S. Michels: Schwarze deutsche Kolonialsoldaten

Cover
Titel
Schwarze deutsche Kolonialsoldaten. Mehrdeutige Repräsentationsräume und früher Kosmopolitismus in Afrika


Autor(en)
Michels, Stefanie
Anzahl Seiten
266 S.
Preis
€ 28,80
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Joel Glasman, Humboldt Universität Berlin

Stefanie Michels, Historikerin mit Schwerpunkt Afrika, widmet ihr neues Buch den Soldaten der deutschen Kolonialgebiete. Afrikanische Kolonialsoldaten sind bereits seit einigen Jahren Gegendstand wissenschaftlicher Debatten. Nachdem Myron Echenberg und Marc Michel am Anfang der 1980er Jahren die Relevanz des Themas für die Geschichte Afrikas entdeckten 1, findet seit den 1990er Jahren eine lebhafte Diskussion zum Beitrag der Kolonialarmeen zur Entstehung neuer Solidaritäten und Rivalitäten auf dem Kontinent und zur historischen Verortung der sozialen Kategorien "Soldat", "Veteran" und "Kombattant" in Afrika statt.2 Brigitte Reinwald erweiterte die Diskussion um eine neue Dimension, die der Erfahrungen und Repräsentationen der afrikanischen Soldaten in einem sich globalisierenden Imperium.3 Thomas Morlang entdeckte das Thema für die deutschen Kolonien, die bis dato nicht systematisch unter diesem Aspekt untersucht waren.4 Hier setzt die Arbeit von Stefanie Michels ein, die, zuvor spezialisiert auf Ordnungsvorstellungen und Wahrnehmungskonflikte im kolonialen Kamerun 5, nun ihren Untersuchungsraum auf das gesamte deutsche Kolonialreich in Afrika erweitert und gleichzeitig ihren Fokus auf die Repräsentationen kolonialer Soldaten einschränkt.

Es sind also weder die Kolonialtruppen als Institution, noch die Kolonialsoldaten als Akteure, die hier in den Vordergrund treten, sondern die Figur des Kolonialsoldaten, die als Projektionsfläche europäischer Vorstellungen analysiert wird. Damit knüpft die Autorin an der zentralen Frage postkolonialer Ansätze: welche Rolle spielen Diskurse in der Herstellung und Erhaltung großflächiger Herrschaften?6 Während afrikanische Soldaten aus den britischen und französischen Kolonialimperien bereits mit einem postkolonialen Forschungsansatz analysiert wurden, blieben Angehörige der deutschen Kolonialtruppen unter diesem Blickwinkel bisher weitgehend unbeachtet. Es ist eben diese Forschungslücke, der sich die Autorin widmet.7 Afrikanische Soldaten stellten im kolonialen Diskurs insofern eine problematische Kategorie dar als sie genau wie Konvertiten, „arme Weiße“ und „Mischlinge“ nicht in die Dichotomien passten, die der kolonialen Herrschaft zu Grunde lagen (Schwarze/ Weiße, Kolonisatoren/ Kolonisierte, Afrikaner/ Europäer, usw.). In den ersten Seiten des Buches, die statt Einleitung "persönliche Annährungen" betitelt werden, stellt die Autorin klar, dass es ihr vor allem um die binäre Opposition Schwarz/ Weiß geht, die von den pauschal als "schwarz" bezeichneten Kolonialsoldaten offen gelegt wird. Danach baut sie ihr Argument in zwei Teilen auf, jeweils "Entstehung imperialer Räume" und "(Post)koloniale (Un-)Ordnungen" benannt.

Das erste Argument (S. 27-154) bezieht sich auf die Entstehung von imperialen Räumen. Hier soll "die Unilinearität der Vorstellung europäischer Expansion in Frage gestellt", indem "unterschiedliche transregionale Netzwerke und die verschiedenen Akteure, die darin agierten", offen gelegt werden (S. 11f). Die Autorin zeigt, wie aus kosmopolitischen Territorien national aufgeteilte Kolonien konstruiert wurden: transnationale Netzwerke wurden aufgebrochen und umgestaltet, heterogene Bevölkerungen wurden umgeordnet, offene Fläche wurden aufgeteilt und geschlossen. Am Beispiel der Figur des "schwarzen Kolonialsoldaten" wird gezeigt, dass die Konstruktion von kolonialen und imperialen Räumen mit europäischen Vorstellungen von Rassen, Klassen und Geschlecht einherging: "die Kolonialsoldaten und ihre Körper waren es, die die koloniale frontier, die Grenze, zwischen dem kolonialisierenden Eigenem und dem zu kolonialisierenden Fremden repräsentierten" (S. 30).

Das zweite Argument (S. 155-228) bezieht sich auf koloniale Ordnungsvorstellungen und auf die Art und Weise, wie sich diese Vorstellungen in kolonialen und postkolonialen Texten und Bildern kolonialer Soldaten widerspiegeln. Die Autorin untersucht inwiefern koloniale Hierarchien durch die Figur des schwarzen Soldaten bestätigt oder gefährdet werden. Dabei wird auf die Ambivalenz der kolonialen Repräsentationen hingewiesen. Einerseits stand der Körper der "Askari" für die Grenzen zwischen der Welt der Herrschenden und der Welt der Beherrschten dar. Andererseits überquerte der Askari diese Grenze, und zeigte somit den Widerspruch kolonialer Ideologie. Eine Untersuchung der kollektiven Erinnerung an die Kolonialsoldaten liegt in den letzten Seiten des Buches vor.

Die Stärke des Buches liegt eindeutig daran, einen diskursanalytischen Blick auf eine koloniale Episode deutscher Militärgeschichte zu werfen. Die Historikerin besticht mit ihrer Begriffsgeschichte der „Askari“. Nicht nur widerlegt sie den Mythos des „treuen Askari“, sondern zeigt sie auch, wie die kolonialen Wurzeln europäischer Sprachen unsichtbar wurden, indem zum Beispiel Fremdwörterbücher auf die arabische, jedoch nicht auf die swahililische Herkunft von Wörtern wie „Askari“ oder „Safari“ hinweisen (S. 18-25). Dieselbe Problematik der Unsichtbarkeit und des Unsagbaren ist auch fruchtbar, wenn sie auf koloniale Fotografien angewendet wird. Am Beispiel der Kolonialfotografie eines Askari mit dem Titel „Heil deutscher Treue“ (S. 126f) kann die Historikerin überzeugend zeigen, wie sich der koloniale Diskurs auf Ambivalenzen stützt: wird die „deutsche Treue“ des Soldaten, oder doch die „deutsche Treue“ zum schwarzen Soldaten gemeint? Der koloniale Diskurs ist am mächtigsten eben an der Stelle, wo er tautologisch wird: die Treue der Kolonie zum deutschen Reich wird dadurch sichergestellt, dass afrikanische Soldaten treu zum Kaiser sind. Auch die Einordnung des „treuen Askari“ als koloniale „Ikone“ und die Anwendung der Terminologie von Roland Barthes auf deren Darstellungen eröffnen interessante Wege (S. 130). Dass Afrikaner europäische Inszenierungstechniken für eigene Zwecke ausnutzten konnten, wird außerdem am Beispiel der Herero-Uniformen erfolgreich gezeigt (S. 221).

Der Mehrwert des Buches liegt eindeutig in der Analyse von Bildern, die in den meisten Geschichtsbüchern zu oft immer noch als bloße Illustrationen verwendet werden. Die Autorin bezieht eine sehr vielfältige Ikonographie mit ein, die sie auf Grund einer soliden Theoriegrundlage diskutiert (u.a. Barthes, Geary und Webb, Hight und Sampson). Dennoch sind leider einige der im Laufe des Werkes angebotenen Bilderinterpretationen unvollständig und werden den eigenen Anforderungen nicht gerecht. Nur selten werden Informationen zum Gebrauch der Bilder geliefert. Das Aussagepotential der Bilder als Quellen des kolonialen Zeitgeists reicht weit über die bloße Feststellung hinaus, dass Kolonialisten in Dichotomien dachten.

Der Text ist mit Theorie gesättigt – von Foucault bis Bhabha werden alle wichtigen Namen der postcolonial studies erwähnt. Mitunter jedoch werden die Konzepte überstrapaziert und verlieren dabei an Kraft. "Habitus" ist in Michels’ Studie "afrikanisch" (S. 53), "wangwana" (S. 54), "wilhelminisch" (S. 57), "Herero und Nama" (S. 70), "bürgerlich" (S. 156), "aristokratisch (S. 157), und "militärisch" (S. 221), es gibt auch einen "Habitus der Kontaktzone" (S. 158), so dass der Leser sich am Ende fragen muss, wie Michels Habitus genau definiert. In dem Buch geht es ihr außerdem darum „die Aufmerksamkeit auf die historische und situative Wandelbarkeit der Zuordnungen in Weiß und Schwarz zu lenken“ (S. 10). Doch das koloniale Label „schwarz“, von dem sich die Wissenschaft befreien sollte, taucht als Begriff im Schlussteil wieder auf, indem sich die Autorin „aus der Perspektive der schwarzen Kolonialsoldaten selbst“ (S. 229) beruft. Wenn Kolonialideologen einen Herrschaftsanspruch verfolgten, indem sie ihre afrikanische Angestellte pauschal als „schwarz“ bezeichneten und damit eine extrem heterogene Gruppe reifizierten, sollten dann Historiker nicht vermeiden, die selben Kategorien anzuwenden, um die Perspektive dieser Soldaten wiederzugeben?

Die von Michels vorgelegte Studie weist auf zentrale Forschungslücken der Afrika- und Kolonialgeschichtsschreibungen, und beschreitet neue Wege, um diesen Forschungsdesiderata gerecht zu werden. Innovativ ist indes das Buch in mehrfacher Hinsicht, da es sowohl eine Fortführung des "Iconic Turn" in der Afrikaforschung, als auch ein Plädoyer für eine Geschichte des gesamten Empire als Untersuchungseinheit darstellt. Es handelt sich also um ein interessantes Buch, das zum Verständnis der Verhältnisse von Repräsentation und Macht am Rande der Empire beiträgt.

Anmerkungen:
1 Marc Michel, Les Africains et la Grande Guerre. L'Appel à l'Afrique 1914-1918, Paris (1982) 2003, Myron Echenberg, Colonial Conscripts. The Tirailleurs Sénégalais in French West Africa, 1857-1960, London 1991.
2 Nancy Lawler, Soldiers of Misfortune. Ivoirien Tirailleurs of World War II, Athens 1992, Joe Lunn, Memoirs of the Maelstrom. A Senegalese Oral History of the First World War, Portsmouth 1999, Gregory Mann, Native Sons. West African Veterans and France in the 20th Century, Durham 2006, Timothy H. Parsons, The African Rank and File. Social Implications of Colonial Military Service in the King's African Rifles, 1902-1964, London 1999.
3 Brigitte Reinwald, Reisen durch den Krieg. Erfahrungen und Lebensstrategien westafrikanischer Weltkriegsveteranen der französischen Kolonialarmee, Berlin 2005.
4 Thomas Morlang, Askari und Fitafita. »Farbige« Söldner in den deutschen Kolonien, Berlin 2008.
5 Stefanie Michels, Imagined Power Contested. Germans and Africans in the Upper Cross River Area 1887-1915, Münster 2004.
6 siehe u.a.: Birthe Kundrus (Hg.), Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus, Frankfurt am Main, 2003
7 Zu den französischen "Tirailleurs" etwa, siehe u.a: Nicolas Bancel, Pascal Blanchard, Francis Delabarre, Images d'Empire 1930-1960. Trente ans d'images officielles en Afrique française, La Documentation Française, Paris 1997. Auch der folgende Sammelband hätte vor der Autorin berücksichtigt werden können: Janos Riesz, Joachim Schultz (ed.), "Tirailleurs Sénégalais". Zur bildlichen und literarischen Darstellung afrikanischer Soldaten im Dienste Frankreichs, Frankfurt am Main 1989.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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