H. Münkler u.a. (Hrsg.): Sicherheit und Risiko

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Titel
Sicherheit und Risiko. Über den Umgang mit Gefahr im 21. Jahrhundert


Herausgeber
Münkler, Herfried; Bohlender, Matthias; Meurer, Sabine
Reihe
Sozialtheorie
Anzahl Seiten
262 S.
Preis
€ 26,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Achim Saupe, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Dem Problemfeld von „Sicherheit und Risiko“ und dem „Umgang mit Gefahr“ im angebrochenen 21. Jahrhundert widmete sich 2008/09 eine interdisziplinäre Vorlesungsreihe an der Humboldt-Universität zu Berlin, deren Beiträge nun in einem Sammelband erschienen sind. Zwölf Aufsätze versammeln Problemumrisse und Forschungsbeiträge aus den Politik- und Sozialwissenschaften, den Kultur- und Literaturwissenschaften sowie der Wissenschaftsgeschichte, den Religionswissenschaften und den Wirtschaftswissenschaften.

In seinem einleitenden Beitrag entfaltet Herfried Münkler eine Genealogie des Begriffspaars „Sicherheit und Risiko“; beide Termini gehören zu den politischen Grundbegriffen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei unterscheidet er zwischen „Welten der Sicherheit“ und „Kulturen des Risikos“. Seine Sympathie liegt zunächst bei letzteren, denn sie basieren für Münkler auf einer Kultur des Spiels, sie berechnen Risiken und Chancen und haben insofern ein Innovationspotenzial, das den Welten der bewahrenden Sicherung fremd sei.

Man kann indes fragen, wie sinnvoll es ist, die mit diesen beiden „asymmetrischen Gegenbegriffen“1 einhergehenden Sphären derart stark voneinander zu trennen. So hat etwa Niklas Luhmann – der in Münklers Genealogie des Risikos fehlt – in einer Auseinandersetzung mit Ulrich Becks Analysen zur „Risikogesellschaft“2 argumentiert, dass Risiko nicht als Gegenbegriff von Sicherheit anzusehen sei, sondern dass dieses Begriffspaar in den Bereich der politischen Rhetorik gehöre: Wer sich gegen das Risiko ausspreche, plädiere für den allgemein geschätzten Wert der Sicherheit. Nach Luhmann besteht vielmehr eine symmetrische Beziehung zwischen „Risiko“, „Chance“ und „Gewinn“: Jedes soziale und politisch verantwortliche Handeln, welches auf die Sicherung des Bestehenden oder aber auf die Möglichkeiten der Zukunft ausgerichtet sein kann, berechnet Chancen und potenzielle Gewinne und geht dabei jenseits der politischen Sicherheitsrhetorik unweigerlich Risiken und Gefahren ein.3

Freilich warnt auch Münkler vor überhöhter Inkaufnahme von Risiken, die etwa der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise zugrunde liegen. Im Rahmen einer stärker zeitgeschichtlichen Fragestellung hätte man hier untersuchen können, warum gerade seit den 1980er-Jahren das semantische Feld von „Sicherheit und Risiko“ gegenüber älteren semantischen Begriffsfeldern wie „Sicherheit und Freiheit“ oder auch „Sicherheit und Ordnung“ eine Dominanz gewonnen hat; Antworten hätte man im sozioökonomischen Wandel seit den 1970er-Jahren und im Aufstieg neoliberaler Politikkonzepte suchen können. Dies hätte dann auch eine stärkere Differenzierung zwischen frühneuzeitlichen Versicherungspraktiken und aktuellen Diskursen über Sicherheit und Risiko in einer „Weltrisikogesellschaft“ (Ulrich Beck) erlaubt – ohne dass dabei eine perspektivenerweiternde kultur- und literaturwissenschaftliche Historisierung des Versicherungsgedankens, wie sie Burkhardt Wolf in seinem Beitrag vornimmt, hätte fehlen müssen.

In Münklers Ausführungen spürt man die Tendenz zur politischen Streitschrift und zur Politikberatung – schließlich will der Band laut Klappentext auch Antworten auf „die Frage nach dem rasanten Wandel unseres Verständnisses von Gefahr, Bedrohung, Unsicherheit und riskantem Verhalten“ geben. Diese Position übernimmt auch Claudia Kemfert in ihrem Beitrag, wenn sie einen konsequenten Wandel in der Klimapolitik einfordert, um die ökonomischen Risiken des Klimawandels zu reduzieren. In einem weiteren streitbaren Aufsatz widmet sich der Religionswissenschaftler Rolf Schieder der Frage, ob es „riskante Religionen“ gebe. Schieder widerspricht intellektuellen und populären Angriffen gegen die Monotheismen, die diesen eine Radikalität des „Entweder-Oder“ unterstellten. Zudem weist er die aktuellen (und traditionsreichen) polytheistischen Sehnsüchte in die Schranken, deren latente bis manifeste antisemitische Grundhaltung er aufzeigt. Konsequent will er deshalb den Diskurs umdrehen, indem er sich nicht den „riskanten Religionen“ widmet, sondern in einer „Perspektivenverschiebung“ den Beispielen religiöser „best practice“ nachgeht: Religionen, die sich mit freiheitlich-demokratischen Rechtsstaaten vereinbaren ließen, seien jene, die an der weltweiten Verbreitung des „rule of law“ mitwirkten (vgl. S. 48ff.). Schieders These allerdings, „riskante Religionen“ seien allein in den „Zivilreligionen“ des Faschismus und Kommunismus zu sehen, kann in der Kürze des Aufsatzes nicht überzeugen, zumal die Frage, welche Gefahren von der neuen „Zivilreligion“ des Islamismus möglicherweise ausgehen, im Zuge der „Perspektivenverschiebung“ nicht gestellt wird.

Probleme der aktuellen Weltpolitik greift auch Georg Nolte auf, der die Wirksamkeit des Völkerrechts und der Fortentwicklung der Menschenrechte zum „human security“-Ansatz im Rahmen des United Nations Development Programme (UNDP) von 1994 diskutiert und dabei die weitere Verrechtlichung internationaler Beziehungen auch im Zeitalter neuer asymmetrischer Kriege als ein stetes Zivilisierungsmoment begrüßt.

In einem lesenswerten Beitrag zeichnet Matthias Bohlender anhand des Dispositivs der sozialen (Un-)Sicherheit die Genealogie eines ideengeschichtlichen Theoriestrangs nach, der den modernen Wohlfahrtsstaat ebenso charakterisiert wie den Liberalismus. Dies schreibt sich nicht nur in den Debatten über den demoskopischen Wandel oder aber die Hartz-IV-Reformen fort, sondern ist immer auch zum Spielfeld der „inneren Sicherheit“ geworden, wenn es etwa um die Frage der Armuts- und Kriminalitätsbekämpfung ging. Ebenfalls ergiebig ist der wissenschaftshistorische Blick auf die Diskussionen um medizinische „Risiken und Nebenwirkungen“ im Contergan-Skandal und im Rahmen der Auseinandersetzung um die Risiken der Anti-Baby-Pille. Volker Hess stellt im Zuge seiner Argumentation fest, dass sich Risiken nicht regulieren ließen, sondern dass Regulierung selbst immer neue Risiken erzeuge, die in heutigen Konsumgesellschaften nach der Konsultation von Fachleuten und einer ausdifferenzierten, aber eben auch durch Lobbyisten beeinflussten Öffentlichkeit selbstverantwortlich eingegangen werden müssten (vgl. S. 203). In eine ähnliche Richtung weisen Wolfgang Königs Ausführungen zu den technischen Risiken des Autocrashs und des Kernkraft-GAUs. Technische Risiken sind für ihn Indikatoren zunehmenden Wohlstandes und der Naturbeherrschung, die Auffassungen persönlicher Freiheit tangieren – auch die Freiheit, das Risiko zu wählen – und zudem auf das zivilgesellschaftliche Problem verweisen, dass die Akzeptanz kollektiver technischer Risiken gesellschaftlich ausgehandelt werden muss.

Als eine der Kehrseiten dieses globalen allgegenwärtigen Risikoabwägens und Versicherungswunsches zeigt sich schließlich das Phänomen des Amoklaufs, der in Joseph Vogls Interpretation die „jüngste, hässliche und verbliebene Grimasse der Rebellion“ im Zeitalter moderner, ausdifferenzierter und selbstreflexiver Zivilgesellschaften ist (S. 258). Natascha Adamowsky zeigt demgegenüber anhand des künstlerisch-spielerischen Umgangs mit den Überwachungstechnologien des „Closed Circuit Television“ (CCTV) ganz andere Auseinandersetzungsmöglichkeiten mit den Sicherheitskulturen auf.

Das facettenreiche und streitbare Spektrum des Bandes zeugt teilweise von der Fruchtbarkeit, aber auch von den Schwierigkeiten des interdisziplinären Gesprächs. So bleiben die trocken-pragmatische Sprache der Wirtschaftswissenschaften in einem Beitrag zur „Quantifizierbarkeit von Risiken auf Finanzmärkten“ oder aber die sozialwissenschaftliche Diskussion gesellschaftlicher Chancen von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund im Zeitalter der postklassischen Familie ebenso hermetisch wie die mancherorts überelaborierte Perfektion einiger kulturwissenschaftlicher Beiträge. Eine konzise Einleitung, die auf diese unterschiedlichen Sprachen von Risiko und Sicherheit aufmerksam gemacht und sich das Wagnis erlaubt hätte, stärker reintegrativ auf die Spezialdiskurse einzuwirken, hätte dem Band sicherlich gut getan. Nichtsdestotrotz zeigen die thematische Breite und die Aktualität des Bandes insgesamt eindrucksvoll die Perspektiven auf, wie das Forschungsfeld auch in einem größeren interdisziplinären Rahmen weiterzuverfolgen wäre. Die Geschichtswissenschaften sollten dabei gerade im Sinne einer tiefenschärfenden Historisierung des semantischen Feldes von Sicherheit – welches nicht nur Risiko, sondern eben auch Freiheit und soziale Ordnung umfasst – einen größeren Beitrag leisten, als es im Rahmen dieser Vorlesungsreihe der Fall war.

Anmerkungen:
1 Reinhart Koselleck, Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe [1975], in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1984, S. 211-259.
2 Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt am Main 1986.
3 Niklas Luhmann, Soziologie des Risikos, Berlin 1991.