T. Garke-Rothbart: "… für unseren Betrieb lebensnotwendig …"

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Titel
"… für unseren Betrieb lebensnotwendig …". Georg von Holtzbrinck als Verlagsunternehmer im Dritten Reich


Autor(en)
Garke-Rothbart, Thomas
Reihe
Archiv für Geschichte des Buchwesens, Studien 7
Erschienen
München 2008: K.G. Saur
Anzahl Seiten
248 S.
Preis
€ 69,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karsten Jedlitschka, Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Abteilung Archiv, Berlin

Mit traditionsreichen Verlagen wie S. Fischer und Rowohlt, dem Deutschen Bücherbund oder renommierten Blättern wie der „Zeit“ und dem „Handelsblatt“ kommt der Holtzbrinck-Verlagsgruppe im bundesdeutschen wie internationalen Mediensystem eine bedeutende Rolle zu. Nun hat sich der Journalist Thomas Garke-Rothbart dem Gründer dieses Firmenimperiums, Georg von Holtzbrinck (1909-1983), einer der einflussreichsten Verlegerpersönlichkeiten der Bundesrepublik, zugewandt. Impulsgeber war ein Beitrag in der US-Zeitschrift „Vanity Fair“, in der 1998 Hinweise auf NS-Verstrickungen des Verlagsgründers gegeben wurden. Von der anfangs sehr dünnen Quellenbasis nicht entmutigt, trug Garke-Rothbart in jahrelangen Recherchen Quellen unterschiedlichster Provenienz aus mehr als 20 Archiven zusammen. Auch die Familie von Holtzbrinck steuerte private Dokumente bei, übernahm zudem einen Teil der Recherchekosten. Die Darstellung gründet also auf einer Vielzahl bislang nicht bekannter bzw. zugänglicher Unterlagen.

Seit Mitte der 1990er-Jahre hat der „cultural turn“ neuen Schwung in die historische Biographik gebracht, Aspekte wie Milieu, Sozialisation oder generationelle Prägung haben das Spektrum möglicher Frageansätze entscheidend erweitert. Wenngleich Garke-Rothbart in seiner Einleitung bescheiden festhält, dass er mit seiner Studie keine Biographie im umfassenden Sinne vorlegen wolle – das ergibt sich schon aus der zeitlichen Beschränkung auf den ersten Teil von Holtzbrincks Lebensweg bis zum Jahr 1947, aber auch aus der insbesondere für den privaten Bereich zu wenig ergiebigen Materiallage – so stellt auch diese Arbeit erneut die Vorteile des biographischen Zugangs unter Beweis, anhand des Lebensweges eines wichtigen Protagonisten eine Epoche oder bestimmte historische Entwicklungen darzustellen.

Die Darstellung ist weitgehend chronologisch aufgebaut und orientiert sich an den biographischen Stationen Georg von Holtzbrincks. Unterbrochen wird diese Struktur von einigen exkursartigen Kapiteln, die einzelne unternehmerische Aktivitäten näher analysieren oder der Frage nach Holtzbrincks Verhältnis zum Nationalsozialismus nachgehen. Dem Hauptteil folgt ein umfangreicher Anhang, der neben Auszügen aus verschiedenen von Garke-Rothbart recherchierten Quellen auch eine hilfreiche Verlagsbibliographie der verschiedenen Unternehmungen Holtzbrincks enthält. Eine kenntnisreiche Einführung von Siegfried Lokatis ist der Studie vorangestellt (S. 7-13), Personen- und Sachregister erleichtern einen raschen Zugriff auf einschlägige Informationen.

Georg von Holtzbrincks Karriere nahm einen unauffälligen Anfang während seines Jurastudiums in Köln. Bald arbeitete der aus verarmtem westfälischen Kleinadel stammende Student als Vertreter für Bücher und Zeitschriften, seit Oktober 1933 konzentrierte er sich ganz auf dieses rasch florierende Geschäft und hing dafür sein Studium an den Nagel. Mit seinem Kommilitonen Wilhelm Schlösser war er bald für den Handel mit Zeitschriften des „Stuttgarter Union Verlags“ zuständig. Die wichtigsten Reihen waren die monatlich erscheinenden Familienzeitschriften „Das Buch für alle“ und „Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens“. Der schnelle Aufstieg der beiden Freunde in diesem umkämpften Bereich des „Drückergeschäfts“ und die bald folgende Gründung einer eigenen Vertriebsfirma zeigen die kaufmännische Begabung. In den folgenden Jahren erweiterten sie ihre Vertriebsgebiete, übernahmen weitere Zeitschriften und Publikationen und kauften neue Unternehmen, ab 1937 war Holtzbrinck zudem selbst verlegerisch tätig.

Förderlich wirkten sich Mitgliedschaften in Gliederungen der NSDAP wie auch Verwandte und Freunde in hohen Positionen in Staat und Partei aus. Vor allem der Onkel Erich von Holtzbrinck, ein hochrangiger SS-Führer, vermittelte gegen Provision geschäftliche Kontakte mit einschlägigen Parteistellen. Holtzbrinck selbst hatte sich bereits 1931 dem NS-Studentenbund angeschlossen, 1933 oder 1935 (hier sind die Quellen nicht ganz eindeutig) folgte der Eintritt in die Partei. Bis Kriegsausbruch machte er glänzende Geschäfte durch den Vertrieb von Zeitschriften wie „Schönheit der Arbeit“ oder „Freude und Arbeit“ der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Nachdem deren Erscheinen mit Kriegsbeginn eingestellt wurde, nutzte Holtzbrinck die Chancen, die sich aus dem nun einsetzenden Boom von Feldpost- und Lizenzausgaben für die Deutsche Wehrmacht ergaben. Hier konnten nicht nur beachtliche Gewinne erzielt werden, solches Engagement sicherte auch die mit fortschreitendem Krieg immer schwieriger werdende Versorgung mit dem Rohstoff Papier. Holtzbrinck gehörte bald zur kleinen Spitzengruppe der deutschen Verleger, inhaltlich lagen die von ihm verlegten Titel ganz auf Linie der Partei. So feierte er Kriegsausbruch und Führer mit entsprechenden Sonderausgaben, die parteiamtliche Zensur mussten die von Holtzbrinck verlegten Titel nie fürchten.1

Holtzbrinck war zweifelsfrei ein Nutznießer des „Dritten Reiches“, er pflegte einen pragmatisch-geschmeidigen Umgang mit dem Regime, hatte ein gutes Gespür für die sich bietenden Chancen, jedoch ohne erkennbare ideologische Motivation. Damit bietet er ein weiteres Beispiel für die bereits von Thomas Nipperdey konstatierte „Omnibusstruktur“2 des Nationalsozialismus, der seinen Erfolg und seine dynamische Durchdringung aller gesellschaftlichen Bereiche auf einer Mischung von „Verführung und Gewalt“3 gründete, und zu einem guten Teil auf Opportunismus und Arrangement.

Nach dem Krieg kam auch Holtzbrinck relativ unbeschadet und gegen eine vergleichsweise geringe Sühnezahlung von 12.000 Reichsmark durch die rasch zur „Mitläuferfabrik“4 degenerierte Entnazifizierung. Wie viele seiner Zeitgenossen sah auch er keinen Anlass zu kritischer Selbstreflexion. Vielmehr beklagte er die verlorenen drei Jahre des Berufsverbots nach Kriegsende und damit – wie er seinem Onkel nach New York schrieb – die „Unmöglichkeit, gleich nach dem verlorenen Krieg wieder aufbauen zu können und die vielen Aufregungen, die man hat mitmachen müssen“ (S. 188). Doch die Entnazifizierung war bald vergessen, das zwischen 1933 und 1945 erworbene Kapital und die auf dem nationalsozialistischen Massenbuchmarkt gewonnenen Kenntnisse legten die Grundlage für einen erneuten Aufstieg zu einem der mächtigsten Medienkonzerne der Bundesrepublik.

Garke-Rothbarts Darstellung bietet eine Fülle interessanter Details, zu loben ist die akribische Quellenrecherche. Allerdings scheint die Arbeit streckenweise an den Quellen entlang geschrieben, darunter leidet die abstrahierende Analyse und die Eleganz der Darstellung. Die inzwischen umfangreiche Forschungsliteratur zur Buchhandels-, Verlags- und Unternehmensgeschichte im „Dritten Reich“ wird nur partiell rezipiert, die Darstellung zu wenig in diese eingebettet, so bleibt interpretatorisches Potential ungenutzt. Andererseits nehmen Quellenzitate und das Referat hinlänglich erforschter Sachverhalte (etwa zur Entnazifizierung, S. 181 ff.) zu viel Raum ein. Ein stärker systematisierender Ansatz und eine Strukturierung durch leitende Fragestellungen quer zur chronologischen Gliederung hätte die Darstellung runder gemacht. Nichtsdestoweniger ist die Studie ein wichtiger Schritt, der freilich nach einer baldigen Vertiefung und Weiterführung der Biographie Holtzbrincks für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg verlangt.

Anmerkungen:
1 Befreites Sudetenland. Eine Erinnerungsausgabe, Stuttgart 1939; Der Feldzug in Polen 1939. Stuttgart 1939.
2 Thomas Nipperdey, 1933 und die Kontinuität der deutschen Geschichte, in: ders., Nachdenken über deutsche Geschichte, München 2. Aufl. 1991, S. 225-248, hier S. 238.
3 Hans-Ulrich Thamer, Verführung und Gewalt. Deutschland 1933-1945, Berlin 1994.
4 Lutz Niethammer, Die Mitläuferfabrik. Die Entnazifizierung am Beispiel Bayerns, Bonn 1982.

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