektronischen Inhaltsverzeichnis mitgeliefert und der Rezension vorangestellt wird, zieht jedenfalls nicht so ganz. Denn ich wage zu behaupten, dass anders dem Rezensenten der grobe Schnitzer eben auch nicht unterlaufen wäre. Folgendes ist passiert:

1. Der Rezensent hat mir ganz unerwartet, wenn auch ungebeten, zu einem Kryptonym verholfen, indem er sich zu meinem Beitrag, gegen Ende seiner Besprechung wie folgt äußert:

"Einer bislang wenig beachteten westlichen Stimme
verschafft Hubertus Günther Gehör (S. 93-138). Der zeitweise in
türkischen Diensten stehende Geschützgießer Jörg von Nürnberg betrachtet
Mehmet II. als unehrlich, unzuverlässig und cholerisch, hebt aber die
üppige Besoldung hervor.(S. 93-138)."

Liest man diesen Passus, stutzt man unwillkürlich und reibt sich die Augen, weil man sich erinnert, weiter oben doch gerade erst einen Passus gelesen zu haben, der sich auf denselben Autor beziehen muss und lautet:

"Dass die Architekten der Epoche durchaus auch
auf byzantinische Vorbilder zurückgriffen, zeigt Hubertus Günther (S.
93-118) vor allem anhand der als dynastische Grablege konzipierten
Mehmet-Moschee (Mehmet Fatih Camii). Im Gegensatz zur abendländischen
Renaissancearchitektur sieht der Autor in dieser "osmanischen
Renaissance" eine wesentlich offenere Antikentransformation nach
vorgefundenen traditionellen Mustern."

Wie das? Sollte zu diesem Symposion tatsächlich einer der auswärtigen Teilnehmer gleich zwei Beiträge beigesteuert haben, obwohl jeder von ihnen nur zu einem Thema vorgetragen hatte? ...

2. Und was ist mit den Seitenangaben? Der eine Beitrag erstreckt sich von 93-138, der andere von 93-118. Erneut beginnt man zu grübeln..und ahnt, dass da wohl etwas nicht stimmt: In der Tat, der ersten Beitrag des Autors "Hubertus Günther", steht auf den Seiten 59-75, vielleicht nicht zuletzt deswegen, weil er auch eine gewisse thematische Nähe zu byzantinischen Dingen hat...(aber das hätte in einer Kurz+Schnellrezension vielleicht zu weit geführt).--

3. Nun aber hat es der Rezensent, wie man dem Zitat entnehmen kann, aber auch unterlassen, dem geneigten Leserkreis zu vermitteln, woher man denn eigentlich weiß, dass sich Jörg von Nürnberg so geäußert hat, wie es der Rezensent schildert. Auch hier sticht der gleiche, schon oben genannte, zu erwartende Einwand mit dem Hinweis auf den Inhalts-Link nicht so recht, denn ein Text, der auch diese Angaben nochmals bzw. ebenfalls mit einbindet, ist zum Zweck besserer Klarheit oder eben auch Genauigkeit übersichtlicher und schneller zu überblicken, als wenn man erst auch noch das Inhaltsverzeichnis anklicken muß, um in Kombination mit ihm den Rezensionstext zu lesen.

Ich denke, man wird mir zustimmen, dass es in diesem Fall unverzichtbar war, im zitierten Passus zumindest soviel anzuführen, dass dieser Mann die Äußerungen in einer bemerkenswerten, weil einzigartigen deutschsprachigen Geschichtsquelle mit autobiographischem Charakter getan hat. Und vielleicht wäre es ja auch der Rede, sprich Rezension, wert gewesen, auch soviel noch hinzuzufügen: Dass es sich um eine rare, frühe, 1482/3 in Memmingen gedruckte Inkunabel handelt, die dem Bedürfnis der damaligen Leserschaft (kurz nach Mehmets II. Tod 1481!) nach authentischen Berichten von "Mehmet-Kennern" entgegenkam.

Fazit: Wäre also der Rezensent a priori gleichsam verpflichtet gewesen, auch den Titel des jeweils vorgestellten Beitrags nochmals mit anzugeben, hätte man wenigstens schon bei der Lektüre des puren Rezensionstextes (ohne Klick auf den Inhaltslink) gewußt, worin sich Jörg von Nürnberg mitgeteilt hat.

Ich gehe davon aus, dass die Redaktion Verständnis für mein Anliegen hat, meine Richtigstellung ebenfalls möglichst schnell und in vollem Umfang publiziert zu sehen. Und vielleicht nimmt die Redaktion dies auch als Anregung, die Redaktionsrichtlinien zu überprüfen, falls man feststellt, dass es öfter Vorkommnisse der geschilderten Art , die zu Beanstandungen führen, gibt.

Mit freundlichen Grüßen und vielem Dank im voraus,

Günter Prinzing alias Hubertus Günther,
Universität Mainz, FB 07-Historisches Seminar,
Abt. 5, Byzantinistik


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