T. Balderston: Economics and Politics in the Weimar Republic

Cover
Titel
Economics and Politics in the Weimar Republic.


Autor(en)
Balderston, Theo
Reihe
New Studies in Economic and Social History 45
Erschienen
Anzahl Seiten
123 S.
Preis
$35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markus Baltzer, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Knut Borchardt stellte Ende der 1970er Jahre die klassische Interpretation infrage, dass es vermeidbare Fehler in der Deflationspolitik Brünings gewesen seien, die letztlich der Machtergreifung Hitlers den Weg geebnet hätten. Vielmehr, so das Argument von Borchardt, sei die deutsche Wirtschaft aus angebotstheoretischer Sicht bereits während der so genannten „Goldenen Zwanziger Jahre“ krank gewesen. Folgt man dieser Argumentation, so verschiebt sich der Schwerpunkt der Analyse zur Wirtschaftskrise in die Mitte der 1920er Jahre und Brünings Politik erscheint nur noch als das Ergebnis einer Zwangslage, in der ihm keine echten Alternativmöglichkeiten mehr zur Verfügung standen.

Ausgehend von dieser These entwickelte sich eine der spannendsten und bekanntesten Kontroversen in der deutschen Wirtschaftsgeschichte der letzten Jahrzehnte, zu der auch aktuell immer noch weitere Beiträge geliefert werden.1

Mit dem vorliegenden Werk „Economics and Politics in the Weimar Republic“ füllt Theo Balderston, Senior Lecturer in Wirtschaftsgeschichte an der Universität Manchester, eine nicht nur für den englischsprachigen Raum längst überfällige Lücke. Balderston liefert einen Forschungsüberblick über die laufenden und vergangenen Debatten zu den komplexen wirtschaftlichen Zusammenhängen und Einflüssen der Weimarer Republik und versetzt den Leser dadurch in die Lage, Argumentationslinien etwa in Bezug auf die Borchardt-These kritisch nachzuvollziehen.

Untergliedert in fünf Hauptkapitel, deren Aufteilung und Reihenfolge einer konventionellen chronologischen Ordnung folgen, erfüllt das in der Cambridge-Reihe „New Studies in Economic and Social History“ erschienende Werk den von der Reihe selbst gestellten Anspruch in vorbildlicher Art und Weise, den Leser kritisch - aber unparteiisch - an den aktuellen Forschungsstand heranzuführen. Balderston konfrontiert den Leser nicht mit einem Set vorgefertigter Meinungen. Dies ist insbesondere für die Kapitel vier und fünf lobend hervorzuheben, da er dort verstärkt auf seine eigenen Forschungen zurückgreift, jedoch trotzdem seinen ausgewogenen Standpunkt nicht verlässt. 2 Als ausgewiesener Experte greift der Verfasser auch auf unpublizierte Manuskripte und Daten verschiedener Kollegen zurück, was neben der inhaltlichen Bereicherung des Werkes den Eindruck manifestiert, dass Balderston über einen präzisen Überblick der vergangenen und aktuellen Forschungslandschaft in diesem Bereich verfügt.

Im Anfangskapitel („Demobilisation and revolution, 1918-1919“) beschreibt Balderston die wirtschaftlichen Folgen der innenpolitischen Zerrissenheit nach dem verlorenen Krieg und schildert den Machtkampf der Industrie mit dem Reichswirtschaftsministerium um die Kontrolle der Übergangswirtschaft. Dabei wertet er das Stinnes-Legien Abkommen als klares Indiz für das Bemühen von Industriellen und Gewerkschaften, die anstehende Demobilisierung weitgehend ohne den Eingriff des Staates lösen zu wollen, was nur durch ein gemeinsames Vorgehen erreicht werden konnte. In der Politik des staatsunabhängigen Demobilmachungsamt unter Oberstleutnant Koeth erkennt Balderston bereits erste Ursachen für die später einsetzende Inflation (S. 8).

Der Versailler Vertrag und die Frage nach seinen ökonomischen Auswirkungen bilden den Gegenstand des zweiten Kapitels („Treaty, reparations and ´capacity to pay`“). Balderston distanziert sich von dem von Zeitgenossen aufgeworfenen und von der Historiografie erneut aufgegriffenen Argument, dass die im Vertrag fixierten Gebietsverluste sowohl für das Defizit in der deutschen Zahlungsbilanz als auch für die Abwertung der Mark verantwortlich gemacht werden konnten (S. 13). Der zentrale Punkt des Vertrages aber waren die Reparationsleistungen, in deren Zusammenhang sich die Frage stellt, welche Gründe die deutsche Regierung zu der - aus Sicht der Alliierten - miserablen Einhaltung der Reparationsverpflichtungen angetrieben haben. Balderston schlüsselt den politischen Prozess der Vertragsdurchführung getrennt nach den jeweiligen innenpolitischen Motiven der einzelnen Alliierten auf, wodurch deutlich wird, dass die Reparationsfrage nicht als ein gemeinsames Projekt begriffen wurde, sondern hauptsächlich nationale ökonomische Interessen im Vordergrund standen.

Dem komplexen Bereich der Inflation von 1918-1923 wendet sich Balderston im dritten Kapitel zu. Darin gelingt es ihm in bemerkenswerter Weise, im Rahmen der Analyse der deutschen Geldentwertung die unterschiedlichen ökonomisch-theoretischen Ansätze vorzustellen und so dem Leser einen fundierten Einblick in die jeweiligen Interpretationen der theoretischen Basiskonzepte zu vermitteln. Allerdings wird hier eine gewisse ökonomische Grundbildung beim Leser vorausgesetzt, ohne die auch das fünfseitige Glossar ökonomischer und politischer Begriffe am Ende des Buches kein volles Verständnis erreichen kann. Angesichts der sich hartnäckig haltenden Bezeichnung der „Goldenen Zwanziger Jahre“ für die mittlere Periode der Weimarer Republik („Normalisation and stagnation? 1924-1929“) schlägt Balderston vor, diesen Zeitraum zumindest in „vergoldet“ umzubenennen, um damit den Ergebnissen der Forschung einigermaßen gerecht werden zu können. Er verweist auf die von Borchardt angestoßene Diskussion bezüglich der geringen industriellen Wachstumsentwicklung im Vergleich zur Vorkriegszeit, was er mit einem Beispiel aus den Innovationsverzeichnissen der deutschen chemischen Industrie veranschaulicht.

Das letzte Kapitel („The slump“) diskutiert schließlich Gründe und Verlauf der Weltwirtschaftskrise in Deutschland, 1928 bis 1931. Balderston betont, dass hier die zentrale und erklärende Rolle dem Kapitalmarkt zukommt und stellt angesichts der Bankenkrise 1931 die Frage, ob die Panik der Gläubiger als ein letzter Grund für den Beginn der Krise gesehen werden kann, oder ob die Ängste bezüglich der Liquidität und Solvenz der Banken ihre Berechtigung hatten, was für einen früheren Beginn der Krise spräche. Der traditionellen Historiografie, die die Krise hauptsächlich auf die Anwesenheit von den als weniger stabil geltenden ausländischen Konten in Deutschland zurückführte, stellt Balderston die neuere Argumentation gegenüber, dass der Sturm auf die Banken 1931 mit der Auflösung der von Inländern gehaltenen Konten begann. Damit leitet er zu der restriktiven Finanzpolitik Heinrich Brünings über, die immer noch wie zuvor bereits angedeutet das emotionalste und am intensivsten diskutierte Thema der Weimarer Republik ist. Hatte Brüning tatsächlich die Wahl zwischen Deflation und Reflation?

Balderston stellt die keynesianischen Argumente vor, die diese Frage bejahen und Gründe dafür in der „intellektuellen Unkenntnis“ Brünings oder der Instrumentalisierung der Finanzpolitik für die zu leistenden Reparationszahlungen und/oder für die Innenpolitik und die politische Restrukturierung suchen. Demgegenüber schlüsselt er detailliert die Borchardt-Thesen und dadurch inspirierte nachfolgende Forschungen auf, die darauf hinauslaufen, dass Brüning gerade keine Wahl zur Politikänderung gelassen wurde. Auch wenn Balderston am Ende einräumt, dass ein Konsens in dieser Frage aufgrund schwer überprüfbarer kontrafaktischer Alternativszenarien nicht in Sicht sei, geht der Leser doch argumentativ gestärkt und mit einem differenzierten Bild aus der Lektüre hervor. Es ist offensichtlich, dass der Anspruch dieses Buches nicht sein kann, das Lesen eines maßgebenden Standardwerks zu einem der Spezialthemen der Weimarer Republik ersetzen zu wollen. Balderston ist sich dieser Tatsache bewusst und weist diverse Male selbst auf weiterführende Literatur hin, so etwa im Zusammenhang mit der Revolution (S. 2), den Reparationszahlungen (S. 16) und der Bankenkrise (S. 85). Vielmehr sieht der Autor seine Aufgabe darin, unterschiedliche Forschungsdiskussionen einzubetten und dabei ökonomische Theorien mit dem historischen Kontext zu verbinden. Dafür leistet das Werk einen wertvollen Beitrag und gibt dem Leser einen roten Faden an die Hand, sich in der vielfältigen wirtschaftshistorischen Literatur zu diesem Themenbereich einen differenzierten Überblick zu verschaffen.

Anmerkungen:
1 So etwa Ritschl, Albrecht, Deutschlands Krise und Konjunktur 1924-1934. Binnenkonjunktur, Auslandsverschuldung und Reparationsproblem zwischen Dawes-Plan und Transfersperre, Berlin 2002.
2 Balderston, Theo, The Origins and Course of the German Economic Crisis, November 1923 to May 1932, Berlin 1993.

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